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7.

Der Feiertag in Kedrowka war gekommen. Die Morgenröte leuchtete diesmal besonders freundlich auf die stillen Morgenwolken, die noch nicht ganz ausgeschlafen hatten. Der Osthimmel färbte sich rot und entbrannte.

Von der Sonne war noch nichts zu sehen, aber auch ein Blinder hätte sich, wenn er die Fühler seiner Seele ausgestreckt hätte, nicht geirrt, wo sie ihre Strahlenstirn über den Horizont erheben würde.

Es war so, als ob dort im Osten irgendwo tausend Jungen ein Gebet murmelten, aus tausend Kehlen ein frohes Lied erschallte, das niemand hören konnte, das aber jeder fühlen mußte.

Die Grasmücke fühlt es, die der Strahl der Morgenröte weckte: die schüttelte ihr Gefieder, schlug die Augen auf und ließ einen Triller erschallen. Das fühlte auch der wachsame Kranich, er stand auf einem Bein, schien sich zu besinnen, reckte seinen langen Hals, schlug mit den Flügeln und ließ seinen Schrei ertönen. Die Bärin schläft eng umschlungen mit ihren Jungen, aber die Kälte weckt sie, aha, es war Morgen, erhob sich, reckte sich, sträubte ihren Pelz, die Jungen wurden ebenfalls lebendig, blickten die Mutter fragend an und trotteten einer über den anderen zur Quelle sich baden. Der helle Streifen durchschnitt den ganzen Osthimmel, wuchs unaufhörlich – man mußte unbedingt hinsehen und sich darüber freuen – auf einmal kam das Licht!

– Es wird Tag, – murmelt die alte Moschna, bewegt lautlos ihren zahnlosen Mund und steigt in den Keller hinab, um zu sehen, ob ihre zweiundzwanzig Rubel noch da waren.

Der helle Strahl am Himmel wurde breiter und breiter, irgend jemand öffnete dort ein flammendes Fenster und blickte daraus auf die grüne Welt hinab.

Mit ihren Eimern wankend und unterwegs ein wohliges Gähnen bekreuzigend, ging ein junges Weib zum Flusse. Es war kalt draußen. Ihre Schultern zitterten vor Kälte, und sie legte unwillkürlich einen Schritt zu.

Irgendwo knarrte ein Tor, dann ein zweites, dann ein drittes. Eine Kuh brüllte im Stall, ein Hammel blökte, zehn andere antworteten mit morgendlich frischen Stimmen.

Der hundertjährige Großvater im langen weißen Hemde trat schlürfend aus der Gartenpforte, legte die Hand über die Augen, wandte sein silberhaariges Gesicht gegen Osten, bekreuzigte sich ehrfürchtig und sprach: »Feiertag Christi, sei uns gnädig!«

Das junge Weib kehrte zurück: »Guten Morgen, Großväterchen!«

»Sdorowo, Kind … Wer bist Du denn?«

»Ich – Natalja … Kennst Du mich nicht?«

»A-a-a … Nu-nu … Natalja Matrjenowna. Wie sollte ich Dich nicht kennen … Grüß Gott, Maschenjka, grüß Gott … Der Herr wird uns erretten!«

Natalja lächelt – ihr Gesicht strahlt frisch, sie hat es eben im Fluß in kaltem Wasser gewaschen und mit kräftig wiegenden Schritten geht sie von dannen.

Die Sonne hatte sich über den Horizont erhoben. Die ganze Welt war von Licht erfüllt. Ein Fenster nach dem anderen blitzte rot auf und winkte dem nächsten zu, wie die jungen Mädchen im Reigen. Selbst der Sammet der düsteren Taiga wurde heiter. Das Kreuz auf der Kapelle sprühte ringsum Funken, und die gurrende weiße Taube, die auf ihm saß, leuchtete rosig. Der Himmel war im Osten und oben rein und weiß, während sich im Westen noch das graue Dunkel drängte: dorthin waren die Kräfte der Nacht auf ihrer Flucht.

Das Dorf erwachte. Die Hunde rannten die Dorfstraße entlang und bellten die Herde zusammen. Die Frau goß die Kübel mit Schmutzwasser aus der Tür, die flinken Elstern jagten den verschlafenen Krähen die besten Brocken vor dem Schnabel weg. Eine schwarze Hündin auf drei Beinen – das vierte hatte ihr ein Bär ausgerissen – bellte die Elstern an: sie mochte die Brocken auf dem Spülwasser selbst so gern, aber die fliegen kichernd auf, schlugen mit den Flügeln und ließen sich auf dem Zaun nieder.

Die Leute auf den Höfen, in den Hütten und auf den Straßen riefen sich froh bei Namen: Iwanuschka, Dunja, Brüderchen. Es roch nach Teer, Dünger und Holzrauch. Aber wenn die Sonne höher steigt, da weht vom Flusse her ein frischer Harzgeruch.

In den Buchten und Niederungen des Flusses standen noch weiße Nebel. Sie waren sich noch nicht klar darüber: sollten sie spurlos verschwinden oder sich auf das Wasser niederlassen oder als Tau an die Rohrkolben hängen.

Es wurde wärmer und wärmer. Der Tag schien heiß zu werden. Die Sonne stieg höher und höher.

Zur Kapelle eilte der alte Ustin, ein eifriger Gottesdiener. Er war nicht groß, hatte ein fleischiges Gesicht mit einem grauen Bärtchen, sah aus wie der heilige Nikola und seine blauen Augen blickten ernst aber mild drein. Seine Stiefel sind mit Bärenfett geschmiert. Wenn die Hunde daran schnupperten, dann sträubte sich ihr Fell und sie fletschten die Zähne. Das Hemd, das Ustin trug, war lang, neu und noch nicht gewaschen, auf dem breiten Rücken legte es sich noch nicht in richtige Falten, aber es wurde von einem perlenbenähten Tungusengürtel zusammengehalten. Ustin stieg den Berg hinan, aber seine Stiefel waren schwer, seinen Beinen fehlten die Kräfte und so machte es ihm Mühe, den Berg hinan zu kommen. Er brachte kaum die Füße vom Boden, es sah so aus, als ob er sich erst selbst ein Stück vorschiebe, dann die Füße wie eine überflüssige Last nachzog und unter sich setzte.

»Soll ich den Batjuschka-Popen wecken?«, ruft ihm Fedot zu, der seinen dicken Bauch mit der Uhrkette quer über die Brust zur Gartenpforte herausstreckt.

»Wecke ihn: ich werde gleich läuten … Es ist schon Zeit. Die Sonne steht schon ordentlich hoch.«

Bald darauf erschallte der erste frohe Schlag der kleinen Glocke: Schlag auf Schlag flossen die Töne von der Kapelle herab und ergossen sich über die Taiga, aber ihnen entgegen flossen ebensolche ferne und schüchterne Töne, die von einer unbekannten Kapelle zu kommen schienen, die etwa in diesem Augenblick in der Taiga erstand.

Petjka, ein Junge von drei Jahren drückte sich an die Beine seiner Mutter, flüsterte, die Hand im Munde, fragend: »Mütterchen, wer läutet denn dort?«, und nickte mit dem Kopfe in die Taiga hinaus, wo die unbekannte Kapelle stand.

»Großvater Ustin.«

»Also Ustin … Sind denn dort keine Bären?«

Die alten Männer und Weiber bewegten sich langsam vorwärts, heftig über ihre Beine stolpernd. Die Bauern im Mannesalter traten ebenfalls auf die Straße hinaus und gingen ebenfalls langsam hin und her, die Hände hinter den Rücken gelegt, oder setzen sich irgendwo auf eine Rasenbank, sodaß sie nach der Kapelle sehen konnten: Sollte doch Ustin ruhig an der Glocke ziehen, man brauchte nicht hinzugehen, sollte der Pope nur herauskommen, er würde nicht sofort mit der Messe beginnen, sollten die Frauen nur erst die Heiligenbilder herunternehmen und mit den Kreuzen aus der Kapelle um die Felder gehen, dann würde es auch Zeit sein, sich anzuschließen. Würde der Schnaps reichen, man könnte zu Moschna gehen, aber man hatte ja kein Geld, hatte nichts, sie wird schon etwas leihen, Gott würde Eichhörnchen schicken … Bomm bomm … Bär … Man müßte gleich fünf Stück fangen, zwei rote Scheine gab es für ein Fell. Nein es war wohl besser, man ging irgendwo auf Arbeit, dann würde man schon ein paar schöne Kopeken verdienen … In die Stadt mußte man gehen, dort gab es etwas zu sehen … Hier in der Taiga würde man sterben ohne etwas gesehen zu haben … Wenn er den Mädchen nicht so nachstellte … er war ein fixer Kerl, wie er tanzen konnte … ha-ha … unser Pope. Aber den Landstreichern, den Herumtreibern mußte man Zügel anlegen, diese Räudigen, die bloß 'rum stehen, stehlen und rauben … Das Lumpengesindel … Bomm-bomm … Gott sei uns gnädig, heute ist ja Feiertag … Die Alte ist ja in anderen Umständen, Cholera … Die Palaga mußte man mal ins Heu ziehen, das ist ein strammes Mädchen, der Waldgeist müßte sie erwürgen … Bamm-bamm … Gott erlöse uns … Feiertag … Pfui, Teufel, diese Sünden. Nikola barmherziger …

Und so kriechen die sündigen Gedanken immer wieder durcheinander. Die Bauern schnuppern in die Luft, es riecht so gut: es riecht nach Geschlachtetem, Kohlsuppe steht im Ofen und es riecht nach Pfannkuchen. Ein Duft von Branntwein zog durch das Dorf: es war noch früh und der Branntwein stand noch im Keller, war noch nicht aufgekorkt, aber er kitzelte die Bauern schon in der Nase, er machte sie schon am Morgen heiter, lustige Teufelchen hüpften in ihre Augen und in ihren Ohren summten kleine Mücken. Die Bauern blickten zu Ustin hinauf, aber der zog immer noch an seinem Strick, die Glocke sang und aus der Taiga antwortete die grüne Kapelle.

Fedot trat in einem Tuchrock und mit einem Hute vor das Haus. Viel Volk hatte sich rund um die Kapelle versammelt. Die Bauern standen von ihren Rasenbänken auf und strömten jetzt zur Kapelle. Fedot sagte etwas zu der Menge und fuchtelte mit den Händen. Die Haare waren mit Rindertalg eingeschmiert und glänzten ebenso wie die Kette quer über seinem Bauch.

»Ist das ein Pope«, sagt Fedot, »ich habe ihn wecken wollen, und da liegt das Väterchen, den Bart nach oben und schnarcht … Die Fliegen haben sich auf seiner Fresse angesiedelt, als ob es ein Bienennest wäre … Was ist das für eine Sache, denke ich.«

»Erheben!«, schreit Ustin.

»Ich habe ihn ja erheben wollen, aber er hat geflucht.«

»Nein, die Heiligenbilder erheben und hinaustragen«, verbesserte sich Ustin. »Wir werden auch ohne ihn mit dem Gottesdienst fertig!«

»Da kommt der Pope also gar nicht?«, fragen die Frauen.

»Ganz ausgeschlossen. Er ist erst nachts aufgestanden, hat einen Eimer Bier erwischt und noch zur Hälfte geleert.«

Die Weiber lächeln. Ein junger Bursche mit der Flinte kommt zur Kapelle. Die Weiber streichen ihre Röcke glatt, schürzen ihre Lippen freundlicher und strahlen über das ganze Gesicht. Ustin machte sich jedoch aus einem Glöckner zur Hauptperson.

»Timocha, läute lauter!«, kommandiert er. »Nun Weiber, und auch ihr Männer, ihr, die ihr die ehrfürchtigsten und ehrenwertesten seid.«

Timocha, der Bursche im rosa Hemd, tritt lustig zum Glockenständer, grinst über das ganze Gesicht, zwinkert den Mädchen listig zu und beginnt vergnügt die Glocke zu läuten.

Aus der Kapelle traten gemessenen Schrittes mit dem Gnadenbild der Mutter Gottes Fedot, hinter ihm zu zwei und zweien mit roten hübschen Backen die jungen Frauen. Jedes Paar trägt ein Gottesbild mit Kreuzchen, Bändern und Papierblumen geschmückt.

Als sie das Kreuz und die Laterne hinausgetragen hatten, trat Ustin, der eifrige Diener Gottes aus der Kirchentür, das Räucherfaß schwingend. Das Volk stand an beiden Seiten der Treppe, Fedot stieg mit der Kasanschen Mutter Gottes die Stufen hinauf, das Gottesbild auf seinem dicken Bauch gestützt. Ustin in seinem neuen langen Hemd, Schweißtropfen auf der Stirn, verbeugte sich dreimal tief und schwenkte den Weihrauch erst vor Fedot, dann vor jedem Heiligenbild der Reihe nach und winkte mit der freien Hand dem wie wild läutenden Timocha zu, der immer noch den Mädchen blöde zulächelte.

Der aber, der auf den Zehenspitzen stand und wie ein Wilder am Glockenstrang zog, merkte nicht, daß er aufhören mußte, weil der Gottesdienst begann.

»Halt ein!«, schrie Ustin, der wütend mit seinem Weihrauchkessel auf den außer Rand und Band geratenen Glöckner zuschwenkte. Dann zog er sein Hemd zurecht, räusperte sich, nahm das Räucherfaß in die linke Hand, strich sich Kinn und Schnurbart und begann salbungsvoll mit blökender Stimme: »Gesegnet sei unser Gott, Kinder, immerdar und jetzt und ewiglich und in alle Ewigkeit!«

Als er diese Worte ausgesprochen hatte, bekreuzigte sich Ustin eifrig, während das Volk das »Amen« sang.

Timocha sprang wie ein Rasender zu den Ikonen – er konnte es nicht abwarten, warf sich vor jeder auf die Erde, berührte sie flüchtig mit der Stirn, stieß Fedot beinahe das Gottesbild aus der Hand, – dieser sagte zu ihm: »Vorsichtig!« und begab sich, durch die Reihen drängend, wieder zu seinen Glocken.

Ustin ergriff wieder das Räucherfaß und sang mit Begeisterung: »Freue Dich, Nikola, Du großer Wundertäter!«

Wieder fiel die Menge vielstimmig ein.

»Gib ihnen!« rief Ustin jetzt fröhlich und gab Timocha ein Zeichen.

»Also, gesegnet seid Ihr, Ihr Kinder … Feste Timocha!«

Die Menge wogte auf und ab und sang unter dem sich überstürzenden Geläut Timochas.

Aber plötzlich krachten, alles übertönend, Schüsse. Die Kinder quietschten vor Freude und lachten, klatschten in die Hände und wälzten sich vor den jungen Burschen, die eilig ihre Vorderlader luden. »Feuer!« schrie der junge Bursche Mitjka außer sich vor freudiger Erregung. Die jungen Burschen schossen in Salven und einzeln.

»Los, feste!« schrie Mitjka.

Von Ustin geführt, bewegte sich jetzt die ganze Prozession vorwärts, gemessenen Schrittes und Wolken von Staub hinter sich aufwirbelnd. Die Hunde zerrten wild an ihren Stricken, die Menge sang, den ganzen Weg entlang krachten die Böllerschüsse und hinterher flog fröhliches Lachen und Scherzen.

Ustin schritt gesetzten Ganges voran, dicht umdrängt von einer Menge schmieriger, barfüßiger Kinder, die ihre Hosen halten mußten, damit sie sie nicht verloren, von Zeit zu Zeit schwenkte er das Räucherfaß und sang mit hoher Stimme.

Der kleine Mitjka lief dreimal vor Ustin, stellte sich vor ihm hin, ging rückwärts und bat ihn unter Tränen:

»Großväterchen Ustin, beräuchere mich mal, … A, Großväterchen, beräuchere mich doch!«

Aber der, der mit seinen Gedanken in einer anderen Welt dahinschritt, schob den Jungen mit der Hand zur Seite und sang weiter: »Du auserwählter Herr der Heerscharen« …

Wieder drängelte Mitjka: »Beräuchere mich doch!«

»Fort!« kocht Ustin. »Ich werde Dir eins beräuchern!« und singt, den Chor der Frauen einholend: »Wir, Deine Knechte, Gottesmutter« … Das ganze Dorf zog in der Prozession auf das Feld.

Der hundertjährige Nasar war weit zurückgeblieben. Als er aber den Berg hinabrannte, spotteten die Mädchen: »Wohin eilst Du, Großväterchen, Du kommst schon noch zurecht.« Wenn er auch jetzt die Füße rascher setzte und mit den Armen fuchtelte, so kam er doch auch jetzt nicht nach, sondern blieb – o Wunder – nur weiter zurück. Tränen standen ihm in den Augen und das Gesicht legte sich ganz in gramvolle Falten.

»Nun bin ich doch glücklich zurückgeblieben, danke …«, jammert der Alte und wischt sich mit dem Saum des Hemdes die Stirn. Dann setzt er sich auf eine Wiese und blickt mit trüben Augen zu der schon hoch am Himmel stehenden Sonne auf.

»Feiertag Christi, erbarme Dich unser!«

Die Prozession hielt unter drei uralten Lärchen bei einem großen Kreuz, das die Vorfahren der jetzigen Bauern mitten in die Felder gesetzt hatten.

Die Menge stand direkt in der Sonne. Es war heiß, und alle verlangte es kaltes zu trinken und zu essen.

Aber Ustin begann immer neue und neue Gebete. Die Frauen quietschten mit müder Stimme und die Männer fielen heiser und ungeschickt in ihren Gesang ein.

Der rotköpfige, sommersprossenbedeckte Onkel Obabok wollte Gevatterin Malanja, die neben ihm ging, übertönen, formte seinen Mund zu einer Trompete, ließ die Augen hervorquellen und führte, jedesmal mit den Armen fuchtelnd, ein solches Geheul aus, daß die Kinder erschreckt zu ihm aufsahen und die Mäuler aufsperrten, während die Männer lachten: »Dich hat es wohl durchdrungen? Aber Du mußt doch mit Ustin singen … So singst Du doch daneben.«

Ustin sang ohne Unterbrechung und begann immer neue Gebete. Die Worte der Gebete waren fremd und für die Betenden unverständlich, sie trafen wie trockener Sand in ihre Ohren und prasselten ab, wie Erbsen von der Wand, ohne die Herzen zu rühren. Nur das Bewußtsein, daß sie selbst es waren, die sangen und den Gottesdienst abhielten, beflügelte ihre Seelen und trieb einigen die Tränen in die Augen.

Nochmals sang Ustin ohne Worte weiter, da er nicht wußte, wie der Text weiterging, räusperte sich und schwenkte krampfhaft das Räucherfaß: »Nun, nu … Paki … paki …«

Aber weiter kam nichts zum Vorschein.

Während einer solchen Pause drehte sich der Kaufmann Fedot zu Ustin herum und sprach das »Viele Jahre«, nachdem der rotköpfige Obabok mit so starker Stimme einfiel, daß alle aus der Fassung gerieten und lachten, und sogar der strenge Ustin lächeln mußte. Das verwirrte den Rotkopf, er wischte sich die feuchte Stirn und trat ganz in den Hintergrund, mit beiden Händen nachdenklich seinen Bauch umfassend.

Schließlich wurde Ustin zugeflüstert:

»Laß' das Volk in die Knie gehen! Sprich unser Bauerngebet!«

Da zuckte es Ustin in den Schultern, er reckte den Bart in die Höhe und rief mit lauter Stimme den Popen nachahmend:

»Wot … nu … Runter auf die Knie!«

Die Menge, die wie in Erwartung einer großen Freude vielstimmig seufzte, ließ sich auf die Knie nieder und bereitete ihre Seele auf ihr Gebet, das Bauerngebet, vor.

Ustin, der ganz von seiner Begeisterung durchdrungen und wie umgewandelt war, begann mit deutlicher und zitternder Stimme den Ton bald senkend und erhebend:

»Herr Gott, unser Vater, Du wahrer Christ …«

Alle seufzten noch einmal, bekreuzigten sich, schlugen mit den Köpfen auf die Erde und blickten bald auf den wolkenlosen freundlich blauen Himmel, bald auf den graubärtigen Ustin in dem neuen rosa Hemd.

Aber der fuhr in immer steigender Erregung fort: »Herr Gott, wir, das ganze Dorf flehen zu Dir, hilf Deinen getreuen Knechten: schicke uns Regen zu seiner Zeit, lasse unser Korn wachsen und nähre uns alle, Deine treuen Bauern.«

»Ernähre uns, Herr!« wiederholte vielstimmig die Menge.

»Daß uns das Getier des Waldes unser Vieh nicht zerreißt, daß es viele Eichhörnchen in der Taiga gibt, daß der Fuchs uns in die Falle geht und daß wir, Deine getreuen Knechte, im Leben und Sterben bereit sind … nu … also.«

»Bitte um Hanf … Hanf!«, flüstern die Frauen, Tränen schluckend.

»Für die Weiber!«, ruft Ustin fröhlich, der offenbar den Faden verloren hatte, » unseren treuen Sklaven, laß Hanf wachsen, Herr unser Gott. Daß wir alle in Eintracht leben, friedlich d.h. ohne Kränkung, d.h. wie Gott es will … Amen!«

Dabei erhob sich Ustin, die Fäuste auf die Erde gestützt, in seiner ganzen Schwere und rief mit dröhnender Stimme: »In alle Ewigkeit!«

Viele der Betenden weinten bei diesen einfachen, zu Herzen gehenden Worten des Gebetes.

Bald war alles zu Ende, und die Menge flutete zurück zur Kapelle, wo der unermüdliche Timocha so eifrig auf die Glocken einschlug, als ob er ihnen ihre tönende Seele austreiben wollte. Vom Hügel vor der Kapelle sah man ein Stück des in der Sonne schimmernden Flusses und einen fetten gelben Menschenleib, der sich im Wasser tummelte. Das war der Pope, der sich auf diese Art den Rausch austrieb, schwamm, mit den Füßen schlug und ho-ho rief, daß man's durch das ganze Dorf hörte.

Die Gläubigen lachten bei diesem Anblick und gingen vergnügt in ihre Hütten.

Der Feiertag hatte gut angefangen.


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