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XVII.

Es war ein schwüler Juliabend. Unter den Bäumen des Gartens stand noch die Hitze des Tages. Die Steinplatten der Terrasse strahlten die Glut der Sonne zurück, die sie den langen Sommertag hindurch eingesogen hatten.

»Es ist noch immer unerträglich!« klagte Bonnette und strich ihr Fichu von dem vollen weißen Busenansatze zurück. Es schloß sich immer wieder zu keuscher Umhüllung.

Karoline du Saillant am Gartentische gegenüber saß ihre älteste Tochter, Bonnette No. 2, seit wenigen Monaten Gattin des Marquis Ximénès von Aragon, eines Verwandten des Hauses Habsburg, und zupfte an einer Marguerite Orakel. Sie wollte das Schicksal befragen, ob ihr junger Gatte, der am Morgen nach Paris gefahren war zu einem Konvent des Ordens Saint-Etienne, dessen Ritter er war, noch heute zurückkehren würde. Denn sie war jung verheiratet, als echte Mirabeau sehr verliebt, und der Abend war schwül und voller Sehnsucht.

»Er kommt – kommt nicht – kommt – kommt nicht –«

Bonnette blickte von ihrer Handarbeit auf – die Nadel war feucht in ihren Fingern und ließ sich nur mühevoll durch das Leinen stechen – und lachte ihr gutes klingendes altes Lachen. Sie war noch heute mit ihren dreiundvierzig die »stärkste Lacherin Frankreichs«.

Ohne sich beirren zu lassen, zupfte Jeanne-Charlotte ihr Orakel fort.

»Kommt – kommt nicht – kommt –« die Stimme verebbte in Enttäuschung – »kommt nicht!« Aber plötzlich sprang sie empor, jubelte »er kommt!« und stürmte durch den Garten zum Parktor. Bonnette lachte schmetternd und horchte auf. Auch sie hörte Hufschlag durch die abendlich stillen Straßen von Auteuil erschallen.

Jetzt war er schon ganz nah, richtig – er hielt vor dem Tore.

Bonnette warf die Handarbeit auf den Tisch, um ins Haus zu eilen und den Dienstboten zu melden, daß der Hausherr doch, wider Erwarten, zum Abendessen heimgekehrt sei. Da sah sie Bonnette No. 2 mit einem großen starken Manne den Kiesweg entlangkommen, das Reitpferd am Halfter. Das war doch nicht der Schwiegersohn, das war doch – mein Gott, das war doch –

»Gabriel!« schrie sie in Staunen und Freude und eilte dem Bruder entgegen.

Die Geschwister küßten sich herzlich. »Gabriel, du,« lachte Karoline, »du in Auteuil! Muß man hier draußen auf dem Lande sein, um dich einmal zu sehen! Du Böser, findest du nie den Weg in die Rue de Seine?«

»Liebe,« entschuldigte er sich, »hast du eine Ahnung, was alles auf mir lastet! Nicht eine Minute des Tages bleibt für mich oder meine Familie.«

»Ich weiß, ich weiß,« lachte Bonnette, »ich mache dir ja auch keine ernsten Vorwürfe. Es ist nur traurig, daß wir beide in Paris wohnen und uns kaum alle Jahre einmal sehen.«

Mirabeau zuckte bedauernd die mächtigen Schultern.

Sie hatten die Terrasse erreicht. Ein Diener nahm das Pferd. Jetzt mischte sich die junge Hausfrau pflichteifrig ins Gespräch:

»Sie bleiben doch natürlich über Nacht, verehrter Oheim?«

Mirabeau tätschelte ihr die hübsche Wange. »Ja, kleine Nichte, wenn du gestattest.«

»Ich bin beglückt,« entgegnete sie artig und machte der Erziehung der kugeligen Remignichonne vom Kloster Montargis Ehre, »Sie unter meinem schlichten Dache zu bewirten.«

Damit eilte sie davon, die unerwarteten Hausfrauenpflichten zu erfüllen.

Die Geschwister setzten sich.

»Das ist aber eine unerwartete Freude,« begann Mirabeau, »dich hier anzutreffen. Was macht der Marquis und die Kinder?«

Karoline erstattete Bericht. Alles stand gut. Die sechs Kinder, die ihr von den siebzehn, die sie geboren hatte, außer Bonnette No. 2 geblieben waren – ein Knabe und fünf Mädchen – gediehen prächtig.

»Wenn nur erst die Erbschaft des Vaters geordnet wäre! Du weißt, wir sind darauf angewiesen. Übrigens, Gabriel, was bedeutet das? Man erzählt sich Wunderdinge von deinem Reichtum. Du hättest sagenhafte Reichtümer vom Vater geerbt? Ich weiß doch am besten, daß Vater keine Schätze hinterlassen hat, und daß alles noch unter gerichtlicher Verwaltung steht.«

Mirabeau lächelte.

»Ich hoffe, du hast mich nicht Lügen gestraft?«

»Nein, ich habe genau so geheimnisvoll gelächelt, wie du es jetzt tust. Aber gewundert habe ich mich.«

»Genau wie ich an deiner Stelle. Die Sache ist die, Bonnette, ich habe ein großes Geschäft zu einem sehr günstigen Abschluß gebracht. Aber das braucht ja nicht jeder zu wissen. Man sieht es nicht gern, daß wir Abgeordnete Privatgeschäfte machen.«

Bonnette begriff das, gratulierte dem Bruder froh und neidlos und sprach dann voll Enthusiasmus von seinem täglich wachsenden Ruhme.

»Ich bin so furchtbar stolz auf dich, Gabriel. Wir sind ein altes Geschlecht, wir Mirabeaus. Wir haben große Kriegshelden in unserer Familie gehabt. Aber unsterblich hast du erst unser Haus gemacht.«

Er dämpfte ihre Begeisterung.

»Nein, nein. Du weißt es ja selbst, daß du heute der erste und mächtigste Mann Frankreichs bist. Das braucht dir deine alte Schwester nicht erst zu sagen. Und Vater wußte es auch. In seinen letzten Tagen in Argenteuil hat er viel von dir gesprochen, voller Bewunderung, wenn auch in seiner grämlichen knurrigen Art. Einmal sagte er: ›Das mannhafte Herz, das schon unter dem Wams des kleinen Jungen schlug, die wunderbaren Triebe edlen Stolzes, seine Intelligenz, sein Gedächtnis, seine Lebhaftigkeit, die einen ergreifen, ja in Staunen und Schrecken versetzen, ernten jetzt ihre verdienten Erfolge.‹ Und ein andermal: ›An Talent, Geist und Fleiß steht er wohl einzig da.‹ Und ganz kurz vor seinem Tode: ›Er wird unter der Immunität des Abgeordneten die hervorragendste Persönlichkeit der Revolution werden.‹«

»Seine Erkenntnis ist spät gekommen«, sagte Mirabeau bitter. »Er hat meine Jugend vergiftet. Das kann nichts wieder gutmachen. Er hat die Sünden meiner Vergangenheit auf dem Gewissen. Oh, Bonnette, wenn ich in die Revolution den unbefleckten Ruhm eines Malesherbes mitgebracht hätte! Welch große Zukunft hätte ich dann meinem Vaterlande gesichert! Und welchen Ruhm hätte ich an meinen Namen geheftet! Aber so klebt meine Vergangenheit an mir. Vater hat einmal zu mir gesagt: ›Im Grund wirst du ernten, was dem gebührt, dessen Grundlage, die Sittlichkeit, ins Wanken geraten ist: du wirst nie Vertrauen genießen, selbst wenn du es zu verdienen aufrichtig bestrebt wärest.‹ Er hat recht behalten. Das Volk, der Pöbel jubelt mir zu. Aber den Besten der Nation und der Nationalversammlung bin und bleibe ich verdächtig. Und« – er flüsterte vor sich hin, als rede er zu sich selbst – »und weil ich das auf Schritt und Tritt empfinde, gebe ich mir nicht die doch verlorene Mühe, das zu werden, was man einen ganzen, anständigen Kerl nennt.«

Die Schwester schwieg erstaunt und ergriffen.

Doch schon überkam ihn wieder der Trotz. Er warf den Kopf zurück. »Lassen wir das! Keine unnütze Sentimentalität, die nur die Kraft aufzehrt. Jeder ist das Produkt seiner Erziehung. Basta. Seien wir es ganz.«

Bonnette hantierte verlegen mit ihrer Handarbeit. Sie schwiegen. Da kam Jeanne-Charlotte zurück und rief die Gäste zum Abendessen.

Bei Tisch plauderte man von alten Zeiten, von alten Dingen.

Von der Mutter, die verbittert und in hysterischen Torheiten in Paris in ihrem Hause der Rue Matignon alterte. Von Louise Cabris, die lange Jahre ihres heißen Lebens im Kloster Sainte-Ursule zu Sisteron verloren hatte. Doch ihre unbändige Lebenskraft hatte die Mauern des Gefängnisses gesprengt. Sie war der Abgott des Städtchens, der Nonnen, der Äbtissin. Als sich endlich die Tore ihr öffneten, geleitete die Bevölkerung von Sisteron sie im Jubelzuge wie eine Fürstin des Volkes. Jetzt lebte sie – eine still gewordene Frau – in Grasse und pflegte ihren »Tölpel«, der immer mehr verblödete.

»Ein tragisches Los«, sagte Mirabeau traurig. »Was hätte aus dieser Frau werden können! Armes Weib!«

»Und was macht meine verehrte Feindin, die schwarze Katze?« fragte er, die trübe Stimmung zu verscheuchen.

»Ihr geht es gut«, lachte Bonnette. »Sie wohnt in dem Pavillon in Argenteuil, den der Vater ihr geschenkt hat, und behauptet, Vater habe ihr zweiundvierzigtausendachthundertundvierzig Livres geschuldet, die sie ihm während der neunundzwanzig Jahre ihres Zusammenlebens nach und nach geliehen hätte. Sie schrieb mir vor einiger Zeit, sie würde sie gegen uns einklagen, wenn wir sie nicht freiwillig zahlten.«

»Da kann sie lange warten«, knurrte Mirabeau. »Soll sie sich doch an ihren Liebling, unseren wackeren Bruder Boniface, wenden. Dem hat sie genug heimlich zugesteckt.«

»Siehst du ihn oft?« fragte Bonnette.

»Nein. Er gehört zu den Abgeordneten des Ersten Standes, die uns in der Nationalversammlung nicht beehren. Eins muß man diesem dicken Kaliban übrigens lassen, er hat Humor. Meist ist er betrunken. Als man es ihm vorwarf, entgegnete er: ›Was soll ich tun? Es ist das einzige Laster, das mein Bruder mir übriggelassen hat.‹«

Die Damen lachten freimütig. Angeregt plauderte Mirabeau weiter: »In jeder anderen Familie als der unsrigen würde er für geistreich und unsittlich gelten.«

»Aber Onkel!« rief die junge Frau belustigt.

»Eines Abends machte er einen Besuch bei den Tanten des Königs. Es war dunkel im Vorzimmer; der Diener, der am Tritte den Bruder des Königs, Monsieur, zu erkennen glaubte; öffnete die Tür des Gemaches, in dem die Damen waren, und meldete: ›Monsieur!‹

»Lächelnd trat der Kaliban ein und sagte: ›Es ist nur Monsieur, der Bruder des Königs Mirabeau.‹«

Die hübsche Anekdote fand den gebührenden Beifall.

Das Gespräch glitt hinüber nach Aix.

»Ich erinnere mich der Tante sehr gut«, berichtete Jeanne-Charlotte eifrig. »Es war im Jahre 1774, damals, als sie nach Bignon kam. Ich war noch Klosterschülerin in Montargis. Sie erschien mir als eine sehr hübsche liebenswerte Dame.«

»Das ist sie auch«, bestätigte Bonnette mit Nachdruck.

Mirabeau schwieg versonnen.

»Ich habe oft große Sehnsucht nach ihr«, beichtete er plötzlich. »Und wenn ich mehr Zeit hätte – doch lassen wir das.« Er machte eine fortwehende Bewegung.

»Nein, nein,« ermutigte Bonnette, »sprich dich aus. Ich stehe mit ihr in sehr regem Briefwechsel. Auch sie sehnt sich nach dir. Sollte es keine Möglichkeit geben, die euch beide wieder zusammenführt?«

Mirabeau fragte: »Darf ich ihre Briefe lesen?«

»Den letzten habe ich hier. Ich erhielt ihn hierher nachgesandt.« Sie holte ihn. Voll Wehmut sah er die phantastisch verschnörkelte Schrift, die ihn in der Zelle des Château d'If so oft in ohnmächtige Wut gepeitscht hatte.

Er las. Er las mit pochendem Herzen die Reife dieser Frau. Sie schrieb: »Wie muß ihn der Beschluß vom 7. November vorigen Jahres getroffen haben! Ihn und seinen Ehrgeiz. Schon in Manosque hat er mir oft davon gesprochen, daß das Ziel seines Lebens sei, Minister und damit Leiter des Staates zu werden. Dieser unselige Beschluß schließt ihm die Pforte zu dem sehnlichsten Wunsche seines Lebens.«

Er ließ das Blatt sinken. Alte Zeiten standen auf, griffen ihm in die Brust.

»Schreib ihr«, bat er. »Sag' ihr, du habest mir den Brief gezeigt. Und frage sie, ob ich nach Aix kommen darf, sobald ich einmal Zeit finde.«

Leuchtend vor Freude nahm die große schöne Frau das Werk der Versöhnung in ihre gütigen Hände. –

Beim Schlafengehen verkündete Mirabeau:

»Morgen früh muß ich ganz zeitig fort. Ich habe Wichtiges zu tun. Um sieben muß ich das Haus verlassen.«

Man schmollte ein wenig über den kurzen Besuch, fand es aber doch rührend, daß er sich trotz seiner Arbeitsüberlastung zu der jungen Nichte herausbemüht habe.

»Ich habe dich immer besonders liebgehabt«, bekannte er. »Das weißt du doch.«

Ja, Bonnette No. 2 wußte es.

Um halb sieben stand das Frühstück auf der Terrasse. Punkt sieben verließ Mirabeau das gastliche Haus in Auteuil.

Kaum war das Gartentor hinter ihm ins Schloß geklirrt, kaum hatte er sich das letztemal zu den winkenden Frauen zurückgewandt, da erlosch das Lächeln des Abschiedsgrußes jählings in seinen Zügen. Ein starrer Ernst stand plötzlich zwischen den hart entschlossenen Augen. Mit energisch zusammengepreßten Lippen spornte er das Pferd, bog nach einem vorsichtig nach allen Seiten spähenden Blicke von der Landstraße nach Paris ab in den Weg, der nach Saint-Cloud führte. Der Herkules der Revolution ging heute einen Gang, der ihn das Leben kosten konnte. –

Seine Ermahnungen an den König waren ohne Folgen geblieben. Der Hof tat nichts. Die Minister blieben, untergruben durch ihre Unschlüssigkeit das Ansehen der Krone von Tag zu Tag verderblicher, die Anarchie wuchs, da keiner ihr machtvoll entgegentrat, die Lage wurde verhängnisvoll. Mirabeau sprach in seinen täglichen Noten ins Leere.

Da riß diesem heftigen, auf sichtbaren Erfolg gestellten Manne die geringe Geduld.

»Ich will den König und die Königin sehen«, forderte er von La Marck. »Auge in Auge will ich ihnen meine Pläne einhämmern. Vielleicht gelingt dem Eindruck meiner Persönlichkeit, was meinem geschriebenen Worte versagt bleibt: die Entschlußkraft dieser Leute zu entfachen.«

La Marck erkannte und billigte die Richtigkeit dieses Wunsches. Er unternahm es, den Widerstand zu überwinden, den er, mit Recht, von der Königin gegen diesen Schritt Mirabeaus erwartete. Es gelang ihm, dem Opfermute Marie-Antoinettes die Einwilligung in eine Unterredung mit dem Volkstribun abzuringen. Die äußeren Schwierigkeiten aber waren groß. Die Begegnung mußte in aller Interesse streng geheim bleiben. Die Nationalversammlung hatte dem Königspaar gestattet, während des Sommers die Tuilerien mit dem Schloß von Saint-Cloud zu vertauschen. Doch auch dort war der Hof von Spionen belauscht.

Es wurde verabredet: Mirabeau übernachtete bei seiner Nichte in Auteuil, um sein Alibi nachweisen zu können. Um acht Uhr früh sollte er am hinteren Parkgitter von Saint-Cloud halten. Dort würde Madame Thibault ihn erwarten und in den dichtest belaubten Teil des Parkes führen. Hier sollte er mit dem Königspaare zusammentreffen.

Alles verlief programmgemäß. Die Thibault stand am hinteren Parktor, öffnete es, führte mit leisem Schaudern Mirabeau durch die verschlungenen Wege. Das Pferd wurde an einen Baum gebunden und begann sofort, gierig die Blätter zu knabbern.

Im dichten Boskett harrte Marie-Antoinette. Der König hatte sich verspätet. In nervöser Erregung schritt sie auf dem kleinen freien Raume vor der Steinbank mit den eingemeißelten bourbonischen Lilien auf und nieder. Es war einer der schwersten Siege dieser Tage voller Demütigung, den sie über sich errungen hatte, als sie darein willigte, diesen Mann zu empfangen, der den Pöbel an jenem grauenvollen 5. Oktober des verflossenen Jahres gegen sie gehetzt hatte. Sie sah diese Räuberhorde noch jetzt in wachen Stunden und in aufgescheuchten Träumen in das Schloß zu Versailles eindringen, sah ihre treue Garde sich der Bande entgegenwerfen, Schüsse knallten, Hände griffen schmerzverkrallt in die Luft, Körper schlugen steif vornüber, gräßliche Todesschreie gellten. – Sie stand von Entsetzen gelähmt am Fenster, starrte hinab – sah, wie die Reihen der Garde sich lichteten – mit Messern – mit Säbeln fielen die Ungeheuer über die wankende Schar – schlachteten sie ab – Weiber bohrten Nadeln in die Augen der Röchelnden – sie wandte sich fort – übergab sich in Ekel und Grauen – hörte, wie sie unten heulend ihren Kopf forderten – einer ihrer Offiziere stürmte ins Zimmer –, riß sie ins Kabinett des schlotternden Königs – eine Abordnung des Pöbels stand vor ihr – sie atmete den Geruch von Schmutz, Schweiß, Blut – ihr ward wieder übel – sie tastete nach ihrem Taschentuche – fand es nicht – der Offizier reichte ihr das seine – man führte sie fort – – der Pöbel heulte auf, als sie aus dem Schloß trat – betäubt fuhr sie, von den Marktweibern eskortiert – beschimpft – geschmäht – besudelt, nach Paris. –

Während sie rastlos in dem Boskett auf und nieder schritt, sah sie wieder diese Visionen, die sie seitdem nie wieder verlassen hatten. Aus dem Gebüsch grinsten die blutgierigen Fratzen. – Und der Mann, der ihr das angetan –

Sie hörte Schritte. Bezwang sich heldenhaft. Ward ganz die Tochter ihrer großen Mutter. Blieb stehen inmitten des Raumes, hoch aufgerichtet, mit verbissenen Zähnen, Herrin ihres Körpers, Gebieterin ihres in Angst und Grauen flatternden Herzens.

Und dennoch erschrak sie, als sie ihn auf sich zuschreiten sah. Sie hatte Bilder von ihm gesehen. Doch die Wirklichkeit übertraf das Abbild an Häßlichkeit, Gewalt, Schrecken. Ja, dieser große klotzige Mann war die leibhafte Verkörperung der Greuel, die er entfacht hatte.

Die Thibault blieb zurück, Mirabeau trat, tief die Königin grüßend, auf den Platz.

Marie-Antoinette beugte dankend das Haupt. Sie wollte sprechen, fand keinen Ton in der Kehle, riß sich zusammen, schluckte und brachte mit leise vibrierender Stimme hervor: »Einem gewöhnlichen Feinde, einem Manne gegenüber, der den Untergang des Königtums geschworen hätte, ohne dessen Vorteil für ein großes Volk zu erwägen, würde ich in diesem Augenblick den unpassendsten Schritt tun. Aber da ich zu einem Mirabeau spreche – –«

Sie brach ab mit einer zaghaften, trotz aller Beherrschung echt weiblich hilflosen, rührenden Bewegung.

»Madame,« fiel er ein, »Sie täuschen sich in mir.«

»Wollen wir uns setzen?« unterbrach sie leise und schritt auf die Bank zu.

»Sie täuschen sich in mir, Madame«, begann er von neuem. »Ich habe nie geschworen, das Königtum zu stürzen. Im Gegenteil. Ich werde sein, was ich immer gewesen bin: der Verteidiger der durch die Gesetze geregelten Königsgewalt und der Apostel der durch die Königsmacht gewährleisteten Freiheit. Ich habe mich, solange ich lebe, zu monarchischen Grundsätzen bekannt. Ich habe es getan, als ich im Hofe nur seine Schwäche sah und, noch unbekannt mit der Seele und den Gedanken der Tochter Maria-Theresias, auf diese erhabene Helferin nicht rechnen konnte.«

Marie-Antoinette zwang sich zu einem kleinen Lächeln des Dankes, das sie wundersam verschönte.

Mirabeau sah es; voll Eifer und Überzeugung sprach er fort: »Ich habe für die Rechte des Thrones gekämpft, als ich nur Mißtrauen einflößte und alle meine Schritte, von Böswilligkeit vergiftet, nur Fallstricke schienen. Ich habe dem Monarchen Dienste geleistet, als ich sehr genau wußte, daß ich von einem gerechten, aber hintergangenen Könige weder Wohltaten noch Belohnungen zu erwarten hatte.«

Der Königin Miene, die schon die nervöse Spannung zu verlieren begann, verfinsterte sich. Ganz leise rückte sie von dem Manne ab. Sie hatte fast vergessen, daß der König ihn gekauft hatte.

Doch Mirabeau merkte diese sachte Bewegung der Königin nicht. Hingerissen von ihrem Scharm, sprudelte er hervor: »Was werde ich jetzt erst tun, wo das Vertrauen der Majestäten meinen Mut wieder aufgerichtet, wo Dankbarkeit aus meinen Grundsätzen meine Pflicht gemacht hat.«

Die Königin nickte befangen.

Mirabeau geriet – wie immer Frauen gegenüber, die Saiten in ihm erklingen ließen – in Begeisterung.

»Man hat in Beziehung auf Gott gesagt,« rief er, »arbeiten heiße, zu ihm beten. Man muß in Beziehung auf die guten Könige und Königinnen sagen, ihnen dienen heißt, ihre Wohltaten erkennen.«

Marie-Antoinette lächelte rätselhaft.

Da ward er ritterlich. »Madame, auf Sie setze ich bei unserem Rettungswerk all mein Vertrauen. Der König hat nur einen Mann: Sie.«

»Sie sind sehr liebenswürdig«, quittierte die Königin.

»Für Sie, Madame, gibt es nur Sicherheit in der Wiederherstellung der königlichen Gewalt. Ich glaube, annehmen zu dürfen, daß Sie das Leben ohne die Krone verachten.«

»Sie dürfen es annehmen, Herr Graf!« sagte sie stolz.

»Nun, Madame, Sie werden Ihren Mut brauchen, wenn man nicht folgsamer auf meine Ratschläge hört. Der Augenblick kann kommen und vielleicht bald, da Sie werden erproben müssen, was eine Frau und ein Kind zu Pferde vermögen!«

»Ich verstehe nicht recht –!«

»Es kann der Tag kommen, da Sie, Madame, den Dauphin vor sich im Sattel, dem Volke durch Ihren Mut die Anerkennung werden abtrotzen müssen, die man Ihnen versagt.«

Sie nickte vor sich hin. Dann hob sie den Kopf und sagte: »Das ist bei uns Familientradition.«

»Ich weiß«, bestätigte er. »Ihre erhabene Mutter hat es in den Nöten des österreichischen Erbfolgekrieges getan. Doch ich hoffe, diese Probe auf Ihre Kühnheit bleibt Ihnen erspart. Aber nur dann, Madame,« – er sprang erregt auf – »wenn man handelt, sich rüstet und nicht glaubt, man könne sich aus dieser außerordentlichen Krisis durch einen Zufall oder durch die gewöhnlichen Mittelchen retten. Man muß handeln, handeln, Madame!«

Ihre Hände spielten unruhig auf ihrem Schoße. »Ich weiß, Herr Graf, Sie haben Grund, mit uns unzufrieden –«

Da knackte es in den Zweigen. Mit seinem behäbigen, watschelnden Gang nahte der König.

Nach flüchtiger Begrüßung sagte er: »Lassen Sie sich nicht stören. Ich höre zu.«

»Sire,« hob Mirabeau wieder an, »ich habe mir soeben gestattet, darauf hinzuweisen, daß jetzt unbedingt gehandelt werden muß. Ich habe in meinen Noten einen regelrechten Plan zur Rettung der Monarchie entwickelt. Sire, Sie kennen ihn und müssen danach handeln. Die Nationalversammlung bemächtigt sich, ohne daß es in meiner Macht als Abgeordneter steht, es zu verhindern, immer mehr der Zügel der Regierung. Sie wird sie bald ganz in Händen halten. Meine Mühen gehen, wie ich wiederholt ausgeführt habe, dahin, an den der Nation und dem Monarchen gemeinsamen Errungenschaften der Revolution festzuhalten, jedoch die republikanischen Ideen auszumerzen, die einen Kodex der Anarchie, der bürgerlichen Zwietracht und der Autoritätskämpfe aus ihnen machen.«

»Sehr richtig«, murrte der König. Aber Mirabeau hatte den Eindruck, er folge seinen Ausführungen nicht. Er hatte sehr interessiert dem Spiel zweier verliebter Finken im Gebüsch zugeschaut. Doch Mirabeau sprach ja nur für die Königin. Die riß ihm jetzt die Worte vom Munde.

Er erörterte dann Einzelheiten seines Planes, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, eine Majorität im Volke und in der Versammlung für den König zu bilden. »Der Hof muß die alte Beamtenschaft, den Adel und die Geistlichkeit unwiderruflich aufgeben. Seine Kraft wird auf der Majorität beruhen, die zu schaffen ist und geschaffen werden kann. Sich ihr anschließen, heißt, das Recht und die Mittel ihrer Führung erwerben, und führen heißt regieren.«

Nun sprach er von den Männern, die diese Majorität führen sollten. »Der Beschluß über die Minister vom 7. November muß durch die neue Majorität aufgehoben werden. Man wird ihn aufheben, denn sonst kann die vollziehende Gewalt nicht neu belebt werden, die Macht der Krone nicht neu erstehen und mit der nationalen Freiheit nicht in Einklang gebracht werden. Wählen Sie, wenn der fatale Beschluß gefallen ist, mutige, entschlossene und geschickte Männer zu Ihren Ministern.«

»Ja – ja«, nickte der König gleichgültig.

Marie-Antoinette errötete. Sie schämte sich dieses Königs vor diesem Manne, aus dessen Mund Staatsweisheit und Entschlossenheit flammte. Sie bewunderte ihn, fühlte sich zu ihm hingezogen in dem Wunsche des Weibes nach Geborgenheit, in der Sehnsucht der Königin nach Hilfe, in der Furcht der Mutter nach Rettung ihrer Kinder.

»Sprechen Sie weiter, sagen Sie das Letzte«, bat sie herzlich, das törichte Wort des Königs zu überschatten.

Da sagte Mirabeau das Letzte, sagte es, nur zur Königin gewandt: »Haben Sie Vertrauen zu mir. Sie wissen, Graf de la Marck beehrt mich mit seiner Freundschaft. Glauben Sie mir, um der Freundschaft dieses Mannes willen, der Sie – nur auf dem Schafott verlassen wird.«

Die Königin erbleichte.

Ludwig aber rief: »Was? Was?!« Und eilte entrüstet von hinnen.

Ohne seine Flucht zu beachten, vollendete Mirabeau: »Ja, Madame, ich sehe sehr ernste Gefahren. Ich deute sie an, selbst auf die Gefahr hin, zu mißfallen. Treue besteht doch wohl darin, eben den Gefahren die Stirn zu bieten, die man kommen sieht und die man abgewendet hätte, wenn man erhört worden wäre. Handeln Sie, Madame, nach meinem Plane. Glauben Sie, daß ich alle Gefahren der gegenwärtigen Lage nur deswegen hier nicht schildere, weil ich Ihrer Einbildungskraft und Ihrem Gefühle kein Gemälde vorführen will, dessen Scheußlichkeit Sie, wenn Sie nicht handeln, ohne allen Nutzen betrüben würde. Ich aber werde dieses grausige Gemälde immer vor Augen haben, um wenigstens einigen Erschütterungen vorzubeugen, und werde es beklagen, daß ein so gütiger Fürst und eine von der Natur so hochbegabte Königin so wenig zur Wiederherstellung ihres Landes vermocht haben. Handeln Sie, Madame. Sonst ist die Zeit nicht fern, da ich selbst, und wahrscheinlich als einer der ersten, unter der Sense des Schicksals falle und ein denkwürdiges Beispiel dessen gebe, was Männern bevorsteht, die in der Politik ihren Zeitgenossen vorauseilen!«

Er schwieg erschöpft.

Auch Marie-Antoinette fand in Erschütterung keine Worte. Sie saß auf der Bank mit schlaff hängenden Händen, den Kopf tief zur Brust gesenkt. Sonnenflecke spielten auf ihrem Haare, das an so vielen Stellen schon kummersilbrig glänzte. Das Grauen war von diesem wundersamen Manne abgefallen. Das war nicht mehr der Volksverhetzer, der Aufrührer, der böse Dämon der Revolution. Der Zauber seiner Persönlichkeit hatte auch an dieser königlichen Frau seine Wunder gewirkt. Voll Staunen hatte sie gesehen, wie sein brutales blatternarbiges Gesicht sich im Sprechen verschönte, vergeistigte, strahlte vor innerem Reichtum, vor Güte, vor reiner, lauterer Menschlichkeit. Ihr Zartgefühl empfand, daß hier ein großer Mensch, eine unbändige Kraft, der einzige wahre Mann, der ihr in ihrer schöngeistigen galanten Umgebung je entgegengetreten war, sein Leben für ihre Rettung wagte. Sie hörte sehr wohl den echten Klang echter Treue und Hingebung. Sie begriff, daß er wohl aus Not Geld genommen, aber seine Grundsätze nicht verkauft hatte. Sie glaubte, sie vertraute ihm; sie sah in ihm die Rettung, die lang erhoffte glückselige Rettung aus aller schweren Not.

Die Freude ihrer Erwartung hob sie endlich von der Bank, trieb sie ihm zu. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und sagte vor Erregung und Hoffnung bebend: »Herr Graf, ich danke Ihnen. Ich vertraue Ihnen. Ich fühle in Ihren belebenden Worten, das Herz des wahren Freundes schlagen. Vertrauen Sie auch mir. Ich werde Ihrem Worte Ehre machen und mich als den einzigen Mann des Königs erweisen. Ich werde nach Ihrem Plane handeln.«

Und doch war sie gerade in diesen Worten ganz Weib, ganz Hingabe an ihr aufgewirbeltes Gefühl, ganz Weib im Banne der überlegenen, bezwingenden Macht des Mannes.

Mirabeau fühlte seinen Sieg als Mann. Die Freude an dieser bezauberten Frau machte ihn trunken. Er beugte sich über ihre Hand, küßte sie stürmisch und rief: »Madame, die Monarchie ist gerettet!«


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