Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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IX.

Die Freifrau von Hrádeck hatte eine lange Beratung mit dem Richter, welcher mancherlei Bedenken über die von der Herrin-Mutter getroffenen Maßregeln zu äußern wagte. Er war anfangs der Meinung, es handle sich um einen Ringdiebstahl, erst nachdem Libussa abgeführt war, entnahm er aus den Äußerungen der Freifrau, um was es sich eigentlich handelte. Frau von Hracin war in ihrer Empörung sehr geneigt, das Mädchen wirklich der Zauberei zu bezüchtigen, obwohl sie als Protestantin in andern Fällen ziemlich frei dachte. Jetzt aber war es ihr vor allem darum zu thun, Libussa auf irgend eine Weise zu beseitigen. Der Richter machte ihr aber klar, daß ein solcher Prozeß den Gutsherrn nur bloßstellen würde; ebenso legte er ihr nahe, daß Humprecht Herr auf Hrádeck sei und er, der Richter, nicht befugt wäre, ohne dessen ausdrücklichen Befehl einen solchen Prozeß einzuleiten. Der junge Herr aber würde gewiß einen solchen Befehl nicht geben.

Die Freifrau war weit entfernt, die Richtigkeit dieser Anschauung zu verkennen, aber sie hielt daran fest, daß das Mädchen für immer unschädlich gemacht werden müsse. Humprecht durfte sie nie wieder sehen. Nach den Erklärungen, welcher dieser bereits ihr gegenüber gegeben, würde 130 er sicherlich das Ungeheuere vollführen und sie zu seiner Gemahlin erheben. Das durfte nie und nimmer geschehen, denn nach den Hausgesetzen würde er des Majorats verlustig werden und sein Vetter, Johann Hracin, in den Besitz treten. Das zu verhindern, müßte der Richter die Mittel finden, er müßte ihr mit seinem Rate beistehen.

Da es nicht anging, das Mädchen durch richterliches Urteil zu beseitigen, ohne daß Humprecht davon erfuhr, so mußte man auf andere Mittel sinnen. Die Freifrau wollte demselben ja keinen Schaden zufügen, nur mußte es Libussa unmöglich gemacht werden, der Freifrau eigene Pläne zu durchkreuzen, die darin gipfelten, daß sie ihren Sohn mit einer Tochter aus altadeligem Hause zu vermählen suchte. Man beriet also hin und her, und endlich kam der Freifrau ein rettender Gedanke. Sie hatte eine Jugendfreundin, welche zur Zeit einem Nonnenkloster in Klattau als Äbtissin vorstand. Obwohl verschiedener Religion, hielten die beiden doch treue Freundschaft bis zum heutigen Tage, und die Gegensätze, welche in dieser aufgeregten Zeit die Geister verwirrten und verfeindeten, hatten ihre Freundschaft unberührt gelassen. So zweifelte die Freifrau keinen Augenblick, daß die Äbtissin gerne bereit sein werde, auf ihre Bitte hin Libussa auf einige Zeit in den Mauern ihres Klosters zu bergen, wenigstens so lange, bis Mittel gefunden worden, sie auf andere Weise, sei es durch Unterhandlungen und Geldspenden, oder wie immer, aus der Gegend zu entfernen und so Humprechts Nachforschungen zu entziehen.

Die Freifrau erwartete ihren Sohn schon in wenigen Tagen von Prag zurück und so mußte die Sache rasch und so still als möglich ins Werk gesetzt werden. 131 Noch in dieser Nacht sollte Libussa nach Klattau gebracht werden.

Der Richter hatte nichts Wesentliches einzuwenden. Er war so der Unannehmlichkeit enthoben, einen seiner Meinung nach ungerechten Prozeß zu leiten und war noch dazu von aller Verantwortung befreit, welche die Freifrau ganz allein auf sich zu nehmen versprach. Während diese sich anschickte, an ihre Jugendfreundin zu schreiben, ging der Richter, dem Büttel die nötigen Anweisungen zu geben.

Libussa saß in stilles Hinbrüten versunken auf dem harten Lager ihres Gefängnisses, als die Thüre geöffnet wurde und der Büttel eintrat. Er trug in einer Hand eine Laterne, in der andern aber ein Schüsselchen mit heißer Suppe, welches er vor Libussa mit der Aufforderung hinstellte, sie sofort zu essen und sich dadurch etwas zu kräftigen, da sie noch in dieser Nacht in ein Nonnenkloster geschafft würde, in welchem sie zu ihrem eigenen Heile einige Zeit verweilen müßte.

»Und meine Eltern?« fragte Libussa.

»Weiß nichts von ihnen,« log der Büttel. Er gab dann dem Mädchen noch einige Verhaltungsmaßregeln und warnte es ganz besonders, auf dem Wege ihre Anwesenheit etwa Begegnenden auch nur durch den geringsten Laut zu verraten, oder gar einen Fluchtversuch zu wagen. In diesem Falle, sagte er ihr, würde sie Leib und Leben aufs Spiel setzen, andernfalls jedoch solle ihr kein Haar gekrümmt werden.

Libussa war sofort bereit, dem Manne zu folgen. War sie doch froh, wenigstens von Hrádeck fortzukommen. Hier hatte sie ja das Schlimmste erfahren, was ihr an Leib und Seele geschehen konnte. Mit blutendem Herzen, 132 mißhandelt und von den Ihrigen getrennt, verließ sie einen Ort, den sie so voller Hoffnung betreten hatte. Ärgeres Leid konnte ihr wohl nirgends zugefügt werden.

Es war ein mit einem Strohlager versehener und mit einer Plache überdeckter Karren, in welchem Libussa zum Transporte untergebracht wurde. Der Büttel saß mit einem Knechte, der das Pferd lenkte, vorne auf einem schmalen Sitze. Des Büttels Fanghund trottete hinterdrein. So verließ Libussa die Burg Hrádeck, die Heimat jenes Mannes, den sie so heiß geliebt und der sie, wie sie meinte, so schändlich betrogen hatte. Ihre Lage war so traurig, ihr Gemüt so düster, wie die sie umgebende Nacht, wie der von keinem Sternlein erhellte Himmel, von welchem dichter Regen niederfiel.

In der Knappenschenke zu Bergstadtl war noch Licht, als sie dort anlangten. Die Knappen, welche soeben von der Schicht abgekommen waren, saßen beim düsteren Brande einiger Öllampen vor ihrem Kruge Bier, und der Wirt suchte sie nach Möglichkeit zu unterhalten. Er war gestern selbst in Seewiesen gewesen und wußte gar vieles zu erzählen von dem Jubel, der da geherrscht. Mehr noch als der König habe ihn aber dessen Beichtvater interessiert, Pater Lamormain, der eine eigene Spürnase habe, um Hexen zu entdecken und sie gleich dem Unkraute auszurotten.

»Laßt mich in Ruhe mit solchen Dingen,« meinte da ein alter Bergmann. »Ich habe die längste Zeit meines Lebens unter der Erde, in den Tiefen des Bergwerkes zugebracht und da in der ewigen Nacht kommen einem oft seltsame Gedanken. Mir kommt's vor, als wär' hier oben auf der Erde das ganze Jahr Fastnacht. Jeder lauft herum mit einer Larve vorm Gesicht. Nimmt man ihnen 133 die Larve weg, dann sind sie alle gleich gut und gleich schlecht, mit Ausnahme derer, die ihre Mitmenschen absichtlich verfolgen und unter diesen ist der Pater just der schlechteste.«

Die Knappen, viele unter ihnen Protestanten, stimmten dem Alten bei.

»Du glaubst wohl gar an keinen Teufel?« fragte der Wirt.

»An Teufel schon, aber an menschliche, wie da der Pater Lamormain einer ist. Kobold aber giebt's kein', und Hexen auch nit, das glaub ich fest. 's ist heroben ganz anders, wie drunten im Schacht. Da drunten haut man oft lang nix, als taub's G'stein. Find't man aber eine Silberader, so ist's eine wirkliche, da täuscht kein Firlefanz; heroben aber wenn man der Sach' auf den Grund geht, o mein! da sieht man erst, wie man betrogen wird. Ja, d' Welt ist falsch und Wahrheit und Frieden findt man heutigen Tags bald nur mehr unter der Erd.«

»Du red'st ja ganz merkwürdig daher,« meinte der Wirt. »Wie erklärst dir aber nachher die G'schicht mit dem Lüneburger Fuhrmann, die ma' sich in Jenewelt unten erzählt? Da war'n doch g'wiß Hexen im Spiel?«

»Was ist das? Erzähl's!« hieß es von allen Seiten.

Der Wirt wollte eben beginnen, als man einen Wagen anfahren hörte.

»Wer kommt so spät noch ang'fahren?« fragte der Wirt überrascht.

»Vielleicht gar der Lüneburger,« versetzte der alte Bergmann spöttisch.

»Dann kann er's gleich selber erzählen,« lachte der Wirt und begab sich vor die Thüre, um nachzusehen, wer so spät noch bei diesem Wetter unterwegs sei.

134 Es war das Fuhrwerk, welches Libussa nach Klattau bringen sollte, das vor der Schenke angehalten. Der Büttel hatte auf der naßkalten Fahrt seine Schnapsflasche bereits geleert und war willens, dieselbe hier wieder füllen zu lassen. Er war zu diesem Zwecke mit dem Wirte in die Stube getreten.

»Wo aus denn heut noch?« fragte der Wirt, die Schnapsflasche in Empfang nehmend, um sie zu füllen.

»Amtsgeheimnis!« entgegnete der Büttel mit wichtiger Miene, »ein ganz besonderer Transport. Gieb mir schnell mein' Schnaps, sonst fall ich um.«

Stanislaus, der unbeweglich hinter dem Ofen gelegen und deshalb von den Anwesenden gar nicht beachtet worden war, horchte auf. Er erkannte schon an der Stimme den Büttel, der ihn und die Seinen aus dem Gebiete von Hrádeck gejagt.

»Setz dich nur ein wenig her zu uns, Nepomuk,« sagten die Knappen. »Der Wirt war g'rad d'ran, uns eine Hexeng'schicht zu erzähln, die kannst jetzt mit anhörn!«

»Eine Hexeng'schicht? Die möcht ich freilich hör'n, aber der Knecht fallt mir im Schlaf von sein' Sitz – er hat mir mein' ganzen Schnaps ausgetrunken. Da kommt schon mein Tyras und mahnt mich an meine Pflicht.«

Der Hund war auf die Thürklinke gesprungen und hatte so die Thüre selbst geöffnet. Er war seinem Herrn in die Stube nachgeeilt, da dieser vergessen hatte, ihm direkt zu befehlen, auf seinem Platze zu bleiben. Der Wirt beeilte sich, dem Tiere einige Knochen vorzusetzen, denn er wußte, daß er sich durch diese Aufmerksamkeit bei dem Herrn einschmeicheln konnte.

Der Büttel setzte sich denn auch schmunzelnd auf einen 135 Augenblick zu den Knappen, um den Hund die guten Bissen ruhig fressen zu lassen und war bald mit den Leuten in einem eifrigen Gespräche begriffen.

Stanislaus sagte eine innere Stimme, daß es Libussa sei, die man hier transportierte. Er besann sich nicht lange. Lautlos kroch er hinter dem Ofen vor und schlich sich durch die Küche, von den andern unbemerkt, auf den Gang hinaus. Im nächsten Augenblick stand er vor dem Hause. Da erblickte er einen Plachenwagen, dem er sich leise näherte. Bei dem matten Scheine der am Vorderteile des Wagens angebrachten Laterne bemerkte er, daß der Kutscher, dessen Kopf auf die Brust herabhing, fest eingeschlafen war. Auf den Zehenspitzen schlich er nun nach dem Hinterteile des Wagens und öffnete ein wenig die Plache.

»Libussa,« flüsterte er, »bist du da? Ich bin's, Stanislaus.«

Ein leiser Ausruf des Staunens wurde hörbar. »Still! Um Gotteswillen, still!« flüsterte Stanislaus.

»Schnell komm zu mir, aber ruhig –«

Libussa gehorchte eiligst seinen Worten und kroch zu ihm heran.

»Aber der Hund?« fragte sie voll Angst.

»Er ist fort. Komm nur rasch!«

Er war ihr behilflich, aus dem Wagen zu schlüpfen und zog sie dann an der Hand eiligst nach dem Hause. Hier öffnete er leise die Thüre zur Kammer, in welcher die Eltern nächtigten. Sie hatten gleich dem Sohne noch keinen Schlaf gefunden.

»Still, keinen Laut!« warnte Stanislaus im Flüstertone. »Libussa ist da! Verratet euch nicht, sonst ist alles verloren.«

136 Dann zog er, nachdem er die Schwester in die Kammer geschoben, lautlos die Thüre wieder zu und eilte nach der Küche, um von dort unbemerkt wieder an seinen früheren Platz zu gelangen.

Es glückte ihm dies ohne besondere Schwierigkeit, denn alle folgten mit Aufmerksamkeit der Erzählung des Wirtes, die dieser zum besten gab, und selbst Nepomuk, der Büttel, war ganz Aug' und Ohr und schien seinen Auftrag gänzlich vergessen zu haben. Tyras, der Fanghund lag lang hingestreckt, schnarchend zu seinen Füßen.

Das Ereignis, das sich in Jenewelt abgespielt, war aber auch von ganz seltener Art und wohl geeignet, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu fesseln.

In Jenewelt hatten Fuhrleute, welche das Fuhrwerk zu den Glashütten besorgten, sich zu einem Kegelspiele vereinigt. Unter den Fuhrleuten war auch ein solcher aus Lüneburg. Während des Spieles steigt ein Wetter auf und es beginnt zu donnern, so daß einer den Vorschlag macht, das Spiel abzubrechen. Der Lüneburger aber sagt:

»Das Wetter braucht ihr nicht zu fürchten, das kommt nicht her; es muß erst mich fragen.«

Während er das spricht, zieht er sein Messer aus der Tasche und stößt es von unten in die Tischplatte. Und wirklich scheint sich das Wetter zu verziehen. Da erscheint eine Hexe und bittet den Fuhrmann, sie zu retten, denn sie und ihre Hexenschwester stünden bis zu den Knieen im Wasser. Keine Antwort. Die Hexe verschwindet; bald aber kommt sie wieder. Sie bittet abermals, sie zu retten, denn nun stünden sie schon bis zur Mitte des Leibes im Wasser. Wieder keine Antwort. Wie sie das drittemal erscheint, und wieder bittet, und berichtet, daß ihnen das 137 Wasser nun schon an den Hals ginge und sie ohne seine Hilfe umkommen müßten, spricht er:

»Gut. Aber das sage ich euch, her dürft ihr nicht. Haltet euch über die Wälder.«

Darauf entfernte er das Messer aus der Tischplatte und sagte zu den Fuhrleuten:

»Nun wißt ihr, was ich kann. Ihr könnt es jetzt nicht sehen, aber in wenigen Tagen werdet ihr's hören, was das Wetter für einen Schaden gemacht und wie es hier bei euch ausgesehen hätte, wäre es nicht durch mich gebannt worden.«

Und nach einigen Tagen soll wirklich die Nachricht eingetroffen sein, daß auf der bayerischen Seite des Gebirges große Waldstrecken vollkommen vernichtet worden sind.

»No', was sagst jetzt?« fragte der Wirt den alten Knappen. »Glaubst jetzt dran?«

»Ans schlechte Wetter?« fragte dieser lachend.

»Na', an d' Hexen.«

Nepomuk schnellte von seinem Sitze auf. Er ward sich plötzlich seines Auftrages wieder bewußt.

»Ich muß fort!« sagte er. »Ihr habt's gut, ihr könnt in der trockenen Stuben sitzen bleiben und nachher schlafen gehen; aber ich bejammernswürdiger Mensch mit mein' G'schäft, von dem ich nicht recht weiß, ist's oder ist's nit – in stürmischer Nacht wie ein Hund – Jeß, der Tyras ist noch herin,« rief er, als er des schlafenden Hundes ansichtig ward und weckte ihn mit einem Fußtritte, daß dieser knurrend auffuhr. Dann zahlte er eiligst dem Wirt die Zeche und verließ mit einem »gut Nacht allesamt!« die Stube. Der Hund war mit lautem Gebell schon voraus geeilt.

138 Darüber war der Knecht aus seinem Schlummer aufgewacht.

»Kommst endlich!« ließ er den Büttel an. »Ich hab schon Lust gehabt, ohne dich davon z'fahrn.«

Der Hund wollte wieder ins Haus zurück. Er winselte und suchte schnuppernd nach der Spur der Entwichenen. Aber Nepomuk deutete sein Benehmen nicht richtig.

»Das Hundsvieh!« rief er, sich neben den Kutscher setzend und möglichst weit hinter die schützende Plache kriechend, »will wieder z'rück in die warm Stuben. Er kann dem Sturm und Regen auch kein G'schmack abg'winnen. Aber es hilft dir nix, Tyras, dein Herr muß das gleiche Los mit dir teilen; also: kusch dich! Fahr zu!« wendete er sich dann an den Knecht, »und schau zu, daß wir nit umwerfen.«

Der Karren setzte sich in Bewegung. Tyras kehrte einigemale wieder zum Hause zurück, aber er kam jedesmal gleich wieder nach.

Wären der Büttel und sein Knecht nicht gleichmäßig betrunken gewesen, sie müßten an der Unruhe des Tieres erkannt haben, daß nicht alles in Ordnung sei. So aber fuhren sie ihres Weges weiter, ohne auch nur zu ahnen, daß etwas fehlte und zwar die Hauptperson: Libussa. –

Diese hatte sich an die Brust der Mutter geschmiegt und lauschte atemlos und voll Angst den Vorgängen in und vor dem Hause. Als der Wagen sich endlich in Bewegung setzte und sie aus dem gleichmäßig sich entfernenden Ton entnehmen konnte, daß man ihre Abwesenheit nicht bemerkt habe, seufzte sie tief auf und ein Strom von Thränen schaffte ihrem gequälten Herzen Erleichterung. Sie versuchte es auch, den Ihrigen zu erzählen von all 139 dem Leid, das sie erduldet, aber die Thränen erstickten häufig ihre Stimme.

Als die Knappen die Schenke verlassen hatten, und alles im Hause zur Ruhe gegangen war, schlich sich auch Stanislaus zu den Seinigen in die Kammer und bald hatten sie den Entschluß gefaßt, noch vor Tagesanbruch Bergstadtl zu verlassen und in das Gebiet der Künischen zu flüchten. Es war zwar entsetzlich, nach den mannigfachen Anstrengungen in dieser Sturmnacht wandern zu müssen, aber die Sicherheit Libussas verlangte dieses Opfer.

Die Mutter schlug vor, den nächsten Weg nach Eisenstein einzuschlagen und dort im Girgalhof um Aufnahme zu bitten, und alle waren mit diesem Vorschlage einverstanden. Es galt nun kein Säumen mehr. Der Büttel konnte jeden Augenblick Libussas Verschwinden bemerken und zurückkehren, sie aufs neue in seine Gewalt zu bringen.

»Nur fort! fort!« bat Libussa in ihrer Seelenangst. »Ich will nicht ins Kloster, will nicht eingesperrt sein.«

Der Aufruhr in der Natur, das Toben und Heulen des Windes machte, daß sie ungehört aus dem Hause kommen konnten. Bald hatte sie der Wald aufgenommen und hier waren sie vor dem Sturme einigermaßen geschützt. Rastlos eilten sie nun auf dem Waldsteige, den sie am Nachmittage hergekommen, wieder Seewiesen zu. Trotz der Dunkelheit fanden sie sich zurecht und als sie unweit Seewiesen einen zwar auf allen Seiten offenen, aber oben gedeckten Streuschuppen trafen, da gönnten sie sich endlich einige Ruhe von der ermüdenden, mehrstündigen Wanderung.

Der Tag war inzwischen angebrochen. Libussa bebte freilich noch vor dem kleinsten Geräusch, aber sie waren nun auf künischem Gebiete, und der Oberrichter würde 140 sie vor dem Büttel von Hrádeck schon zu schützen wissen, so hofften sie. So überließen sich die Erschöpften einem kurzen Schlafe, während Stanislaus Wache hielt.

Bald aber war es Zeit zum Weiterwandern. Libussa fuhr erschrocken auf, als der Bruder sie weckte. Aber mit einem glücklichen Lächeln sah sie dann in seine freundlichen Züge und schnell sich ihrer Lage bewußt, schickte sie sich an, mit den Ihrigen weiter zu wandern. Sie gelangten auch glücklich auf den Girgalhof, wo man sie freundlich aufnahm. Freilich verwunderte sich alles über Libussas verändertes Aussehen. Vergebens fragten sie nach der Ursache, so viel aber war gewiß: Libussa war sehr krank. –

Der Büttel von Hrádeck war es auch.

Das Fuhrwerk war bis vor das Klosterthor gekommen, ohne daß es Nepomuk für nötig erachtet hatte, nach seiner Schutzbefohlenen zu sehen. Er glaubte sie schlafend, da er nichts von ihr hörte. Die Hauptsache war, daß sie gut geborgen war; vorne er, hinten der Hund; was konnte da fehlen?

Als das Fuhrwerk vor dem Kloster in Klattau anhielt und auf sein Läuten hin die Pförtnerin erschienen war, übergab er ihr den Brief mit dem Auftrage, denselben sofort der Vorsteherin des Klosters zu überbringen. Dann schritt er mit dem Knechte stampfenden Trittes längs des Wagens auf und ab, um in die steif gewordenen Glieder wieder einiges Leben zu bringen. Es wunderte ihn gar nicht, daß die im Wagen Liegende noch immer regungslos war. Als aber die Pförtnerin zurückkam, bereit, das Mädchen vor die Oberin zu führen, da öffnete er die Plache und rief:

»Holla! Auf! Wir sind am Ziel.«

141 Aber diesem Rufe folgte sofort ein kräftiger Fluch, über den die Klosterschwester nicht wenig erschrak. Er warf Decken und alles Stroh aus dem Wagen, aber die Gesuchte fand er nicht. Der Wagen war leer.

Er fragte den Knecht, er fragte den Hund, von beiden erhielt er nicht die gewünschte Antwort. »Ich bin ein verlorener Mann!« jammerte er. »Meinen Kopf hab' ich zum Pfand g'setzt, der ist verloren. Das ist ein unersetzlicher Verlust für mich. Aber mit rechten Dingen ist's da nit zugangen. Da steckt was anderes dahinter. Das ist ein Hexenwerk.«

Das war der erlösende Gedanke. Ja, Zauberei war hier im Spiel. Wer konnte ihn Teufelskünsten gegenüber verantwortlich machen?

»Also, was soll ich der hochwürdigen Frau Oberin vermelden?« fragte die Klosterschwester, mit geheimem Grauen nach dem Wagen blickend.

»Ja, was vermelden wir ihr? Eine gehorsamste Empfehlung und unsere Transportantin ist auf eine geradezu unnatürliche Weise verduftet. – ›Unnatürlich‹ bitt' ich besonders zu betonen. Ihro Gnaden, die Frau von Hrádeck hat's schon als Hex betracht! Sie wird einsehn, die Frau von Hrádeck, daß man gegen die Mächte der Hölle unmöglich anstürmen kann. Auch die hochwürdige Frau Oberin wird das gnädigst einsehen und so fahren wir halt wieder heimwärts.«

Aber mit dem Heimfahren wurde es so bald nichts. In einer Schenke mußten sich Büttel und Knecht erst von ihrem Schrecken erholen und dann studierte sich Nepomuk allmählich einen ganzen Roman zusammen, der die Hexerei glaubwürdiger machen sollte, denn es war ihm doch der 142 Gedanke gekommen, daß das Mädchen, während er in der Knappenschenke in Bergstadtl saß, entflohen sein könnte. Er zweifelte auch nicht länger, daß seine eigene Nachlässigkeit an dem Verschwinden Libussas schuld sei, aber die andern mußten an einen Zauber glauben. Mit sich selbst zufrieden über seine Erfindungsgabe, fuhr er einigermaßen beruhigt dem Schlosse Hrádeck zu.

Weder die Freifrau, noch der Herrschaftsrichter glaubten dort zwar seiner romantischen Erzählung, im Gegenteile erhielt er eine scharfe Rüge und von einer Entlassung ward nur deshalb abgesehen, weil sonst Humprecht um den Grund gefragt und von dem Vorfall Kenntnis bekommen hätte. Es war demnach dem Büttel, wie dem Kutscher nur unter der Bedingung Vergebung zugesichert, daß sie sich verpflichteten, dem Burgherrn gegenüber alles geheim zu halten.

Dieser erhielt aber dennoch durch einen eigentümlichen Umstand Kenntnis davon.

Nach einigen Tagen von Prag zurückgekehrt, woselbst er sich fast ausschließlich mit Nachforschungen nach Libussa beschäftigte, fand er in einem Gemache seines Schlosses, das er zufällig betrat, Libussas Laute. Er erkannte sie sofort an dem golddurchwirkten blauen Bande, welches er selbst seinerzeit daran befestigt und in welchem der Name Libussa mit Goldfaden eingestickt war.

Der junge Freiherr war aufs höchste überrascht, dieses Instrument hier vorzufinden. Er rief sofort den Kammerdiener und die Zofe und befragte sie, wie die Laute hierher gekommen. Aber ehe sie noch Antwort geben konnten, trat Humprechts Mutter ein und sprach:

143 »Nicht von der Dienerschaft, durch mich sollst du erfahren, was sich in deiner Abwesenheit ereignet hat.«

Und sie erzählte dem vor Erregung zitternden Sohn, wie sich die Bänkelsängerin in das Schloß gewagt, um angeblich nach einem Jäger mit Namen Josef Marcon zu suchen und als sie ihn in dem Bilde erkannt, sich anstellte, als hätte sie nicht gewußt, daß er der Herr auf Hrádeck sei. Sie hätte dann eine Szene gemacht und um weitern Skandal zu vermeiden, habe sie die Freifrau verhaften und nachts aus dem Schlosse bringen lassen, an einen andern Platz, wo sie gut verwahrt sei und die Ruhe auf Hrádeck nicht weiter gefährden würde. Leider aber wäre sie während der Fahrt auf unerklärliche Weise verschwunden.

Humprecht mußte sich Gewalt anthun, um die Mutter zu Ende zu hören. Jetzt aber fragte er mit zornfunkelnden Augen:

»Hast du sie mißhandeln lassen?«

»Ich bin ihr begegnet, wie es einer solchen Gauklerin geziemt,« erwiderte die Freifrau kalt.

»Und das konntest du vollbringen lassen, trotzdem du weißt, daß ich das Mädchen über alles liebe?«

»Eben deshalb wollte ich dieser Thorheit ein Ende machen. Nicht eine Bänkelsängerin, eine Tochter aus edlem Hause will ich als meine Schwiegertochter sehen und ich habe bereits gesorgt, daß dir die Wahl nicht schwer werden soll.«

»Mutter! Ich merke wohl, daß du mir nicht alles gesagt hast, doch werde ich es erfahren. Was du aber da von einer Schwiegertochter sprachst, so schwöre ich dir jetzt, daß ich meine Hand keiner anderen reiche, als Libussa.«

144 »So lange ich lebe, wird das nicht geschehen!« rief die Freifrau.

»So wirst du auch niemals eine Tochter hier begrüßen,« entgegnete der Sohn, »es möchte denn sein, daß ich mich besinne, daß ich Majoratsherr auf Hrádeck und somit mein eigener Herr bin.«

»Du bist es gewesen, wenn du dich erniedrigst, eine Unebenbürtige zu heiraten. Johann Hracin tritt dann an deine Stelle.«

»Und ich an die seinige. Da ist so viel nicht verloren.«

»Das mag dir so scheinen. Ich aber überlebe diese Schande nicht; ich stürze mich eher vom Schloßfelsen hinab in die Wostruschna. Du hast die Wahl zwischen deiner Mutter und der Gauklerin.«

Damit entfernte sie sich rasch.

Humprecht aber ließ den Büttel vor sich kommen und suchte von ihm herauszubekommen, wohin sich das Mädchen etwa gewandt haben könnte.

Nepomuk hatte so viel Verstand, die Sachlage zu begreifen und das, was er bei der Mutter eingebüßt, beim Sohne wieder zu gewinnen. Deshalb sagte er:

»Euer Gnaden, mich hat das arme Kind erbarmt. Erst mußte ich die alten Eltern wie Hunde davon jagen, dann die schöne Jungfrau, gebunden, wie ein Stück Vieh bei stürmischer Nacht fortschaffen. Aber unser einer hat auch ein Herz und da hab ich das schöne Kind von seinen Banden befreit. Das Jungfräulein hat jedoch aus meiner Gutmütigkeit Nutzen gezogen. Wie wir am Kloster in Klattau angekommen, da rief ich die Jungfrau und was gab sie mir zur Antwort? Nichts gab sie mir zur Antwort, denn sie hatte sich unterwegs davon gemacht. Und 145 wenn ich deshalb brotlos werde, so will ich lieber Hunger leiden, als so ein armes Geschöpf als böse Hexe behandelt zu haben.«

Humprecht hatte den Schwätzer mit Ungeduld zu Ende sprechen lassen. Die erheuchelte Barmherzigkeit des Büttels stimmte ihn zur Milde, und er sagte:

»Was du Gutes an ihr gethan, soll dir vergolten werden. Besser, sie ist entflohen, als eingekerkert zwischen Klostermauern. Aber wohin kann sie sich gewendet haben? Wo waren die Eltern?«

»Sie übernachteten in Bergstadtl.«

»Du wirst sie ausfindig machen, oder wenigstens ausforschen, wohin sie gegangen. Bei ihnen befindet sich vielleicht Libussa wieder. Bringst du mir sichere Kunde von ihr, so werde ich dich reich belohnen. Aber begegne ihr, wenn du sie finden solltest, als wäre sie deine Herrin. Ich reite nach Welhartitz, dorthin bringe mir Kunde.«

Der Büttel atmete erleichtert auf. Solch eine Wandlung hatte er nicht erwartet. Er tätschelte sich zärtlich die Wange und sprach zu sich selbst:

»Brav, Nepomukerl, ich bin mit dir zufrieden. Du bist auf dem Wege zum Reichtum.«

Der Fuhrknecht aber riß ihn aus diesen rosigen Betrachtungen, indem er meinte, der Herr hätte ihm ebenso gut zu danken, denn wenn er damals nicht geschlafen hätte, wäre dem Mädchen die Flucht nicht gelungen. Er beanspruche deshalb die Hälfte der Belohnung, die ihm Nepomuk auch zusagte.

Letzterer ging nun auf Kundschaft aus und schon am Abend des zweiten Tages war er so glücklich, seinem Herrn 146 melden zu können, daß sich Libussa auf dem Girgalhofe bei Eisenstein befinde.

Humprecht hatte sich nach dem Auftritt mit seiner Mutter von Hrádeck entfernt und wohnte seitdem bei seinem Freunde in Welhartitz. Selbstverständlich ritt er am nächsten Morgen mit Libussas Laute und begleitet von seinem Freunde Wolf, nach dem Girgalhof. Libussa saß auf der Gredbank der Schaluppe, welche die Spielmannsfamilie zur Zeit bewohnte, als die beiden Edelleute vorüber ritten. – Kaum hatte Humprecht sie erblickt, stieß er einen Freudenruf aus, sprang vom Pferde und eilte zu der Geliebten hin, die, blaß und zitternd, nicht in der Lage war, sich von ihrem Platze zu erheben.

»Libussa,« rief Humprecht, »kennst du mich noch?«

Libussa nickte bejahend, dann sah sie ihn eine Weile 147 starr an; endlich rief sie schmerz- und freuderfüllt zugleich: »Josef! Josef!« und schlang ihren Arm um seinen Nacken. In seligem Schweigen lag sie an seiner Brust.

Nach einer Weile zog sie den Arm zurück und fragte:

»Ist es wahr, du bist nicht mehr mein Josef?«

»Wer soll ich denn sein, Libussa?« fragte er dagegen. »Dir bin und bleibe ich Josef. Ich weiß, was dir widerfahren ist, laß's mich nicht büßen. Ich will alles wieder gut machen. Was kann dir daran liegen, ob ich Herr oder Diener bin! Du liebst mich, ich liebe dich – ob Josef Marcon oder Humprecht Hracin – mein Herz gehört dir in alle Ewigkeit.«

Während Wolf die beiden Pferde einem Knechte übergab, kam auch Libussas Mutter heran, die allerdings nicht recht wußte, wie sie dem Herrn begegnen sollte.

»Gebt mir nur die Hand, Mutterl,« sagte Humprecht. »Ich bring Euch gute Botschaft aus Prag, von Eurem Schwager, dem Gärtner am Strachower Thor.«

»Der ist ja unser Feind,« entgegnete Frau Antonin.

»Er ist Euer Freund und meint es gut mit Euch,« behauptete Humprecht. »Und ich, ich meine es auch gut. Laß mir nur deine Hand, Libussa, ich lasse sie nicht mehr.«

Und nun beruhigte er die Geliebte durch seine herzlichen Erklärungen; nicht lange währte es, so strahlte Libussas Antlitz wieder vor Glück und Freude. Frau Antonin aber brannte vor Neugierde, was Humprecht aus Prag Neues zu berichten habe. Er gab ihr endlich Bescheid.

Als er nämlich in Prag wiederholt nach den Spielleuten gesucht, kam er auch zu Antonins Bruder. Von diesem erfuhr er, daß dessen alte Haushälterin plötzlich mit Tod abgegangen und er nunmehr die Kinder Antonins zu 148 seinen Erben eingesetzt habe. Es wäre sein sehnlichster Wunsch, daß Antonin mit seiner Familie baldmöglichst zu ihm in sein Haus zöge; er fühle sich jetzt einsam und müsse mit fremden Leuten hausen, was ihm gar nicht passe.

Diese Nachricht ward selbstverständlich von der ganzen Familie mit Jubel aufgenommen. Als Vater Antonin davon hörte, meinte er:

»Ja, ja, ist immer gut gewesen, Bruder Frantisek, herzensgut, aber halt kein Freund von Musikant.«

»Endlich, Libussa, sollen auch wir eine Heimat haben,« rief die Mutter.

Libussa blickte dankbar zu Humprecht hin.

»Dein Kommen bringt immer Glück!« sagte sie zärtlich.

Stanislaus hatte sich beeilt, die glückliche Nachricht bekannt zu machen und der Girgalherr, der mit Wolf von Perglas zusammensaß, erbot sich, die Spielmannsfamilie nach Prag fahren zu lassen. Dann lud er seine Gäste zu einem Imbiß ein.

Libussa drückte die Laute, welche ihr Humprecht übergeben, mit Freudenthränen an ihre Lippen.

Erst gegen Abend schieden die Freunde. Die Abreise der Spielmannsfamilie ward schon auf den nächsten Tag festgesetzt. Humprecht gab das Versprechen, sie recht bald in Prag zu besuchen. –

Als Antonin und seine Familie nach herzlichem Abschiede vom Girgalhof abgereist waren, meinte Wenzel:

»Jetzt ist der gnädige Herr von Hrádeck den schwarzen Augen zum Opfer gefallen. Er kann schauen, wie er wieder loskommt!« 149


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