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XVI.

Der Taumel des Besitzes rüttelte den Mann, den immer die Daumenschraube der Armut gefoltert hatte. Er stürzte sich kopfüber in eine Verschwendung ohne Maß. Seine Schulden waren bezahlt. Ein traumhafter Kredit eröffnete sich dem »reichen Erben«. Er verpraßte große Teile der Million, ehe er sie noch verdient hatte.

Er verließ die kleine enge Wohnung, die Yet-Lie in den Tagen bitterster Armut mit ihrem Scharm und schmückenden Geschmacke zur Traulichkeit geweiht hatte. Er mietete das kokette und zierliche Hotel der Julie Carreau, der späteren Gattin Talmas, dieses Palais, in dem sie ihren geistreichen Salon gehalten hatte, mit Ségur, Narbonne, Mirabeau, Chamfort, dem jungen Maler David und Talma als Stammgästen. Julie Carreau zog in ihr zweites Haus der Rue Choutereine No. 20, das später noch Geschichte machte. Denn die Witwe des Generals Beauharnais, Josephine, mietete es, erhielt hier den ersten Besuch des Generals Bonaparte und feierte in seinen Räumen mit ihm die Hochzeit. Nicht nur Bücher, auch Häuser haben ihre Schicksale.

Mirabeau aber, der jähe Nabob, mietete das lustige Haus der lustigen Lebedame Julie Carreau in der Rue de la Chaussee d'Antin, neben dem flotten Hotel der Madame de Montessou, die in geheimer Ehe mit dem Herzog von Orléans lebte.

Dieses Lebedamenhaus behielt seinen Charakter. Als Reine-Anne, die mit der fertigen Einrichtung überrascht wurde, es zum ersten Male sah, rief sie mit ihrer herrlichen Altstimme: »Aber, Liebster, das Ganze sieht aus wie das Boudoir einer kleinen Kokotte.«

Er war verletzt. Doch sie hatte, wie so oft, das erlösende Wort für eine Empfindung oder Tatsache gefunden.

Dann stellte er ihr das Personal vor: zwei Kammerdiener, einen Koch, den Kutscher, die Mägde. Im Stalle scharrten die Pferde die Fliesen. Er war ein Grandseigneur geworden über Nacht.

»Mein Gott,« bedachte Reine-Anne, »muß dein Vater dir viel hinterlassen haben!«

Er verbreitete überall dieses Märchen seines Reichtums.

Bald hatte er auch sein Landhaus vor den Toren von Paris. Eine kleine hübsche Villa inmitten eines Parkes, in dem er eine Statue der Freiheit errichten ließ. Das Anwesen hieß Le Marais.

Als La Marck von dieser lauten Üppigkeit hörte, eilte er bestürzt herbei:

»Aber, Graf,« schalt er, »sind Sie des Teufels! Sie stehen inmitten des öffentlichen Interesses. Gestern kämpften Sie mit größter Geldnot. Sie zwingen den Leuten ja geradezu den Verdacht auf, den Sie nicht nur in Ihrem eigenen Interesse vermeiden müßten! Vergessen Sie nicht, Sie haben Feinde, die Sie darauf stoßen, nach der Quelle dieses so neuen Reichtums zu forschen und ihn auf die verfänglichste Art zu deuten.«

Der reiche Mann steckte die Hände in die Taschen und lachte.

»Lachen Sie nicht«, verwies La Marck beunruhigt. »Sie spielen mit der Gefahr.«

»Ich kann lachen,« entgegnete Mirabeau, »ich bin ein – lachender Erbe.«

Doch La Marck warnte sehr ernst.

»Eins muß ich Ihnen aber lassen,« sagte er dann, »Sie halten den Vertrag. Sie arbeiten.«

Ja, Mirabeau arbeitete gewissenhaft, berserkerhaft, wie er stets gearbeitet hatte, Der Reichtum machte ihn nicht schlaff. Keinen Augenblick des Tages gönnte er sich Ruhe. Bald stand er auf der Rednertribüne, bald schuf er in seinem Kabinett, diktierte seinem Sekretär, las die Entwürfe seiner Mitarbeiter, besprach mit ihnen neue Ideen, warf Anregungen wie Feuerbrände unter sie, diskutierte, neue Ideen bei ihnen zu entzünden, bemächtigte sich dieser Ideen, ihnen den Stempel seines Geistes aufzudrücken, warf sie seinen Gehilfen wieder zu, sie schriftlich festzuhalten, auszubauen. Es war eine klirrende wissenschaftliche Werkstätte, in der das politische Rüstzeug des Staatsmannes geschmiedet wurde. Jedes Gebiet hatte seinen Spezialisten: Duroveray bearbeitete das Finanzwesen; Reybaz Kriegswesen, Ökonomie; Dumont Rechtsfragen; Pellenc stellte sein starkes analytisches und dialektisches Talent in den Dienst dieses geistigen Herkules. Aber über allem, was in seinem »Atelier« geschah, schwebte der Geist des Gebieters, sein Impuls, seine fiebernde, feuernde, treibende Hast und Energie.

Zu all dieser Tätigkeit fügte er jetzt pflichtbewußt die sehr sorgfältige Redaktion der Noten, die er fast täglich durch La Marck an den Hof sandte. Es war Geheimarbeit, die er mit eigener Hand verrichten mußte. Denn keiner seiner Gehilfen durfte Mitwisser dieser Beziehungen sein.

Er mahnte und trieb zum Handeln. Er wiederholte immer wieder in anderer Form die gleichen Ratschläge: Sturz der unfähigen Minister, Beseitigung des Dekretes der Nationalversammlung, das die Verbindung des Deputiertensitzes mit dem Ministerportefeuille verbot, Berufung neuer fähiger Minister.

Ja, er hatte neuen Mut geschöpft. Er sah wieder einen Weg zur Macht, jetzt, da er Berater der Krone geworden. Er wollte jetzt den Kampf gegen die Nationalversammlung aufnehmen, gegen diese Versammlung, die er einst so fanatisch herbeigesehnt. Sie war entartet, sie war ihm zu radikalisiert. Er wollte sie zerschmettern.

Hierzu biete sich, schrieb er dem König, ein einziges Mittel: die öffentliche Meinung, die Gebieterin der Gesetzgeber, zu bearbeiten durch Zeitungsartikel, Broschüren, Bücher, Agenten. Freilich forderten diese Mittel Geld. Es müßte beschafft werden. Auf diese so zugunsten der Monarchie geschaffene Stimmung müßten die neuen geschickten und entschlossenen Minister sich stützen im Kampfe gegen die Versammlung – und auf die Armee. Sie müßte heimlich umgebildet werden, sichere Leute eingestellt, die radikalen Elemente ausgemerzt. In der Provinz müsse diese Arbeit beginnen, fern von dem Beobachtungszentrum Paris.

Das riet er in immer neuen Varianten, suchte auf den empfänglichen Sinn der Königin zu wirken. Und lauschte voll Spannung auf die Resonanz, auf eine Tat des Königs. Und lauschte vergeblich.

Sein erstes Auftreten in der Nationalversammlung nach dem Vertragsabschlusse verfolgte man bei Hofe mit reger Erwartung. Man war zufrieden mit ihm. Er hätte vielleicht auch ohne die vertragliche Bindung die Stellung des Königs mit genau der gleichen Verve verteidigt. Doch das Königspaar sah nun sein Tun durch die Brille seiner Verpflichtung.

»Er hat gut gesprochen,« lobte Ludwig behaglich, »aber ich bezahle ihn ja auch teuer genug dafür.«

Und damit hatte selbst dieser König, der so selten recht hatte, nicht unrecht.

Es wogte der Streit um die verfassungsrechtliche Bestimmung, wem das Recht der Kriegserklärung und des Friedensschlusses zustehen sollte. Die Rechte forderte es für den König, die Linke für das Volk. Hier bot sich die Gelegenheit, für das Recht des Königs seine Kraft in die Schanze zu schlagen. Mirabeau tat es mit bestürmender Gewalt. Er sprach zuerst vom Kriege und fand Worte, die – wie es scheint – um Jahrhunderte der Zeit vorauseilten.

»Es genügt nicht,« rief er, »im Prinzip den Krieg zu verdammen, um eine Nation, die ihre Rechte und ihre Interessen nicht aufgeben will, davor zu schützen. Warum doch muß gerade die Notwendigkeit, den Frieden zu sichern, die Nationen zwingen, sich durch Kriegsrüstungen zugrunde zu richten! Ich hoffe, diese schreckliche Politik wird bald der ganzen Welt ein Greuel sein, und ich erblicke im Geiste schon die Zeit, wo die Freiheit das menschliche Geschlecht von dem Verbrechen des Krieges erlösen und der ganzen Welt den Frieden verkünden wird.«

Hier applaudierte die Linke heftig. Die Rechte schwieg.

»Doch«, fuhr er fort, »der fanatische Freiheitsdrang wird nicht, wie gewisse, der Wirklichkeit entrückte Gemüter des Jakobinerklubs träumen, im Fluge die Welt erobern. Der Weltfrieden ist ein philosophischer Traum. Diese Eintracht, nach der wir im armseligsten Dorfe und im winzigsten Weiler vergeblich suchen würden, von der ganzen Welt zu erwarten, wäre ebenso absurd, als es lobenswert ist, sie herbeizusehnen. Solange aber das Recht des Ungerechtesten als das beste gilt, wenn dieser der Stärkste ist, kann Frankreich sich nicht isolieren, ohne bald in seiner scheinbaren Größe den Untergang seiner wahren Größe zu sehen.«

Beifall auf der Rechten. Schweigen bei den Radikalen.

»Die französische Nation verzichtet auf jegliche Art von Eroberung und wird niemals ihre Waffen gegen die Freiheit anderer Völker kehren.«

Hochgemute Zustimmung im ganzen Hause. Urgroßväter und Urenkel sind oft sehr ähnlich.

»Aber wird das Glück uns so hold sein, daß das Wunder, dem wir unsere Freiheit verdanken, in kurzer Zeit sich glänzend in beiden Welten wiederholt? Wir müssen also über den Krieg beraten und darüber, wer ihn zu erklären hat.

»Meine Geschichtsstudien zwingen mich, dieses Recht nicht einem Parlament von etwa tausend Personen anzuvertrauen.«

Unruhe links. »Haben sich nicht gerade die freien Völker immer durch die ehrgeizigsten und wildesten Kriege ausgezeichnet? Und haben politische Versammlungen nicht oft schon in blinder Leidenschaft den Krieg erklärt?«

Und schmetternd rief er in den Saal: »Gebet das Recht dem König, dem es allein gebührt. Verpflanzet nicht das Mißtrauen des Augenblicks in die Zukunft. Sorget dafür, daß ein König nur das vermißt, was das Gesetz ihm nicht gewähren kann, und entschlaget euch der Furcht, daß ein König, dem ihr das Heer anvertraut, mit einem Heer von Franzosen den Thron der Tyrannen wiederzuerobern trachten wird. Er würde vom Siege weg zum Schafott eilen!«

Die Linke wütete. Sie schickte ihren besten Redner, Barnave, ins Treffen. Er greift Mirabeau hitzig an. Das Volk, das weiß, daß heute ein fundamentales Recht der Krone gefällt werden soll, umsteht wie eine Mauer das Haus der Versammlung, die mit dem König nach Paris übersiedelt ist. Man drängt in den Saal. Jubelt Barnave zu. Der Beifall spornt sein Talent. Er spricht ebenbürtig dem Vorredner. Man will keine Debatte mehr, man schreitet überstürzt zur Abstimmung.

Mirabeau kennt das Ergebnis im voraus. Er hat Pflichten. Er erklimmt die Tribüne. Man will ihn niederschreien. Er kreuzt die Arme über der Brust und wartet gelassen. An seiner eisernen Stirn bricht sich der Tumult, verebbt.

»Entweder«, beginnt der Meister parlamentarischer Diskussion gelassen, »glauben die Freunde des Herrn Barnave, daß seine Rede über alle Erwiderungen triumphieren wird, oder sie glauben es nicht. Wenn sie es glauben, so erwarte ich von der Hochherzigkeit ihrer Bewunderung, daß sie eine Antwort nicht fürchten und mir die Freiheit der Erwiderung nicht bestreiten. Wenn sie es aber nicht glauben, so ist es ihre Pflicht, sich unterrichten zu lassen.«

Man murrt, man verteilt Exemplare des »Orateur du peuple«, der linksradikalen Zeitung, die Mirabeau einen Volksverräter nennt. Tausend Arme recken sich drohend gegen ihn empor, der Dunst des Volkes schwelt ihm entgegen, tausend Augen funkeln Unheil – er spricht mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit, Würde und Ruhe. Die Feuerkohlen seiner Augen halten den keuchenden Ausbruch, der ihn in Stücke reißen würde, in hypnotischem Bann.

»Man sollte doch meinen, daß man in einer der verwickeltsten und heikelsten Fragen der sozialen Organisation, ohne ein Verbrechen zu begehen, sehr wohl zweierlei Meinung sein kann. Ihr droht mir. Ihr ruft: ›An die Laterne!‹ Ihr jubelt Barnave zu. Auch mich hat man vor einigen Tagen im Triumph einhertragen wollen! Und jetzt schreit man auf der Straße und hier im Saale: ›Der große Verrat des Grafen Mirabeau!‹

»Wenn es bloß auf mich ankommt, dann wird dieser Tag unsere gegenseitige Ehrlichkeit entschleiern. Das Kriegs- und Friedensrecht nur dem gesetzgebenden Körper zuzuweisen, heißt in der schwersten Krise, die entstehen kann, einen Faktor ausschalten, der in der gewöhnlichen Gesetzgebung im Namen der Verfassung formell anerkannte Rechte ausübt. Soll man darum, weil die Königsgewalt Gefahren im Schoße birgt, auf ihre Vorteile verzichten oder, weil das Feuer brennt, sich auch der Wärme und des Lichts berauben, die es zu spenden vermag? Alles läßt sich verteidigen, nur nicht die Inkonsequenz: sagen Sie meinetwegen, man brauche keinen König, aber sagen Sie nicht, man könne bloß einen machtlosen, unnützen König brauchen. Herr Barnave hat darauf hingewiesen, daß Regierungen oft, um inneren Verwickelungen aus dem Wege zu gehen, einen Krieg vom Zaune gebrochen haben, und hat als Beispiel Perikles erwähnt, der, um nicht Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen zu müssen, den Peloponnesischen Krieg entflammte. Aber, meine Herren! War Perikles ein König oder ein despotischer Minister?! Wahrhaftig nicht. Perikles war ein Mann, der den Leidenschaften des Volkes zu schmeicheln und dessen Beifall zur rechten Zeit einzuheimsen wußte. Durch Freigebigkeit hat er für den Peloponnesischen Krieg, diesen ungerechtesten aller Kriege, begeistert – – Wen? Einen König? Nein. Die Nationalversammlung von Athen!«

Ein Stutzen – lautlose Stille. Jetzt ein Rauschen von einzelnen klatschenden Händen, wie Flügelschlag aufschwirrender Tauben, dann ein Brausen – ein Jubel – ein Orkan der Begeisterung. Erst hatten wenige, dann mehr, endlich alle die feine vernichtende Ironie auf Barnave und den ihm gespendeten Beifall der Nationalversammlung begriffen.

Der Sieg war errungen, dem König eines der wichtigsten Rechte gerettet.

Und Ludwig XVI. schmunzelte behaglich. Der Mann arbeitete gut. Aber, wie gesagt, er bezahlte ihn auch teuer genug.


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