Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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III.

Unterhalb Gutwasser ist der zunächst liegende Ort das alte Bergstädtchen Hartmanitz, das schon im 13. Jahrhundert von deutschen Bergleuten gegründet und wo mit vielem Glück auf Gold gebaut wurde. Eine schlecht unterhaltene Straße führt an dem langen Hange des Wottawathales zickzackförmig zu dem romantisch grünen Thale der goldsandreichen Wottawa, längs welcher man überall Seifenhügel gewahrt, welche auf die ausgiebige Goldwäscherei hinweisen, die das Wottawathal zu einem wahren Goldlande machte.

In dem alten Bergstädtchen ist keine einzige Gasse eben, überall muß man bergauf und bergab steigen und es scheint, als ob der Ort jeden Augenblick von seiner schiefen Höhe abrutschen wollte. In den umliegenden Dörfern finden sich überall stattliche Herrenhäuser, welche den Besitzern der landtäflichen Güter, den sogenannten »Haberfürsten,« gehören.

An einem der bedeutendsten, von einem prächtigen Garten umgebenen Gebäude hielt Wolf von Perglas. Das Thor wurde sogleich geöffnet und der Reiter eingelassen. Sofort erschien auch der Eigentümer des Hauses, der edle, jugendliche Humprecht Hracin, Herr von Hrádeck, und bewillkommte seinen Freund auf das herzlichste.

33 Humprecht hatte zugleich mit Wolf in der Leibgarde des Kaisers gedient und hatte gleichfalls seit der Abreise des Monarchen nach Wien den Dienst aufgegeben, da er als ein der utraquistischen LehreUtraquisten hieß die Partei der Hussiten, welcher in den Prager Kompakt-Akten der Genuß des hl. Abendmahles unter beiden Gestalten (sub utraque) zugestanden worden war. Früher hießen sie Kalixtiner, vom lateinischen calix (der Kelch). Ergebener an die religiöse Toleranz des neugekrönten Königs Ferdinand, gleich vielen andern, keinen Glauben hatte.

Er führte seinen Freund nach dem oberen Stocke des Hauses, woselbst sich ein sehr geräumiger Saal befand. Hier waren bereits mehrere Edelleute der Umgegend versammelt, welche alle den Junker freundlich begrüßten und ihm ihr Bedauern darüber aussprachen, daß dessen Vater durch Krankheit verhindert sei, der Besprechung beizuwohnen.

Anwesend waren die Herren von Hlawniowitz, Prestowitz, Oberstankau, Knieschitz, Zikow, Deffernik, Zdenek, Korensky von Nezdaschow, Johann Hradkowitz von Protiwin, Georg Loschkan von Breznitz, Peter Peschik von Horstitz, Kaplir von Sulavic von Winterberg u. a. Die Hauptperson kam zuletzt. Es war Heinrich Mathias Graf von Thurn, durch seine nicht unvorteilhafte äußere Erscheinung und sein Geist und Entschiedenheit, aber auch unverhohlene Erbitterung ausdrückendes Gesicht wie von selbst zu einer Führerstelle berufen.

Der am Ende der Dreißiger stehende Mann war um seiner im Feldzug gegen die Türken geleisteten Dienste willen von Kaiser Rudolf II. als Burggraf der böhmischen Burg Karlstein ernannt worden. Wegen seiner freien Reden aber, und da er offen gegen die Einsetzung Ferdinands 34 als König von Böhmen protestierte, ward er von Kaiser Mathias seines Burggrafenamtes verlustig erklärt.

Die Böhmen hatten von jeher das Recht, ihre Herzoge und Könige selbst zu wählen; so kam das Land auch 1526 durch Wahl an Ferdinand von Österreich, den späteren Kaiser Ferdinand I. (1526–1564). Dieser nahm keinen Anstand, Böhmen trotz des Widerspruches jener böhmischen Stände, welche der Reformation angehörten, für ein Erbreich zu erklären. Er brachte die Jesuiten ins Land und suchte den Lutheranern den Weg zur konfessionellen Herrschaft zu versperren. So war der Zankapfel unter das Volk geworfen, und wenn auch sein Sohn und Nachfolger Maximilian durch die geübte Toleranz einen Stillstand in der Bewegung hervorrief, so erhob sich der religiöse Streit unter Kaiser Rudolf II. (1575–1612) nur um so heftiger und die evangelischen Stände, an ihrer Spitze die Grafen Heinrich Mathias von Thurn, Leonhard Kolon von Fels und Johann Bubna, erzwangen von dem schwachen Kaiser im Jahre 1609 den Majestätsbrief, der ihnen völlige Religionsfreiheit, den Bau von Kirchen und die Einrichtung von Schulen gestattete. In Böhmen war somit allgemeine Toleranz eingeführt, aber sie rief den Widerspruch der Katholiken hervor, deren Führung Wilhelm von Slawata und Jaroslaw von Martinitz übernahmen, welche sich dadurch den Haß der Nichtkatholischen zuzogen. Die Lage verschärfte sich noch, als Kaiser Mathias, Bruder und Nachfolger Rudolfs, die Rechte der Evangelischen nach Möglichkeit zu schmälern suchte und seinen Vetter, den eifrig katholischen Ferdinand von Steiermark, der dortselbst die Protestanten auf die rücksichtsloseste Weise behandelte, zu seinem Nachfolger in Böhmen ernannte.

35 Die böhmischen Stände protestierten gegen diesen aufgedrängten König und wollten ihr Erbrecht wieder geltend machen. Sie versprachen sich von diesem Herrscher nichts Gutes und die meisten dieser adeligen Herren verließen in der Folge Prag und begaben sich trotzig auf ihre Güter. Von den übrigen in Prag zurückbleibenden Ständen aber wurde Erzherzog Ferdinand, nachdem er die böhmischen Freiheiten und die Landesverordnung beschworen, als König anerkannt und am 29. Juni 1617 zu Prag als solcher feierlich gekrönt. Die Regierung verblieb indessen auf Lebenszeit dem Kaiser Mathias, der zehn adelige Herren als Statthalter einsetzte, von welchen sieben katholisch und drei nicht katholisch waren.

Ferdinand, der künftige König von Böhmen, überhaupt Nachfolger des Kaisers, nahm nun in Mähren, Schlesien und der Lausitz die Huldigung ein, denn diese Länder hatten ihn unter den gleichen Bedingungen, wie Böhmen, als ihren künftigen Herrscher anerkannt. Dann begab er sich nach Prag zurück, wo er alsbald anfing, sich in die Regierungsgeschäfte zu mischen und dadurch die Erbitterung nur vermehrte. Der Majestätsbrief wurde schon jetzt für ungültig erklärt und am Hofe manch drohende Rede geführt. Die Köpfe gar zu mächtiger Herren, hieß es da, würden bald genug springen, und manch armer Geselle solle in kurzem ein schönes Ritterschloß bewohnen. Mathias sei freilich zu schwach, die alten Pergamentfetzen zu zerreißen, aber der gottergebene Ferdinand werde alles ändern.

Diese Reden verfehlten ihre Wirkung nicht, sie machten die Protestanten mißtrauisch und als man gar erfuhr, daß Österreich mit Spanien einen geheimen Erbvertrag geschlossen und Böhmen in demselben mitinbegriffen sei, 36 da erkannten die böhmischen Stände, daß es mit ihrem Wahlkönigreich und mit ihren Rechten überhaupt zu Ende gehen sollte.

Alle diese Vorkommnisse wurden nun von den im Hause Hracins versammelten adeligen Herren eingehend besprochen. Sie waren fest entschlossen, diesen Eingriff in ihre Rechte nicht zu dulden. Ihre Aufgabe war es, Ferdinand zu entthronen und einen andern König zu wählen, Bündnisse mit den Nachbarländern zu schließen und ein ergiebiges Kriegsheer zu werben, das sie in ihrem Unternehmen thatkräftig unterstützen konnte. Graf Thurn, der »Verteidiger der Protestanten,« teilte jedem der Anwesenden seine Rolle zu, welche ihm in dem Kampfe gegen die Gewalt zufiel, ein heiliger Eid verpflichtete die Bundesgenossen zu gemeinsamem und geheimnisvollem Handeln. Schon hatte ihnen Frankreich und die Union Hilfe zugesagt. Noch war der Friede mühsam erhalten, doch glaubte niemand mehr an einen langen Bestand desselben, man hielt die Zeit für gekommen, die erste Gelegenheit zum offenen Kampfe zu ergreifen.

Zu gleicher Stunde, als in geringer Entfernung von hier die katholischen Freibauern ein Lebehoch auf König Ferdinand ausbrachten, riefen ihm die protestantischen Edelleute ein »Pereat!«, das sich bei der darauf folgenden Tafel, als die Köpfe durch feurigen Ungarwein mehr und mehr erhitzt wurden, noch oftmals wiederholte. Dann trennten sich die Herren, nachdem sie sich durch Handschlag nochmals zur Einigkeit verpflichtet, um auf ihre Burgen heimzukehren.

Wolf von Perglas begleitete seinen Freund Humprecht, der auf sein Gut Hrádeck zurück ritt. Es war ihm 37 Bedürfnis, sich nach den politischen Erregungen in herzlicher Weise mit seinem Freunde auszusprechen.

In dem erlengeschmückten, von der Alsowka durchschlängelten Thale fürbaß reitend, teilten sie sich die Eindrücke mit, welche sie bei der heutigen Versammlung empfangen. Humprecht Hracin wollte die Beobachtung gemacht haben, daß nicht sämtliche Anwesende mit gleichem Feuer der heiligen Sache zugethan wären, so besonders sein Vetter, Johann Hracin, der bei Abnahme des Eides sich absichtlich anderwärts zu schaffen gemacht habe.

»Du hältst doch deinen Vetter keines Verrates fähig?« fragte Wolf betroffen.

»Das gerade nicht,« entgegnete Humprecht; »aber man kann durch Unterlassung eine Sache ebenso schädigen, wie durch Handlungen. So viel ich meinen Vetter kenne, wird er sich keiner Gefahr aussetzen. Ich beachtete es wohl, wie sein Auge aufblitzte bei der Nachricht, daß uns die Güter abgenommen und des Königs Getreuen geschenkt werden könnten. Mich traf dabei sein Auge. Was er sich dachte, erriet ich leicht. Er neidet mir das Majorat von Hrádek, welches mir nach dem Tode meines Vaters zufiel, während er, als dessen Bruders Sohn, sich mit einem allerdings nicht sehr großen Gute zunächst Schüttenhofen begnügen muß. Ich weiß, wie gern er es gesehen hätte, daß ich aus dem jüngsten Feldzug nicht mehr gesund wiedergekehrt wäre. Die Habsucht ist ein gefährliches Ding in dieser Zeit, sie ist nicht selten die Triebfeder zur Verräterei.«

»Das wäre schändlich, das kannst du im Ernste nicht glauben!« rief Wolf.

»Es sind nur so meine Gedanken,« entgegnete 38 Humprecht. »Aber ich bilde mir ein, mein Kopf sitzt nicht mehr so fest zwischen meinen Schultern, wie heute morgen, bevor ich mein Haus in Hartmanitz meinen Freunden geöffnet.«

»Schlage dir solche Gedanken aus dem Kopf,« erwiderte Wolf. »Das hieße ja an unserer gerechten Sache verzweifeln, wollten wir solchen Bedenken Raum geben. Ich sehe im Gegensatze zu dir die Zukunft im rosigsten Lichte vor mir.«

»Glaub's gern,« entgegnete jetzt lachend der Freund. »Die schöne Gräfin von Lobkowitz windet dir ja den Rosenkranz, der deine Zukunft verklären soll, nachdem du der reichen Witwe Juditha von Kolowrat aus dem Wege gegangen.«

»An die Gräfin hab' ich jetzt wahrlich nicht gedacht,« versicherte Wolf. »Ich diente ihr gern bei Hofe als ihr Kavalier, aber mehr wollte ich nicht, und auch nicht sie. Ich weiß, ihr Geist strebt höher, als nach Welhartitz und ihr Herz hat längst gewählt. Nein, mein Freund, ich habe mir das meinige bis heute frei gehalten, aber heute habe ich es – fast glaube ich's – verloren.«

»Heute?« fragte der Freund ungläubig.

»Ja, als ich auf St. Günthers Felsen Ausschau hielt. Von ungefähr traf ich mit meiner liebsten Spielkameradin zusammen, die ich zwar nie vergessen, aber nur hin und wieder vor meinem Geiste auftauchen ließ. Nach sieben Jahren sah ich heute das zur prächtigen Jungfrau erblühte Mädchen wieder, und ich glaube, um meine Herzensruhe ist's geschehen.«

»Wer ist denn das Fräulein – darf man's erfahren?«

»Du ganz allein! Aber erwarte keinen hochadeligen, 39 auch keinen kleinadeligen Namen; sie ist von bürgerlicher Herkunft, aber aus einem Hause, dem wir alle unsere Hochachtung bezeugen –«

»Dann ist's des Oberrichters von Seewiesen Tochter, die schöne Marianka?«

»Du hast's erraten! Sie ist es, die ich mir heimführen möchte nach Welhartitz.«

»Glück auf zum Kampfe!« entgegnete freundlich, aber bedächtig der andere.

»Ich scheue keinen Kampf. Was man durch Kampf erringt, hat doppelten Wert. Übrigens fürchte ich meinen Vater nicht. Er ist Eisners Freund. Auch wird er meine Neigung gelten lassen, denn er liebt mich und ist tolerant.«

»Tolerant? Ist das auch Eisner, der Oberrichter der stolzen katholischen Freibauern?«

»Du glaubst wohl, ich, der Junker von Welhartitz, wäre dem Freibauern nicht ebenbürtig?« lachte Wolf. Dann fuhr er ernster fort: »Die Religion hat niemals den freundschaftlichen Verkehr unserer Häuser nur im geringsten gestört.«

»Bis jetzt,« versetzte Humprecht. »Aber laß die Gegensätze auf einander prallen, wie es bald geschehen wird, dann wird es heißen, Farbe bekennen: hie Ferdinand! hie Union! – Hole dir dein Mädchen zur rechten Zeit noch, wenn ich dir raten darf, das heißt – wenn es nicht schon zu spät ist. Bist du ihrer auch sicher?«

»Ich glaube, daß Marianka mir nicht abhold ist. Aber du hast recht, ich folge deinem Rat. Sobald als möglich will ich mit meinem Vater sprechen und schon nächster Tage soll mich der Oberrichter als Freier um 40 Marianka sehen. Leicht kann es geschehen, daß du eher mein Hochzeitsgast bist, als ich der deine.«

»Das darfst du als sicher annehmen, denn ich werde wohl gar nicht heiraten.«

»Du hast dich doch deinem Vetter Johann zu liebe nicht zum Cölibat entschlossen?« fragte Wolf lachend.

»Das nicht!« gab der andere ernst zur Antwort. »Aber es giebt Hindernisse, die nicht zu beseitigen sind.«

»Du bist doch dein eigener Herr! Wer kann dich hindern, nach freiem Willen zu thun?«

»Meine Pflicht als Edelmann, als gehorsamer Sohn meiner Frau Mutter.«

»Sie sollte dich hindern, eine Hausfrau heimzuführen?«

»Eine ebenbürtige wohl nicht – aber – nun, du hast mir dein Vertrauen geschenkt, so sollst du auch mein Geheimnis erfahren.« Und während sie langsam den Burgberg von Hrádek hinaufritten, fuhr er fort: »Du erinnerst dich noch, daß wir im vorigen Winter zu Prag einmal in Jägertracht eine Schenke besuchten, in welcher eine herumziehende Musikantenfamilie durch ihr Spiel und Gesang die Zuhörer zu Beifallsstürmen hinriß –«

»Gewiß erinnere ich mich. Es waren vier Personen: Die Eltern, ein Sohn und eine Tochter, die sie Libussa nannten. Die Kleine gemahnte mich mit ihren dunklen Haaren und den großen, schwarzen Augen an ein Zigeunerkind. Ihrem seltsamen, malerischen Anzuge nach war sie auch ein solches. Sie hatte eine wundervolle Stimme. Sie sang unter anderm ein reizendes Lied – von der schönen Bozena – ist's nicht so? Sollte die sich in dein Herz hineingesungen haben?«

41 »So ist's. Ihr Gesang, ihre leuchtenden Augen, ihr ganzes liebliches Wesen nahm mich gefangen. Ich war im Banne dieses Mädchens, ehe ich es selbst recht wußte; ich vermag mich daraus nimmer zu befreien. Unter dem Namen Joseph Marcon und als Jäger eines hochadeligen Herrn – wie ich ihr sagte, aus dem Prachinerkreis – gestand ich Libussa meine Liebe und fand Gegenliebe. Libussa ist brav, die lautere Unschuld, sie gelobte mir ewige Treue. Darf ich sie täuschen? Es war kurz vor der Krönung Ferdinands, als Libussa mit ihren Eltern Prag auf kurze Zeit verließ, um in einer andern Stadt ihre Kunst zu üben. In diese Zeit fiel unser Abzug von Prag, der, wie du weißt, auf Wunsch des Grafen Thurn sehr eilig vor sich ging. Seitdem sah ich Libussa nicht wieder. Wohl war ich nach einigen Wochen heimlich nach Prag zurückgekehrt, um sie aufzusuchen, doch fand ich sie nicht mehr. Der Wirt erzählte mir, sie hätte mich nach ihrer Rückkehr allabendlich sehnlichst erwartet und als ich nicht kam, sei sie in tiefe Traurigkeit versunken. Man konnte sie nicht mehr zum Singen bewegen. Mit tiefem Kummer im Herzen sei die Familie auf die Wanderschaft gegangen, wohin, das wußte er nicht. Vergebens waren auch die Nachforschungen, die ich nach Libussa anstellen ließ, sie ist wie verschwunden. Von Tag zu Tag denke ich brünstiger an das liebenswürdige Kind, dessen Seelenruhe ich auf dem Gewissen habe und wünsche es in meine Nähe mit aller Sehnsucht eines liebenden Herzens. Morgen will ich nach Prag, um wiederholt nach ihr zu suchen. Vielleicht glückt es mir.«

»Was soll dir das nützen?« meinte Wolf. »Du bist doch nicht willens, den Roman unter falschem Namen 42 fortzusetzen? Wäre es da nicht Deine erste Pflicht, offen und wahr hervor zu treten?«

»Denke an meine Mutter!« fiel Humprecht ein. »Was würde sie, die hocharistokratische Dame, dazu sagen, eine geborene Gräfin Schlick von Passaun und Ellenbogen? Niemals – niemals würde sie es dulden, daß ich Libussa, das Kind des Spielmanns, als Herrin in Hrádek einführe.«

»Die Zeiten haben sich geändert,« tröstete Wolf den Freund. »Gehören wir nicht selbst zu einer Partei, welche die weitgehendste Toleranz beansprucht? Was ist da Ungeheuerliches dabei, wenn der Edelmann sein Herzensglück bei andern Ständen findet? Hat nicht auch Herzog Udalrich die schöne Bozena, ein schlichtes Bauernmädchen, heimgeführt und sie zur Herzogin gemacht, jene Bozena, die Böhmens gefeiertstem Helden, dem Herzog Bretislaw das Leben gab? Und Libussa selbst, die Gründerin des böhmischen Fürstengeschlechtes, auch sie führte Primislaus I. als Gatten vom Pfluge weg zum Throne. Warum sollte da deine Libussa, ausgestattet mit allen Tugenden und Vorzügen, die du ihr zuerkennst, weniger würdig sein, eine Freiherrnkrone zu tragen?«

»Du sprichst so, weil du selbst im Begriffe stehst, dein Adelswappen mit einem bürgerlichen zu vermischen.«

»Wir sind in gleicher Lage. Führe du Krieg mit deiner Frau Mutter, ich will's mit Mariankas Vater versuchen. Man denkt bei jedem Kampfe nur an den Sieg. Sei getrost! Wir wollen sorgen, daß er uns nicht entgeht.«

»Darauf laß uns ein Glas Wein trinken,« entgegnete Humprecht, da die Reiter soeben im Schloßhofe angelangt waren. »Meine Mutter wird sich freuen, dich zu sehen.«

43 »Ich sehne mich darnach, ihr die Hand zu küssen. Doch nur kurze Zeit darf ich verweilen; ich möchte vor Abend noch zu Hause sein.«

Die beiden jungen Leute hatten sich von den Pferden geschwungen und sie einem herbeieilenden Diener übergeben. Dann begaben sie sich durch das mit vielen Ahnenbildern geschmückte Treppenhaus und die Treppe hinauf nach den oberen Wohngemächern. Dort ließ Humprecht seiner Mutter durch die Kammerzofe den Besuch melden. Alsbald traten sie in das trauliche Gemach, an dessen Schwelle die Freifrau erschien, den Sohn und dessen Freund herzlich zu begrüßen.

Humprechts Mutter hatte sich, obgleich schon tief in den Fünfzigern stehend, in ihrem ganzen Wesen noch eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt. Ihr etwas blasses, feingeschnittenes Gesicht war faltenlos und zeigte eine natürliche Anmut. Ihre dunklen Augen waren lebhaft, sogar noch feurig. Das üppige, weiße Haar bedeckte ein schwarzer Schleier, dessen Enden sie an der Brust verschlungen hatte. Ein schwarzes, gesticktes Atlaskleid umhüllte ihre schlanke Gestalt.

Ganz zu ihrer aristokratischen Erscheinung paßte der Raum, den sie bewohnte. Das Hauptstück des Zimmers bildete die große Himmelbettlade aus Ebenholz, mit Elfenbein eingelegt, deren schlanke Säulen einen Baldachin aus burgunderrotem Samt trugen, der gleich den Bettvorhängen reiche Goldmusterung zeigte und mit Goldfransen an den Enden verziert war. Ein Armstuhl, ebenfalls mit dunkelrotem Samt überzogen, stand am Fenster, das zwischen seinen Butzenscheiben die Wappen der Familie hielt und durch welches man eine herrliche Aussicht über die 44 Landschaft genoß. Gegenüber an der Wand, die von einer goldgelben Damasttapete bedeckt war, stand ein sogenannter Kabinettschrank, ein Schmuckschrein, gleichfalls aus Ebenholz mit Elfenbeineinlagen gefertigt, mit vielen Schubladen und den beiden sie verschließenden Flügelthüren. Auf ihm hatte eine kleine, kunstvoll aus Metall hergestellte Uhr nebst mehreren, blau bemalten Delfter-Vasen ihren Platz gefunden. Die Mitte der Wand aber nahm der hohe Marmorkamin ein, über welchem das Bild des verstorbenen Freiherrn von Hracin, dem Humprecht täuschend ähnlich sah, aus breitem, geschnitztem Rahmen herniederschaute. Über dem mit einer samtenen, goldbordierten Decke belegten Tische, auf welchem sich eine Bibel in Pergamenteinband und eine Laute nebst mehreren aufgeschlagenen Notenblättern befand, hing ein Messinglüster in der eleganten Form des sechzehnten Jahrhunderts, wie überhaupt die auf dem Gesimse der Vertäfelung verteilten, reich geschnitzten Kästchen, die Gold- und Silberbecher und manch anderes kunstvolles Stück zeigten, daß sich in ihnen das Erbe eines reichen Hauses aus vergangenen Jahrhunderten erhalten habe. Das Ganze war von einer mit gutem Geschmacke gepaarten Vornehmheit.

»Ich sah Euch schon mit meinem Sohne zum Schlosse reiten, Junker Wolf,« sagte die Freifrau, den Junker mit einer Handbewegung einladend, neben ihr Platz zu nehmen. »Ihr war't ja in ein sehr eifriges Gespräch vertieft; die leidige Politik scheint Euch ganz in Beschlag genommen zu haben. Was könnte in jetziger Zeit auch sonst die Herren vom Adel interessieren? War die Zusammenkunft in Hartmanitz von gutem Erfolg?«

»Ich glaube, ja,« erwiderte Wolf. »Wir fanden uns 45 wenigstens alle einig in dem Streben nach Erreichung des einen Zieles.«

»Und Vetter Johann?« fragte die Freifrau ihren Sohn.

»Er fehlte nicht,« entgegnete dieser; »doch wünschte ich, er wäre nicht dort gewesen. Wehr' mir nicht ab, Mutter; ich weiß ja, daß du dem Vetter stets die Stange hältst. Doch dieses Mal – Gott gebe, daß ich Unrecht habe!«

»Was berechtigt dich zu diesem Mißtrauen?«

»Alles! Oder findest du es nicht seltsam, daß er, ein Utraquist, so oft im Refektorium der Prämonstratenser in AlbrechtsriedDie Grafen von Bogen, denen das Gebiet von Schüttenhofen seit 1192 gehörte, schenkten das von ihnen gegründete Albrechtsried, sowie die Pfarre Schüttenhofen den bayerischen Prämonstratensermönchen von Windberg. zu finden ist?«

»Er hält eben mit den bayerischen Herren gute Nachbarschaft; grenzt doch sein Besitz an jenen der Klosterherren.«

»Mag sein; mir wäre lieber, er hielte fester zu uns. Ich habe heute wieder manche Beobachtung gemacht. Doch davon ein andermal.«

»Ja, lassen wir das. In diesem Punkte gehen unsere Ansichten weit auseinander,« sagte die Freifrau. »Sprechen wir lieber von euch, von euren persönlichen Wünschen und Hoffnungen.« Und sich zu dem Gaste wendend, fuhr sie fort: »Junker Wolf, mein Sohn hat Euch sicher sein Herz eröffnet. Ihr könntet mir wohl Mitteilung machen, womit es sich seit Monden beschäftigt?«

»Gräfin,« entgegnete Wolf, galant derselben den Rang 46 ihrer Geburt zuerkennend, »wär's auch der Fall, dürfte ich wohl aus der Schule schwatzen?«

»Ihr bringt den Freund nicht gerne in Verlegenheit?« fragte die Freifrau lächelnd. »Doch dürft Ihr mir vielleicht enthüllen, woher das schöne Volkslied stammt, das Humprecht so gerne singt. Es behandelt das Schicksal der schönen Bozena und macht auch mir viele Freude. Oder solltet Ihr das Lied gar nicht kennen?«

Wolf wußte nicht, ob er bejahen oder verneinen sollte. Er wurde der Antwort durch den Eintritt eines Dieners enthoben, welcher der Schloßfrau meldete, daß im Speisesaale aufgetragen sei.

»Ein Gericht Forellen,« erklärte die Freifrau auf den fragenden Blick der beiden jungen Männer. »Der Fischer hat sie heute morgen in der Wostruschna gefangen und ich hoffe, sie werden unserm Gaste auch zu ungewohnter Zeit munden.«

Sie nahm den Arm des Junkers und ließ sich von diesem nach dem Speisesaal führen; Humprecht folgte ihnen dahin. Im Erker desselben nahmen sie an einer wohlgedeckten Tafel Platz.

»Klein beisammen, nicht wahr?« sagte die Freifrau, als sie den Erker betraten, einen Blick durch den großen, leeren Saal sendend, »aber was soll uns der große Raum? Mich fröstelt's dort ordentlich, wenn ich mit Humprecht, oder, wie so oft, allein bei Tische sitze. Da habe ich mir denn diesen Erker auserkoren. Ja, zu Lebzeiten meines Mannes, da war es freilich anders! Wir wußten manchmal die Gäste nicht unterzubringen an der langen Tafel; da gab es denn Kurzweil genug. Ich kann Euch nicht sagen, Junker Wolf, wie glücklich ich wäre, wenn mir 47 Humprecht bald eine Tochter ins Haus brächte. Dann wäre es nicht mehr so einsam hier in dem großen Schlosse, wenn Humprecht ausreitet, und ich könnte ruhig hier sitzen auf dem Lieblingsplätzchen meines geschiedenen Gemahls und hinabblicken in das schöne Wostruschnathal, ohne durch häusliche Geschäfte gestört zu werden.«

Beim Anblicke der Wostruschna gedachte Wolf sofort wieder Mariankas, die ihm als Kind mit den Wellen dieses Baches ihre Grüße zugesandt – die sie ihm sicherlich auch heute wieder zusenden würde. Und als Humprecht mit dem perlenden Weine die Gläser gefüllt, stieß er mit ihm an auf »künftiges Glück!« und gedachte der trauten Jugendfreundin.

Der Ausdruck seines Auges sprach dabei so deutlich von seinen inneren Gefühlen, daß die Freifrau lächelnd bemerkte:

»Auf Welhartitz zieht wohl bald eine Burgfrau ein?«

»So Gott will!« entgegnete Wolf.

»Nimm dir ein Beispiel an dem Freunde!« mahnte die Freifrau den Sohn.

Ein leichtes Lächeln huschte um Humprechts Mund.

»Darf ich den Namen deiner Auserkorenen nennen?« fragte er Wolf.

»Gewiß,« antwortete dieser. »Wahrheit und Offenheit ist meine Devise.«

»Nun?« fragte die Burgfrau mit neugieriger Miene.

»Marianka Eisner ist's, des Oberrichters von Seewiesen Tochter, die Wolf als Herrin auf Welhartitz einführen wird, wenn –«

»Wenn er vergißt, daß er ein Freiherr von Perglas ist,« unterbrach ihn die Mutter, deren vorhin so 48 freundliche Züge sich plötzlich zu strengem Ernst verwandelt hatten.

»Gestattet, hohe Frau, daß ich Euch widerspreche,« versetzte Wolf; »wenn mich das Mädchen will und Mariankas Vater seine Zustimmung giebt.«

»Ihr Vater?« fragte die Freifrau, höhnisch lächelnd. »Und Euer Vater?«

»Mein Vater?« entgegnete Wolf mit Sicherheit, »der wird nicht darnach fragen, ob bürgerliches oder adeliges Blut in ihren Adern fließt. Das ist die rechte Toleranz, die wir zu üben haben. Nicht der Adel der Geburt, der Adel des Herzens – –«

»Genug!« rief die Freifrau, ihn unterbrechend und sich erhebend, dann ihren Blick scharf auf den Sohn heftend, fragte sie in strengem Tone:

»Sind das auch deine Grundsätze, mein Sohn?«

»Sie sind es, Mutter,« gab Humprecht zur Antwort.

»Und du hast wohl schon gewählt?« höhnte die Freifrau.

»Ich kann's nicht leugnen,« entgegnete der Sohn.

»Humprecht!« schrie sie auf. »Kannst du mir den Namen des Mädchens nennen, mir, deiner Mutter?«

»Libussa ist ihr Name.«

»Libussa hieß auch die Stamm-Mutter der böhmischen Herzoge,« warf Wolf von Perglas ein.

»Doch ist sie keine Herzogin, wie mir scheint.«

»Aber sie ist hold und schön, wie ein Morgen im Mai,« sprach Humprecht mit Wärme, »sie ist hold und rein, wie ein Engel des Himmels und –«

»Singen kann sie auch,« setzte Wolf lachend hinzu, »besonders die Ballade von der schönen Bozena. Das ist die Geschichte dieses Liedes.«

49 »Wer aber ist diese Libussa?« fragte die Freifrau.

»Frage mich heute nicht weiter, liebe Mutter, ich könnte dir doch nicht antworten,« bat Humprecht. »Zu gelegener Stunde werde ich mit dir darüber sprechen.«

»In einer Stunde will ich mich meinem Vater offenbaren,« sagte Wolf, »an ihn die Frage stellen, ob er mein Glück begründen will. Jetzt aber, zum Schluß, auf Euer Wohl, hohe Frau, und auf das Glück des Hauses Hrádeck!«

Er hatte sein Glas erhoben und stieß es an das der Freifrau, jedoch im Eifer und in der Hast so stark, daß es umstürzte und zerbrach und alle drei erschraken.

»Verzeiht!« bat der Junker. »Nehmt nicht für ein böses Omen, was meine Ungeschicklichkeit verbrach. Und jetzt lebt wohl, edle Frau!« Er verbeugte sich tief vor der Frau des Hauses und verließ, von Humprecht begleitet, das Gemach. Die Freifrau blieb in Gedanken zurück.

Als Wolf im Schloßhofe sein Pferd bestieg und dem Freunde zum Abschiede die Hand reichte, sagte er:

»Mut, mein Freund! Die erste Bresche ist gebrochen, das Bollwerk erschüttert, bald wirst du die Festung im Sturme nehmen!«

»Wenn mich ihre Trümmer nicht zermalmen,« entgegnete Humprecht mit einem Anfluge von Schwermut.

»Schwarzseher!« schalt Wolf. »Ich hoffe auf bessere Stimmung, wenn wir uns wiedersehen.«

Freundlich grüßend sprengte er zum Thor hinaus und ritt den Schloßberg hinunter, alsdann das reizende Wostruschnathal entlang und über das silberreiche Bergstadtl der heimatlichen Burg zu. Die Sonne war prachtvoll untergegangen, auf den Grenzbergen und auf den Wäldern ringsumher lagen duftige rosige Schleier und goldige 50 Wolkenstreifen zogen am Himmel dahin. Ein hehrer Friede lag über der wunderbaren Landschaft und auch des jungen Mannes bemächtigte sich eine friedliche, glückliche Stimmung. Das Gefühl von Mißstimmung, das sich auf Burg Hrádeck in den letzten Minuten fühlbar gemacht, war vollständig gewichen. Die Wostruschna glänzte zu seinen Füßen und das Firmament strahlte in himmlischer Farbenpracht. Sollte da sein junges Herz nicht auch Freude empfinden? Schöner als alles aber dünkten ihm die herrlichen Augen Mariankas, die jetzt vor seinen geistigen Augen ihm entgegenstrahlten in Freude und Glück, und mit ihnen beschäftigt, ritt er bei einbrechender Dunkelheit auf seinem Erbgute, der Burg Welhartitz, ein. 51


IV.

Eine der mächtigsten Festen im Böhmerlande war die am linken Ufer der Wostruschna auf einem gegen dieselbe furchtbar jäh abstürzenden Gneisfelsen thronende Burg Welhartitz. Sie ist noch heute ein für das Studium mittelalterlicher Befestigungskunst hochwichtiges Bauwerk und liegt zunächst des gleichnamigen Marktes, woselbst im 16. Jahrhundert, gleichwie zu Bergstadtl und Hrádeck ein ergiebiger Silberbergbau blühte. Jenseits des Baches erhebt sich der abgerundete, waldbedeckte Berg Borek (2700 Fuß), zwischen welchem und dem Burgberg sich eine wildromantische Schlucht befindet, durch welche die Wostruschna hindurchrauscht. Hat man das nur mäßig ansteigende Nordplateau erstiegen, so leitet ein Fahrweg zu der Burg, die durch einen in das Gneisgestein gesprengten, sehr breiten und tiefen Graben von aller Nachbarschaft getrennt ist.

Durch ein turmartiges, gothisch gewölbtes Thor betritt man zuerst den Teil, welcher die Vorburg von Welhartitz bildet. Rechtshin läuft eine Ringmauer, mit Schießscharten versehen, und mit einem nach auswärts vorspringenden, halbrunden Turme verstärkt, links, dieser Bastion gegenüber, steigt der Felsen mehrere Klafter hoch empor und auf ihm thront ein viereckiges Gebäude, das als Kastell oder Warte diente, von dem Landvolke allgemein Putna (Butte) genannt, ein in seiner 52 Art einziges Beispiel altböhmischen Befestigungsbaues. Dieses Kastell, dessen Mauer acht Schuh dick ist, war nur aus dem zweiten Stocke der Burg zugänglich, obwohl es siebzehn Klafter weit von ihr absteht. Eine auf Pfeilern und gothischen Spitzbogen ruhende Brücke, vollkommen isoliert, setzte durch Fallbrücken die beiden Bauwerke in Verbindung.

War nun der Burgherr vom Feinde bedrängt, so begab er sich aus dem zweiten Stockwerk seines Schlosses über die Fallbrücke auf den isolierten Übergang, zog dieselbe hinter sich auf und eilte über die zweite Fallbrücke, die er gleichfalls hinter sich aufzog, nach dem Kastell. Die dasselbe umschließende Ringmauer diente zugleich zur Verteidigung der Vorburg. Links leitet der Weg über eine zweite Brücke und durch ein zweites Thor in den inneren Burghof, wo sich ein mit hohem Dache und spitzen Türmen versehenes dreistöckiges Gebäude von unregelmäßiger Form erhebt, dessen Hoffronte mit Galerien geschmückt ist und in dessen erstem Geschosse sich in Mitte einer Flucht von Gemächern der geräumige, durch fünf Fenster erhellte Rittersaal befindet, der zu jener Zeit mit prächtigen Wandmalereien und dem auserlesensten Mobiliar ausgeschmückt war.

In einem Gemache des Putna war zur Zeit der Hussitenkriege die von Karlstein hieher geflüchtete böhmische Königskrone verwahrt und oben im Plafond eingemauert gewesen.

Die Zeit der Erbauung dieser ebenso prächtigen, als seltsamen Burg ist unbekannt, doch mag es etwa die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts gewesen sein. Bedeutende Männer werden als deren Besitzer genannt, darunter Meinhard von Neuhaus, der 1434 die Taboriten bei Lipan besiegte, in welcher Schlacht auch Procop der Große, das 53 Haupt der Taboriten, den Tod fand. Dann folgten die Swihowsky, Herren von Riesenberg und Raby und da Ziska bei der Belagerung der Burg Raby durch einen Pfeilschuß (1421) das gesunde Auge, das er noch hatte, ebenfalls verlor, so rächten sich die Hussiten durch Zerstörung der Burg Welhartitz, welche von späteren Eigentümern wohl wiederhergestellt, doch teilweise noch heute die Spuren dieser Zerstörung trägt. –

Waldhart, Ritter Pergler von Perglas hatte Kaiser Rudolf II. im Kriege gegen die Türken mit Gut und Blut unterstützt. Als jedoch der in Unmut versunkene Rudolf die Sache der Protestanten beeinträchtigte, schloß sich der evangelische Pergler von Perglas dem Grafen Thurn an, half den Majestätsbrief mit erzwingen und verhielt sich ruhig, als der herrschsüchtige Mathias seinen Bruder entthronte. Doch auch dieser erfüllte die Hoffnungen der Böhmen nicht und seinem von ihm eingesetzten Nachfolger brachten die böhmischen Protestanten offenen Haß entgegen.

Der alte Pergler gab deshalb auch der Einladung, zur Krönung des künftigen Königs nach Prag zu kommen, keine Folge, er forderte sogar im Einverständnisse mit dem Grafen Thurn seinen Sohn auf, nachdem Mathias nach Wien abgereist war, den Dienst bei der königlichen Leibgarde aufzugeben und nach Welhartitz zurückzukehren, voraussehend, daß in Bälde ein Kampf der Parteien entbrennen müsse, bei welchem sich die Herren von Perglas nur auf die Seite der von dem neuen König gehaßten Protestanten stellen könnten.

Der alte Pergler war ein äußerst gutmütiger Mann mit wohlwollenden Zügen. Das gesund gerötete Gesicht war von einem weißen, über die Brust herabhängenden 54 Vollbart umrahmt, während auf seinem Haupte die kurz gehaltenen, weißen Haare noch in üppiger Fülle zu sehen waren. Er liebte eine gemütliche Unterhaltung und hatte gerne Gäste um sich. Selbst jetzt, wo er infolge seines gichtischen Leidens in den hohen, mit gepreßtem Leder überzogenen Lehnstuhl gebannt war, glaubte er seine Schmerzen minder zu verspüren, wenn seine Aufmerksamkeit durch Gäste in Anspruch genommen wurde, durch Gäste, die mit ihm spielten, mit ihm tranken, Neuigkeiten auskramten oder durch Erzählungen ihn zu erheitern wußten.

Da waren denn der Prediger der Gemeinde, der Herrschaftsrichter und der Magister, vulgo Bader, als regelmäßiges Kleeblatt zum Abendtrunke bei dem Freiherrn versammelt. Zu andern Zeiten im Tage fanden sich häufig auch die nachbarlichen Edelleute, die Herren von Ober-Stankau, Deinitz, Petrowitz und Nemelkau bei ihm ein.

Der Magister war ein in seiner wirklichen und eingebildeten Kunst ergrautes Männlein, das über die Geschehnisse der ganzen Gegend Bescheid wußte. Dabei war er mit einem geradezu krankhaften Aberglauben behaftet, sah überall Teufel und Gespenster und heilte mit Beihilfe überirdischer Mächte, nämlich durch Sympathie an Mensch und Vieh. Er ward nach seinem Taufnamen nur Magister Dominik genannt. Sein faltiges, glatt rasiertes Gesicht mit der langen, spitzen Nase und dem über der Stirn in einen mächtigen Kakadu geformten, noch ziemlich üppigen Haupthaar gab ihm einen beinahe komischen Ausdruck. Er war namenlos hager und seine Kleider schlotterten nur so um seinen Körper.

Der Schloßherr aber war fest überzeugt, daß die Schmerzen an seinen Zehen leichter zu ertragen seien, so 55 lange der Magister in seiner Nähe weilte. Wenn dessen Salben und Pflaster und sein Hokuspokus nicht mehr nützen wollten, fing er an, zu erzählen, machte nach Umständen von der poetischen Lizenz ausgiebigsten Gebrauch und sprach von allem, was die Neugierde des Freiherrn zu erregen imstande war, denn in solchem Zustande vergaß der Kranke alle seine Leiden, lachte oder ärgerte sich, je nachdem es der Stoff verlangte.

Nachdem der Freiherr mit dem Prediger eine Partie Schach gespielt, wobei Richter und Magister anscheinend teilnahmsvoll zusahen, in Wirklichkeit aber mehr dem mit frischem Bier gefüllten Humpen zusprachen, fing der Kranke wieder an, zu stöhnen und zu ächzen, und manch halblauten Fluch auszustoßen, wobei der Prediger jedesmal besänftigend die Hände faltete und damit bezweckte, daß der Fluch nur zur Hälfte dem Munde des Freiherrn entschlüpfte.

Der Magister benützte den für den Gutsherrn so peinlichen Anfall und beschwichtigte dessen Schmerzen nicht durch eine Salbe, sondern durch eine Neuigkeit, die er heute schon lange gerne losgelegt hätte.

»Herr!« rief er, »fast hätte ich vergessen – gestern ist in Raby der leibhaftige Teufel gefangen und erschlagen worden. Ich habe ihn selbst gesehen.«

»Unsinn!« riefen die andern Herren.

»Wie sieht er denn aus?« fragte der Richter. »Den zu sehen wäre ich begierig.«

»Ich war es auch,« versetzte der Magister, »deshalb eilte ich, sobald ich von dem Vorfall gehört, auf meinem alten Klepper nach Burg Raby, um bei dem Gutsherrn, der Vertrauen in meine Kunst hat, anzufragen, ob er meiner nicht bedürfe.«

56 »Nun, und was habt Ihr gesehen?« fragte der Freiherr neugierig, der bei dieser sonderbaren Nachricht zu stöhnen aufgehört hatte.

»Den Teufel hab ich gesehen, den die Bauern erschlagen haben; aber damit hatte es seine eigene Bewandtnis. Die Herren werden gleich erfahren, was es für ein Teufel war.«

Und er erzählte folgendes Vorkommnis:

Der Herr von RabyDie berühmte Burg Raby liegt etwa vier Stunden östlich von Welhartitz am linken Ufer der Wottawa. hielt zu seiner Ergötzung einen Affen von ungewöhnlicher Größe. Dieser, schlecht bewacht, entsprang, während der Herr abwesend war, und eilte in den benachbarten Wald. Hier erblickte ihn zuerst ein Bauer aus Hajná, der soeben beschäftigt war, Holz zu fällen. Er hielt das ihm ganz unbekannte Tier für den leibhaftigen Teufel, rannte allsogleich in das Dorf und verkündete dort, daß er den Teufel gesehen. Diese Kunde erregte im ganzen Dorfe Staunen und die Leute beschlossen nach langer Beratung, bewaffnet gegen den Teufel zu Felde zu ziehen. Sie gedachten ihn entweder zu verjagen, oder, sei es tot oder lebendig, ihn in ihre Gewalt zu bringen. Mit Sensen, Hacken, Dreschflegeln, Stangen und allerlei Werkzeugen bewaffnet, zogen sie wider den vermeintlichen Satan in den Wald. Der Affe kletterte, als er den Haufen Bewaffneter gewahrte, auf den Gipfel eines hohen Baumes und schien von dort aus mit Grinsen und unterschiedlichen Gebärden die unten stehenden Bauern zu verlachen. Da gingen die Bauern daran, den Baum umzuhauen, und legten sofort Hand ans Werk. Als aber der Baum schon 57 zu sinken begann, schwang sich der Affe auf einen andern, und nachdem auch dieser umgehauen, auf einen dritten und so immer weiter, so daß die Bauern endlich einsahen, sie würden auf diese Weise des Teufels nicht habhaft werden. Sie begannen daher mit Steinen und Knütteln dermaßen nach ihm zu werfen, daß er ganz erschöpft und bluttriefend an einem Aste hängen blieb, worauf die Beherztesten emporkletterten und ihn mit einem tödlichen Schlage hinabschleuderten. Als sie hierauf den gefangenen Teufel fesseln wollten, biß er so grimmig um sich, daß sie ihm eiligst den Tod gaben. Seine Leiche wurde dann feierlich nach der Gemeindestube gebracht und die Leute strömten scharenweise herbei, den verstorbenen Satan zu sehen.

Als dann der Herr von Raby nach Hause gekommen, begaben sich die Vorsteher zu ihm und erzählten ihm von dem gefangenen und getöteten Teufel. Der Gutsherr lachte und befahl, das Wunder nach Raby zu bringen. Aber bald verwandelte sich seine Heiterkeit in hellen Zorn, als er in dem angeblichen Teufel seinen Affen erkannte. Er ließ in der ersten Aufwallung den klugen Abgesandten von Hajná wacker den Pelz ausklopfen und verordnete, das Dorf solle für alle künftige Zeiten den Namen »Narren Hajná (Bláznivá Hajná)« führen und zur Strafe, daß sie ihm seinen teuren Affen erschlagen, mußten die Hajnárer eine jährliche Abgabe zahlen.Diese Affensteuer wurde noch zu Ende des 17. Jahrhunderts entrichtet und das Dorf heißt heute noch Narren-Hajná.

»Ich sah das arme Tier,« schloß Dominik seine Erzählung, »und habe es auch seziert. Der Burgherr will es aber erhalten und deshalb ausstopfen lassen.«

Den Freiherrn hatte diese Erzählung sehr interessiert.

58 »Schade um das schöne Tier,« sagte er. »Ich habe mich oft daran ergötzt, wenn ich nach Raby kam. Die Bauern werden auch zeitlebens an ihre Heldenthat zu denken haben,« meinte er lachend mit Beziehung auf die ihnen auferlegte Steuer.

»Ich bedauere diese Bauern,« versetzte der Prediger. »Es wäre nur zu wünschen, daß alle Menschen, besonders in jetziger Zeit, dem Teufel so wacker auf den Leib gingen, wie es die von Hajná gethan.«

»Das wären handgreifliche Verirrungen, die uns Richter über Gebühr in Anspruch nehmen müßten,« entgegnete der Richter. »Ihr habt doch die Teufel in Menschengestalt vermeint?«

»Ich sprach nur bildlich,« antwortete der Prediger.

»A bah, ich glaube an keine bildlichen Teufel. Es giebt nur Menschen, die uns zu Teufeln werden können, wenn wir uns ihrer nicht rechtzeitig erwehren.«

Der Prediger ließ den Sprecher mit vernichtendem Blicke an:

»Was, Ihr glaubt nicht einmal –«

Ein Aufstöhnen des Freiherrn, dem in diesem Augenblick ein schmerzhafter Riß durch seine Beine ging, unterbrach die Strafpredigt, welche der Geistliche zu halten im Begriffe war.

»Ich glaube schon daran,« beteuerte der Freiherr; »er fährt mir in den Füßen herum, wie das höllische Feuer. O, hätt' ich ihn nur! Glied um Glied ließ ich ihm ausreißen in der Folterkammer – mit glühenden Zangen wollt' ich ihn eigenhändig zwicken – au! Dominik, helft mir! Ja, geschmolzenes Blei ließ ich ihm in Ohren und Nase gießen – Dominik, es ist kaum mehr zum Aushalten!«

59 »Mir scheint, Herr, er sucht Euch schon zu vergelten, was Ihr so freundlich seid, ihm anzuwünschen,« konnte der Richter nicht umhin, heimlich lächelnd zu bemerken.

Dominik hatte die Binde von den Füßen genommen und dieselben mit einem von ihm bereiteten Balsam eingerieben. Das schien einige Linderung zu bringen.

»Nur Geduld, Herr,« sagte der Magister, »der Balsam treibt selbst den Teufel auf und davon. Ihr werdet bald Schlaf bekommen und der wird Euch dann kräftigen. Wenn Ihr nach meiner Anordnung thut, wird der Schmerz sobald nicht wieder kommen, wenn er auch nicht ganz ausbleibt. Das ist eben der Teufel!«

In diesem Augenblicke trat der Jägermeister ein mit einem großen Jagdhunde, der sogleich, freudig bellend, auf den Freiherrn zueilte und stürmisch ein über das andere Mal an ihm hinaufsprang.

»Gut, gut, Brutus!« rief der Ritter, den Hund liebkosend. »Komm mir nicht an meine Füße – kusch dich jetzt und laß den Jäger zu Worte kommen.«

»Was bringst du mir?« fragte er dann, als sich der Hund beruhigt neben seinem Stuhle hingestreckt, den Jäger.

»Der Herr von Nemelkau, den ich auf Befehl des Herrn Junkers zur morgigen Hühnerjagd eingeladen, läßt danken. Er reitet nach Klattau, wohin König Ferdinand mit der Königin morgen kommt, um dort Nachtquartier zu halten.«

»Was?« rief der Freiherr, über dieser Nachricht alle seine Schmerzen vergessend, sich halb im Stuhle erhebend und den Sprecher forschend anblickend. »Was sagst du, der König kommt nach Klattau?«

60 »Ja; und wie ich in Nemelkau erfuhr, werden alle Stände dorthin eilen, ihn zu begrüßen.«

»Und was weiter?« stieß der Freiherr hervor.

Der Jäger berichtete nun, daß das Königspaar mit großem Gefolge auf dem Wege nach München sei, um seinen Verwandten, Herzog Maximilian zu besuchen. König Ferdinand nehme den Weg durch das Gebiet der Künischen, wo er zu Seewiesen, im Hause des Oberrichters Eisner übermorgen und am nächstfolgenden Tage in dem bayrischen Kloster Rinchnach Nachtquartier nehmen werde. Die Schutzherrschaft in Bistritz biete schon alle Königsbauern zu festlichem Empfange auf, auf dem ganzen Wege durch deren Gebiet würden in aller Eile Triumphpforten und Ehrenbögen errichtet und die ganze Bevölkerung sei in Aufregung über dieses freudige –«

»Genug!« unterbrach der Freiherr den Jäger. »Du kannst abtreten. Sobald mein Sohn kommt, erwarte von ihm weitere Befehle in betreff der morgigen Jagd.«

Der Jäger entfernte sich.

Der Magister war von der Neuigkeit ganz verblüfft.

»Da muß ich dabei sein!« rief er. »Den König muß ich sehen!«

»Ich auch!« stimmte der Richter zu. »Ich stelle mich bei Besin auf, wo der Weg vorüber führt.«

»Und Ihr, Herr Prediger?« fragte der Freiherr.

»Ich?« entgegnete der Gefragte. »Ich werde hier bleiben und beten, daß er sobald nicht wieder über die böhmische Grenze zurückkehrt.«

»Gott möge Euer Gebet erhören!« sprach der Freiherr, dem Geistlichen die Hand reichend.

Nun erschien auch der Junker im Gemach. Er 61 begrüßte den Vater und die übrigen Anwesenden mit ziemlich ernster Miene.

»Nun, Wolf, weißt du schon –?« fragte ihn der Vater.

»Die große Neuigkeit? Ich erfuhr sie soeben durch den Jäger.«

»Ihr reitet doch auch nach Klattau, Herr Junker?« fragte der Richter.

»Ich? Nein!« entgegnete Wolf kurz und bestimmt.

Der Richter und der Magister sahen sich verblüfft an.

Der Freiherr, dessen Schmerzen in der That nachgelassen hatten, wünschte jetzt mit seinem Sohne allein zu sein.

»Ihr Herren, der vom Magister versprochene Schlaf stellt sich ein,« sagte er. »Habt Dank für euren Besuch. Sobald der Königsrausch vorüber, sehen wir uns wieder. Für heute gute Nacht!«

Er klingelte, worauf ein Kammerdiener mit Licht erschien. Die Gäste empfahlen sich.

Als Vater und Sohn allein waren, stattete letzterer sofort Bericht ab über den Verlauf der Versammlung in Hartmanitz, wobei er ihm manche interessante Einzelheit mitteilte.

»Es ist ein guter Schachzug von diesem Ferdinand,« meinte der alte Pergler, »sich der Königsbauern zu versichern, und noch dazu ihnen seine Person für die Nacht anzuvertrauen. Du weißt doch, daß er im Eisnerhof Nachtquartier ansagen ließ?«

»Im Eisnerhof? Das hat mir der Jäger nicht gesagt,« antwortete der Junker, sich verfärbend.

»Warum wechselst du die Farbe?« fragte der alte 62 Freiherr, ihn scharf anblickend. Dann fuhr er fort: »Dem Oberrichter widerfährt da eine große Auszeichnung. Er ist der Mann, der selbst ein Königspaar in seinem Hause würdig aufzunehmen versteht. Unsere persönliche Freundschaft wird dadurch freilich einen Riß erhalten, der nie wieder zusammengeflickt werden kann.«

»Das würde ich als ein großes Unglück betrachten,« versetzte Wolf nachsinnend.

»Als ein Unglück?« fragte der Vater. »Derlei werden wir gar viele erleben an unsern Freunden in nächster Zeit. Gar viele werden zur Partei des Königs, zu den Katholischen, übertreten oder sind schon übergetreten. Auch unser Nachbar in Nemelkau reitet morgen nach Klattau und gar viele werden ihm folgen. Aber was thut das! Es ist das ein Prüfstein, wir werden unsere Gegner kennen lernen und unsern Zweck dann um so sicherer erreichen. Und die Bauern, die werden wir zu Paaren treiben, wenn es not thut. Den Oberrichter aber müssen wir von heute ab als Feind betrachten.«

»Unmöglich!« rief der Junker. »Seine Tochter Marianka und ich haben erst heute unsern Freundschaftsbund erneuert. Ich sah sie auf St. Güntherfelsen nach vielen Jahren wieder und ich will dir's nur gestehen, Vater, ich dachte daran, mir ihre Liebe zu gewinnen und sie als meine Hausfrau heimzuführen.«

Er hielt einen Augenblick ein, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten, dann, als der Alte unruhig auf seinem Stuhle hin und her rückte, fuhr er rasch fort:

»Sei ruhig, Vater; rege dich nicht auf. Ich kenne dich und weiß, daß du trotz Adelsstolz und Vorurteil dennoch einwilligen würdest, wenn es sich um mein 63 Lebensglück handelt. Toleranz ist ja deine Devise. Aber daß Eisner von jetzt ab der getreueste Anhänger Ferdinands sein wird, das macht mir Sorge.«

Waldhart von Perglas war nicht wenig erstaunt, den Sohn so leicht über seine Person hinweggehen zu sehen; anderseits gefiel ihm die unumwundene Offenheit desselben, sowie die richtige Meinung, die er über seine Grundsätze hatte.

»Ich will dir eben so offen antworten,« erwiderte der Freiherr. »Daß ich über deine Enthüllung nicht in Klagen ausbreche, das mögen mir deine Ahnen vergeben. Und was deine Auserwählte betrifft, muß ich selbst gestehen, daß sie, abgesehen von ihrer gesellschaftlichen Stellung, hinter keinem der reichsten und besten Edelfräulein zurücksteht. Aber die Sache will doch zwei- und dreimal überlegt sein. Es hat ja Zeit –«

»Vater, ich möchte schon morgen nach Seewiesen reiten –«

»Morgen? Glaubst du, der Königsjubel werde dich dort zu Worte kommen lassen? In der nächsten Zeit wirst du wohl darauf verzichten müssen. Doch kommt Zeit, kommt Rat. Für jetzt laß uns zu Bette gehen, ich sehne mich nach Ruhe.«

Er klingelte; der Kammerdiener erschien.

Wolf wünschte dem Vater gute Nacht; dann begab auch er sich in sein Schlafgemach. Noch lange lehnte er am offenen Fenster, die laue, würzige Sommerluft einatmend. Er blickte zu dem tiefblauen Himmel empor, wo Millionen Sterne glitzerten.

»Könnte ich dort oben lesen, wie sich mein Geschick gestalten wird,« wünschte er. »Doch komme, was da wolle, ich lebe für meinen Glauben und meine Liebe.«

Von der Waldschlucht herauf tönte das Rauschen der Wostruschna; es erschien ihm wie ein Gruß der schönen Marianka. 64



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