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21.

Auf einem Haufen zogen die Bauern zusammen vor das Gefangenenhaus und ließen sich vor ihm schweigend auf die Erde nieder.

»Keschka!« rief Prow und ging um das Haus herum.

Keschka schlief hinter dem Haus. Er sprang auf, blickte in die Sonne und dann drehte er sich, als ihm die Situation klar wurde, zu den Bauern herum.

»So hältst Du Wache? Schließ' auf!«

»Was wollt Ihr?« fragte Keschka zurück und trat zaghaft einen Schritt auf die Bauern zu.

Jemand lachte … Ein anderer fluchte. Die Bauern begannen sich von der Erde zu erheben.

»Das ist keine Sache, ehrenwerter Mir«, sagte Keschka, nachdem er tief Atem geholt hatte. »Sie sind schutzlose Leute … Kann man sie so behandeln?«

»Was erlaubst Du Dir, Du Aas …Wo ist der Schlüssel?«

»Ich gebe ihn nicht her!« schrie Keschka mit gedämpfter Stimme. »Ich werde es Ustin sagen!« Dann stellte er sich, die Fäuste geballt und den Rücken gekrümmt, vor die Tür. »Laßt lieber ab von der Sünde.«

Die Bauern schwiegen betreten. Keschka atmete schwer, seine Nasenflügel blähten sich: »Die ganze Nacht haben sie gejammert … Tun sie Euch nicht leid … Ihr Teufel!«

Bei diesen Worten verzog Keschka den Mund, blinzelte, wandte sich ab, schob die Mütze zurück und begann, sich mit seiner groben Faust die Augen zu wischen.

In diesem Augenblick sprangen Mischka Uchores und Senjka Kosyr auf ihn zu, rissen ihn zu Boden und drängten ihn an die Wand, während Uygan ihm rasch den Schlüssel entwand.

»Ustin! … U–stin! … Väterchen!« schrie Keschka, nach Atem ringend. Das Schloß schnappte, die Tür knirschte.

»Schleppt ihn 'rein«, kommandierte Prow und wandte sich dann mit gutmütiger Stimme an die vor Schreck erstarrten Landstreicher: »Kommt 'raus, Kinder, auf die Straße.«

Die sahen sich plötzlich mitten in einem haßerfüllten, schweigsamen Kreis von Bauern.

Mit dem wildgewordenen Keschka hatten kaum fünf Bauern fertig werden können, aber schließlich hatten sie ihn doch in die Räucherkammer geschafft und die Tür hinter ihm ins Schloß geworfen. Er trommelte mit den Fäusten gegen die Tür, riß den Riegel ab, drohte die Tür einzuschlagen und rief: »Ich erhänge mich!«

Die Menge lacht, macht schlechte Witze und vergaß darüber die Landstreicher.

»Siehst Du, Keschka, jetzt bist Du selber in die Räucherkammer geraten.«

»Keschka, brüll' nicht so! … Dort kommt Deine Tykwa … Warte noch ein bißchen mit dem Erhängen.«

Es hatte sich viel Volk versammelt, die Weiber standen etwas weiter entfernt und sprachen leise miteinander, Mädchen waren nur wenige da, die schliefen noch, die Burschen dagegen hatten sich direkt vom Tanzplatz unter die Bauern gemischt, sie gähnten, waren dauernd am Einschlafen. Die Kinder, die bei den Müttern standen, stellten sich auf die Zehenspitzen, streckten die Hälse und wollten von den Müttern hochgehoben sein. Außerdem war das Dach des Gefangenenhauses mit Kindern besät, wie ein Feld mit Blumen.

Fedot war nicht zu sehen, er war angeblich auf den Acker gefahren. Die Landstreicher ließen sich auf die Knie nieder; nur Lechman, der alle um Haupteslänge überragte, stand wie eine Säule unter ihnen, mürrisch zur Erde blickend.

»Ihr guten Leute …« beginnt Anton leise.

»Er ist ja kaum noch am Leben … Gospodi!« flüstern die Weiber und schütteln die Köpfe.

»Habt Erbarmen, gute Leute … Habt Mitleid!«

Während der ganzen Zeit, da er spricht, kriecht Wanjka Swistopljas auf allen Vieren von einem Bauern zum anderen, windet sich ihnen zu Füßen und jammert leise ohne Worte vor sich hin.

»Kommt Kinder!« sagt schließlich Prow mit lauter Stimme zu den Landstreichern. »Hier ist jetzt nichts zu verhandeln!«

Die Menge verstummte.

»Steh' auf!« befahl Prow.

»Gute Leute!« jammerte Anton von neuem. »Bestraft mich, aber rührt sie nicht an … Es ist Sünde … Ich allein habe gesündigt«.

»Du?« schrie Krysan und trat aus der Menge hervor. »Du hast meinen Sohn mit dem Messer durchbohrt?«

»Nun, ja … ich bin's schon gewesen …« stammelte Anton.

Krysan knirschte so mit den Zähnen, daß sein schwarzes Ziegenbärtchen nach vorn stand und seine Backenknochen wie Mühlräder gingen.

»Seht, dort steht der Waldteufel! Schlagt ihn zusammen, Kinder!«

»Halt!« packte Prow Krysan am Kragen. »Mach', daß Du fortkommst! Das rechnen wir selber ab!«

»Ihr seid wirklich ein dunkles Volk«, sagte Lechman verächtlich und maß die Bauern von oben herab mit einem Blick.

Senjka und Mischka, die beiden Freunde, fuchtelten mit den Fäusten und schrien lauter als alle anderen: »Und sie, die Halunken, haben auch unsere Kühe abgestochen … Es kann, gar nicht anders gewesen sein!«

In diesem Augenblick drängte die erregte Menge gegen Prow an.

»Halt! Zurück! … Ihr Teufel!«

»Was, Du willst für sie eintreten?«

Die Weiber wagten sich vor Angst nicht zu rühren. Die Menge wogte und schrie aufgeregt, jemand steckte die Finger in den Mund und pfiff betäubend.

»Haut sie!«

Tulja schreit verzweifelt auf und versucht Lechman an den Hosen auf die Erde herabzuziehen: »Väterchen, bitte sie um Verzeihung  … Väterchen, auf die Knie!«

Prow schreit heiser: »Zurück, sag' ich Euch!«

Aber die Stimmen schreien immer lauter: »Reißt sie in Stücke!«

Fäuste werden geschwungen, Augen sprühten Blitze, das Durcheinander kannte keine Grenzen.

Aber plötzlich erscholl ein schallendes Gelächter und aller Augen suchten den ganz unerwartet zu Boden gefallenen Obabok. Obabok hatte sehr gleichgültig und friedlich mit Prow vor den Landstreichern gestanden, hatte an nichts anderes als an das Schnapsfläschchen gedacht und war im Begriff wieder einmal zu gähnen, als einer von den Jungen, der sich vom Dache aus das Schauspiel ansah, ganz unvermutet einen Erdklumpen in sein weitaufgesperrtes Maul warf. Obabok sprang zwei Schritt zurück, verdrehte die Augen und setzte sich dann auf den Hintern: »Pfui!« spie er.

Die Menge brach in ein lautes Gejohle aus, die Kinder auf dem Dache wußten sich nicht zu halten vor Lachen. Die alten Weiber und die jungen Mädchen grinsten, der immer vergnügte Glöckner Timocha, der gerade die Straße entlang ging, lachte ebenfalls aus vollem Halse und selbst in Tuljas Augen sprühten ein paar spöttische Funken.

Obabok saß auf der Erde, spie aus Leibeskräften, wischte sich den Dreck aus seinem roten Bart und brummte mit Bärenstimme: »Das ist aber getroffen! … Verflucht noch mal!«

Prow ließ jedoch das Gelächter nicht zu Ende gehen, winkte mit den Armen und rief der Menge streng aber freundlich mit einem halben Lächeln zu: »Nun, Ihr Burschen, geht nach Haus', fort mit Euch! … Geht mit Gott in Eure Häuser … Frauen und Mädchen, macht, daß Ihr wegkommt!«

Die Landstreicher erhoben sich und blickten Prow hoffnungsvoller an.

Aber als das letzte Lächeln verloschen war, versteinerte sich auch Prow's Herz wieder, das strenge, dunkle, schwielige Bauernherz. Mit einem finsteren Blick auf die auseinanderlaufenden Bauernweiber fühlte Prow förmlich wie die Wut in seinem Herzen klopfte: »Drei weiße Kühe, die letzten drei … Nun, wartet!«

Als die Menge sich gelichtet hatte, führte Prow Zygan und Senjka Kosyr zur Seite, besprach sich leise mit ihnen und zeigte in die Ferne: offenbar gab er ihnen einen strengen Befehl. Dann führte er noch zwei andere abseits.

»Also los, glückliche Reise, Kinder … Aida!«

»Ai–da!« grunzte in seinem Baß Obabok, der wieder aufgestanden war und unter einem bösen Blicke Prow's langsam seiner Hütte zuging.

Fünf Bauern begleiteten die Landstreicher.

Aber hinter ihnen ging eine andere Gruppe Bauern auf der Suche nach Andrej, der Borodulin das Geld gestohlen hatte; ihn, den Landstreicher mußte man in erster Linie dingfest machen: Was zum Teufel sollte er für ein Politischer sein, ein Dieb war er, weiter nichts!

Keschka hatten sie ganz vergessen. Er schrie in der Räucherkammer, aber dumpf und kaum vernehmbar und ruft Timocha zu: »Wo treibst Du Dich herum, Du Teufel? Lauf rasch zu Ustin. Nimm die Beine unter die Arme!«

»Ach, wozu denn?« schimpfte der und fletschte die Zähne. »Ich gehe lieber mit den Jungen spielen.«

Die Weiber gingen nur bis zu dem sogenannten »lustigen Hügel«.

Sie hatten auch die Kinder kaum fortjagen können.

Der kleine Mitjka hatte es besonders schlau gemacht, er war zum Fluß hinuntergerannt und war am Wasser entlang gelaufen, sodaß man ihn nicht mehr sah. Nach einer Weile läuft er wieder nach oben und als er in den Wald kam, versteckte er sich hinter den Bäumen, das eine Hosenbein steckte vom gestrigen Tag noch oben, das andere schleifte auf der Erde hinterher. Als der Starosta Prow die Landstreicher abgeschickt hatte, entschloß er sich, zu Hause zu bleiben und ging gemächlich die Dorfstraße entlang. Aber je näher er seinem Hause kam, um so rascher trugen ihn seine Füße, seine Gedanken jagten sie vorwärts, seine Gedanken arbeiteten rasch. Ohne die Vorübergehenden eines Grußes zu würdigen, rannte Prow in seine Vorratskammer, riß die Schrotflinte vom Haken, – gut, daß Matrëna es nicht sah, – und schlich sich, hinter den Häusern durch die Gärten wieder von dannen.

Als er bei Fedot's Gärten vorbei kam, hörte er das Geschrei der betrunkenen Bauern, die sich dort an Schnaps gütlich taten.

»Ob ich mir wohl einen trinke, daß ich's dann nicht mehr mit der Angst bekomme? Nein, renne, halte dich nicht auf. Lauf' immer rascher …«


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