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5.

Morgen ist in Kedrowka großer Feiertag. Alljährlich werden an diesem Tage Ikonen aus der Dorfkirche, die mitten auf einem Zedernhügel steht, hinausgetragen, das ganze Dorf zieht mit ihnen um die Felder, über die Viehweide in die Taiga, bis zu den drei uralten, verdorrten Lärchen – um dort Gottesdienst zu halten.

Nach der Prozession hub ein großes Trinken an, und am Abend wurde gesungen und getanzt bis in die späte Nacht und zum Abschluß prügelte man sich mit den Fäusten oder was einem gerade in die Hände kam; manchmal artete das sogar in Messerstechereien aus.

Die Sauferei dauerte zwei bis drei Tage. Schwere Mengen Alkohol wurden vertrunken. In guten Jahren wurde vor Freude getrunken: »Die Eichhörnchen strömen ja zu uns in die Taiga«; in schlechten Jahren vor Kummer: »Vertrink' alles zum Teufel, es hat sowieso ein Ende mit uns.«

Der Branntwein machte alle gleich – reich und arm. Viele hatten eingeschlagene Nasen, alle benebelte Köpfe, sangen und gröhlten, alle waren lustig. Wie schlecht die Zukunft auch sein mochte, sie verschwamm irgendwohin, weit hinaus in die Taiga; die Gedanken wurden kurz: ihr nächstes Ziel war – ein glänzendes Gläschen mit einer feurigen Flüssigkeit, trunkene Bärte, zänkische Weibermäuler. Alles gab ein milchiger, heiterer Nebel, durch den Nebel lachte die Taiga, lachte das Feld, lachten die Eichhörnchen: »Nimm, lebe und laß leben, hier, nimm, werde glücklich, Bauer!« Und der Bauer nahm: er reckte sich nach der Flasche, taumelte zum Tanz, fuchtelte zornig mit den Fäusten, heulte im Schafstall, lag mit dem Kopf im Mist: »Oih-jeh, wie unser Feiertag geht – vergeht, oih-jeh! …« Die drei berauschten Tage vergingen – alles ging wieder seinen Gang, und von neuem begann das graue eintönige Leben.


»Onkelchen, Mitrij, der Pope kommt, das Väterchen.«

Die schiefe Awdocha war vorgestern nach Nasimowo geritten, den Popen zu holen. Statt eines Fahrweges führte dorthin ein Reitweg durch die Taiga mit steilen An- und Abstiegen, mit großen morastigen sumpfigen Stellen, die mit dicken Reisigbündeln überdeckt waren. Awdocha selbst ritt auf einem Schecken, aber für den Popen hatte sie Fedots Hengst mitgenommen. – Denn der Pope war schwer und nicht jedes Pferd brachte ihn von der Stelle.

Schon war die Sonne im Untergehen, aber von dem Popen war noch nichts zu sehen. Das Bauernvolk bevölkerte die Badestuben. Die Badestuben waren kleine Hütten, mit winzigen Fensterlein, alle, eine wie die andere, verräuchert, als ob sie mutwillig mit Ruß geschwärzt wären, sie standen dicht am Steilufer des Flusses. Zwei Mädel, Nastja und Warjka, die nackt vor die Badestube gesprungen waren um sich draußen abzuspülen, sahen als erste den Popen kommen. Sie bedeckten sich schamhaft, jede mit einem Wasserkübel, und riefen einem mit einem Badequast vorbeigehenden Bauern zu:

»Wo?«

»Dort, sieh!« zeigte Nastja mit dem Kübel, aber besann sich und bedeckte sich eiligst. »Was starrst Du mich so an?!«

»U-uch! … Das Port-trät!« grinste Mitrij, schlug sich auf den Schenkel und ließ den Badebesen fallen, während die Mädchen kichernd in der Badestube verschwanden.

Der Pope ritt zunächst zu dem dicken Fedot, dem reichsten Bauern im Dorfe. Schief saß der Pope im Sattel.

»Du, Väterchen, tu' uns den Gefallen und trinke nicht vor dem Feiertage, warte bißchen, gedulde Dich …« begrüßten ihn die Bauern, deren Gesichter noch vom Bade glühten.

Viele Leute hatten sich bei Fedot versammelt, rauchten und spuckten die Stube voll, und der Pope saß, schon etwas angeheitert, mitten darin, aß Salzpilze mit saurer Sahne und trank ein Gläschen Schnaps nach dem anderen.

»Ruft mal Prow Michailowitsch hierher, mit seiner Tochter ist was passiert.«

»Was denn, Väterchen?«

Aber der Starost Prow hatte schon von Awdocha über seine Tochter Anna gehört.

Morgen war der Feiertag, morgen war das Gelage, aber Prow war es schon heute schwarz vor den Augen.

»Reite rasch hin, Prow, zu der Tochter …« stöhnte seine Frau.

»Barmherziger Vater, Du himmlischer Zar!«

Prow schniefte bedenklich mit der Nase, geht dann mit wackeligen Schritten in das Vorhaus hinaus und schneuzte sich dort laut und vernehmlich. Aber spät abends macht er sich doch auf und reitet, in seine Lammfelljacke gehüllt, auf seinem schwarzbraunen Pferdchen durch die Taiga.


Bei allen Bauern rauchen die Backöfen, die Weiber eilen hin und her, her und hin, kneten Teig, schlachten Hühner. Irgendwo blökt jammervoll ein Lamm: Leb wohl, Leben! … Auch ein Ferkelchen quiekt mit entsetzter Stimme. Es quiekt und quiekt und wird still, als ob es sich freut, daß das Schreckliche nun zu Ende ist. Zwei kopflose Hähne flattern über die Straße, zwei hexenhafte Weiber eilen ihnen nach, die blutigen Beile noch in der Hand, sie laufen, atmen schwer und keiften durch ihre faulen Zähne:

»Ach, das hast Du nicht gern? Das hast Du nun, Peterlein, dafür, daß Du Deine Hennen nicht ordentlich getreten hast.«

Zwei Kater sitzen auf einem Tor, reiben sich mit den Stirnen und unterhalten sich so, als ob Kinder in der Wiege lallen.

Der Mond, riesig groß, wie ein fettglänzender Fladen, blickt mit einem Auge hinter der Taiga hervor: Nun jetzt wollen wir mal sehen, wie die Weiber das Fest vorbereiten!

Rauch steigt aus allen Schornsteinen, es riecht appetitlich nach Gebratenem, die Hunde fangen die ihnen zugeworfenen Abfälle in der Luft auf oder fliegen jaulend, wenn sie mit dem Absatz fortgestoßen werden, kopfüber auf die Straße.

Ein Mädchen beginnt ein Liedchen zu singen, sie eilt mit dem Eimer zum Flüßchen und singt.

»Bist Du von Sinnen?« droht ihr ein vorübergehender Greis mit dem Finger.

Sie lacht: »Was denn? Du denkst wohl, es ist Sünde?«

»Nein, eine Rettung.«

Die Dorfgreise sitzen alle an der Kapelle. Obgleich es gar nicht kalt ist, sitzen sie doch in Filzstiefeln: so war es bequemer. Sie rauchen ihre Pfeifen, haben sich zusammengehockt und lügen einander Geschichten vor: »Da gehe ich mal durch die Taiga, ja, durch die Taiga, da …« – »Ach, was Du mit Deiner Taiga, aber mir ist mal an der Mühle was passiert!« Sie lügen und lügen. Morgen ist Feiertag, da kann man heute schon ein bißchen lügen. Morgen wird es Branntwein geben, das gibt ein Leben! Mückenfeuer brennen neben ihnen. Mitjka, ein grüner Bengel, wirft bald vermodertes Laub, bald Torf, bald Gras darauf: in gelbgrünen Schwaden breitet sich der Rauch aus und vertreibt die Mücken.

»Passen sie auch auf den Popen auf?«

»Kann man ihm denn immer hinterdrein sein, dem Teufel?«

Der Pope ist ein kräftiger Mann in besten Jahren, hat ein breites Trinkergesicht und eine flache leicht gerötete Nase. Er hat wirklich Wort gehalten: »Verschneidet mir zur Strafe das Haar wie einem Sträfling, wenn ich mich vor dem Feiertage betrinke!« – aber jetzt kann er sich kaum noch auf seinem Stuhle halten, schwingt jedoch große Reden.

»Ach, Ihr Bauern!« Dabei waren in der Hütte gar keine Männer, nur Agafja, die Schwiegermutter des Kaufmanns Fedot. »Was versteht Ihr? … Was wißt Ihr von mir, Ihr Waldteufel? Was denkt Ihr von mir?«

»Daß Du ein Langmähniger bist, und weiter nichts … ein Liederjahn!« zischt die erboste Agafja.

»N-ja-a-a-a … N-ja-a-a …« krault der Pope seinen rot und grau gesprenkelten Bart, schluckt und spricht besänftigend: »Na, wenn Du besser bist, Weib, dann gib mir mal noch ein paar Pilzchen her.« Der Pope kneift die Augen zusammen, betrachtet die gebeugte Gestalt der Agafja, schnalzt mit den Fingern und beginnt:

»Hör mal, junge Frau!«

Die Alte steht mit einer Bratpfanne am Ofen, sie bäckt Plinsen zum Feiertag.

»Ich will heiraten, Mädchen, hörst Du. A? … Warum nicht, ich bin doch ledig.«

»Ein Hund bist Du, aber kein Pope!«

Der Pope blickt sich um – ob kein Fremder in der Nähe ist, – gähnt erst über das ganze Maul, schlägt sich mit der linken Hand ein Kreuz über den Mund, räuspert sich und flüstert zwinkernd: »Hörst Du, junge Frau … Wohin wirst Du mich legen? … A?« Kichert und flüstert weiter: »Bring' mir doch mal ein Weiblein her, was?«

Gerade kommt Fedot. Die Alte wird lebendig: »Nun hör nur, was er spricht!« schreit sie ihrem Schwiegersohn zu. »Diese Langmähne!«

»Was rede ich denn?« knurrte der Pope. »Bring mir mal neuen Schnaps her!«

»Es ist keiner mehr da, Väterchen … Morgen … Paß' auf, was soeben der Wächter erzählt hat … Es geht draußen um!«

»Gib Schnaps her!«

»Keiner mehr da, Väterchen.«

Der Pope erhebt sich, hält sich am schwankenden Tische, bewegt sich auf Fedot zu.

»Ich werde Dir zeigen – keiner da! Gib her!«


Vor der Rasenbank, auf der die Bauern sitzen, steht der alte Ansiedler Bespamjatnyj, er weigert sich das Tor zum Viehhof länger zu bewachen.

»Bei Gott, Kinder, seht, ich bekreuzige mich, daß es wahr ist … Sitze ich also in meiner Waldhütte, fühle: der Schlaf will mich übermannen, ich kämpfe dagegen, kämpfe, es war noch früh am Tage. Es hat mich aber doch untergekriegt: wie ich auf dem Klotz saß, so schlief ich auch ein. Plötzlich höre ich Schellengeläut, Pferdestampfen, einen Kutscher rufen. Hier, bei meinem Kreuz, bei Gott … Nun, denke ich, es kommt jemand des Wegs von den Goldgruben. Nicht anders. »Mach' auf, alter Teufel!« brüllen sie. Ich springe ohne Besinnung auf, laufe zum Tor. Niemand. Da standen mir die Haare zu Berge … Hier, bei Gott, mein Kreuz … So drei mal … Da rannte ich ohne mich umzublicken los … So lange ich lebe, kriegt mich keiner mehr dahin, ich will lieber krepieren – aber ich gehe nicht mehr hin!«

Die Bauern versuchten den einen, den anderen, einen dritten zu schicken – keiner geht: morgen ist doch Feiertag. Schließlich entschloß sich der lahme Bursche Semka, der sowieso nicht trank.

»Geh und sei achtsam, Semjonuschka, geh … Und bekreuzige Dich vorher ordentlich.«


Der Mond ist hochgestiegen. Auf einem Erdhaufen sitzt ein scheckiges Hündchen, blickt in die Taiga und kläfft, das linke Ohr zurückgeworfen:

– Gaff … Gaffgaff … Kläfft so vor sich hin und bewegt abwartend das Ohr. Aus der Taiga bellt es leise zurück: gafgafgaf …

Das Hündchen wechselt die Vorderbeine und bellt von neuem. Denkt aber dabei an etwas ganz anderes: Wenn man noch die Schweinskeule erwischte; sie riecht so wunderbar, aber der Hausherr hat ihn zu Hause auf den Schwanz getreten und die Hausfrau einen Holzkloben nach ihm geworfen. Also abwarten. Vielleicht später. Wenn alles schläft!

– Gaff! … Gaffgaff …

Mitjka, das grüne Bürschchen, schleicht sich leise zu ihm, einen Knüppel hinter dem Rücken.

– Gaffgaffgaff …

Plötzlich gibt er ihm eins über den Schädel. Der Hund weiß vor Schreck nicht, wohin, saust unter die Scheuer und jault – denn der Schlag tat weh.

Mitjkas Mutter sucht ihn: »Wo treibst Du Dich denn, Du Taugenichts, herum? … Komm Olenjka wiegen!« Plötzlich gibt sie Mitjka eins auf den Schädel. Mitjka weint, denn der Schlag tat weh.

Die Nacht zieht herauf, aber die Lichter in den Hütten verlöschen heute noch nicht so bald. Der Lichtschein aus den Fenstern legt sich in gelben Streifen über die Straße. Dem obdachlosen betrunkenen Jaschka scheint es, als lägen Stangen auf dem Wege: er kommt schwankend daher, trägt in jeder Hand eine Schnapsflasche und hebt die Beine vor jedem Lichtstreifen: er fürchtet zu stolpern und die Schnapsflaschen zu zerbrechen. Stiller und stiller wird es im Dorfe, die Lichter verlöschen doch allmählich. Die Hähne krähen.

Bei Fedot auf dem Hofe ist noch Lärm.

»Ein Teufel ist er, aber kein Pope: den Kübel mit dem Teig hat er umgeworfen! … Tfu!«

Der Pope steht auf dem Hofe, die Ärmel hochgekrämpelt, brummt und schimpft: »Mach auf!«

»Unsinn!« knurrt Fedot. »Penne nur in der frischen Luft!« Und schließt den Popen in der Scheuer ein.

Alle Lichter sind erloschen. Nur die windschiefe Hütte am Ende des Dorfes will noch nicht schlafen. Das einzige Fenster, statt mit Fensterglas mit einer Kuhblase verschlossen, schaut wie ein blindes Auge auf die Straße. Dort wohnt ein altes Weib, die Moschna, genannt der Geldsack. Sie handelt mit Branntwein und kann schöne Märchen erzählen. Sie ist mutterseelenallein auf der Welt, hat kein Land, keine Kuh, irgendwie muß sie sich bis zu ihrem Ende durchschlagen. Sie hat sich mit Spirituosen reichlich versehen, es wird für den Feiertag reichen. Die Alte zählt ihre Einnahme, sie ist groß, – es ergeben sich ganze zweiundzwanzig Rubel, – sie klettert mit einem Kienspan in ein Loch im Fußboden, nimmt eine Kiste heraus, versteckt darin das Geld und vergräbt es. Kommt wieder heraus mit wirrem Haar, mummelt mit ihrem zahnlosen Munde und verlöscht das Licht. Ein letztes Mal noch blinkt das blinde Fenster auf, dann wird es dunkel. Auch in der Hütte war es dunkel, nur das Heiligenlämpchen flackerte vor dem Muttergottesbilde.


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