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Achtzehntes Capitel.


Und so war denn wieder die Weihnacht still herbeigekommen, die erste der sogar Zwölf Heiligen Nächte dereinst des Volkes hier zu Lande. Es war schon Abenddunkel. Die Essen rauchten; die Gassen rochen; heimlich ward verdeckt eine Bescherung aus einem Hause ins andere getragen; als weiße Engel gekleidete unerklärliche Christkinder mit feinen Glocken in der Hand und einer Krone auf und goldenen Flügeln an den Achseln huschten und schwebten umher, und Knecht Ruprechte mit Ruthen in der Hand traten in die Häuser, wo die Kinder und die Aeltern um die Weihnachtsbäume mit brennenden Kerzen und goldenen Sternen und silbernen Nüssen standen, und noch auf ein Unaussprechliches zu warten schienen; und arme Kinder standen draußen an den erleuchteten Fenstern, deren Glanz und Schein weit weg auf die Straße fiel. Zu manchen Fenstern hinein sah man auch in den schweigenden Stuben weinen – denn zu Weihnachten kommt doch Jeder gern nach Hause – wenn er kann, um sich selbst den Seinen zu bescheren. Da sitzen sie wieder mit den Ihrigen, wenn auch als Aeltern nun alt, oder als Kinder nun groß, wieder in der ewigen Jugendzeit. Da sitzen sie! erzählen sich aus, essen was Gutes, die Ihren vor Augen und von ihnen freundlich angeschaut, ohne Ahnung eines möglichen Endes.

So war auch Herr Raimund herübergekommen ins Vaterhaus und freute sich doch über den prangenden Weihnachtsbaum, mit Geschenken behangen für Jeden, auch für die Frau Jost eine goldene Kette und für ihre Kinder wirkliche goldene Nüsse und silberne kleine Messer und Gabeln und Löffel. Raimund redete aber mit dem grünen Bäumchen wie mit einem grünen stacheligen Geiste aus dem Walde, hatte die Spitze eines Zweigs sich auf die innere flache Linke gelegt, streichelte ihn mit der Rechten zärtlich und sagte ihm zum Troste: Habe nur Geduld, mein Bäumchen! Du weißt, du warst sonst ein anderes; so habe die Hoffnung, wieder erlöst, etwas Anderes zu werden. Die Birke ist besser daran – die ist die Maie gewesen und die Maie geblieben.

Dann stand er still, wie nicht da, in Sehnsucht versunken nach seinem gestorbenen Weibe Gabriele.

Aus der Schweiz war für den Abend ein Schreiben an die Mutter von der Tochter eingegangen, und, darin lag ein Brief mit den rührenden Worten:

»Herzliche Großmama! Ich melde dir, daß ich glücklich auf die Welt gekommen! in aller Unschuld ohne Sünde. Ich habe mir ein Schwesterchen mitgebracht, eine kleine, kleine Eva! so heißt sie. Sie schickt dir ein Alpenveilchen! Mehr haben wir nicht. Habe uns lieb!

Dein kleiner lieber Adam.«

Sie las mit reinem Muttergefühl, und das duftende, langstielige stille Veilchen erzählte Allen mehr von unaussprechlichem reinem Menschenglück. Dem so unglücklich gewordenen Raimund war weinender Dank gesagt, und sie ging und küßte ihm sein Haupt.

Jetzt brachen die Glocken auf den Thürmen mit himmlischen Freuden aus und bedeckten die Stadt mit wallendem Wohllaut. Die vielen Christkinder flatterten nach den Kirchen und haschten und neckten sich; Niemand wunderte sich über so viele dergleichen, da ja doch nur Eins wäre, und nur Ein Ruprecht, die jetzt auf den Gassen einander die Rücken mit den Ruthen zerdraschen. Die Kinder eilten in die Kirchen mit Hirtenhäuschen, Weltkugeln, Pyramiden, Schlangen und Kerzen. Dort zogen andere aufgeputzte Esel an den Krippen mit dem Jesulein und seiner Mutter in den erleuchteten Altären, wo das ferne Himmlische in treuherziger Unschuld den Menschen nahegebracht und sichtbar und greifbar war, und die vielen Scharen Hirten vertheilten sich in die Kirchspiele, wo sie das » Quem pastores« sangen, und selbst ihre Hündchen waren in der heiligen Stunde nicht unheilig, sondern fröhliche Zeugen einst lieblicher Wahrheit auf Erden – wie geschrieben stand, und sie freueten sich, es nun darzustellen, ja, es im Geiste zu sein. Und wie zitternd vor Freude erdröhnte der Tremulant in den Orgeln, daß die Gewölbe bebten, und die Posaunenstöße waren Engelsathemklang.

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Da war es, als ob Jemand von draußen mit dem Kopfe gegen die Thür stoße. Raimund that sie auf, einen Leuchter in der Hand Da sprang eine Gestalt wie draußen von einem Ungeheuer verfolgt auf die Schwelle, und da stand sie wieder erschrocken wie vor der himmlischen Heimlichkeit darin. Raimund aber ließ vor Erstaunen und Entzücken den Leuchter fallen. Er hatte die schlank aufgeschossene Gestalt gesehen: ein weißes Tuch um den Kopf; ihr Gesicht hager und todtenblaß; die Augen glanzlos und doch rollend; die Arme ausgestreckt und zitternd, und es ging ihm wie dem Sänger, der das Lied gesungen:

Dich wiedersehen ... wieder dich sehen nur
Im Thale wandeln, auf Bergen steh'n,
Nachts auf dem Vollmond, von der Sonne
Nieder mir lächeln – da kniet' ich beten!
Dich wiederfinden, leuchtend im Sternensaal,
Dich an die Brust mir drücken – da stürb' ich gleich!
Und was im Himmel nie geschaut ward:
Engel bewundern da einen Todten!

Das junge Weib neigte sich vor, als würde sie zu Boden stürzen; er ergriff, er umschlang sie, drückte, sie fest an die Brust, und rief nur: Mein Weib! Meine Gabriele! O, darfst du kommen – und kommst zu deinem armen Freund!

Irmengard war so geistermäßig verwandelt, daß er eher sein erstandenes Weib in ihr sah, als die Mutter ihre Tochter. Den glücklichen Raimund hatte, statt des plötzlichen Todes, nur ein plötzlicher Schlaf befallen, und sie trugen ihn in den Großvaterstuhl, worin er wie im Himmel saß. Irmengard aber war ohnmächtig, und sie mußten ihr Luft machen um die Brust, wobei der Doctor einen Schreck vor Vater und Mutter verbarg.

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Am Morgen ließ sich Raimund erkundigen, ob seine Gabriele noch da sei, wirklich, oder ob er geträumt? Van Graveland besuchte bei Gaiette mit der Mutter und dem Arzt seine arme Tochter, die ihnen auf eine Pergamenttafel schrieb, daß sie schon seit einer gewissen Zeit sprachlos sei. Der Doctor sagte dem Maler etwas ins Ohr – der Vater erröthete über und über und fragte dann heilig erzürnt, doch im heiligsten Ernste gelassen, die unglückliche Tochter: Wo hast du dein Kind?

Darüber faltete sie die Hände, brach in Thränen aus und schrieb auf die Tafel: Vor Angst und Jammer, und Lieb' und Leid, und Scham und Schande – an meiner Brust nur erdrückt, es liegt in mein Brusttuch gewindelt in der hohlen Eiche im Dorfe, wo der alte blinde Mann wohnt, der mich aufgenommen, als ich nicht weiter konnte!

Der Vater las das, die Mutter las es und sie versteinerten.

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Irmengard saß des Tags über still, gewöhnlich die gefalteten Hände im Schoos, in einfachen, weißen, ihr hingelegten Kleidern, gepflegt von Gaiette. Raimund besuchte sie schüchtern alle Morgen, und hatte im Stillen seine Freude an der Stillen. Der Mutter hatte sie auf ihre Fragen geschrieben: sie wäre mit Nikolas gleich aus dem Elend in Genua auf ein Schiffchen im Hafen geflohen, und sie hätten nach Ostia gewollt, um sich in Rom ihr Vergehen vergeben zu lassen; aber Stürme hätten sie wieder zurück ans Land gedrückt. Darauf wären sie Beide einsam zurückgekehrt; aber nicht eben weit von hier habe eine rachsüchtige Gemeinde sie ausgehöhnt und ihn eingesperrt. Da sitz' er wol noch.

Sie lächelte nur vor sich hin, daß man sie wegen des todten Kindes einkerkern, ja richten könne ... nur die vielen unglücklichen verwaisten Aeltern begehrten ein sichtbares Opfer. Sie sei von dem Nikolas wie bezaubert gewesen ... von seiner Gewalt, von seinem Ansehen wie eines Heiligen, daß ihn das ganze Land und die Priester selbst in den Kirchen geehrt. Sie wollte nicht fliehen, und Raimund begriff nicht, wie man seiner Gabriele ein Haar krümmen würde, oder ... könne; obwol ihm Don Ramon vorstellte: wie rheinauf, rheinab und im ganzen deutschen Lande viel, viel Hexen verbrannt worden ... und würden, und ein von den Todten wiedergekommenes Weib wäre ihnen noch viel, viel abscheulicher und verdammlicher, weil es nur durch Teufels Macht und Willen heraufgefahren sein könnte. Ja, noch nicht zu lange her haben die nachtwachenden betenden Priester einen im Sarge erwachten, sich aufrichtenden wimmernden Papst mit Fauststößen vor die Brust wieder zurückgedrängt in das Todtenreich, und vor Angst und Schrecken dazu gebrüllt: Was willst du wieder unter den Lebendigen. Bower.

Das sagte er ihm nur; denn das Volk wußte von seinem ihn seligmachenden Glauben nichts. Ja, ihre Mutter und ihr Vater hatten nichts dagegen, ihm die bewiesenermaßen verheirathbare Tochter zum Weibe zu geben, um da wo in der Fremde in aller Stille und Ehrbarkeit zu leben. Und van Graveland erzählte der Mutter und dem Arzt zum Beispiel und Vorbild die kleine Geschichte: Einem niederländischen berühmten Maler stirbt seine Frau, Margarethe geheißen. Er lebt zwar, aber er geht nur noch so verloren in Gram und Träumen auf der Welt. Da erblickt er eine Jungfrau, die seinem gestorbenen Weibe an Gestalt und Stimme und ganzem holden Wesen so ähnlich ist, wie es sich selten trifft, daß Zwei etwa im Abenddämmer, ja in vergoldendem Sonnenglanz sich ähnlich sehen. – Und ein Liebender ist immer wie geblendet von seinem eigenen Lichte. – Seine Liebe ergreift sie. Sie liebt den von ihr begeisterten Mann. Sie wird sein Weib. Er sagt ihr Tag und Nacht, daß er seine selige Margarethe wieder habe durch Gnade des Himmels. Und in Wahrheit haben alle Weiber sehr viel allgemein Aehnliches, allen Zukommendes. Des streng Unterscheidenden einer Einzigen ist wenig, des ganz Ausschließlichen nichts; nicht einmal ein Buckel, ja zwei. Margarethe nennt er sie; so kleidet er sie. Sie trägt von jener den Schmuck. Sie schläft in demselben Bett ... und die gute, bezauberte, willige Seele ist mit äußerster Hingebung seine Margarethe – da sie auch, ihren Namen gewohnt, so hieß —, sie ist's bis zur Herzens- und Verstandesverwirrung. Und so haben die Beiden ein noch nicht oder selten so dagewesenes, heiteres, stilles, ja seliges Leben gelebt. Denn welcher Mann würde seinem noch ein mal vom Tode erstandenen Weibe nicht freudig alles Erdenkliche zu Liebe thun! – So kann es, so wird es hier werden und sein. Irmengard wird den Hirtenknaben vergessen, als nur eine Gestalt aus dem jetzt verlachten Kreuztraum. Denn höre mich, Doctor. Wenn ich heimgekehrte Kinder frage: Wo habt ihr denn eigentlich hingewollt? Was habt ihr gedacht, ihr Rasenden? Was hat euch wie Mehlthau befallen, die ihr Väter und Mütter in hundert Städten und tausend Weilern und Dörfern unglücklich gemacht? – Da stehen die Kinder, oder sitzen wie aus den Wolken gefallene große Frösche, wie aufgewachte Nachtwandler, plötzlich nüchtern, dumm und dottend da, kratzen sich hinter den Ohren und sprechen: Wir wissen es nicht! wenn Ihr es nicht wißt. – Und der Doctor sagte: Das war die Krankheit! und die hat sich gebrochen! und kommt nicht wieder, wie Nichts in der Welt so jemals wiederkommt.

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Als aber Irmengard, der Meinung des Volks zum Opfer, bei Nacht in denselben Kerker geführt worden, worin ihre Schwester gesessen, und ihre Enthauptung abzusehen war, zu welchem Urtheil ein kleines herbeigebrachtes Kästchen den Ausschlag gegeben, und keiner Erklärung, keines Geständnisses weiter zu bedürfen schien; da begab sich ihr Vater, wie schon oft, der Doctor und selbst der unglückliche Raimund in den Palast zu ihrem Freunde, den weisen Narren Jost, um einen letzten Rath zu halten. Raimund lachte im Bauche recht innerlich, daß ihm doch Niemand die wahre Natur seiner »wiedergekommenen Frau« beweisen könne, und ihr gar nicht – und sie könne ja wol aus den Erdennarrenspossen von dem Block weg wieder verschwinden. Aber er wollte sie doch lieber behalten, sie retten, als einmal so glücklich, sie wieder zu haben! – Und so war das Ende des Raths, daß der kundige Jost seinem erst jetzt recht theuern Jugendfreunde eine Schrift auf Pergament gab, die er fleißig und gründlich einsehen und sich tapfer zunutze machen sollte! Es waren die schweren Pflichten und großen Rechte eines hochbetrauten Scharfrichters, nach altem Gebrauch und unbestrittener Geltung. – Einen Cardinal haben wir hier nicht zum Begegnen, sagte ihm Jost bei der Aushändigung; denn welchem zum Tode geführten armen Sünder, generis masculini oder feminini, ein solcher Rothmantel begegnet – was zu Zeiten theuer bezahlt wird, soll oder muß – Den oder Diese hat er das Recht zu begnadigen. Ein Paragraph in der Urkunde aber war vor allen mit einer eingebrochenen Ecke des Blatts bezeichnet. Und der, wie meist alle Halb- oder Ganzwahnsinnigen, höchst schlaue Raimund – dem überdies sein voriger großer Verstand auch noch im Unverstande zustatten kam – begriff sogleich seine Stellung, als eine solche hohe Person selbst, in die ihn seine Güte für einen armen Vetter gebracht. Und der alte Elias war aus Gram über seinen Enkel Nikolas – wie man ihm berichtete – »auf einmal« gestorben. Und Raimund sprach vor Freuden darüber im Leibe vergnügt dazu: Auf ein mal! Das gönn' ich dem armen braven Scharfrichter von Herzen! Denn wäre er auf ein paar mal gestorben, so wochenweise, stückweise – da sollte er mir leid gethan haben. So auf ein mal sterben, ganz und ganz und gar, ist noch die vernünftigste Art! Sonst taugte es gar nichts!



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