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Zwanzigstes Capitel.


Bittere Erfahrungen und Hoffnungslosigkeit verleiden den Besten sogar auch die Heimat. Das trieb sie zur Auswanderung. Sie beschlossen in einem Familienrathe: den Palast in der Stadt und ihr Landgut mit schöner Burg und prächtigem Garten und See zu verkaufen und in die Fremde zu ziehen. Und da lockte die Mutter denn die Schweiz mit ihrer Tochter und den beiden lieben kleinen Enkeln. Gaietten lockte der junge Ritter Savern; die um ihre Einwilligung befragte Irmengard-Gabriele schrieb ein großes Ja! auf die Tafel und küßte sie. Die wiederbeginnenden grausamen Judenverfolgungen, selbst in Amsterdam und in ganz Holland und Brabant, ließen auch Don Ramon die Auswanderung aus dem scheinbar genug bestraften Land gar heilsam erscheinen. Denn es ist nirgend stiller als auf einem verlassenen Schlachtfelde. Selbst der Mohrenknabe freute sich – obgleich stark sich irrend, und Eisgletscherhauch und ewigen Schnee in der Luft nicht kennend – auf ein wärmeres Land. Nur der alte Hausmeister Hagebald war betrübt, und ging, um nichts mehr als wahr und vorhanden anzusehen, mit halbgeschlossenen Augen umher, oder sang in den leeren Sälen, ja unten in den Kellergewölben, wenn er nach Wein ging, herzbrechende Kranken- und Sterbelieder wie mit Geisterstimme, und er zerschlug vor Unmuth mit Willen die Flaschen in der Hand, wenn Gaiette zu ihm in den Kellerhals hinunterlachte, und nur den stark und prächtig hinaufduftenden Wein bedauerte und rief: ein treuer »Hund« verläßt mit den Menschen das Haus; die Katze nur bleibt getreu bei den Mäusen. Dann sprach sie ihm Muth ein, streichelte ihm die Backen und wischte ihm die Thränen aus den Augen. Und er lachte wieder.

Sie meldeten ihr Kommen für immer an den Genfersee, damit die Ihren dort Alles ihnen schmuck, bequem, übergenüglich, reich und kurz allerliebst herrichteten. »Alles in der Welt – nur keine Ersparniß!« Die besten Sachen, künstlichen Geräthe und Bilder gingen schon immer zu Rheinkähnen hinauf voraus bis Basel. Sonst Alles, Bewegliches und Unbewegliches, war, wie um es leichter zu vergessen und es gern in Anderer Besitz zu wissen, an »edle« Häuser verkauft. Raimund's Glaube an seine Gabriele bestand die Probe auch dadurch, daß er seiner Nichte ... oder doch seiner Frau Schwägerin Tochter Irmengard eine Todtenmesse stiftete und ein sehr großes Vermögen dazu vermachte – das durch Jostens Vermittelung für die Zukunft verstanden und in der Gegenwart gnädig angenommen ward.

Das war wahnsinnig von ihm – aber Er war wahnsinnig. Und so war es sogar ganz natürlich, und bei ihm und von ihm ganz gut.

Auch unterwegs trafen sie, als sie in Worms Ruhetage hielten und dabei auf das nächste Dorf hinausgingen, auf den zu einem schmucken jungen Hirten aufgeschossenen Hirtenknaben Nikolas, der auf einem Hügel saß und Schalmei blies für seine Heerde. Aber die Lieder befielen mit Wehmuth die Fremden, die den Hügel erstiegen – denn es waren seine Lieder, die er um die Lindenburg geblasen. Irmengard hatte sich schon ferner in den Schatten niedergesetzt. Raimund erkannte oben den versunkenen armen Herzog – blieb aber stumm, wie die rothgewordene Gaiette, die Frau Rath Irmentrud, ihr Mann, jetzt van Graveland, und Don Ramon. Dem Nikolas blieb auch der Athem in der Brust stocken; aber er mußte aufstehen. Raimund gab ihm eine Hand, bedauerte ihn, ließ sich sein kleines Beutelchen reichen, schenkte es ihm voll von Gold – und rieth ihm: ja in die Schweiz – in das Paradies der Hirten und Kühe, Ziegen und Schafe zu kommen, und ja ihn zu besuchen! Er begleitete sie den Hügel hinab in Schweigen. Irmengard stand von ihrem Felsstück auf, und auch seine Gabriele mußte dem Nikolas eine Hand geben, wobei sie aber zitternd und so zu sagen noch todtenblaß und starr dabei zur Erde sah. Dann ging er weinend wieder den Hügel hinauf und blies ihnen alte Lieder auf seiner Schalmei nach. Und Don Ramon sprach vor Allen laut: Er sieht aus wie aus einem Narrenhause entsprungen, und Schalmei bläst er zum Gotterbarmen!

Das glaub' ich! meinte Gaiette. Sein Hund heißt wieder Phylax! Aber das ist alles umsonst! Alte Zeiten stehen nicht auf!

Bei Nacht aus dem letzten Orte abgereist, kamen sie am prachtvollsten Tage in Genf an. Frederune und ihr Salomon brachten Jedes der Mutter ein kleines Engelchen als Enkelchen auf dem Arme an ihr Herz und jedes ihr einen Strauß Alpenveilchen. Savern begrüßte Gaiette als ihm auf der ägyptischen Reise liebgewordene Freundin so liebreich, daß sie mit dem Gesicht im Brusttuch sich freute. Um alle Schrecken zu ersparen, entdeckte Don Ramon sogleich ihren Wirthen die sonderbare Ehe einer Todten mit einem Lebendigen – des vortrefflichen Raimund mit Irmengard, deren Sprachlosigkeit, also ihr Schweigen, das Verhältniß ungemein erleichterte. Das große, in das Bett zu legende Schwert war als ein Heiligthum mitgebracht und mußte sogleich an seinem Orte Wache liegen.

Unter den ausgetauschten Neuigkeiten erfuhr Don Ramon die ihm als Arzt hochwichtige Kunde von Savern, als den Schlüssel zu dem ganzen Kinderkreuzzuge, nämlich: Es sind zwei Geistliche, zwei Brüder nach Frankreich gekommen aus der Gefangenschaft des Assassinenfürsten, die er entlassen unter dem Gelöbniß: für ihren noch als Geisel zurückbehaltenen Vater sechs schöne Frankenknaben zu bringen. Diese zwei Brüder haben, um Vendôme an der Loire zu Hause, nun zwölf Knaben an sich gelockt, sie beschenkt, ihnen das heilige Morgenland als das Paradies der Erde geschildert, ihnen große Versprechungen gethan, ihnen Offenbarungen, Schätze und Wunder vorgelogen, sie den Aeltern gestohlen, eingesperrt und nun sie geistlich exerciren lassen bis zum Verrücktwerden, durch Beten, Singen, Knien, Weinen auf Commando, Beichten, Nachtwachen, Teufelverwünschen und -Austreiben, bis sie durch das geistliche Exercitium vollständig gerast. Dann haben sie sechs dieser armen Seelen wie ohne Leiber dem Fürsten zum Lösegeld gebracht, der diese Wahnsinnigen nach Art der Morgenländer geradezu für Heilige gehalten. Die in Frankreich Gebliebenen sind aber ins Land entlaufen, die entsetzliche Krankheit in Haupt und Gliedern; haben die Hirtenknaben zuerst, und die Hirtenknaben dann die Dorfjugend damit angesteckt. So ist die Kinderwuth angegangen, wie »Seelenpocken«, bis sie als Kinderkreuzzug ausgebrochen und ihren rasenden und unseligen Verlauf genommen. Vincenz von Beauvais.

Der Doctor fiel ihm um den Hals und küßte ihm die Hände vor Dank, daß er als Arzt recht gesehen. Aber auch vor edler Menschenfreude, daß dem ganzen großen Wirrwarr nur die Kindesliebe zu Vater und Mutter, wenn auch in ihrer Entartung zugrunde gelegen.

Mehr brauchten sie von der Welt nicht zu wissen, als ja sich untereinander liebend. Sie verpaßten in Ruhe und Frieden den neuen Kreuzzug der 70,000 geharnischten Ritter, der wie der Zug der Kinder jämmerlich endete. Sie verpaßten die große fürchterliche Weberschlacht der Wollenweber und Tuchscheerer gegen die Patricier, die sie aus Köln vertrieben, aber der Mittelstand in den weitern Rath aufgenommen werden mußte. Sie verpaßten den neuen Kampf Aller gegen die Macht und das Herrschen des neuen Erzbischofs; die Belagerung der Stadt, die Eroberung; die Verjagung und die Enthauptung der Herren vom Rathe; indeß sie selbst hier Alle doch mit dem Leben, dem größten Schatz, und mit allen ihren goldenen Schätzen davongekommen!

Sie vernahmen nur noch wie ein Märchen, daß der Kaiser Friedrich II. die christlichen Seeräuber und Kreuzkinderverkäufer, Hugo Ferreus und Wilhelm Porcus, sammt dem sicilischen Emir und dessen Söhnen, denen sie hatten den Kaiser ausliefern sollen – alle Fünf an einen fünffingerigen Galgen hatte hängen lassen. Ihr halb vergessenes, halb ausgeheiltes Uebel gab ihnen keine besondere Freude an der Vergeltung.

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So verging die Zeit. Der gute Don Raimund ward schwächer und träumerischer. Endlich lag er unrettbar auf seinem letzten Lager, als ein Opfer der Rettung der Tochter seines Bruders, die ihm die Wunde in den Nacken und den Wahnsinn zugezogen. Er ließ seine Gabriele an das Bett kommen, hielt sie an der Hand und dankte ihr, daß sie aus Liebe und Treue zu ihm den Himmel verlassen. Aber, sagte er: Ich kehre zu dir nicht zurück! sondern komme du lieber gleich mit, oder gesund mir nach – mir war es doch zu traurig – du erinnertest dennoch mich immer: daß du gestorben! und das war eine schlimme Zeit! Die vergiß ja lieber!

Sie beweinte den ihr wie heilig erschienenen Mann redlich und begrub ihn wie einen Seligen, der ihrer nicht mehr bedürfe.

Nach der Trauerzeit kam einst Nikolas mit seiner Schalmei in ihr Thal. Und ihr schlug das Herz von den Jugendklängen, die in ihre Liebe gefallen, die ihr damals nur Frömmigkeit und Glauben geschienen. Savern und Gaiette gaben ihr ein reizendes Beispiel. Soll denn ein Unglücklicher, doch im Herzen Unschuldiger, gar kein Mensch mehr sein und werden dürfen? – Und aus Erinnerung wurden sie Mann und Weib, und das mannesgroße silberblanke Schwert mit dem mächtigen Griffe verschwand aus dem mit weißen Lilien bekränzten Bett.

Er fand bei ihr einst, aus Raimund's Nachlaß, das kleine Kästchen mit dem Kinde, das vormals mit gegen sie hatte zeugen müssen. Ameisen in der Eiche hatten das kleine Gerippe wie zärtlich und ganz unvergleichlich ab- und reingenagt.

Der Fund war sein Lohn!

Und als Irmengard darauf ein Kind geboren, und entzückt es vor sich in die Höhe gehalten, da war vor Erschütterung der Seele die Sprache ihr wieder in die Brust geschossen. Sie hatte laut geschrien – aber die Erinnerung hatte sie überwältigt und todt zurückgestürzt.

Sie ward an ihres geistigen Mannes, des guten Raimund's Seite begraben – und einst ihr leiblicher Mann an ihrer Seite.

Das kleine neugeborene, wunderliebliche Kind ließ sich die alles vergeblich gewesene Jungfrau, Gattin und Witwe, die arme Isidore, nicht nehmen. Sie ward ihm Mutter, und es ward dafür ihr Trost und ihre Freude. Ihr Schönstes und Bestes müssen ja immer die Menschen sich träumen.

 

»Der Phantasie gehört der Mensch, das Kind!«

 

 



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