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27.

Die immer noch betrunkene Dascha wandt sich zu Füßen Ustins: »Großväterchen, Du mein Heiliger …? Befreie meine Seele … Ich bin vom rechten Wege abgekommen, Väterchen!«

»Niemand als Gott.«

Aber schon kam die Menge ins Dorf zurück. Alle, die bei Ustin geblieben waren, eilten ihr entgegen.

Dascha sah nichts, als die guten Augen Ustin's.

»Richtet mich, Ihr guten Leute … Ich bin eine Verworfene … Ich habe mit Borodulin zusammengelebt … Ich, eine Soldatenfrau … Ich bin eine Diebin«, rief sie, schneuzte sich laut, rieb sich die Augen und kroch bis zu Ustin's bloße Füße. Ustin mußte sich ducken, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und sagte mit seiner alten heiseren, aber immer noch lebendigen Stimme: »Du hast Dein Gewissen vergessen, Mütterchen … Du bist eine Schamlose.«

»Und das Geld bei Borodulin habe ich gestohlen, nicht die Landstreicher … Och, Ihr Heiligen alle!«

Ustin rang in zorniger Verzweiflung die Hände: »Also Du … Du Teufelin … Also sind die Landstreicher … Oh, Du Hexe!«

»Straf' mich … Erwürge mich … Töte mich!«

Plötzlich heulte Dascha auf, sie erschrak vor Ustin und stürzte auf die vorüberfahrende Telaga zu.

»Annuschka! Mädchen!«

»Prrr!« rief Obabok. »Wir sind da!«

»Betet, Kinder, zu Gott«, rief ein Greis, der über die von neuem zu großer Stärke angewachsenen Menge hinausragte.

»Ach was, Gott … Wir wollen erst nach Hause«, sagte Prow.

»Nimm die Stute beim Zügel, Matrëna.«

»Halt!« schrie Ustin von der Treppe der Kapelle und riß zornig an seinem Hemde.

Währenddessen hatten sie Anna von der Telaga losgeschnallt und hatten ihr kaltes Wasser zu trinken gegeben. Sie lachte allen zu und redete irgend etwas in einer hastigen ganz fremdklingenden Sprache.

Sie führten sie nach Hause.

»Halt, Prow! Komm zurück!«

»Ich komme gleich, Ustin. Du siehst, ich muß erst meine Tochter fortschaffen …«

»Halt! Deine Tochter sehe ich, aber wo sind die anderen zwei, wo sind sie?« rief Ustin und zeigte mit dem Kopf auf Anton und Wanjka.

Dascha kroch auf der Erde zu Ustin, zu Prow und zu Andrej, winselte irgend etwas Unverständliches, aber die Menge stieß sie wieder weg.

»Was habt Ihr mit dem Alten gemacht? Und wo ist der junge Mensch, der mit dem dicken Gesicht?«

Die Menge schwieg.

Zygan sagte: »Wir haben nur einen umgebracht … Den Alten …«

»So-o-o-o« antwortete Ustin gedehnt.

»Aber der andere ist wahrscheinlich ausgerissen … Der mit der dicken Fresse«, beendete Zygan seinen Bericht und tauchte in der Menge unter.

Die Leute redeten alle heftig miteinander und es herrschte wieder großer Lärm.

»So, Ihr tüchtigen Leute«, sagte Ustin nach einer Pause ganz ruhig, schob die Hände in die Ärmel und ließ den Kopf sinken. »Das heißt, Ihr habt sie totgeschlagen?!« warf er plötzlich den Kopf zurück und schrie die Menge an.

Die Menge wich unruhig zurück und krümmte sich. Die Bauern blickten einander an, traten von einem Bein auf das andere, husteten verlegen und schoben an ihren Mützen.

»Ihr seid wirklich tüchtige Kerle … Geschickte Burschen … Brav, Prow Michailytsch … Brav, Du tüchtiger Starosta!«

Prow klammert sich mit zitternden Händen an das Blechschild auf seiner Brust, verbeugt sich vor Ustin, vor Andrej, dem Politischen, vor den Landstreichern und vor der ganzen Menge und antwortet leise: »Gott hat es zugelassen … Unsere Geduld hat nicht ausgereicht …« Seine Stimme zitterte und seine Augenbrauen saßen sehr hoch.

In der Menge schrien sie: »Er hat es doch nicht allein befohlen, der Mir hat es so beschlossen!«

»Es war ein Beschluß … der Mir … der Mir.«

»Das heißt, Ihr seid alle zusammen …«

»Richtig, wir alle zusammen.«

Prow richtete seine Augen auf die Menge und fühlte plötzlich in ihr das Blutsverwandte und Gleiche. Er zwinkerte sodann in einem fort mit den Augen, zuckte mit seinen mächtigen Schultern, vergrub seinen Bart in der hohlen Hand und sank plötzlich vor Andrej in die Knie: »Wir sind ein dunkles Volk … Ein dunkles Volk … Wir sind ganz einsame Leute … Kümmert Euch, Väterchen, doch mehr um uns.«

Die Menge wurde unruhig. Es wurde ihr unverständlich, daß der mächtige Prow mit dem langen Bart, der Starosta, vor diesem Landstreicher, einem Hergelaufenen, in die Knie fiel. Draußen noch in der Taiga hatte Andrej Prow alles erklärt, hatte ihm sein ganzes Herz ausgeschüttet. Es waren nur einfache kurze Worte gewesen, aber diese Worte waren Prow ins Herz gedrungen.

Und deshalb flüstert Prow jetzt weinend: »Kümmert Euch doch mehr um uns, Väterchen … Und tretet für uns ein.« Andrej flimmerte es vor den Augen. Er wollte Prow von der Erde aufheben, aber der schüttelte mit dem Kopf, hielt die Hand auf die Brust gepreßt und sagte in einem fort: »Verneigt Euch, Ihr Christenheit … Verneigt Euch alle … Und verneigt Euch vor den Landstreichern.«

»Halt ein!« schreit Ustin mit mächtiger Stimme. »Hör' mir zu!«

Wanjka und Anton standen auf der Telaga, blickten Ustin forschend an und sperrten die Mäuler auf.

Auch die Bauern standen alle unbeweglich und schwiegen. Alle fühlten jetzt die große Sünde, die sie auf sich geladen hatten. Es war ihnen allen sehr wenig schön zu Mute, deshalb waren sie jetzt mäuschenstill.

Der starke Keschka rieb sich mit dem Ärmel die Augen aus und versuchte, sein zittriges Kinn festzuhalten. Die alten Weiber schneuzten sich, räusperten sich und die Bauern kratzten sich schuldbewußt hinter den Ohren. Nur Timocha, der Glöckner lachte dumm und sah das alles nicht anders an, wie ein Hanswurst auf dem Jahrmarkt.

Ustin ging zunächst wieder in die Kapelle hinein, trat dann wieder hinaus und hielt den Psalter vor seiner Brust.

»Hört, Rechtgläubige!« begann er, hielt das heilige Buch in die Höhe und bewegte es. »Ich habe all mein Eigentum verbrannt … Durch das Feuer wollte ich Euch zur Besinnung bringen. Wollte Euren Rausch in dem Feuer verbrennen … Ich habe alles verbrannt … Ich brauche auch nichts mehr. Rechtgläubige … Ich gehe jetzt fort von Euch.«

Er trat von einem Fuß auf den anderen und seufzte bitter.

»Ihr seid Christenmenschen und lebt wie die Wölfe … Das ist kein Leben mehr, Kinder … Das ist eine einzige große Sünde.«

Zusammen mit dem uralten Ustin seufzten jetzt auch viele Andere und schämten sich den Blick vom Boden zu erheben.

»Und jetzt habt Ihr auch noch dieses angestellt: Ihr habt einen Menschen umgebracht!« erhob Ustin die bis dahin ruhiggebliebene Stimme. »Ech, Ihr …«

Anton, der aufrecht in der Telèga stand, verneigte sich tief vor Ustin. Auch Wanjka Swistopljaö verneigte sich.

»Und dabei ist die ganze Sache so ungerecht und unnütz über sie heraufbeschworen worden.«

»Wieso ungerecht? Was redest Du denn für einen Unsinn?« wurden empörte Zwischenrufe laut.

Die Menge wurde unruhig und rauschte wie ein Bergfluß über Steine.

»Hört zu!« winkte Ustin mit der Hand. »Haben die Landstreicher etwa dem Kaufmann das Geld gestohlen? … Nein, das war gelogen … Hier lag das Weib aus Nasimowo zu meinen Füßen, sie hat gestanden, daß sie es gestohlen hat … Und die Kühe? Fragt mal Warjka Silina wer sie abgestochen hat … Wer war es?«

»Wer soll es denn gewesen sein? Natürlich die Landstreicher waren es.«

»Senjka Kosyr … Aber nicht die Landstreicher … Ech, Ihr Geschmeiß!«

Wie ein Blitz fuhr der Schreck in die Menge. Sie schwankte und stöhnte.

Prow zauste sich das Haar und stand mit weitaufgerissenen Augen und hölzernem Gesicht neben Andrej. Anton bekreuzigte sich und verneigte sich vor Ustin, und Obabok, der in den letzten Reihen stand, warf den Kopf zurück und versuchte sich Mut anzutrinken.

In Andrej kochte das Blut. Er umfaßte mit einem Blick die verdrossen und ganz niedergeschlagen vor ihm stehende Menge und er mußte plötzlich an Rußland denken. Nicht Akuljka und Dunjka standen vor ihm, nicht Prow, nicht Ustin – Rußland erhob sich vor seinen Augen, das knorrige und ungeschlachte Rußland mit dem viehisch wilden Antlitz, mit den leidvollen und gutmütigen Augen, daß sich zerfleischte und auffraß, das urwüchsige altersgraue Rußland, wild in seiner Dumpfheit, aber seinem Herzen so nah.

Das Volk stand vor Ustin wie vor seinem Richter – ein Verbrecher ohne Schuld. So stand Rußland vor Andrej und wartete von ihm auf ein gutes Wort. Oh, was waren aber Worte! Andrej blickte in die Taiga hinaus. Finster und dunkel hält sie Kedrowka wie ein dräuendes Meer umschlungen. Andrej hört das Wort »Ich gehe.«

Andrej wurde es dunkel vor den Augen. Die schweißig riechenden stachligen Bauern, die mit offenem Munde rings um Andrej standen und ob ihrer Dumpfheit seufzten, hüllten Andrej in eine Wolke dumpfen Dunstes.

»Ihr tut mir leid … Ihr tut mir sehr leid … Ich gehe … Lebt wohl meine Kinder!« sagte Ustin feierlich, verneigte sich bis zur Erde, preßte das heilige Buch auf seine Brust und stieg langsam die Stufen hinunter. »Bei Euch kann ich nicht mehr leben … Es ist mir zu bitter, bei Euch zu sein … Ich gehe in die Taiga … Ich gehe zu den wilden Tieren … Dort wird es mir leichter sein.«

Bewegung kam in die Menge, sie begannen zu wogen und strebten von allen Seiten auf den alten gebücktgehenden Ustin zu..

»Großväterchen, liebes Großväterchen Du!« schrien die Weiber.

»Wohin? Halt!« brüllten die Männer und versperrten den Weg.

»Wir bauen Dir eine neue Hütte, bleib' bei uns.«

»Nein, Kinder, nein!«

»Wir werden auch das Trinken verschwören.«

»Meine Seele verlangt es … Haltet mich nicht … Macht mir Platz! … Meine Seele verlangt es in den Wald … Bei den wilden Tieren wird es mir leichter sein.«

Schritt für Schritt geht Ustin langsam weiter, aber hinter ihm folgt die Menge, wie ein Bienenschwarm seiner Königin.

Timocha schlug dumm grinsend immer noch aus Leibeskräften auf die Glocke, aber Keschka packte ihn am Kragen und schleuderte ihn zur Seite.

Ustin ging langsam immer weiter, blieb aber noch einmal stehen und rief dem langsam zurückbleibenden Volke mit Donnerstimme zu: »Nun, Kinder! … Ich sage es Euch zum letzten Mal! … Schreibt es Euch auf die Nase. Lebt ordentlicher, der Tod fackelt nicht und betet mehr zu Gott … Inbrünstiger!«

»Zu Go-o-tt?.. Du Teufelsheiliger!« brüllte Obabok plötzlich. »Ich habe nichts zu fressen, ich habe sechs Kinder … Meine Alte hat schon wieder einen dicken Bauch. Wir sollen wohl zusammen krepieren, was?«

»Richtig, Obabok, sehr richtig.«

»Auf, Kinder, zur Versammlung!«

»Starost, ruf' die Dorfversammlung zusammen!« riefen andere.

Ustin schwankte wie im Winde, blickte auf die untergehende Sonne, blickte auf Obabok, auf die unzufriedenen, schimpfenden Bauern und ließ sich erschöpft auf einem Steine am Wege nieder.

Obabok drehte sich kurz entschlossen um und schwankte mit unsicheren Schritten zu dem festverschlossenen Hofe von Fedot. »Ai – cha!« brüllte er mit seiner Bärenstimme, wirbelte mit seinen Füßen große Staubwolken auf und gröhlte, daß man es im ganzen Dorfe hörte:

Stein – hart ist Dein Herz ge-wor-den

Deshalb werd' ich mich nicht mor-den! …

Der Gesang dröhnte Ustin in den Ohren und tat ihm unsäglich weh.

»He, Du kahlköpfiger Teufel!« hörte er es aus dem Dorfe rufen. »Geh Du nur ruhig zum Teufel!«

Gleichzeitig wurde an zwei Stellen wüst gepfiffen und gegröhlt, dabei stieß jemand einen Jodler aus und wieder andere fluchten ganz unflätig: »Soll ihn der Waldteufel holen!«

»An seinem langen Bart packen und ihn ins Wasser schmeißen. Da gehört er ja auch hin …« wieder scharfes Pfeifen und Fluchen.

»Der Scheinheilige!«

Das Wort traf Ustin: der Himmel verdunkelte sich für ihn, das Licht erlosch in seine Augen, das Blut blieb in den Adern stehen, er faßte sich mit seinen beiden Händen an seinen kahlen Kopf und rührte sich nicht, als ob ein Baum ihn erschlagen hätte.


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