Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Der Sturm seiner Begeisterung war den Ereignissen vorausgebraust. Der Regierung war vor ihrem eigenen Mute angst geworden. Die Einberufung der Reichsstände war, als Mirabeau mit Weib und Kind in Paris eintraf, auf fünf Jahre vertagt worden.

Das Volk siedete in kochender Enttäuschung. Der Kessel war zum Bersten überhitzt, das Ventil wieder geschlossen, die Explosion konnte und mußte jeden Augenblick erfolgen.

Mirabeau kam, sengend vor Begierde, sich auf die Tribüne der Nationalversammlung zu stürzen und Herkulestaten zu vollbringen, und fand alles beim alten: Furcht der Regierung vor Entschlossenheit bei allgemeiner Erkenntnis, daß etwas zur Rettung der Finanzen, zur Linderung der allgemeinen Not geschehen müsse. Haß in jedem aufrechten Herzen gegen den Despotismus der Minister, gegen die Parteilichkeit der Gerichte; laute Forderungen in jedem Salon, in jeder Kneipe, dem Bürger Anteil an der Regierung zuzugestehen, ihn vom sklavischen Produkt der Staatsmaschine zu ihrem führenden Maschinenmeister zu erheben; und Feigheit vor jedem kühnen Schritte nach vorn, der dem Volke gab, was es zu Recht forderte und das wankende Königtum noch in zwölfter Stunde retten konnte.

Es war hier, wie vor jeder großen Revolution der Weltgeschichte. Starres, verbohrtes Festhalten an überlebten Systemen seitens der Regierenden, die allein unter allen Sehenden blind sind oder die Augen fanatisch davor verschließen, daß ein mannhaft beherztes Gewähren von Rechten und Freiheiten, die keine Macht der Erde mehr vorenthalten kann, heldenhafter, staatsklüger und erhabener ist, als sie sich mit Gewalt entwinden zu lassen in einem Ansturm, der leicht auch das über den Haufen rennt, was noch lebensfähig war.

Noch jede Regierung vor großen Revolutionen hat in Verkennung des Waltens der Geschichte alles versagt, um alles zu verlieren.

Das erkannte Mirabeau. Er war Royalist und blieb es sein Leben lang. Er wollte nicht den Fall der Bourbonen. Er wollte den Thron nicht stürzen. Ihm schwebte ein Parlamentarismus nach englischem Muster vor. Sein Ziel waren Reformen in drei Richtungen: Mitbestimmung des Volkes bei der Festsetzung der Steuern; Mitwirkung des Volkes bei der Gesetzgebung; Aufhebung der Willkür, die des Königs Namen schändete, Gewährleistung der persönlichen Freiheit jedes Bürgers; Reform der Gerichte.

Durch die unentschlossene Zaghaftigkeit der Regierung sah Mirabeau bei seiner Ankunft in Paris das Reformwerk gefährdet. Trieb der furchtsame Starrsinn des Hofes und des Ministeriums Necker das enttäuschte Volk zum Äußersten, barst der Kessel, dann mußte das ganze Staatsgebäude mitsamt dem Throne in die Luft fliegen.

Er beschloß, zu handeln. Er wollte unter der entmannten Schar der Herr der Tat werden.

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herr de Vergennes, der in Mirabeaus Berliner Berichten so schmerzlich das Genie verkannt hatte, war gestürzt. An seine Stelle trat der Graf von Montmorin. In ihm sah Mirabeau den fähigsten Kopf des Ministeriums. Ihn erkor er zum Sprachrohr zu des Königs Ohr.

Der junge Minister empfing ihn sehr entgegenkommend mit den Worten:

»Ich freue mich, Herr Graf, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Als Beamter des Ministeriums des Auswärtigen unter meinem Herrn Vorgänger hatte ich Gelegenheit, Ihre Berliner Berichte zu lesen. Ich kenne also Ihren politischen Verstand, Ihre profunde Fähigkeit, auf den Grund der Dinge zu blicken, Erscheinungsformen zum Zeitbilde zu verbinden, Schlüsse für die Zukunft aus ihnen zu ziehen. Ich kenne Ihren Sinn für die realen Forderungen politischer Zustände und Ihr Talent, Mittel zu ihrer Verwirklichung zu finden. Sie sind mir also kein Fremder. Dies wollte ich vorausschicken, ehe ich Sie frage, weshalb Sie diese Audienz bei mir nachgesucht haben.«

Befeuert durch diesen vielversprechenden Empfang, erklärte Mirabeau offen: »Herr Graf, zweierlei führt mich zu Ihnen und gerade zu Ihnen, weil ich Sie von allen Ihren Kollegen am höchsten achte und schätze.«

»Also Gegenseitigkeit«, lächelte Montmorin. Der Graf nickte.

»Ich komme, von Ihnen etwas zu erbitten und Ihnen etwas anzubieten.«

»Darf ich zunächst erfahren, womit ich Ihnen dienen kann?« fragte der Minister verbindlich.

»Ich biete Ihnen«, begann Mirabeau fest, »schlecht und recht meine Dienste an. Ich möchte jedoch nicht verfehlen, gleich zu erwähnen, daß ich einen Posten, auf dem es zu handeln gilt, einer Stelle mit spekulativer Tätigkeit vorziehe. Als was und wie Sie mich beschäftigen, ist mir im übrigen gleich, sofern ich nur endlich in die Laufbahn hineinkomme, auf die ich mit Rücksicht auf meinen Namen, meine Reisen, mein Wissen und meine Geschäftsgewandtheit – die Sie, Herr Graf, ja selbst zu erwähnen die Güte hatten – rechtmäßige Ansprüche zu besitzen glaube.«

Der Minister legte nachdenklich die Fingerspitzen seiner aristokratischen schmalen Hände gegeneinander.

»Sie wünschen also eine Staatsstellung, Herr Graf?«

»Ja. Eine Stellung, die mich meiner natürlichen Laufbahn zuführt und mir Gelegenheit gibt, mich im rechten Lichte zu zeigen.«

»Auf welche Weise?«

»Das überlasse ich Ihnen, Herr Graf, mir den Platz und das Gehalt anzuweisen. Sie allein können die Höhe meines Einkommens bemessen, da Sie allein wissen, wozu ich tauge – ein Umstand, der mich sehr glücklich macht.«

Montmorin schwieg überlegend.

»Sie werden begreifen, Herr Graf, daß ich eine so wichtige Entscheidung nicht aus dem Stegreif fällen kann. Sie werden mir einige Tage Bedenkzeit gewähren.«

Mirabeau verbeugte sich zustimmend.

»Und nun – was bringen Sie mir?«

Er lächelte liebenswürdig.

Da richtete Mirabeau sich auf. Er war nicht mehr der demütige Bittsteller, er wurde die mahnende donnernde Stimme der Zeit.

»Ich werde offen sprechen, Herr Graf.«

»Ich bitte darum.«

»Die Regierung ist – soweit ich sehe – von jener schrecklichen Krankheit befallen, die sich niemals zu dem Entschluß aufraffen kann, heute zu bewilligen, was man ihr morgen doch unfehlbar mit Gewalt entreißen wird. Wenn die Umstände gebieterisch die sofortige Einberufung der Reichsstände fordern, warum verschiebt man sie auf das Jahr 1792?«

Sein Ungestüm hob ihn aus dem Sessel. Er sprang auf, hingerissen von seinem Genie, das eine Flamme war aus Leidenschaft und kühlem Erwägen, aus Instinkt und Überlegung, aus Kühnheit und wägender Erkenntnis.

»Die Lage der Nation ist eine zu kritische, als daß man denjenigen, die sie dahin gebracht haben, erlauben könnte, sich noch weitere fünf Jahre mit allerhand bedenklichen Mitteln zu behelfen und fünf bis sechs Millionen zu entlehnen, bloß um über einige nutz- und fruchtlose Jahre hinüberzukommen. Ein Lustrum ist für unser bewegliches Volk ein ganzer Zyklus. Die treibende Kraft ist derart, daß selbst diejenigen, die sie in schlimmer Absicht in Bewegung gesetzt hätten, sie in ihrem Laufe nicht mehr aufhalten könnten. Unsere Zeit ist zu weit vorgeschritten, und die Geister befinden sich in zu großer Gärung, als daß wir irgend etwas von dem, was wir errungen haben, wieder verlieren dürfen.«

Wie immer, wenn eine Idee ihn packte, ward er zum elementaren Redner, ob Einer ihm lauschte oder Hunderte.

Montmorin atmete kaum, seine Augen hingen gebannt an diesem beredtesten Munde des Jahrhunderts.

»Sie wissen, Herr Graf, wie groß die Not im Lande ist. Der König hat die Reichsstände versprochen. Er nimmt sein Wort zurück, er vergißt, daß des Königs einfaches Wort mehr gelten muß als der Eid eines anderen Mannes. Gegen diese Feigheit, welche Ruinen sät und zur Empörung reizt – gegen diese Kaligulapolitik, die zweihunderttausend Bürger vor die Wahl stellt, den Hungertod zu sterben oder vom Verbrechen zu leben, gibt es nur ein Mittel.«

Er schwieg.

»Welches?« fragte Montmorin.

»In unzweideutiger, feierlicher Sprache die Reichsstände, die man nicht länger entbehren kann, sofort einzuberufen. Die Eröffnung der Nationalversammlung wieder hinausschieben, heißt, alles in der Not, der Stockung, der Gesetzlosigkeit lassen und einen furchtbaren Aufstand hervorrufen. Sie vorbereiten, ankündigen, ernstlich wollen aber heißt, dem Volk und dem König das schönste Jahr seines Lebens geben.«

Er schwieg abwartend. Da Montmorin nichts entgegnete, fuhr er mutig fort: »Für mich hat der Ministerrat nur zwischen zwei Entschlüssen zu wählen: zwischen einem furchtbaren Verbrechen und einem Wohltätigkeitsakt von gebieterischer Notwendigkeit. Ein Drittes gibt es nicht! Und hier sollte man zögern?!«

Und hoch sich emporhebend, aufwachsend zum schlagenden Gewissen der Zeit rief er prophetisch warnend: »Herr Graf, ich frage Sie: hat man auch das Wüten des Hungers und das Schreckgespenst der Verzweiflung in die Berechnung dieser Versagung der Reichsstände eingestellt?! Ich frage Sie: wer wird den Mut haben –, die Gefahren zu verantworten, die dem Hofe oder gar der persönlichen Sicherheit des Königs und der Königin selbst erwachsen werden? Folgen Sie, Herr Graf, ich beschwöre Sie, folgen Sie der Stimme Ihres Gewissens und Ihrer Weisheit, sprechen Sie freimütig zum Könige, sagen Sie alles und – wenn man Sie nicht versteht – treten Sie lieber zurück, als daß Sie den Vorwurf auf sich laden, einem Ministerrate angewohnt zu haben, welcher die Schande Frankreichs beschloß. Es gibt Augenblicke, Graf, in denen Mut sich als Vorsicht äußert, in denen Schonung zum Verbrechen und Schweigen zur Ehrlosigkeit wird. – Das, Herr von Montmorin, wollte ich Ihnen bringen.«

Er setzte sich und tupfte mit dem Taschentuche die Tropfen der Erregung von der gewaltigen Stirn.

Der Minister seufzte bekümmert. »Ich danke Ihnen, Herr Graf«, sagte er dann langsam. »Was Sie da in solch bewegenden Worten aussprachen, ist auch meine Überzeugung. Sie kennen aber den Mangel an Entschlossenheit des Chefs des Ministeriums und meiner Kollegen. Ich verspreche Ihnen trotzdem, im nächsten Ministerrate Ihre Worte zu wiederholen. Mehr kann ich leider nicht zusagen. Mehr leider nicht –.«

»Es wird Frankreich in Trümmer schlagen, wenn die Minister zögern«, weissagte Mirabeau dumpf und erhob sich.

Der Minister geleitete ihn zur Tür.

»Nochmals herzlichen Dank für Ihre patriotische Tat«, sagte er dort. »Und wegen Ihrer Anstellung hören Sie sehr bald von mir.«

Er hörte bald. Er hörte, daß der Ministerrat, und vor allem Necker, es abgelehnt hatte, ihm eine Staatsstellung zu gewähren. Die Verirrungen seiner Jugend, sein übler Leumund, die Abenteuer von Grasse, Château d'If, Pontarlier, Dijon, Vincennes, die Pariser Intrige mit Julie Dauvers stempelten ihn zu einem berüchtigten Individuum, für das kein Platz sei unter einer ehrenwerten Beamtenschaft. Montmorin bedauerte ehrlich und versicherte ihn seiner persönlichen Teilnahme.

Doch von ihr konnte Mirabeau Yet-Lie, Coco und sich nicht sättigen, kleiden, behausen.

Daran, daß alles beim alten blieb, daß fortgewurstelt, daß die sofortige Einberufung der Reichsstände nicht proklamiert wurde, erkannte er mit schmerzgeschwelltem Herzen, daß seine warnenden Worte im Ministerrat und beim König auf steinigen Boden gefallen waren und verdorrten.

Ihm bangte um das Vaterland. Doch seine nächste Sorge mußte dem nackten Lebensunterhalte gelten. Wohltun beginnt zu Hause. Er schrieb wieder eine Broschüre: »Aufdeckung des Börsenschwindels«, in der er Neckers »hirnverbranntes System, die Kriegsbedürfnisse durch fortgesetzte Anleihen ohne Steuern decken zu wollen, wobei er allen Ruhm ernten und seinen Nachfolgern die schwierigste Aufgabe hinterlassen konnte«, heftig angriff, und anderes. Vor allem vollendete er ein Werk, das er in Berlin begonnen hatte: »Die preußische Monarchie.« Es war ein Buch in vier Bänden, bei dem ein gelehrter preußischer Geniemajor, Herr von Mauvillon, mitgearbeitet hatte.

Es galt, für diese »Riesenkompilation« einen Verleger und damit die materielle Ausbeute dieser gigantischen geistigen Anspannung zu finden.

Das dicke Manuskript unter dem Arm wanderte Mirabeau zu dem Buchhändler Lejay, den man ihm als besonders rührig bezeichnet hatte. Vor dem Schaufenster blieb er stehen und überflog kritisch den Wust von neuen Büchern, Broschüren, Pamphleten, die der trächtige Boden und die Treibhausschwüle dieser aufgewühlten Zeit in tropischer Fülle gebar. Dann trat er in dein schmalen Laden. Ein alter Mann, in abgetragenem Rocke, mit muffiger zerfressener Perücke, fahlgelben Zügen und tragischen Augen fragte nach seinem Begehren. Er verlangte den Buchhändler Lejay.

»In welcher Angelegenheit?«

»Eine Verlagssache.«

»Wollen der Herr sich dann bitte in das Privatkontor bemühen.« Der Alte zeigte auf eine kleine Tür im Hintergrunde des Ladens.

Mirabeau klopfte. Eine helle Stimme rief: »Entrez!«

Er trat in ein enges halbdunkles Bureau, in das spärliches Licht durch ein Hoffenster sickerte. Am Tisch saß, über ein Manuskript lesend gebeugt, eine Frau von etwa dreißig. Sie hob den Kopf, das Licht der Hängelampe spielte in ihrem rötlichen Haare.

»Sie wünschen?« fragte sie schroff.

»Ich möchte Herrn Lejay in einer Verlagssache sprechen.«

»In Verlagssachen bin ich Herr Lejay«, sagte die Dame mit einem kleinen ironischen Lächeln.

»Ah,« scherzte Mirabeau, »solche Herren Verleger liebe ich.« Und nannte seinen Namen.

Da schnellte die Dame empor und bewillkommnete ihn herzhaft.

»Graf Mirabeau?! Welch illustrer Gast in meinem armseligen Bureau! Nehmen Sie Platz. Was bringen Sie?«

Mirabeau wies sein Manuskript.

»Was ist es?« sprudelte sie. »Etwas Pikantes, Erregendes? Etwas erotisch oder politisch Aufpeitschendes, wie Ihre ›Haftbefehle und die Staatsgefängnisse‹, die vor etlichen Jahren erschienen? Das war ein Erfolg, sapperment!«

»Leider hatte ich persönlich nichts davon. Ich habe das Manuskript für wenige Livres verkauft.«

»Ach?! Und der Verleger hatte außerdem noch das Glück der Reklame durch das Zensurverbot. Ist dies etwas Ähnliches?«

Während sie sprach, betrachtete der Graf sie neugierig. Diese Geschäftsfrau war hübsch, zum mindesten sehr eigenartig. Das rote Haar straff aus der Stirn zurückgestrichen und im Nacken zu einem dichten Knoten aufgesteckt. Der Haaransatz über der Stirn schimmerte goldhell und stand wie eine Gloriole um ihr Haupt. Das Gesicht offen und breit, die Züge regelmäßig, die rötlichen Brauen voll, aber sehr schön in der Zeichnung, der Mund groß, üppig und schamlos lüstern. Zwischen den verlangenden Lippen, die aussahen, als hätten sie eben Blut getrunken, beutegierige starke Zähne. Über dem Nasenrücken lief eine Milchstraße von Sommersprossen, sehr pikant, und erhöhte die Klugheit des Gesichtes. Die im Lampenlicht funkelnden grünen Augen gaben ihr etwas Vampirhaftes. Etwas, das Grauen erweckte und Versuchung.

»Hm,« entgegnete der Autor, »pikant aufpeitschend ist dieses Buch gerade nicht. Es ist ein staatswissenschaftliches Werk über die Monarchie Preußen, aus Studien und eigener Wahrnehmung im Lande selbst erwachsen.«

Sie nahm die Blätter und spielte mit ihnen.

»Raubtierhände«, dachte Mirabeau. Die Frau umklammerte seine Neugier.

»Preußen steht heute im Mittelpunkt des Interesses«, nickte Madame Lejay. »Alles fragt sich, was unter der Mätressenwirtschaft in Berlin aus dem Reiche Friedrichs des Großen werden wird. Das« – sie tippte auf das Manuskript – »kann schon was sein. Freilich ein Sensationsschlager ist es nicht. Haben Sie nicht etwas Derartiges? ›Die Mätressenwirtschaft in Berlin‹ oder sonst etwas, was die Leute auf kitzelt? Besser als Staatsweisheit gehen heutzutage Intimitäten, Alkovengeheimnisse der Großen. So was zieht. Die kleinen Leute sehen gern wonnegruselnd, daß auch ihre Halbgötter im Menschlichen sehr menschlich sind.«

Mirabeau breitete bedauernd die Arme aus.

»So etwas habe ich leider nicht.«

»Schade. So was, mit Ihrem Namen, wäre ein einträgliches Geschäft für Sie und für mich. Also, halten wir uns an diese Geschichte Preußens. Immerhin etwas von höchst aktuellem Interesse. Ich werde es gleich lesen. Wollen Sie bitte in zwei – hm, das Manuskript ist sehr umfangreich – in drei Tagen wieder vorsprechen.« Damit reichte sie ihm die Hand. Die Fläche hatte eine eigentümlich feuchte saugende Wärme. Ihre Berührung erregte. Mirabeau schoß das Blut ins Gesicht. Sie sah es, lächelte und nickte ihm noch zu, als er die Tür schloß.

Sie blickte ihm mit bebenden beweglichen Nasenflügeln nach, als atme sie die zurückgebliebene Luft seiner Körperlichkeit ein, dachte: ein Monstrum, ein Riese, ein Ungeheuer – stark muß der sein – stark! – Ein Schauer schüttelte sie. Dann warf sie sich mit dem Körper über das Manuskript, wie ein Krallentier über seine entsetzensgelähmte Beute. –

Pünktlich nach drei Tagen war er wieder zur Stelle.

»Ich nehme das Werk«, erklärte Madame Lejay würdig. »Es ist nicht der Schlager, den ich suche. Durchaus nicht. Aber es sind Stellen darin, die Sie überleben werden. Das Porträt Friedrichs des Großen wird solange wie der König selbst im Gedächtnis der Menschen leben. Das stellt Sie neben unsere größten Meister hartumrissener Menschenzeichnung. Sie stehen da ebenbürtig neben Saint-Simon.«

Sie wurden rasch handelseinig.

Dann lehnte sie sich über das Pult zu ihm hinüber, der ihr gegenüber saß, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und lächelte: »Jetzt aber muß ich Sie zu einem Schlager verführen. Hören Sie, ich brauche dringend einen Schlager!«

Ihre Augen phosphoreszierten. Er sah in den Ausschnitt ihres grünen Seidenkleides hinein, das in hellem Schmelz gegen ihr rotes Haar stand. Sie wußte, daß seine Augen frech ihren Busen umtasteten. Die Haut, diese überweiße Haut der rötlichen Blondinen, straffte sich unter seinem Blicke. Sie schielte aus engen Augenspalten schräg zu ihm empor.

Er dachte belustigt. »Hallo, welcher Aufwand an Reizmitteln! Ich bin ja gar keine so stolze Festung. Ich streiche ja gern die Flagge vor soviel Klugheit und Lockung. Mit solch großer Wildkatze zu spielen, hat sicher seine geheimen Reize.«

Er scherzte. »Madame, ich lasse mich von Ihnen mit Freuden zu jedem literarischen wie andern Exzeß verführen. Bestimmen Sie Ort und Zeit.«

Sie glitt langsam, mit einer pantherhaft gleitenden Bewegung in ihren Stuhl zurück.

»Heute ist Mittwoch. Da spielt die Comédie Italienne. Haben Sie die ›Witwe von Malabar‹ schon gesehen, die sie jetzt wieder spielen?«

Mirabeau verneinte. Seine Kasse gestattete keinen Leichtsinn.

»Gut. Dann sichern Sie uns eine Loge. Wir treffen uns vor dem Theater.«

Der Abschiedsblick der schillernden Augen ließ ihn alles erwarten.

Er ging zur Kasse und kaufte die Billetts. Er hatte ja soeben einen Teil des Verlagshonorars erhalten.

Auf dem Heimweg beschloß er, Yet-Lie diese neue Verführung zu verschweigen. Sie war zwar großzügig, hatte die verschiedenen kleinen Ausflüge aus ihrer Liebe in den vier Jahren ihres Zusammenlebens nicht allzu tragisch genommen, sondern lachend gesagt: »Du bist unverbesserlich, mein Lieber. Sowie du irgendwo ein hübsches Lärvchen siehst oder eine Kokette, deren Entgegenkommen dich reizt, gleich fängst du Feuer. Aber ich bin deines Herzens sicher, das genügt mir. Und so ertrage ich die Launen deines Temperamentes in Geduld.«

Sie sagte es lächelnd, in ihren schönen Kinderaugen glänzte aber doch ein feuchter Stern. Warum sollte er ihr also den Kummer bereiten?!

Er erfand abends eine Ausrede.

Madame Lejay trug einen kostbaren Reifrock aus schwerem, gesticktem, violettem Brokat. Sie bevorzugte offenbar lebhafte Farben. Ihr Kleid verriet Geschmack, Takt und Mittel. Später erfuhr er, daß sie bei Rose Bertin, dem Modegenie Marie-Antoinettes, arbeiten ließ. Da begriff er, daß sie ihren Mann ruiniert hatte.

Sie waren allein in der Loge. Das weit nach beiden Seiten abstehende, gefältelte Oval des Rockes hinderte ihn, sich ihr im Dunkel zu nähern. Aber er fühlte ihre grüne Iris aus den Winkeln der Augen zu ihm herüberfunkeln. Ihre Glieder bewegten sich unruhig. Noch niemals hatte so aufreizend das Bewußtsein in ihm gebrannt, daß der Körper der Frauen, nur in spinnwebfeine Wäsche gehüllt, fast nackt inmitten der weiten Bauschung dieser Reifröcke stand.

Nach der Vorstellung gingen sie ins Palais-Royal. Sie sprachen launig über die Vorstellung, doch ihre Gedanken eilten voraus zu den kommenden Dingen.

»Trotz des großen Erfolges«, kritisierte Mirabeau, »ist die ›Witwe von Malabar‹ ein sehr schlechtes Trauerspiel.«

»Vor allem scheint mir diese Sitte, die Witwe zusammen mit dem Gatten dem Tode zu übergeben, ungalant«, scherzte sie mit ihrer heiseren Stimme. »Jedenfalls scheint es mir unwahrscheinlich, daß sie je in Frankreich ansteckend wirken wird. Vor allem finde ich sie ungerecht. Ich, die ich die Ehe immer ein wenig traurig gefunden habe, gestehe, daß die Aussicht auf den Scheiterhaufen sie nicht fröhlicher macht.«

»Vor allem finde ich«, bedachte er heiter, »auch darin eine Ungerechtigkeit, das Leben einer Frau von einer Krankheit abhängig zu machen, die der Mann vielleicht außerhalb des Hauses erworben hat. Stirbt der Mann dann, weil er untreu war, so müßte doch die Frau sterben, weil sie treu war – offenbar etwas hart.«

Sie lachte. Ihre blutigen Lippen lechzten.

Er fuhr fort: »Und dann, man muß mit den Sterbenden Mitleid haben. In Wahrheit sind manche Männer ihrer Lebensgefährtin so überdrüssig, daß die Zumutung, sich mit ihrer Frau zusammen auf den weiten Weg zu machen, nicht gerade das ist, was ihnen das Schwere, das ihnen bevorsteht, erleichtern kann.«

»Sie sind ein Arger!« schalt sie, hob die Serviette an die Lippen und sah ihn von unten herauf mit glitzernden koketten Augen an.

»Übrigens«, sagte sie, »verstehe ich den Erfolg des Stückes sehr gut. Wie Larive die Sainval von dem Scheiterhaufen herabreißt, das benimmt geradezu den Atem.«

Mirabeau lachte verstehend. »Ja doch! Es ist ein Kraftstück. Der Schauspieler ist stark, er hebt die Partnerin fast mit einer Hand herunter und trägt sie fort. Die Damen, die von dem, was sie sehen, auf das schließen, was ihre Phantasie ihnen ausmalt, und alles, was Kraft ist, sehr schätzen, finden diesen Theatereffekt ganz ungeheuer interessant. Ich begreife.«

»Lachen Sie nicht so schmutzig«, schmollte sie. »Kraft bei einem Manne ist etwas Betörendes.«

»Das weiß keiner besser als ich!«

Sie sog die Luft schwer ein durch ihre pikant zitternden Nasenflügel.

»Wie ich in jedem Nerve diese Kraft fühle, die von Ihnen ausströmt!«

Ihre Augen umflorten sich.

»Sie sind herrlich in der Nacktheit Ihrer Sinne«, flüsterte er heiß.

Sie stand auf. »Gehen wir!« Ihr Gesicht verschloß sich verlangend.

»Wohin?« fragte er.

Sie sah ihn erstaunt an.

»Meine Wohnung ist leider schon besetzt. Ich lebe seit vier Jahren mit einer Geliebten zusammen.«

»Bei mir ist mein Mann.«

»Ich glaubte, er wäre verreist.«

»Verreist?! Sie haben ihn doch gesehen.«

»Ich? Nein.«

»Aber doch. Im Laden.«

Er stutzte. Dieser alte verbrauchte Ladenhüter mit den tragischen Augen war ihr Mann! »Also – wohin?« fragte er unsicher.

»Ins Hotel Vaudreuil«, entschied sie und preßte leidenschaftlich die Finger gegen die Handflächen.

»Die weiß Bescheid«, dachte er und reichte ihr den Arm.

Es ward eine Nacht voller Ekstasen und phantastischer Erotik, jenseits aller von diesem vielgeliebten Manne erträumten Möglichkeiten.

Als er sie gegen Morgen heimbrachte, war es ihm, als sei er zum ersten Male in den Mysterien Astartes erschauert. Ihre blutsaugenden Küsse, ihre raubtierwilde Hingabe, ihre vampirhafte Gier brannte in seinen Adern.

Yet-Lie richtete sich wach im Bette auf, als er ins Zimmer trat. Ein Blick sagte ihr alles. Sie wandte sich stumm zur Wand. –

Es kamen schwere Zeiten für die junge kleine Yet-Lie, die immer so einsam und verwaist in der Welt gestanden hatte – den Vater nahm ihr das Gesetz, die Mutter ihre Geburt –, bis sie ihren Gabriel gefunden. Ihr Leben hatte sie ihm hingegeben. Er war ihr Dasein. Sie kannte keine Sorge, keinen Gedanken, keine Freude als ihn. Sie hatte nie über ihre Liebe gesonnen. Sie war da – von nun an bis in Ewigkeit. Sie war, trotz aller Reife, zu jung, sich die Möglichkeit eines Endes dieser Liebe vorzustellen. Da brach es jäh über sie herein. Sie erkannte sehr bald, daß es diesmal nicht einer jener Schmetterlingsflüge war, von denen Männer reumütig mit verdoppelter Innigkeit an das Herz der großen Liebe zurückkehren.

Diesmal hielten ihn starke Fesseln. Er ward ihr fremd. Er ward grob, hart, nervös, oft brutal. Sie hörte aus ihm die andere sprechen, wüten, toben. Sie fühlte, sie müßte kämpfen, mit der Fremden um ihn ringen. Doch die kleine Yet-Lie war keine Kämpfernatur. Sie war eine jener in ihrem Stolze und Weibesempfinden scheuen Frauen, die nur leiden können. Sie überwand sich wohl einmal dazu, ihn zu fragen, ob es nun immer so fortgehen solle, daß er keine Nacht, kaum eine Stunde des Tages bei ihr sei. Er wies sie zurück, trotzig, wie Männer im Unrecht sind. Er sei sein eigener Herr, er könne doch wohl kommen und gehen, wie es ihm beliebe. Er lasse sich nicht tyrannisieren, seine persönliche Freiheit nicht beschränken. Er sprach fremde böse Worte, die schmerzhaft die kleine Yet-Lie ins Herz trafen. Sie begriff diese Wandlung nicht, obwohl sie wußte, daß eine andere Frau ihr Anlaß sei. Konnte ein willensstarker Mann, wie ihr Gabriel, sich so haltlos unterjochen lassen?! Sie begriff es nicht. Auch seine Freunde begriffen es nicht, daß er so schmählich unter die unumschränkte Herrschaft dieses perfiden lasterhaften Weibes geraten war. Geschlechtliche Hörigkeit bleibt für Außenstehende meist ein Rätsel. Mit der Peitsche ihrer Sinnlichkeit bändigte Madame Lejay die Bestie Mann.

Das konnte die junge Yet-Lie nicht begreifen. Sie sprach wehe kindliche Worte zu dem kleinen Coco, der sie stumm mit großen Augen ansah. Sie las die Briefe, die Mirabeau ihr von einer Reise geschrieben hatte: »Wenn ich Dein Bild betrachte, so ist es mir, als stündest Du selbst vor mir. Du bist der Gegenstand all meines Sinnens und Denkens, all meiner Wünsche und Träume. Ich bin verliebt gewesen, aber niemals hat mir irgendein Wesen ein Gefühl eingeflößt gleich dem, das ich heute empfinde. Ich bin Dir in blindem Vertrauen zugetan, Deine Gefühle sind meine Gefühle, Deine Gedanken sind meine Gedanken, ich lebe nur in Dir und kann nicht leben als durch Dich!«

Da weinte die kleine: Yet-Lie bitterlich. Und Coco weinte zur Gesellschaft mit. Sie litt auch materiell harte Not. Alle Einkünfte verpraßte Mirabeau außerhalb des Hauses. Sie machte ihm schüchterne Vorwürfe, schon wegen des Kindes. Er brauste auf, schmetterte etliche Sous, die er zusammenkratzte, auf den Tisch und stob davon.

Madame Lejay nahm ihn nach jeder Richtung hin voll in Anspruch. Sie verfügte über die Berserkerkräfte dieses Athleten der Liebe und die spärliche Potenz seines Beutels. Den Rest des Honorars der »Preußischen Monarchie« hatte sie ihm nicht ausgezahlt, sondern selbstherrlich für sich verwandt. Es waren allerlei kleine Rechnungen zu begleichen, bei der Bertin, in den Magazinen der Rue Saint-Honoré, beim Fleischer, Bäcker, überall.

Mirabeau durchschaute sehr bald die Geheimnisse des Hauses Lejay. Der Buchhändler war ein wohlhabender strebender Mann gewesen, hatte sich in das rote Haar und die grünen Augen Olive Frottiers, der Tochter seines Concierge vergafft, sie herangebildet, geheiratet, war von ihr betrogen, durch ihren Luxus ruiniert worden. Sie hatte ihn seelisch und körperlich ausgesogen zu der schlotternden Hülle, die jetzt seinen Laden bediente.

Die Leitung des Verlagsgeschäfts hatte sie sich angemaßt. Es ging schlecht genug. Die Herausgabe der »Preußischen Monarchie« geschah mit entliehenen Mitteln. Das Werk erschien, erregte Aufsehen. Ein Schlager ward es nicht.

Olive Lejay aber bedurfte des Schlagers dringend, den Bankerott aufzuhalten. Sie quälte Mirabeau: »Schreib mir ein Buch voller Pikanterien, voller Erotika, voller Staatsgeheimnisse. So was packt heute, so was allein. Liebe und Politik, das ist das Rezept unserer politisch bewegten Zeit. Schreib es, schreib es endlich, du Faulpelz!« Er versprach, verschob es, begann, sie ob ihrer steten Mahnung und geistigen Erpressung zu hassen, und hing doch an den Ketten ihrer Lust. Den Tag verbrachte er in ihrem engen Kontor, auf Spaziergängen mit ihr, im Theater, der Oper, in Restaurants. Die Nächte im Hotel Vaudreuil. Scheu hastete er an dem bleichen Manne im abgeschabten Rocke und der muffigen Perücke im Laden vorüber. Der sah ihn nur ernst an aus seinen tragischen Augen und dienerte.

Eines Tages traf Yet-Lie das Liebespaar in der Straße. Ihre eifersüchtigen Augen fraßen die Nebenbuhlerin in sich hinein. Sie taumelte: »Er ist verloren«, dachte sie. »Die ist der Extrakt der Schlechtigkeit im Weibe. Die läßt ihn nie wieder los.«

Doch sie täuschte sich. Mirabeau erwachte aus dem Taumel. Eines Nachts, als er heimkam, fand er Yet-Lie über seinen Briefen eingeschlafen. Die Bogen waren feucht von ihren Tränen.

Da packte ihn die Rührung. Er hob sie empor, entkleidete sie, trug sie ins Bett. Es ward eine jener Versöhnungen, bei denen die Ströme des Schmerzes und der Freude alles überstandene Leid ins Vergessen schwemmen.

Glück zog wieder ein in die kleine Wohnung, Lieder erwachten wieder in Yet-Lies lange verstummter sangesfroher Kehle. Sie zwitscherte und hantierte emsig im Hause umher. Er arbeitete, schrieb eine neue hochpolitische Broschüre »Erwiderung auf die Besorgnis der guten Bürger«, eine empörte Anklage gegen die Gerichtshöfe, ihre Übergriffe, Mißstände, Privilegien, die Käuflichkeit und Erblichkeit ihrer Ämter.

Madame Lejay schrieb Brief auf Brief. Er warf sie in den Papierkorb und lächelte Yet-Lie zu.

Dann stand Olive Lejay eines Tages im Korridor. Yet-Lie, die öffnete, erkannte sie sofort. Das Gesicht vergaß man nicht.

»Ich wünsche, den Grafen von Mirabeau zu sprechen«, befahl sie.

»Der Graf ist für Sie nicht zu sprechen.« Yet-Lie kämpfte nun doch einmal.

»Das haben Sie doch wohl nicht zu bestimmen.« Die grünen Augen funkelten.

Die kleine Yet-Lie reckte sich. »Verlassen Sie dieses Haus, Madame, dessen Herrin ich bin«, gebot sie mit ruhiger Würde.

Madame Lejay lachte schrill. »Sie, die Herrin! Seine Mätresse sind Sie.«

Da brauste Yet-Lies Zorn hitzig auf.

»Hinaus – Dirne!« rief sie und deutete auf die Tür.

Die lauten Stimmen riefen Mirabeau vom Arbeitstische. Er erschien im Korridor.

»Da bist du ja«, nickte Olive erleichtert. »Diese Person wagt es, mich zu beleidigen.«

Sie trat zu ihm.

»Was tust du, Henriette!« tadelte er, noch fassungslos über das unerwartete Erscheinen der Geliebten.

»Muß ich mich in meinem Hause beschimpfen lassen?« schluchzte Yet-Lie außer sich.

»Ihr Haus!« Olives Stimme züngelte empor in grellem Hohne.

»Kommen Sie herein«, entschied Mirabeau und wollte Olive ins Zimmer führen.

Da stellte Yet-Lie sich auf die Schwelle. Voll Hoheit sprach sie: »Gabriel, jetzt bin ich am Ende meiner Kraft. Jetzt mußt du wählen: sie oder mich. Dies war mein Heim. Das Heim meines Glückes. Ich laß es mir nicht besudeln. Wähle!«

»Das läßt du dir und mir von dieser – diesem Weibsstück bieten!« zischte Olive ihm hetzend zu. »Du bist mir ein Mann und ein Held!«

Da sauste Mirabeau das heiße Blut in die Schläfen. »Komm herein«, knirschte er und geleitete Olive ins Zimmer.

Yet-Lie schrie leise auf, ganz leise, hob die Hand empor und flüsterte ohne Laut: »Du bist – – in verruchten Händen!«

Die Tür des Zimmers schloß sich hinter den beiden. Olives Spottgelächter klirrte zu der kleinen Yet-Lie hinaus. Da faßte sie erst das Unglaubliche. Da ward die kleine Yet-Lie zur Heldin. Sie handelte. Sie packte ihre Sachen, preßte das verwunderte Kind ans Herz – und verließ das Haus ihres Glückes und ihrer Schmerzen.

Sie ist nie in diese Räume zurückgekehrt, sie hat jede spätere Annäherung in weher Wahrung ihrer Frauenwürde abgewiesen. Aber sie hat nie aufgehört, ihm zu gehören mit jedem Gedanken. Sie war aus dem Geschlecht jener Frauen, für die das Wort geschrieben steht: und die Liebe höret nimmer auf.

Die Lejay richtete sich jetzt in der Wohnung häuslich ein. Sie wich nicht von Mirabeau, sie ließ ihn nicht aus den Krallen. Sie fühlte, daß Yet-Lie jetzt – in der Ferne – eine stärkere feindliche Macht war als in seiner Nähe. Sie sah seine Augen oft träumerisch ins Weite starren. Sie wußte, wer diese Weite mit ihrer ersehnten Gegenwart füllte. Sie rang gegen die Gespenster seiner Reue und seiner Liebe.

Es erleichterte ihren Kampf, daß wichtige politische Geschehnisse Mirabeau bald in ihren Wirbel rissen.

Endlich, nach weiteren verlorenen sieben Monaten, nach wilder Gewalttat und blutigem Aufruhr in der Bretagne und der Dauphiné, hatte unter der Drohung des Großen Rates die Regierung sich endlich am 12. August 1788 entschlossen, die Reichsstände für das Jahr 1789 einzuberufen.

Ein später Sieg Mirabeaus. Doch ein Sieg!

Jetzt galt es! Jetzt ward endlich die Tribüne errichtet für seine Gaben, für sein Wirken, für seine Tat und seinen Ruhm. Jetzt kannte er nur noch eine Aufgabe: in die Nationalversammlung gewählt zu werden.

Zwei Wege gab es hier: sich in der Provence von den Armen der Popularität, die der Gerichtstag von Aix ihm erworben hatte, in das Parlament tragen zu lassen, oder mit Hilfe der Regierung dort Sitz und Stimme zu erlangen. Der erste Weg entsprach seiner Neigung, doch er forderte Geldmittel: die Reise in die Provence, der Aufenthalt, die Propaganda, die Versammlungen. Wahlen sind ein kostspieliges Geschäft. Seiner Armut blieb nur der zweite Weg. Er schritt ihn. Er wandte sich wieder an den Minister Montmorin.

Eine neue Audienz.

»Herr Graf,« begann er, »alles ist gekommen, wie ich es Ihnen vor sieben Monaten geweissagt habe. Gewalt hat das erzwungen, was im Januar noch eine Wohltat der Regierung gewesen wäre. Doch nun kommt die Versammlung. Jetzt gilt es, sie zum Werkzeug des demokratischen Königtums zu gestalten. Sie lieben den König und sind sich ihm als Mensch und als Minister schuldig. Ich, als Bürger, zittere für die Macht der Krone, die uns in dem Augenblicke, in dem sie am Rande des Abgrundes schwebt, nötiger ist als je. Nie war eine Krisis gefährlicher, nie bot sie stärkeren Vorwand zur Zügellosigkeit. Nie drohte eine Nationalversammlung so stürmisch zu werden, als diejenige, die über das Schicksal der Monarchie entscheiden wird, bei der man jetzt so übereilt und mit so viel gegenseitigem Mißtrauen anlangt.«

»Bitte, sprechen Sie nur weiter.«

»Hat nun das Ministerium, das sich jetzt Hals über Kopf in diesen Engpaß geworfen hat, weil es, anstatt die Reichsstände vorzubereiten, sich bemüht hat, ihre Berufung aufzuschieben – hat es sich überlegt, wie es die Mitwirkung des Volkes leiten will? Hat es einen festen, bestimmten Plan, nach dem es das Staatsschiff in diesem Sturme der Versammlung steuern will?«

Er blickte den Minister mit seinen Glutaugen durchbohrend an. Montmorin senkte die Lider vor dieser Flamme politischer Weisheit.

»Ich glaube nicht!« erwiderte er betreten.

»Nun wohl!« rief Mirabeau feurig, »diesen Plan, Herr Graf, habe ich! Ich habe eine Verfassung fix und fertig im Kopfe, die uns erretten soll vor den Anschlägen der Aristokratie, vor den Ausschreitungen der Demokratie, vor dem Abgrund der Anarchie, in den die bewußt absolutistischen Bestrebungen der Regierung uns und sich selbst gestürzt haben. Kann man auch über die Ratschläge, die dieser Plan enthält, verschiedener Meinung sein, so wird man doch wenigstens die Grundsätze, auf denen er beruht, anerkennen müssen. Wünschen Sie, daß ich ihn Ihnen mitteile?«

Er zog ein Aktenstück aus der Rocktasche.

»Ich bitte darum.«

Mirabeau zögerte. »Werden Sie, Herr Graf, ihn aber auch wirklich dem Könige zeigen? Werden Sie den Mut haben, einen treuen Untertan, einen entschlossenen Mann, einen unerschrockenen Vorkämpfer der Gerechtigkeit und Wahrheit endlich auf seinen Posten als Bürger zu stellen?«

Montmorin zog sich, peinlich berührt, in sich zurück.

»Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Graf, stellen Sie für die Mitteilung Ihres Planes Bedingungen?«

»Allerdings. Ich will unter allen Umständen Mitglied der Nationalversammlung werden. Sie ist die Arena meines Könnens und meiner Zukunft. Auf sie warte ich, solange ich bewußt lebe. Da ich keine Geldmittel besitze, kann ich ohne Mitwirkung der Regierung, wenigstens nicht ohne eine geheime, nicht in den Reichstag gelangen. Verständigen wir uns, so ist es sehr leicht.«

»Bitte?!«

»Ich würde der Mann der Regierung werden. Fünf oder sechs Männer werden immer die Herde, wie groß sie auch sei, anführen. Diese fünf oder sechs Männer muß die Regierung sich sichern. Lassen Sie mich einen dieser Männer sein zum Wohle des Königshauses, zum Wohle Frankreichs.«

Montmorin wich wieder aus.

»Sie werden begreifen, Herr Graf, daß ich diese weittragende Frage nicht selbständig entscheiden kann. Ich muß mich mit dem Chef des Ministeriums, mit den Kollegen besprechen.« Mirabeau sank der Mut. Er steckte den Verfassungsplan wieder in die Tasche.

»Necker ist gegen mich. Dabei wird nichts herauskommen. Gehen wir also einen anderen Weg. Strecken Sie mir die Mittel vor, deren ich bedarf, meine Wahl in der Provence zu betreiben. Ich glaube wahrlich, man könnte das Geld des Königs schlechter anlegen als darin, ihm einen zuverlässigen Verteidiger in der Versammlung zu sichern.«

Montmorin zauderte, äußerte Bedenken, wollte sich beraten, versprach baldigen Bescheid.

Tief niedergeschlagen verließ Mirabeau das Ministerium. Er wußte nun, was er von der hilflosen Unfähigkeit dieser Minister zu erwarten habe.

Als er verzweifelt heimkam, empfing Madame Lejay ihn mit einem Freudenschrei: »Aber, Gabriel,« rief sie, »du bist doch der närrischste Mensch, der mir je vorgekommen ist! Da schinden wir uns, da hungern wir, da kommen uns die Gläubiger über den Kopf – und in deinem Schreibtisch liegen die Goldhaufen!«

»Was ist?« fragte er verdrießlich und blickte zu ihr hinüber.

Sie hatte während seiner Abwesenheit aus Langerweile unter seinen Schriften gekramt und ein dickes Manuskript entdeckt.

Fieberhaft fuhr sie fort: »Seit Monaten frage ich dich, ob du nichts Pikantes, Aufpeitschendes hast. Liebesgeschichten, Blicke hinter die Kulissen eines Hofes. Du leugnest. Und dabei liegt das Buch druckfertig da im Kasten!«

Er war näher getreten.

»Das ist kein Buch«, erklärte er grämlich. »Das sind die Entwürfe zu den Geheimdepeschen, die ich aus Berlin an die Regierung gesandt habe.«

»Na – und?« fragte sie harmlos.

»Die kann man doch nicht veröffentlichen!«

»Wieso nicht?« »Erlaube mal,« rief er, jäh über ihre Naivität belustigt, »diese Depeschen sind so geheim, daß ich sie chiffriert gesandt habe. Es sind Staatsdepeschen. Ich habe sie als Beamter geschickt.«

»Schön, schön. Das verstehe ich alles. Warum sollte man sie trotzdem nicht veröffentlichen?«

Er lachte. »Du bist köstlich in deiner absoluten Unmoral. Abgesehen von der Gemeinheit, dem Vertrauensbruch und dem Landesverrat, gäbe es einen nie dagewesenen Skandal, ja, vielleicht sogar Verwicklungen zwischen Frankreich und Preußen. Es stehen arge Dinge darin.«

»Glänzende. Die Zeichnung des Prinzen Heinrich, des Bruders Friedrichs II., der neue König, seine Mätressen, die Lichtenau und die Voß, der ganze Hofstaat! Und zwischen diesem Klatschmohn das edle Korn deines politischen Seherblickes! Gabriel, begreifst du denn nicht, das ist doch der Sensationsschlager, den ich immer gesucht habe! Das ist ein Vermögen. Ich garantiere dir, wir setzen in den ersten Tagen zweihunderttausend Exemplare ab.«

»Du bist verrückt!« stellte er bündig fest.

»Aber ich begreife nicht –« begann sie wieder.

Er nahm das Manuskript. »Laß das. Du redest Unsinn. Die Veröffentlichung ist indiskutabel. Noch dazu, wo der Prinz Heinrich gerade in Paris ist.«

Er schloß die Papiere in den Schrank und steckte den Schlüssel zu sich.

Doch Olive Lejay war nicht die Frau, ein gewinnversprechendes Projekt aufzugeben, bloß weil sich ihm Hindernisse des Gewissens entgegenstemmten. Ihre Katzenzähigkeit hatte sich in die Idee verbissen. Sie hielt fest. Sie sprach von nichts anderem mehr, sie quälte ihn, sie schilderte den Goldregen, der über sie hereinbrechen würde, sie lachte über seine »alberne Gefühlsduselei«. Sie bohrte so lange, bis seine Nerven bei dem bloßen Worte »Geheimberichte« zuckten. Sie ermüdete seine Bedenken in betäubenden Orgien ihrer Leiber. Die Herausgabe der Geheimberichte verlor durch die stete Besprechung ihre anfängliche Unmöglichkeit. Das dauernde Spielen mit dieser Idee nahm ihr allmählich, fast unmerklich, das Unwahrscheinliche, lockerte sie aus der Sphäre verbrecherischen Irrsinns, machte sie zu einem frechen, aber immerhin nicht ganz undenkbaren Abenteuer.

Inzwischen waren in ganz Frankreich die Vorbereitungen zu den Wahlen der Abgeordneten zur Nationalversammlung im eifrigsten Gange. Mirabeau stand fern mit gefesselten Händen. Von Montmorin hatte er eine in jeder Hinsicht abschlägige Antwort erhalten. Alle Versuche, von anderer Seite Geld aufzutreiben, scheiterten. Dabei stieg seine Not immer höher. Gerade in diesen Tagen mußte er alle entbehrlichen Kleidungsstücke, seinen silbergestickten Rock, Weste, Hose, eine Weste von Silbertuch für kleine Trauer und alle Winterspitzen ins Pfandhaus tragen. Marode und erbittert war sein Gemüt. Seine Armut war der Fluch seines Daseins von Anbeginn gewesen. Jetzt sperrte sie ihm den Weg zu seiner Lebensaufgabe. Von allen Seiten strömten die Kandidaten zu den Wahlen. Er blieb ausgeschlossen, er, der für diese Versammlung gewirkt und gekämpft hatte, wie kein anderer, er stand abseits, weil die Regierung sich weigerte, ihn zu fördern, und weil ihm die Mittel fehlten, in die Provence zu reisen und dort seine Wahl zu betreiben.

Er weinte, weinte die bitteren Tränen tiefsten Mannesschmerzes. Olive Lejay spottete. »Du könntest ja dabeisein. Brauchtest nur zu wollen. Dort im Schranke liegt der goldene Schlüssel, der dir die Pforte zum Reichstag öffnet. Heule nicht, handele!«

Er wandte sich zermartert ab. Und vergrub sich in verzweifelte Grübeleien über sein verlorenes Leben.

Sie höhnte weiter. »Da sitzt du und bläst Trübsal, statt männlich dein Schicksal zu schmieden. Mit deinem moralischen Mimosengemüte würdest du ja wohl auch kein großer Politiker werden. Dazu gehört Robustheit der Lebensauffassung, mein Lieber. Früher hattest du die doch wahrhaftig, als es alberne Tollheiten galt. Und jetzt! Jetzt – –!«

»Schweig!« brüllte er zermürbt.

Sie kam mit ihrem weichen schleichenden Gange zu ihm, setzte sich neben ihn auf die Lehne des Stuhles, daß der Duft ihres Körpers ihm verwirrend in die Nase strich, und raunte: »Sieh mal, Gabriel, sie hätten dir für diese Berichte dort« – sie zeigte auf den Schrank – »doch eine Staatsstelle geschuldet – du hast es ja selbst darin geschrieben – laß sie mich einmal holen. Ich lese es dir vor.«

»Ich weiß es«, knurrte er verbittert.

»Laß mich dir diese Stellen vorlesen. Bitte.«

Sie zog den Schlüssel aus seiner Tasche und holte die Blätter. Er ließ sie gewähren, müde und mit allem fertig.

Sie suchte. »Ich hab's doch neulich gelesen. Ah hier:

›Ich bin nicht geschaffen, wie ein untergeordneter Spitzel, wie ein Kommis behandelt zu werden. Hält man mich für fähig, Nützliches zu tun, vielleicht gäbe der Ruf, talentvoll zu sein, den ich mir erworben habe, einen passenden Vorwand, vielleicht würde man finden, daß ich seit einiger Zeit mittels Taten mich um etwas bewerbe, was andere als Gnade erbitten – kurz und gut, ich fordere mein Recht!‹

»Aber da war noch eine Stelle – eine noch kräftigere.« Sie blätterte. Das Licht der Lampe fiel auf ihr Haar. Es brannte. Eine Flamme der Versuchung. »Richtig, hier: ›Noch einmal also: was ich verdiene, was ich kann, was ich wert bin, muß jetzt dem König und seinen Ministern klar sein. Bin ich nichts, kann ich nichts, dann koste ich dem König hier zuviel, wenn ich mich aber verdient gemacht habe und etwas kann, so bin ich es mir schuldig, um einen Posten zu bitten.‹ Und was haben sie für dich getan? Nichts. Nicht so viel!« Sie zeigte die Spitze ihres kleinen Fingers. »Keinen Dank, keinen Lohn. Nichts. Hätten die dir damals aber die staatliche Anstellung gegeben, auf die du, deinen Leistungen nach, Anspruch hattest, so wärest du heute einer unserer ersten Staatsmänner, hättest das weite Arbeitsfeld zum Segen des Vaterlandes, das weite Betätigungsgebiet für dein politisches Talent und hättest nicht nötig, den Sitz in der Nationalversammlung als Sprungbrett für deine Staatslaufbahn zu benutzen. Dann wärest du als Minister der Schöpfer und Lenker dieses Parlaments. Habe ich recht?«

Er schwieg verbissen.

Sie rüttelte ihn derb an der Schulter.

»Du – hab' ich recht?«

»Ja – doch!« gab er unwillig zu.

»Das wollte ich nur hören. Du hattest gerade durch diese Berichte hier« – sie wehte sie wie eine Flagge durch die Luft – »ein Anrecht auf eine große Stellung im Staate. Sie haben sie dir unrechtmäßig verweigert. Du bist also in der Notwehr. Benutze nun diese Berichte, um dir diese rechtmäßige Stellung als Staatsmann zu schaffen.«

Er hob den schweren Kopf.

»Du korrigierst damit nur ein schmachvolles Unrecht. Veröffentliche diese Berichte, daß alle erkennen, wie schmählich man dein Talent mißhandelt hat! Schaff dir durch diese Berichte das, was du durch sie verdient hast!«

Er sah sie lange an.

»Ein verflucht kluger Satan bist du«, flüsterte er durch die Zähne.

»Ist das nicht logisch – so logisch, daß sogar ich, eine unlogische Frau – es finde?«

»Du bist eine arg logische Verführung«, ächzte er bebend.

Sie fühlte, daß er schwach geworden war. Und schmiedete das Eisen. »Sei ein ganzer Mann, Gabriel. Deine Lebensaufgabe ruft. Das Große, wozu du berufen bist. Laß dieses Große dich nicht so jämmerlich klein finden. Hast du nicht selbst einmal gesagt, der kleinliche Zwang der gesellschaftlichen Rücksichten müsse hinter die großen Angelegenheiten der Nation zurücktreten? Mit törichten landläufigen Moralbegriffen darf man solch gewaltige Fragen nicht lösen wollen. Wer ist hier unmoralischer? Sie, die das Geniale dieser Berichte mißachten oder du, der sie benutzt, dir die Stellung zu erringen, die diese Berichte dir verschafft hätten, wenn nicht Haß, Feigheit, Eifersucht die Moral dieser Minister wäre? Ist es deine oder ihre Schande, daß du diese Berichte erst zu Geld machen mußt, um durch sie den Acker für dein Genie zu finden? Nun?«

»Du hast in allem recht, du kluges Weib, das keinen moralischen Ballast trägt. Du hast recht. Aber –«

Sie sprang eifrig auf, stellte sich vor ihn hin. Ihr scheinbar knochenloser Körper bog sich zu ihm nieder. Ihre phosphorgrünen Augen schillerten. »Du brauchst es nicht zu tun. Ich nehme alles auf mich. Bleib du ein Moralist. Hier, schließ die Papiere wieder ein. Und dann trolle dich. Rasch.«

Sie trug die Berichte in den Schrank. Schloß ihn ab. Drängte ihm den Schlüssel auf, holte ihm den Hut, schob ihn, der noch halb widerstrebte, zur Tür hinaus.

Er schlich bedrückt durch die Straßen. Dachte mit Zagen und scheuer Freude an das, was jetzt in seinem Hause geschah. Sie erbrach den Schrank, »stahl« die Berichte, gab ihm die Ausrede des Anstandes, nahm die Schuld der Gemeinheit, des Verrates von ihm. Gewiß nicht seinetwegen. Er täuschte sich nicht. Sie sah das goldene Verlagsgeschäft. Aber sie tat es doch. Er blieb stehen. Sein Riesenkörper straffte sich. Zum Donner, nein! Er wollte sich nicht hinter der Tat eines Weibes verstecken! Sie hatte recht, zehntausendmal recht. Es war eine Gemeinheit, diese Berichte zu veröffentlichen. Jawohl. Er wußte es. Darüber half kein Deuteln und Drehen. Aber das Leben führt über Gemeinheiten. Vorwärts!« Er stürmte heim.

Olive war fort. Die Schranktür erbrochen. Bald aber kam sie und warf ihm mit zynischem Lächeln ein kleines Paket in den Schoß. Er steckte es ein, ohne es anzusehen.

Sie hatte für diesen Sensationsschlager sofort einen Schieber gefunden.

»Ich nehme es auf mich«, erklärte er. »Ich will mich nicht hinter dir verstecken!«

»Pah,« lachte sie, »mich fangen sie nicht. In den ersten Tagen verkaufe ich meine zweimalhunderttausend Exemplare und bin über alle Berge, ehe sie zur Besinnung kommen.«

»Und ich,« er reckte sich, »ich bin bis dahin so hochgestiegen, daß keine Staatsgewalt der Welt mehr wagen wird, sich an mir zu vergreifen.«

»Gut, gut«, sagte sie obenhin. Ihr Interesse an ihm war merklich geschwunden. »Ich muß nun fort. Jetzt gibt es allerhand zu tun.« Sie ging nach flüchtigem Gruße.

Er sah ihr in verachtendem Galgenhumore nach.

Jetzt öffnete er das Paket. Es enthielt sechstausend Livres.

»Wieviel mag sie daran verdienen?« dachte er. Dann machte er eine wegwerfende Geste. Er wußte, die Frau sah er nicht wieder. Für die war er erledigt. Passons!

Am folgenden Tage fuhr er in seine Provence.


 << zurück weiter >>