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11.

Matrëna, die Mutter Annas hat die ganze Nacht geweint. Am Morgen war sie auch nicht mit zur Prozession gegangen, aber jetzt saß sie verschüchtert am Fenster und blickte hinaus, den Fluß entlang, dort wo der Weg aus der Taiga kam. Es wollte ihr gar nicht gelingen sich vor den Geräuschen und Klängen des Feiertags zu retten.

Als die Harmonika besonders schonungslos zu spielen begann und sich in die Seelen der Menschen hineinfraß, während die Dorfmädchen ein lustiges Lied anstimmten, stand vor den Augen der Mutter plötzlich das Bild Anna's, bleich und krank, aber ebenso schnell war es auch verschwunden. Da zog die Mutter ihr Tuch über den Kopf, ging zum Bett, wühlte den Kopf in die Kissen und betete unter Schluchzen: »Du mein schönes Märchen … Du mein unzertretenes Gräslein …«

Aber der Feiertag ging seinen Gang weiter. In den Hütten war es schwül, ja heiß. Die Hausfrauen zogen ihre Tische auf die Straße in den Schatten, entweder unter einen Vorbau oder unter eine knorrige Zeder, die sich aus der Taiga hierher verlaufen hatte.

Die Straße war lebendig, hallte wieder von Gerede, Geschrei, Gesang und Fluchen.

Am feierlichsten ging es bei Fedot zu: es gab drei Sorten von Schnaps, Bier, Pfefferkuchen, Piroggen.

Der Pope, der in dem kalten Wasser des Flusses wieder ganz frisch geworden war, trank mit Vergnügen seinen Tee mit Preißelbeeren: er nimmt sich einen Holzlöffel voll, tut sie auf seine Untertasse und zerdrückt die Beeren mit dem Boden seines Glases und gießt Tee nach. Wenn er die Beeren zerdrückt, dann knirschen sie und verspritzen ihr Blut, während der Pope schmatzt: »Das habe ich gern. Das ist was richtig Saures.«

Fedot hatte nur die Weste an und saß da mit rotem Gesicht, verschwitzt und einem Bauch, der ihm bis auf die Knie reichte. Um den Hals hatte er ein großes Handtuch liegen. Nach jedem Glase Tee rieb er sich damit das schweißtriefende Gesicht und den Hals.

Die Hausfrau, eine junge und vollreife Dorfschöne, saß neben der Großmutter Ofimja. Außerdem lehnte am Tisch, die Ellenbogen aufgestützt, ein kleiner Soldatensohn, Wasenjka Sbitenj. Im Dorfe wußte man nicht, wer eigentlich sein Vater war. Die Soldatenfrau hatte, als ihr Mann in den Krieg mußte, mit allen möglichen Männern angebändelt. Ihr Mann war im Kriege gefallen, als Wasenjka geboren wurde. Seitdem hieß er »Allerlei«.

Wasenjka stand am Tisch und verfolgte mit fragenden Augen, wie die Großen Tee tranken. Aber niemand achtete auf ihn, er wollte doch so gern Tee haben, mit Milch, und einen Fladen. Er hatte heute im See eines Bauern Schimmel in die Schwemme geritten. Als er sah, wie Fedot das fünfte Glas Tee mit Milch weißte, sagte er, in Erinnerung an seinen Schimmel: »Seht mal an … Der Tee ist so weiß … wie ein Pferd …«

Alles lachte und der Pope sagte: »Nun, Du kleiner Naseweis, setz' Dich mit an den Tisch … Wie ein Pferd, sagst Du? … Ho-ho … Das stimmt ja fast.«

In der Nähe wogte Lärm und Singen durch das Dorf. Zwei Frauen – Nachbarinnen – hatten sich schon einen Schwips angetrunken, kamen Arm in Arm die Straße hinab und sangen kreischend:

Ne Frau die hat sich Mut getrunken,
Ging melden sich beim Militär …
Man hat ihr darauf abgewunken,
Weil sie nicht paßt zum Militär …

Die Mädchen in ihren grellen Kleidern und flatternden Jacken gingen singend vor das Dorf.

Dort war am Ufer eine steile Anhöhe mit frischem grünen Gras. Ringsum standen Fichten, dicht und duftig, es war kühl dort und schön zu sitzen und rings in die Weite zu sehen. Das Wasser rauschte über die Steine. An den Ufern schichtete sich gelber Sand, auf dem Sande lagen umgestürzte Waschwannen und kleine Fischerboote, unter anderem auch ein großes Gemeindeboot auf Böcken. In der Ferne leuchtete grün eine Insel und auf ihr zahlreiche Blumen: Gänse.

Ringsum aber war die Taiga. Klettere auf das Dach der Kapelle und sieh Dich ringsum – Taiga. Steig' auf den höchsten Hügel, der sich dort im roten Bruch zum Fluß stürzt – Taiga. Schwinge Dich wie ein Vogel auf gen Himmel – Taiga. Sie hat weder Ende noch Anfang.

Die Mädchen hatten viel zu essen auf die Wiese gebracht: an dreihundert Eier, in Butter gebackene Kalatschen, Körbe mit Zedernüssen, auch der Wodka langte zu, Pelmeni, – sie wollten die jungen Burschen bewirten.

Die drei Brüder Sujew sind schon da. Dann kommt der Terecha, der Harmonikaspieler, mit ihm Mischka Uchores und Senjka Kosyr, die Haupttänzer und Witzbolde.

Die Taschen der jungen Burschen waren vollgestopft, die Flaschenhälse schauten heraus: es war süßer Schnaps für die Mädchen.

»Senja«, ruft die dickbrüstige Warjka ihrem Freunde zu, »komm her zu mir, meine süße Beere, ich hab' Dir was mitgebracht«, und holt unter der Schürze frisches Pfefferminzbrot hervor. »He, Senja!«

Aber Tatjana, die Schlange, ließ Senjka nicht los, umarmte ihn kräftig, preßte sich an den Burschen wie der Hopfen an die Zeder.

»Ich gebe ihn nicht frei … Er ist mir …«, sagte sie, und dann küßte sie ihn mit geschlossenen Augen lange und inbrünstig.

Warjka geriet bei diesem Anblick außer sich und wandte sich aus Rache dem lockigen Parfen zu: »Warte, Senjka, jetzt will ich Dir zeigen!«

»Ech, Du Schwarzhaarige!« lacht Parfen. »Hast Du Deine Herzenskönigin gesehen, Senjka? Guck mal her!«

»Oi, Du erdrückst mich ja … Ich bin ja außer Atem!«, kreischt Warjka.

»Immer feste, immer feste!«, brüllt Senjka mit einem bösen Lächeln. »So eine Hündin, geht mit jedem los!«

Senjka steht auf, stößt Tatjana von sich, flüstert mit Wasjka, mit Frolka, blinzelt dem versoffenen Bauern Paramon zu, winkt mit dem kleinen Finger dem Feldscher Gawril und alle fünf gehen, einer nach dem anderen, wie die Wölfe auf der Wolfshochzeit in den Wald, stehen dort zusammen und reden insgeheim.

»Wem? Wer? Warjka?«, lachen sie, traten von einem Fuß auf den andern und suchen Senjka's Blick zu erforschen.

»Natürlich mit Warjka«, sagt das lange trockene böse Gesicht Senjka's, seine Nüstern blasen sich auf und seine schwarzen Augen schielen auf die Farbflecke der Frauen- und Mädchenkleider, die durch die Zweige schimmern.

»Wo? An welcher Stelle?«, fragen die anderen Christen.

»In der Korndarre. Sobald es dunkel wird – locke ich sie hin.«

»O-ho …«

»Wir brauchen noch mehr Burschen dazu … Damit sie sich's merkt … die Hündin!«

»O-ho …«, grunzen die Christen.

Die Mädchen haben inzwischen Terëcha umringt: »Terëschenka, spiel' einen Tanz.«

Terëcha hat eine große »Taljanka« an einem Riemen um die Schulter gehängt. Er nimmt die Harmonika, spielt und läßt einen Triller in allen Oktaven auf einmal erschallen. Terëcha hat einen kleinen Schnurrbart, schwarz wie ein Käfer, hat ebensolche herausquellenden Käferaugen und ist selbst eben so klein und schwarz und behende wie ein Feldkäfer.

»Meine Mutter ist durch die ganze Welt gelauft,
Hat mir eine Italjanotschka gekauft! …«

schreit er plötzlich mit feiner, fast weiblicher Stimme.

Die Harmonika begleitete die Lieder, die Mädchen wiegen sich in den Hüften und probieren, ob ihre Füße auch tanzlustig sind.

Zwei Hunde, die mit dem Volke gekommen waren, spielen miteinander, die Leute treten ihnen auf die Pfoten und Schwänze, das macht ihnen nichts, aber sobald Terëcha auf seiner Ziehharmonika beginnt, laufen sie fort, setzen sich in einiger Entfernung, blicken teils ängstlich, teils verächtlich zu Terëcha hin, heben die Schnauzen und heulen plötzlich los, der eine mit grober, der andere mit feiner Stimme. Aber Terëcha spielt immer lauter und lauter auf seiner »Taljanka« und beginnt einen lustigen Tanz. Die hellen Klänge ergießen sich über die ganze Wiese, fliegen den Fluß hinauf und hinab und hinein in die Taiga, schwimmen durch das Dorf und lassen die dort sitzenden und trunkenen Bauern und Bauernweiber hinter ihren Samowaren hinaustreten und zum Tanz gehen. Burschen und Mädchen begannen zu tanzen. Senjka und Mischka traten in den Kreis und versuchten, einer den anderen im Tanz auszustechen.

Senjka Kosyr war es heiß geworden. Er hatte zur Feier des Tages einen langen neuen Schal um den Hals gewunden, den band er jetzt ab. Eine Weile beobachtete er den Tanz Mischkas, dann springt er plötzlich mitten in den Kreis, wirbelt in die Höhe wie ein Kreisel und übertrumpft Mischka derartig, daß Mischka vor Ärger der Schweiß ausbricht.

»Ei da Senjka, Senjuschka Du Falke!«, zollen ihm die Mädchen Beifall.

»Tüchtig, Senjka!«, loben ihn die Burschen.

»Mit dem kannst Du es doch nicht aufnehmen, Bruder Mischka.«

»Wo willst Du hin!«, necken sie ihn. »Deine Luftpumpe taugt nicht.«

Mischka holt tief Atem, in seinen Augen leuchtet so viel verhaltene Leidenschaft, daß alle merkten, daß er etwas besonderes vorhatte und daß sie auf sein »Kunststück« warteten. Mit den Füßen stampfend und die Mütze emporwerfend, sprang er plötzlich mitten in den Kreis, kreuzte die Hände über der Brust und ging ganz vorsichtigen Schrittes einmal im Kreise herum, ohne jemand anzusehen und leise vor sich hinlächelnd. Plötzlich bückt er sich, stützt die Hände auf, streckt die Beine in die Luft und beginnt auf den Händen den russischen Tanz zu tanzen. Als er sich nach einiger Zeit mit rotem Kopf wieder erhob und wankend aus dem Kreise trat, schrien alle:

»Hurra, Hurra … Ha-ha!« Mischka hat gesiegt.

»Schade, daß Anna nicht da ist«, seufzten die Mädchen.

»Wenn Anna da wäre, da würde sie es sogar noch mit Mischka aufnehmen«, sagten die Burschen.

Warjka hat große Sehnsucht nach Anna. Sie steht abseits und wartet: ob sie doch nicht wie ein Wunder plötzlich auf dem Wege erscheint.

Aber an Stelle Annas sieht sie, wie der betrunkene Obabok aus dem Hohlwege herauskommt.

Obabok hatte große Filzstiefel an, er kam den Berg herabgelaufen, immer weit vorübergebeugt, und je tiefer er sich beugte, um so mehr verhedderten sich seine Füße, und schließlich fiel er mit der Nase in den Dreck.

Warjka mußte darüber lachen und schrie: »Obabok kommt!«

Aber die Jugend ließ sich nicht stören und tanzte weiter. Die Rücken der Mädchen wurden feucht. Die Hemden der Burschen kleben bereits an ihrem Leibe. Sie sind zum auswringen.

»Dort kommt der Pope mit Iwan und Fedot!«, ruft Warjka wieder.

Alle drei kamen daher, die Arme über die Schulter gelegt, der Pope in der Mitte. Sie blieben ab und zu stehen, fuchtelten mit den Armen, küßten sich und gingen weiter.

Obabok war inzwischen zu dem Reigenplatz gekommen, ganz grau vor Staub, und Stroh im Bart, hielt die Hände auf dem Rücken, blickte in den Kreis, aber sah und hörte nichts, schnupperte mit der Nase in der Luft und weiß nicht, was er tun soll, er will aber offenbar etwas tun, reißt den Mund auf, es kommt aber kein Ton heraus, er erschreckt vor sich selbst und trat zurück.

»Tpru-ka, nu-ka,
Was für Sache! …«

brummte er in seinem Baß und trat weiter zurück. Sein Gesicht ist sehr ernst und bekümmert. Neben ihm stehen fünf junge Burschen, der sechste ist ein Bräutigam. Sie sprechen und rauchen. Obabok schleicht sich hinter den Bräutigam, stellt ihm ein Bein und schlägt ihm eins auf die Brust, daß er hintenüber fällt.

»Mit einem Schlage bis aufs Hemd!«, ruft er hinfallend und reißt den anderen mit. Aber die fünf stürzen sich auf Obabok und schlagen mit Fäusten auf ihn.

»Friede sei mit Dir, Agafja«, sagte der Pope, der hinzutritt und den Hut abnimmt.

»Grüß Gott, Pope!«, antworten alle. »Weshalb kommst Du so spät zum Tanz? Willst Du nicht mittanzen?«

»Nein, Kinder, darf ich denn tanzen?«

»Nun, was ist denn dabei … Auf den Wetscherki tanzt Du doch auch?«

»Na, schön. Wenn Ihr mir Wein gebt, werde ich ein Bein schwingen!«

Obabok, der einen roten Kopf bekommen hat und ganz zerzaust aussieht, zieht seine Mütze. Er hat sich entschlossen, den Popen um den Segen zu bitten, aber seine Beine ziehen ihn nach links. Er will zwar auf den Popen zugehen, aber dreht ihm nur sein ernstes sommersprossiges Gesicht zu, während die Beine immer weiter nach links spazieren, direkt auf den Abgrund zu. Er hält immer noch seine Mütze krampfhaft in der Hand und wendet keinen Blick seiner erstaunten hervorquellenden Augen von dem Popen, bis er an den Abgrund gerät und hinunterrollt. Ein großes Gelächter entsteht, aber der Pope tritt kurzentschlossen an den Abgrund und segnet den betrunkenen Bauern, der sich unten im Sande wälzt:

»He-run-ter-ge-pur-zelt bist Du? Nu, krie-che wieder heraus … Ho-ho!«


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