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XV.

Sein scharfer Blick betrog ihn nicht. Der 7. November hatte seinen unumschränkten Einfluß in der Nationalversammlung gebrochen. Die radikale Partei hob kühner ihr Haupt, drängte die Revolution immer weiter nach links, immer ungestümer dem Terror entgegen.

Das Königspaar, das in den Tuilerien gefangengehalten wurde, war täglich den Beleidigungen und Schmähungen des Pöbels ausgesetzt, der sich unter seinen Fenstern in unflätiger Beschimpfung, in frechen Spottliedern erging. Mehrere Male schon waren die Marktweiber in den Palast eingedrungen, hatten die Königin mit ihren schwieligen Fäusten bedroht.

Der König hatte völlig den Kopf – oder was bei ihm dafür gelten mußte – verloren, die Minister kannten noch weniger als je das Gebot der Stunde, die Königin sah ein: jetzt mußte sie handeln, wenn nicht alles im Chaos begraben werden sollte.

Sie gedachte der Unterredung mit La Marck vom September des vorigen Jahres. Sie kämpfte hart mit ihrem Stolze, ehe sie ihn rief. Doch sie rief ihn. Er war seit mehreren Monaten in Brüssel. Er reiste am selben Tage ab, an dem ihn das Billett der Königin erreichte.

Er meldete sich bei ihr sofort nach seiner Ankunft in Paris. Sie antwortete: »Kommen Sie bitte morgen um ein Uhr in die Tuilerien und zwar in das Zimmer meiner zweiten Kammerfrau, Madame Thibault. Wir müssen vorsichtig sein. Ich werde bewacht. M. A.«

Madame Thibault empfing den Grafen mit der Bitte, etwas zu warten.

»Meine Herrschaft ist beschäftigt und läßt sich entschuldigen.«

La Marck nickte und setzte sich auf den angebotenen Stuhl. Die einfache alte Frau unterhielt den Gast mit treffenden Bemerkungen über die bösen neuen Zeiten.

Er antwortete einsilbig.

Dann trat die Königin in das weißgekalkte kahle Dienstbotenzimmer. Ihre fahlen entstellten Züge erschütterten den Grafen. Die Kammerfrau ging.

»Mein lieber Graf,« begann Marie-Antoinette herzlich, »ich danke Ihnen für Ihre Treue, die Sie sofort zu meiner Hilfe aus Brüssel zurückgeführt hat. Sie wissen, wie sich seit unserer Besprechung alles zum Schlimmen gewandt hat. Ich habe oft an Ihren Rat gedacht und sehe jetzt keinen anderen Weg mehr. Ich habe den König schon dafür gewonnen. Es war nicht leicht.«

»Madame,« rief La Marck beglückt, eine Hoffnung der Rettung blinken zu sehen, »Sie wollen Mirabeau –?«

Sie nickte. »Doch vorher eine Frage: Glauben Sie, daß – daß – dieser Mensch bei den Greueltaten des 5. und 6. Oktober in Versailles beteiligt war? Veranlaßt hat er sie – wenigstens zum Teil – sicher durch die Rede, die er damals gegen mich hielt.«

»Das letztere will ich nicht leugnen, Madame. Bei dem Zug nach Versailles war er aber bestimmt nicht beteiligt. Er war an jenem Abende bei mir zu Tisch und blieb bis Mitternacht.«

Sie atmete tief. »So bleibt das wenigstens mir erspart«, sagte sie leise. »Man erzählte, er wäre mit gezücktem Degen den ›Damen der Halle‹ vorangestürmt.«

»Das ist eine Verleumdung.«

»Um so besser.«

»Sie haben damals Furchtbares erlebt, Madame«, bedauerte La Marck mit feuchten Augen.

Sie winkte müde mit der Hand. »Sprechen wir nicht von diesen grausigen Dingen. Man gewöhnt sich an das Unglaublichste. Es gilt jetzt zu handeln. Ich habe –« Sie verstummte. La Marck horchte auf. Von der Straße, unter den Fenstern, scholl es hohnvoll herauf:

»Madame Veto Spottname der Königin, vom »Vetorecht« des Königs hergeleitet. avait promis De faire égorger Paris, Mais le coup a manqué Grâce à nos canoniers; Dansons la carmagnole, Vive le son, Dansons la carmagnole, Vive le son Du canon.«

La Marck wollte das Fenster schließen.

»Lassen Sie,« wehrte die Königin, »ich bin daran gewöhnt. Ich habe –«

Da trat der König herein, fett, behäbig, gutmütig lächelnd, wie immer.

Er hörte den Gesang, den johlenden Lärm. »Eh!« rief er und fuhr zurück. »Gräßlich! Dieses furchtbare Lied! Schließen Sie doch das Fenster!«

Der Graf schloß es. Dann begann der König, ohne jede Einleitung, in seiner sachlichen Art: »Die Königin wird Ihnen schon gesagt haben, daß ich mich an Herrn von Mirabeau wenden will, wenn Sie glauben, daß es in seiner Absicht und seinen Kräften liegt, mir nützlich zu sein. Was halten Sie davon?«

La Marck entgegnete freimütig: »Es ist etwas spät, Sire. Ihre Minister haben viel versäumt. Sie hätten sich zu Beginn der Nationalversammlung nicht bloß die Hilfe des Grafen Mirabeau, sondern auch die vieler anderer sehr gefährlicher Deputierter sichern können und müssen. Durch diese Unterlassung hat das Übel täglich tiefer Wurzel gefaßt und ist nun schwer wieder auszurotten.«

Die Königin nickte zustimmend. Ludwig aber rief leichtfertig: »Ach, in diesem Punkte ist mit Herrn von Necker nichts anzufangen. Daher muß auch alles, was durch Herrn von Mirabeau geschieht, für meine Minister tiefes Geheimnis bleiben. Sie wollen nichts von ihm wissen.«

»Ja – Sire,« erwiderte der Graf bestürzt, »wie kann das geschehen? Ich weiß genau, daß alle Ratschläge und Handlungen Mirabeaus im direkten Gegensatze zu denen der Minister stehen werden. Wie soll sich bei solchem Widerspruche Nützliches ergeben?!«

Die Königin folgte wortlos dem Gespräch mit ihren schmelzberaubten, von Leid und Schmach und Tränen gebleichten klugen Augen.

»Das weiß ich nicht. Das ist Mirabeaus Sache. Die Königin will es. Ich füge mich. Sie sind doch der Urheber dieses Planes. Also, bitte, sagen Sie mir, inwiefern, glauben Sie, kann Herr von Mirabeau mir nützlich sein?«

»Sire, hierauf kann ich nur antworten, nachdem ich ihn selbst hierüber befragt habe.«

»So gehen Sie zu ihm und berichten mir dann, was beschlossen worden ist.«

»Sire, würden Eure Majestät es nicht vorziehen, wenn ich den Grafen von Mirabeau ersuchte, seine Gedanken hierüber zu Papier zu bringen?« wandte La Marck ein.

»Ja, noch besser. Sie werden mir, was er geschrieben hat, durch die Königin zustellen lassen. Abgemacht.«

Er grüßte und ging.

Peinlich betroffen blickte La Marck die Königin an.

»Sie müssen nicht alles, was der König sagt, wörtlich nehmen«, sänftigte sie. »Sie wissen ja, wie wankelmütig er ist. Ich werde dafür sorgen, daß des Grafen Ratschläge befolgt werden. Kommen Sie zu mir, sooft Sie es für nötig halten. Immer hierher. Die Thibault ist treu. Über meine erste Kammerfrau, Madame Campan, kann ich mich zwar auch nicht beklagen, sie hat aber Verbindungen, die mir nicht gefallen. Also, auf baldiges Wiedersehen mit gutem Bescheide, lieber Graf.« –

Als Mirabeau den Entschluß des Königs vernahm, sprang er empor und lief, von tausend neuen Hoffnungen belebt, im Zimmer umher. Die Worte sprudelten ihm vom beredten Munde. »Nun wird noch alles gut, Graf«, schwärmte er. »Passen Sie auf. Spät ist es – aber nicht zu spät. Mit dem Ministerposten ist es vorbei seit dem selbstmörderischen Beschluß vom 7. November. Aber vieles ist noch zu retten. Sie wissen, ich begehe keinen Verrat an meinen Überzeugungen. Ich bin immer Royalist gewesen und habe das Heil Frankreichs immer in einem demokratischen Königtume gesehen. Ludwig XVI. will ja selbst nicht seine absolute Gewalt wiedergewinnen. Er ergibt sich resigniert in den Verlust, den er durch die Revolution an Gewalt und den Willkürrechten seiner Vorgänger erlitten hat. Wir werden uns also sehr gut verstehen. Sehr gut. Ich schreibe Ihnen meine Vorschläge noch heute auf. Morgen haben Sie sie. Morgen früh.«

»Ich danke Ihnen. Nun aber das andere. Sie forderten damals außer dem Ministerposten eine materielle Beihilfe ...«

»Sehr richtig. Ich muß auch heute noch darauf bestehen – leider. Ich ...«

»Ich verstehe es vollkommen, Herr Graf. Was soll ich für Sie fordern?«

»Hm.« Mirabeau überlegte. »Das ist nicht so leicht gesagt. Ich teile es Ihnen morgen früh mit, wenn ich meine politischen Vorschläge bringe.«

La Marck war einverstanden.

Als er gegangen war, schritt Mirabeau grübelnd in seinem kleinen engen Arbeitsraume umher. Es war sein Schlafzimmer. In der zweiten Stube der kärglichen Wohnung arbeiteten die Gehilfen. Er ging hastig auf und nieder und rieb sich nervös die Hände. Sollte nun endlich die Not seines Lebens ein Ende haben? Die Ziele seines Ehrgeizes waren niedergebrochen an jenem unseligen 7. November. Sollte die Stellung, die er sich in der Versammlung errungen hatte, ihm jetzt wenigstens einen sorgenlosen Lebensabend verschaffen? Seine Schulden waren enorm, die Gläubiger bedrängten ihn hart, wie damals in Manosque, ach, wie überall, wie immer, während seines ganzen Lebens. Hielt er jetzt endlich einmal einen Zipfel des Glückes in der Hand? Ein Verrat? Ein Verkauf seiner immerhin noch beträchtlichen Machtstellung? Nun ja – ja doch! Dann war es eben ein Verrat – ein Verkauf – ein Seelenverkauf! Er verschrieb sich dem König. Gut. Er leugnete es nicht vor sich. Schön. Aber er wollte auch einmal aus den Sorgen heraus. Wie zimperlich war er damals bei der Veröffentlichung der geheimen Berichte gewesen! Und der Erfolg? Die Lejay hatte Hunderttausende verdient – er sechstausend Livres. Nicht wieder so dumm sein! Nein, jetzt wollte auch er einmal einheimsen. Auch endlich einmal Ruhe haben. Einmal bei Tisch sitzen, ohne daß der Gerichtsvollzieher ihn aufscheuchte. Ja doch.

Er überlegte, was er fordern sollte. Zunächst mußten seine Schulden bezahlt werden. Er wußte selbst nicht, wie hoch sie waren. Nachsehen! Er suchte unter seinen Papieren. Hm, eine hübsche Summe. Zweihundertachttausend Livres. Etwas viel. Aber nur jetzt nicht schüchtern sein! Jetzt oder nie galt es. Er lachte laut auf. Unter den Schulden war noch sein Hochzeitsanzug. Der war noch nicht einmal bezahlt. Wie oft hatte der brave Schneider von Aix ihn gepfändet – vergeblich. Sogar damals, während seiner Wahl. Und das Volk hatte den Gerichtsvollzieher beinahe in Stücke gerissen.

Also zunächst die Schulden. Dann hatte er aber immer noch keinen Sous Lebensunterhalt. Also – sagen wir – sechstausend Livres monatlich. Hm. Aber die verbrauchte er glatt – bei den teueren Zeiten. Für das Alter war also auch dann noch nicht gesorgt. Nur jetzt nicht schüchtern sein! Nie wieder bot sich solche Glücksgelegenheit. Also eine runde Summe. Eine Million. Zuviel? Eine Erinnerung an seine Gespensterrede über den Staatsbankrott huschte durch sein Hirn. Fort damit! Eine Million! Hm. Zuviel? Für einen König. Freilich, er würde sie nicht gleich zahlen. Erst Erfolge abwarten. Darüber ließe sich reden. Also: »Zahlbar nach Beendigung der gegenwärtigen Tagung der Nationalversammlung«. Überlebte das Königtum diese Tagung – und es würde sie mit seiner Hilfe siegreich überleben – dann war der Thron Frankreichs mit einer Million nicht zu teuer bezahlt.

Er warf seine Bedingungen auf ein Blatt Papier. Dann schrieb er ohne weitere Überlegung den Bericht für den König. –

Am nächsten Morgen überreichte Mirabeau dem Grafen de la Marck den Brief und seine Forderungen. Er las zuerst das Schreiben an den König.

»Sehr gut«, lobte er. »Es wird seine Wirkung nicht verfehlen.«

Dann las er die Forderung. Mirabeau betrachtete forschend seine Züge. Sie blieben unbewegt.

»Ich werde sie unterbreiten«, sagte er gelassen. –

Schon am Nachmittag fand er sich in Mirabeaus Wohnung ein.

»Nun?« rief der Graf ihm erwartungsheiß entgegen.

La Marck setzte sich. »Alles ist in bester Ordnung. Der König und die Königin sind von Ihrem Schreiben entzückt. Beide sehen in ihm die Rettung. Vielleicht zu sehr. Sie bitten Sie, in Ihren Berichten und Ihren Handlungen fortzufahren.«

Mirabeaus kastanienfarbene Augen glühten.

La Marck griff in die Tasche und zog vier Anweisungen auf je zweihundertfünfzigtausend Livres mit dem Namen des Königs hervor.

Mirabeau fühlte, wie er vor Freude erbleichte. Er rang vergeblich nach Fassung.

»Diese vier Scheine hat der König mir mit den Worten übergeben: ›Leistet Herr von Mirabeau die guten Dienste, die er versprochen hat, erfüllt er die in seinem Schreiben eingegangenen Verpflichtungen, so geben Sie ihm beim Schlusse der Tagung der Nationalversammlung diese Billetts, für die er eine Million erhalten wird.‹ Auch Ihre beiden anderen Forderungen sind angenommen.«

Da geschah etwas, was La Marck nicht erwartet hatte. Mirabeau gurgelte auf, als ersticke er. Dann warf er den Stuhl um, auf dem er saß, schleuderte die Arme hoch in die Luft und tanzte im Zimmer umher. Tanzte, wie besessen. Der Gedanke, daß er Millionär geworden sei, daß er seiner Schulden ledig, daß er ein festes Einkommen von sechstausend Livres monatlich besaß, machte ihn toll vor Glück, raubte ihm jede Überlegung, nahm ihm jedes Anstandsgefühl. Er tanzte – tanzte und brüllte unverständliche Worte.

La Marck schämte sich für ihn. Feinfühlig rief er in die laute Jubelorgie: »Ich begreife Sie, Graf. Sie freuen sich, in gerechtem Stolze, daß man endlich bei Hofe erkannt hat, welche Macht Sie sind.«

Mirabeau blieb mitten im Schwunge stehen, starrte den Grafen an – verstand seine Worte – begriff ihren tieferen Anlaß – die erhobenen Arme fielen ihm schlaff an die Seite. Ernüchtert sagte er: »Ganz recht, Herr Graf, ganz recht. Natürlich – die Genugtuung, endlich erkannt zu sein. Natürlich!«

Dann aber gewann der Goldrausch wieder Macht über ihn. Trunken redete er, redete, als sei sein Hirn vom Alkohol aufgepeitscht.

»Ein großartiger Mann, der König,« lallte er und torkelte durchs Zimmer, »ein ganz großartiger Mann! Großartig, sage ich Ihnen, Graf. Und die Königin auch. Auch großartig. Famose Leute. Alle Herrschertugenden haben sie, besonders er. Alle Herrschertugenden. Wenn Sie bisher noch nicht so recht zutage getreten sind, liegt es nur an diesen ungeschickten, beschränkten Ministern. Wenn man Herrn von Necker und von Montmorin zu Ministern hat, ist es ein Kunststück, ein guter König zu sein. Einzig diesen Leuten ist es gelungen, dem Volke alle diese herrlichen Eigenschaften des Königs zu verbergen. Das wird nun anders. Gottlob. Jetzt trete ich vor den König. Jetzt wird man erkennen, wer er ist. Und dann soll man diesem besten Könige von Frankreich die seinem großartigen und erhabenen Charakter gebührende Stellung einräumen. Das soll man. Das werden Sie sehen, Graf. Und nun kommen Sie. Jetzt hole ich meine kleine große Freundin ab, die Saint-Huberty, und dann gehen wir ins Palais Royal und trinken auf das Wohl dieses erhabenen Königspaares. Kommen Sie!« Doch der Graf La Marck schützte dringende Geschäfte vor.


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