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IX.

Aix, das lustige, kecke, blumenumgürtete Aix, die lebenspulsende Hauptstadt der Provence mit ihren Klöstern, Kirchen, ihren lustigen weißen Villen an den Berglehnen zwischen Zypressenwaldungen und Olivenhainen, ihren Rebhügeln und ihrem ewigen Sommer, Aix hatte seine knatternde Sensation!

Aix mit seinem römischen Triumphbogen, seinem »Cours«, dem Stolz der Stadt, dieser Prachtstraße mit drei Alleereihen, seinen Brunnen, hatte seinen großen Tag.

Aix mit seiner witzigen, ausgelassenen, wohllebigen, aufbrausenden, südlich hingerissenen und leicht zu entflammenden Bevölkerung mit ihrer Freude am Streit, an Theater, am Ringkampf des Geistes, am Fanal des Wortes, Aix mit seinem zahlreichen alten, arroganten, hochmütigen Adel, dem der König von Frankreich nichts war als der »Graf der Provence«, ein Primus inter pares – Aix hatte seine Schaustellung, sein Schauspiel, sein Redeturnier, seinen Wort-Hahnenkampf – Aix hatte den Sensationsprozeß des Grafen Mirabeau.

Von nah und fern, aus allen Teilen der Provence strömte man herbei, dieser Vorstellung beizuwohnen, deren Hauptakteure waren die Tochter der angesehensten Familie der Stadt, einer der erlauchtesten Häuser der Provence, die unbestrittene Königin des Liebeshofes von Tourves, und der berüchtigtste Abenteurer dieses an Vaganten, ausschweifenden Hirnen, phantastisch tollen Troubadouren reichen heißen quirlenden Bodens.

Marie-Marguerite-Emilie de Covet-Mirabeau, Tochter des Herrn Emanuel de Covet, Marquis von Marignane, Seigneur von Vitrolles, Gignac, Saint-Victoret und anderen Plätzen, Gouverneur des Isles d'Or und der Festungen Porteros und der Levante, sollte von dem Grafen Honoré-Gabriel Riquetti de Mirabeau vor der Großen Kammer des Parlements von Aix öffentlich geschieden werden.

Der weite Saal faßt nicht die Zuhörerschar. Die schaulüsterne Menge rennt den Kordon der Wachen über den Haufen, drückt die Türen ein, stürmt über die Barrieren fort, erobert sich sein Recht, diesem seltenen Spektakel beizuwohnen, diesem letzten Akt des Dramas zweier großer Häuser. Hoch den Vorhang von den brünstigen Geheimnissen dieser Ehe! Heraus aus den Kulissen, ihr Darsteller! Laßt uns hinter die Bettgardinen dieser Großen gaffen! Los! Das Spiel kann beginnen!

Es war im Mai 1783.

Lange hatte es Mirabeau in Bignon bei dem Vater nicht ausgehalten. Der Marquis quälte und quengelte ihn nicht. Aber er ging mit verbissener saurer Miene umher. Der Sohn bat, Schloß Mirabeau bei Manosque beziehen zu dürfen. Der Vater gestattete es.

Doch hier in diesen Räumen, in denen das Glück und die Sorgen seiner jungen Ehe umgegangen waren, erwachte in dem einsamen gereiften Manne eine melancholische Sehnsucht nach der Frau, die hier einst als junge Herrin geweilt, ihn beglückt, geärgert, zur Wut getrieben und ihr Kind, das nun tote, in Schmerzen geboren hatte. Seit 1774, seit jenem Tage, an dem sie für ihn die Reise nach Bignon zum Vater angetreten, hatte er sie nicht gesehen. Zeit mildert, verschönt, vergeistigt. Zeit ist die Luft, auf der die Flügel der Phantasie dahinschweben. Erinnerung verklärt. Nebel decken die Abgründe alles Bösen, Kleinen und Häßlichen, nur die ragenden Höhen des Guten, Großen und Schönen treten noch hervor aus dem milden Dunkel, sanft umstrahlt von dem zärtlichen Lichte der Wehmut und der Sehnsucht.

Er ertrug diese erinnerungspochende Einsamkeit nicht. Er vergaß alle Bitterkeit, die zwischen ihnen lag. Er schrieb eines Nachts, als der Schlaf ihn floh und es in allen Ecken des Schlosses raunte und flüsterte von alten lieben kosenden Stunden:

»Zu Mirabeau, den 13. November 1782. Emilie, höre mich! Es gibt noch Glück für Dich und für mich. Und wenn es um das ganze Leben geht, darf man nichts dem Zufall, nichts der Überstürzung, nichts der Schwäche überlassen.

Du hast mich geliebt, meine teure Emilie. Du hast mich sehr geliebt, und der erste Mann, den eine Frau geliebt hat, wird ihrem Herzen nie gleichgültig. Du könntest mich hassen; nichts mehr für mich empfinden, kannst Du nicht.

Aber warum solltest Du mich hassen? Nein, Du liebst mich. Tausend kleine Beweise besitze ich ... teure Emilie, höre den Mann, der Dich liebt, so innig liebt ...«

Sein Verlangen, sein Einsamkeitsgefühl, seine linde Erinnerung ging mit ihm durch, fand rührende betörende Worte:

»Ich habe ein Recht auf den kostbarsten Besitz, den einzigen, der fortan mein Leben verschönen kann.«

Die vergötterte Königin des Liebeshofes von Tourves, die endgültig die Herrschaft ihrer Rivalin, der schönen, pikanten, geistreichen Madame des Rollands, gebrochen hatte; die alle Welt mit ihrer Stimme, ihrer Schauspielkunst entzückte; die erste Frau der Provence, die Geliebte des Grafen Alexander Gallifet, erwiderte: »Die Gerichte werden ja wohl Ihre Ansprüche auf dieses Gut zu würdigen wissen.«

Es war ein Schlag mitten ins Herz. Sein Zorn brauste auf.

»Du willst nicht?! Ich habe das Recht zu wollen, und ich will! Sage noch einmal nein, damit ich es glauben kann. Der Rest liegt dann bei mir. Der Gerichtsvollzieher wird marschieren. Noch bist Du mein Weib.«

Ihre Antwort war der Antrag auf Scheidung bei dem Gericht in Aix.

Des Dramas letzter Akt hatte begonnen. Die Kämpfer dieses Turniers der Herzen standen sich ungleich gerüstet gegenüber. Auf der einen Seite der angebetete Liebling der Provence, die Heldin von Tourves, ausgestattet mit dem Wohlwollen der besten Gesellschaft, dem Reichtum, der Stellung, den Verbindungen zu den Mitgliedern des Gerichts, getragen von dem Enthusiasmus der leichtempfänglichen Bevölkerung, die sie von Kindheit an kannte, ritterlich gefördert als Weib, als arme, unglückliche, von dem bösen Manne verfolgte, gemarterte Frau.

Er hingegen war verrufen durch sein ausschweifendes Leben, zum Tode in effigie verurteilt, ein Weiberheld, ein wüster Roué, ein Edelmann ohne Adel, von Schulden erstickt, Mitglied einer wahnwitzigen Familie, Stammgast aller Staatsgefängnisse, ohne Anhang, ohne Einfluß, ein räudiger Bettler, ein Windhund, Lügner, Eulenspiegel.

Die Partie stand nicht gleich.

Emilie hatte, da sie früher als er den Prozeß nahen sah, den sie erzwingen wollte, alle Waffen an sich gerissen, alle Festungen besetzt, alle Stellungen befestigt. Alle Anwälte von Aix hatte sie konsultiert, um es ihnen unmöglich zu machen, ihres Mannes Vertretung zu übernehmen; der berühmteste Verteidiger der Stadt, der sich in manchem großen Prozesse Lorbeer errungen, Maître Portalis, war ihr Wortführer. Die Räte des Parlements waren ihre und ihrer Familie Freunde, häufige Gäste bei den üppigen Gelagen des Vaters. Sie hatte die Stimmung für sich mit raffiniertem Verständnis bearbeitet. Es war ein genialer Streich ihres Anwalts. Er verfaßte ein »Mémoire«, das lediglich aus Briefen des Marquis von Mirabeau an Emilie bestand.

Der »Teufel der Skribomanie«, seine Schreibwut, hatte während der Vincenner Tage des Sohnes und später, als er mürbe dessen Verfolgung aufgegeben hatte, getobt, hatte die Gänsefeder in Gift und Galle getaucht und ihm Briefe an die Schwiegertochter eingegeben, die nun dem Sohne zum Verhängnis werden sollten.

»Er ist nicht wert, im Gedächtnis der menschlichen Gesellschaft fortzuleben. Ein vollendeter Schuft. Ausdenker der perfidesten und verbrecherischsten Pläne. Ob man ihm zumutet, Affe, Wolf oder Fuchs zu sein, ist ihm ganz einerlei; keine dieser Rollen kostet ihn irgendwelche Überwindung.«

Es war eine herrliche Blütenlese väterlicher Urteilskunst.

Die Verfasser fügten ihr nur hinzu: »So urteilt der eigene Vater über ihn!«

Das Mémoire ward in Aix, der Provence, ganz Frankreich verbreitet. Es drang durch Gallifets Verlegereifer bis nach Paris, London, Berlin, fand reißenden Absatz. Eine Neuauflage mußte noch vor dem Tage des Gerichts gedruckt werden. Es vergiftete die Atmosphäre, in der dieser Sohn kämpfen sollte.

Er kam nach Aix. Sein wacher Instinkt fühlte die Stimmung, die gegen ihn herrschte. Er erkannte die Schwierigkeiten. Doch er verzagte nicht. Hier in Aix wurde er endlich zum Manne. Hier ward er zu dem Mirabeau, der der Geschichte seines Landes gehört. Hier endlich fiel das fahrige Abenteurertum von ihm ab. Hier endlich riß er die Gaben, die ihm die Natur in wundersamer Fülle verliehen hatte, heraus aus der lebensplänkelnden Zersplitterung und schmiedete sie zu einem sausenden Schwerte. Hier endlich schleuderte er seinen durchdringenden Verstand, sein umfassendes Wissen, seine Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der Stunde, seine meisterhafte Beherrschung der Debatte, seine flügge Erfindungsgabe, seine klangvolle hinreißende herzbetörende Stimme und seine Beredsamkeit in den Kampf. Hier ward er zu dem größten Redner, den Frankreich bis dahin vernommen hatte, hier, wo er zum ersten Male in der Öffentlichkeit sprach. Hier erkannte er, hellseherisch, wie das Genie ist, daß es nicht den kleinlichen Kampf um ein Weib, um ein zerschelltes Eheglück galt.

Er ward sich in diesen Tagen der um ihn lodernden Feindseligkeit dieser Stadt bewußt, es galt, diese gehässige Stadt, diese schadenfreudige Provinz, dieses ganze, ihn verachtende und seiner gewissen Niederlage frohe Land Frankreich zu erobern. Nie hat er klarer die Bedeutung einer Stunde durchschaut. Frankreich gärte, die Steuern erstickten das Volk, die Zinsen der Anleihen blieben längst aus, die Geister brodelten, die Revolution stand vor den Toren. Er wollte ihr Meister werden, hell bewußt. Er mußte einen Namen haben, wenn die Tore aufbarsten zur Tat. Er durfte nicht mehr der berüchtigte tolle Graf sein, den keiner ernst nahm. Er mußte dann der Mann des Vertrauens des Volkes sein. Er sah die Gelegenheit, dieser Mann zu werden, und packte zu. Er wußte, es galt seine Zukunft als Redner und Staatsmann. Hier, der Süden, war das Land des Wortes. Unter diesem geschwätzigen, plauderfrohen Volke war das Wort der Wert des Mannes, war die Rede der Ruhm. Hier endlich bot sich ihm die Plattform dieses Ruhmes. Er bestieg sie. Dieser Tag des Gerichtes entschied sein Leben, baute ihm die Bühne für die Rolle, die er sechs Jahre später spielen sollte. Aix ward ihm das Sprungbrett in die Arena der Revolution. – –

Vor den Schranken des Gerichtes sah er sein Weib wieder nach neun Jahren. Sie war schöner, üppiger, verführerischer. Doch er kämpfte nicht mehr um sie, als er um sie rang, wie nie ein Mann vor Gericht um eine Frau gerungen hat. Er hörte den dumpfen Atem der vielhundertköpfigen Menge im Saale, er fühlte den Odem des Volkes. Zu ihm sprach er, um dieses Volkes Gunst kämpfte er allein.

Ein junger, unerfahrener, redeungewandter Anwalt, Herr Jaubert, war für ihn übriggeblieben. Doch er brauchte keinen Vertreter. Er vertrat sich selbst. Die Richter, unter dem Vorsitz des galanten Lebemannes, des Herrn des Gallois de la Tour, blickten verächtlich und feindlich auf ihn, behandelten die Klägerin und ihren Beistand mit parteiischer Hochachtung. Als er seinen Platz einnahm, murrte die Menge, die sogar die Fenster von außen besetzt hielt, gehässig.

Desto besser. Desto größer der Sieg, wenn er ihn errang.

Maître Portalis wollte ihn reizen, ihn beleidigen, ihn brandmarken. Er sprach nicht zu dem Gerichtshof. Er redete den Beklagten persönlich an, schleuderte ihm seine Schandtaten ins Gesicht. Der Reihe nach marschierten seine Geliebten auf, von dem Kantinenweibe des Château d'If bis zu Julie Dauvers, die er nie besessen hatte. Alle seine Streiche, Verfehlungen, Irrwege, seine Schulden, Unsinnigkeiten breitete der Gegner aus vor der verblüfft und gierig aufhorchenden Masse. Es war ein bunter Teppich menschlichen Fehlens. Das Publikum schwelgte im Genusse dieser Schandtaten.

Als der Anwalt geendet hatte, ging eine Bewegung der Befriedigung durch das Auditorium. Der Mann war erledigt.

In der ersten Reihe der Zuhörer saß der Bruder der Königin, der Erzherzog Ferdinand, Gouverneur der Lombardei, mit seiner Gemahlin. Sie weilten zur Kur in Aix und hatten es sich nicht nehmen lassen, diesem letzten Gericht über den verlorenen Sohn der Provence beizuwohnen. Der Erzherzog machte eine Geste, die bekundete: die Sache ist abgetan. Alles nickte.

Da erhob Mirabeau sich zu seiner gewaltigen körperlichen Größe. Lautlose Stille.

»Der Verteidiger der Madame de Mirabeau, der offenbar vergessen hat, daß er zu dem souveränen Gerichtshofe und nicht zu mir sprach, hat sich erlaubt, das Wort dauernd an mich zu richten. Er hat vergessen, daß er im Namen einer Gattin sprach, die immer in ihrem Gatten das Haupt sehen muß, das die Natur und das Gesetz ihrer Familie gibt, und hat mich fortgesetzt beleidigt.«

Lachen des Volkes.

Unbeirrt sprach er ruhig fort:

»Er hat angekündigt, er müsse hier Greueltaten enthüllen. Er hat es reichlich getan. Er hat gewagt, davon zu fabeln, daß man mich bald als Mönch, bald als Fremden verkleidet im Walde von Candumi im Hinterhalt liegen gesehen habe, daß man in meinen eigenen Briefen furchtbare Pläne entdeckt, daß ich das Haupt einer Brigantenbande gewesen sei.«

Klug überging er die wahren Anschuldigungen und nahm die unwahren unter die Lupe.

»Der Herr hätte Dichter werden sollen. Seine blühende Phantasie hätte ihm den Parnaß gesichert. Hier an dieser würdevollen Stätte sind diese Märchen, für die er nicht den bleichen Schatten eines Beweises gewagt hat – aus guten Gründen – eine Beleidigung des hohen Kollegiums, eine Kränkung der fünfhundert Zuhörer.«

Die Fünfhundert horchten auf und fühlten sich.

»Doch ich verachte diese Injurien wie die tausend anderen, die er gegen mich gerichtet hat, und würdige sie keiner Antwort. Er hat aber meinen Vater angegriffen, diesen berühmten Schriftsteller Frankreichs, den sogar das Ausland verehrt, den Schweden seiner höchsten Auszeichnung, des Ordens des erhabenen Geschlechtes der Wasa, wert befunden hat. Man hat sich nicht gescheut, sein Alter und sein Genie zu verunglimpfen.«

Er hieb eine Finte von unerhörter Kühnheit. Er, der durch des Vaters Briefe entehrt und besudelt war, er griff zur Verteidigung dieses Vaters.

»Dieser Vater konnte die zur Erkennung der Wahrheit notwendige Unbefangenheit nicht besitzen, weil er aus der Ferne all den Klatsch, mit dem man von dort aus –« er hob den Finger gegen die Familie Marignane – »sein väterliches Herz beschwerte, nicht zu beurteilen vermochte. Diesen Klatsch, den so viele freche Mäuler in dieser Provinz kolportiert haben; diesen Klatsch, der wohl eben dort entstanden war und dessen ›lautere‹ Quelle mir nur zu gut bekannt ist.« – Er starrte sekundenlang schweigend auf sein Weib. – »So ist es gekommen, daß meine Verleumder, indem sie sich auf die Briefe meines Vaters beriefen, damit nur ihr eigenes Zeugnis zu Worte kommen ließen.«

Er machte eine geschickte Pause. Im Publikum summte es. Portalis rückte unruhig auf seinem Sessel. Er hatte ein feines Ohr für Volksstimmungen. Emilie, der Marquis de Marignane, Gallifet, die Richter blickten überlegen drein.

»Doch ich übergehe diese Plattheiten und viele andere, die ein Lachen erzeugen lediglich auf Kosten der Leute, die sie vorgebracht haben. Aber ich muß mich befassen mit der langen Zurschaustellung der Frechheiten, die mit der Dreistigkeit endigten: ›Es ist ehrenvoller, von dem Grafen Mirabeau getadelt als gelobt zu werden.‹

»Fünfhundert Menschen haben diese Worte vernommen. Wenn die Fragen, die ich jetzt an Maître Portalis richten muß, heikler sind als diejenigen, die er an mich gestellt hat, so ist das wirklich nicht meine Schuld.«

Eine Bewegung aufgischender Neugier fieberte durch den Saal. Die Luft war dick, aus den Bankreihen quoll ein fauliger Geruch von Zwiebeln und Knoblauch. Emilie blickte ängstlich befangen drein. Ihr Anwalt machte ihr ein Zeichen: »Nicht verblüffen lassen! Schaumschlägerei!«

Mirabeau zählte noch einmal die acht Anschuldigungen auf, die wider ihn erhoben wurden.

»Nur einen Augenblick zum Atemholen, dann will ich antworten.«

Er spielte ein Meisterspiel mit diesen Anklagen, diesen ans Licht gezerrten Geheimnissen der Ehe, die in jedem Scheidungsprozesse aus dem Alkoven aufqualmen und den Gaffern preisgegeben werden, diesen großen und kleinen Nichtigkeiten, Nadelstichen, Pikanterien, Äußerungen des intimsten häuslichen Lebens. Zerlegte, deutete, kritisierte, verhöhnte, wendete, jonglierte mit ihnen, bis sie zu zerplatzenden Seifenblasen wurden. Seine Dialektik feierte Siegesfeste.

»Ich war an einem gewissen Tage betrunken? Allerdings. Aber viele andere waren es auch. Herr von Marignane erinnert sich vielleicht noch.«

Kichern unter den Zuhörern.

»Ich habe meine Frau hintergangen? O, herrscht bei uns etwa eine solche Reinheit der Sitten, daß wir jeden, der des Ehebruchs verdächtigt oder auch überführt wird, deshalb als ehrlos bezeichnen dürfen? Ich wage es nicht. Mein Urteil könnte sonst jene ehrenwerten Personen treffen, die ich dort vor mir sehe, den Marquis von Marignane und Madame de Croze, die, beide verehelicht, doch seit langen Jahren treu beisammen leben.«

Lautes Lachen. Die Stimmung begann umzuschlagen. Die beiden Bloßgestellten bekamen rote Köpfe, Emilie erbleichte, ihr Anwalt biß sorgenvoll die Lippen.

Mirabeau fühlte die Wandlung der Stimmung. Er hatte die Lacher auf seine Seite hinübergezogen. Jetzt spielte er seinen höchsten Trumpf aus.

»Aber«, rief er, »wir wollen sie und auch mich nicht streng beurteilen. Welches Herz von Stein wäre so hart, daß es nicht gegen die Jugend« – hier mußten selbst einige der Richter heimlich lächelnd auf das alte Liebespaar blicken – »Jugend und die Liebe Nachsicht übte? Frau von Mirabeau wirft mir vor, ich hätte sie verlästert. Sie soll selbst beurteilen, ob sie recht hat. Ich will ihr einen Brief vorlesen, den sie vielleicht über der Menge ähnlicher vergessen hat.«

Er griff in seine Akten. Emilie entfuhr ein kaum beherrschter Schrei. Ihre Ahnung ächzte. Alles blickte auf sie, auf den Redner, der mit erhobener Stimme las:

»Manosque, den 28. Mai 1774.«

Emilie schrie: »Nein, nein!«

Das Publikum federte empor, reckte die Hälse, drängte vor, stieß. Andere riefen: »Ruhe – Ruhe!« Am Richtertisch blickte man nervös drein. Maître Portalis sah voller Bestürzung auf seine Klientin, die Familie Marignane begriff nichts mehr.

Als Stille geworden, las Mirabeau laut und gelassen:

»Ich habe mich, mein Herr, aus meiner Verirrung zurückgefunden, und der erste Schritt ...«

»Schurke!«

Emilie war aufgesprungen, ihre Augen funkelten, sie tat einige Schritte, als wolle sie sich auf den Grafen stürzen.

Der Saal siedete. Man wußte sich im Publikum nicht zu fassen, vor Freude, intriganter Lust, vor Erregung über diesen Höhepunkt des Schauspiels.

Maître Portalis packte die Frau fest am Handgelenk.

»Keine Unbesonnenheit!« knirschte er.

Harmlos hob Mirabeau die Augen von dem Briefe.

»Was ist?« fragte er arglos.

Gelächter.

»Er – er hat – ihn – nicht – abgesandt?!« keuchte Emilie.

Der Saal dröhnte vom Lachen der Menge. Witze rissen durch die Schwüle, Beschimpfungen der »Dirne«, Rufe der Neugier: »Stille! – Wir wollen hören! Schweigt! Laßt ihn lesen!«

Der Vorsitzende gebot Ruhe.

Maître Portalis zog Emilie auf die Bank nieder. Seine Züge waren starr vor Empörung über seine Düpierung.

Langsam, liebenswürdig las Mirabeau den Brief zu Ende.

Der Eindruck war so überwältigend, daß tiefes Schweigen der Lektüre folgte.

Rasch schmiedete der Redner das weißglühende Eisen. »Frau von Mirabeau mag uns einen Kommentar zu diesem Briefe geben, der freilich kaum notwendig sein dürfte. Herrn Portalis aber möchte ich andeuten« – jetzt log er grob –, »daß in meiner Mappe noch mancherlei Schreiben zu finden sind, alle wohl geeignet, ihm für den Roman, den er bei seiner dichterischen Begabung zweifellos aus diesem Material schmieden wird, als Unterlage und Anekdotenquelle zu dienen.«

Das Publikum quittierte den Witz gebührend.

»Es ist nicht wahr«, hauchte Emilie, zurücksinkend. Doch der Anwalt hatte das Vertrauen zu seiner Klientin verloren. Die Familie Marignane kauerte zerschmettert auf ihrer Bank.

Mirabeau fühlte die Schwingen des Sieges um sein Haupt streichen. Jetzt wuchs er empor. Sein häßliches blatternarbiges Gesicht ward schön, er wurde zur rächenden Flamme, zum funkelnden Schwert, das den Gegner vollends zu Boden schlug.

»Ich achte«, rief er mit seiner Stentorstimme, »in den Advokaten eine Beamtenschaft von vornehmer Gesinnung. Wenn aber einer von ihnen unter dem Schutze der Straflosigkeit, den dieser Beruf genießt (und zwar mit Recht genießt, da diese Unabhängigkeit seine Seele ist), sich nur durch unheilvolle Fähigkeit hervortut, wenn seine ganze Beredsamkeit darin gipfelt, phrasenhafte Schmähungen, Lügen und Verleumdungen auszuspeien; wenn er Tatsachen erfindet oder entstellt; wenn er alle Beweisstücke, die er bringt, verstümmelt oder entstellt oder fälscht und sich wohl hütet, sie vorzulesen, um nachher die Untreue des Gedächtnisses vorschützen zu können – ein solcher Mensch steigt aus dem freiesten Stande herab in die Sklaverei der knechtischsten aller Leidenschaften und wird – um dem Martialis eine Bezeichnung zu entlehnen – ein Krämer, der Worte, Lügen und Beleidigungen feilbietet!«

Portalis war zornbebend aufgeschnellt. Der Vorsitzende griff ein, die Menge kochte auf, schrie: »Laßt ihn reden! Keine Parteilichkeit!« Die Gesichter waren schweißig vom Mitleben dieses Kolportagestückes, Hände wischten in nervöser Hast über brennende Wangen, Augen blitzten in teilnehmender Gier. Es war ein Festtagsschmaus für diese lüsterne Bevölkerung der Provence.

Portalis fiel halb ohnmächtig in die Bank. Griff zitternd zum Wasserglase. Der Präsident rügte den Redner, gebot ihm, Beleidigungen des Anwalts zu unterlassen.

Das Volk knurrte laut. »Laß ihn den Verleumder doch abstechen!« rief wütend ein Marktweib.

Sofort beutete Mirabeau die Volkslaune aus, die sich gegen das Gericht wandte. Er wußte, daß die Richter durch enge persönliche Bande der Freundschaft, der Beziehungen, der Familie mit den Marignanes verbunden waren, daß das Urteil schon vor Beginn der Verhandlung feststand. Er wollte ihnen und dem Volke aber sagen, daß er sie durchschaute. Er sagte es.

»Noch ein Wort, meine Herren!« brüllte er, die knisternde Unruhe im Saale und am Richtertisch unterjochend. »In dem leidigen Prozeß, der uns hier zusammenführt, wagt man, schon das Urteil vorauszusagen. Ja, die Zuversicht meiner Gegner ist so groß, daß sie nicht einmal mehr den äußeren Schein wahren. Und wenn sie es auch nicht klipp und klar aussprechen, daß sie den Urteilsspruch diktieren werden, können sie es wenigstens nicht unzweideutiger ausposaunen, als sie es getan haben, daß sie über den höchsten Gerichtshof der Provinz verfügen.«

Die Richter sprangen empor.

Mirabeau reckte gebieterisch den Arm und überschrie den Lärm:

»Aber eine derartige Lästerung schreckt mich nicht. Im Gegenteil – sie verdoppelt mein Vertrauen.«

Die Richter setzten sich unschlüssig. Im Zuschauerraum stieg ein einzelnes silbernes Frauenlachen, wie eine Lerche im Felde.

»Ich darf von dem Gerichtshof um so getroster ein gerechtes Urteil erwarten, als ja bekanntermaßen meine Gegner mit den meisten meiner Richter befreundet oder verwandt sind und ich ihnen dadurch den deutlichsten Beweis meines Vertrauens gegeben habe, daß ich sie nicht als befangen ablehnte. Denn nicht verwandtschaftliche Rücksichten, nicht die Bitten der Parteien, sondern allein das Recht wird ihr Urteil bestimmen. Und ohne Zweifel kennen sie die wahre Größe ihres Amtes zu gut, als daß sie unter Entäußerung ihrer Würde und ihrer Tugenden vom hohen Tribunal herabsteigen und sich zum Rang der Parteien erniedrigen werden.«

Nie war dieser Saal von solchem Sturme der Begeisterung durchfegt worden. Diese Leute der Provence hielten nie – auch nicht vor den Schranken des Gerichts – mit der spontanen Bekundung ihrer Meinung zurück. Heute bebten die Fenster. Diese Schlußwendung seines Vertrauens zu diesen Richtern, die keiner ernst nahm, diese überlegene Ironie, diese echte südlich kühne und unverschämte Verspottung dieser königlichen Beamten sprengte die mühsame Fesselung der Gefühle. Man schrie, jubelte, klatschte, trampelte. Nie hatte man mit solchem Feuer reden hören, mit solcher Klarheit, solchem überlegenen Hohne, solch beherrschender Meisterschaft. An diesem Morgen ward Mirabeau der populärste Mann seiner Heimatprovinz. Er hatte seine Gaben, sein Rednergenie zum ersten entscheidenden Siege geführt.

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Sie dauerte lange. Es galt einen harten Kampf zwischen Rücksicht auf das Volksempfinden, Recht, Parteilichkeit, Ansehen des Gerichts. Doch noch herrschte das alte Regime in all seiner frechen Beschränktheit, noch wütete der Despotismus, noch waren Familienrücksichten, Beziehungen, Willkür Herren des Rechts und öffentlichen Lebens.

Mirabeau wurde verurteilt. Zugunsten Emilies ward die Trennung von Tisch und Bett ausgesprochen.

Er hatte von den Richtern seiner Zeit nichts anderes erwartet. Er wußte, daß die Reform des Rechtes und der Gerichte eine der bitterst dringenden Forderungen der kommenden Tage war. Aber das Volk wußte es nicht. Es pfiff, es johlte, es schmähte, es warf mit faulen Eiern und Äpfeln nach den Richtern, nach den Marignanes, nach dem Maître Portalis. Es trug den »Besiegten« im Triumphe durch die Straßen. Als Emilie mit Gallifet das Gerichtsgebäude verließ, wurde ihr Wagen mit Steinen bombardiert. Spottlieder auf die »Siegerin« stiegen auf aus der empörten Volksseele.

Noch am Tage der Urteilsfällung forderte Mirabeau den Grafen Gallifet, den Geliebten seiner Frau, zum Duell heraus. Er durchspießte dem Nebenbuhler den rechten Arm mit dem Florett.

Am nächsten Tage verließen die Sieger die Stadt, deren Boden ihnen zu heiß geworden war. Mirabeau schied, ärmer und verlassener als je, doch reich an ideellem Besitz. Er hatte eine Frau und einen Prozeß verloren, aber einen unerschütterlichen Ruhm und das Herz des Volkes einer Stadt und einer Provinz gewonnen.


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