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Siebentes Capitel.
Der Kinderherzog Nikolas.


Herr Raimund ging mit Ramon, dem Arzt, mit Aussicht auf Rettung aus dem Palast, die aber noch große Umsicht, Leid und kecke Thaten erfoderte. Ramon verlangte durch das Judenquartier und durch das erbärmliche enge Bechergäßchen zu gehen, wo »seine Leute« viele in verborgenem Reichthum, aber als verachtete Sklaven zusammen und übereinander geschichtet, aber im Herzen voll trotzig schweigenden Muthes lebten, wenn das den erlauchten und weltberühmten Namen »leben« verdiente. Hier ward aber nur der Becher des Elends getrunken, worein die Propheten Kraft, ja Süßigkeit getröpfelt. Raimund führte ihn dann, um ihm seine heute sonntäglich stille schöne Vaterstadt zu zeigen, und dabei seine Jugend wie von den Todten aufstehen zu lassen, über die Plätze: den Johnsplatz, den Domplatz, und allmälig schlendernd über den Heu-, Alt- und Waidmarkt. Darauf ging er in das Quartier der Wollenweber, wo, wie er auf vieles Fragen endlich sicher vernommen, der berühmte Maler van Graveland in seines Vaters Hause bei seiner verwitweten Mutter wohnte.

Sie fanden ihn in seinem nobeln Morgenpelz, und als ihm Raimund seinen Namen genannt, ihm gesagt, daß er komme ihn zu bitten: seinen gestern gestorbenen Bruder Aldewin todt im Sarge zu malen; da bemerkte der Arzt, auf des klugen Narren Jost vertrautes Wort hin, doppelt aufmerksam und gespannt auf den schönen Mann mit edlem Gesicht, worin eine stille Wehmuth sich niedergelassen hatte – daß er erschrak, überrascht stand und vor sich hin sann, es dann abschlug, und höchstens vor vieler Arbeit das Bild nach vier Wochen zu malen vermöchte; wozu Raimund bemerkte: Mit Todten, die selbst ewig Zeit haben, ist es unmöglich, lange Zeit zu verlieren – oder ihnen mit der Staffelei in die Unterwelt nachzuwandern.

Der Maler zuckte die Achseln.

Da setzte Ramon hinzu: seine Witwe läßt Euch besonders darum sehnsüchtig bitten, auch zugleich ihre jüngste Tochter Irmengard zu malen; zum Andenken, da sie das schöne liebe Mädchen wahrscheinlich auf immer verliert; denn sie pilgert wie so viele Knaben und Mädchen der Vornehmen mit nach dem Heiligen Grabe. Es wäre am besten ein wirkliches Kniestück, wie seine Tochter vor dem Vater kniet und von ihm Abschied nimmt und er sein armes Kind segnet. Wie gesagt, die Mutter bittet innigst, es könne sie gewiß Niemand so lieb und herrlich machen.

Und Raimund bemerkte: Wir wohnen ja ganz nahe da draußen auf unserer Lindenburg.

Der Maler starrte vor sich hin, indem er mit der Linken sich das Kinn an dem Barte hielt, und den beiden Freunden fast lächerlich auch nur Hm! sagte; worauf Ramon nur bemerkte: Todte malen ist freilich eine schwere Sache; aber auch doppelt einträglich, und mein Freund hier bezahlt Euch jeden Preis, und die Mutter dazu. Dabei dachte er: es wird ihm schwer —; es ist richtig! und als armen Teufel mit Hörnern kann er ihn doch nicht vor Leuten malen. Aber der Mann, der Maler ist ja doch ein Beraubter! Schäme dich, Ramon! Und um was beraubt: um glückliche Liebe, Liebesglück und Schönheit und rechtes Leben, und wodurch: durch den albernen Stolz und den Hochmuth und die Ehrsucht der im Unterstock der Erde wohnenden Menschen, besonders der Weiber. Und welcher Vater sieht nicht gern einmal, gleich groß und lieb, sein Kind! und läßt sich von der in der Seele verworrenen, sich in ihrer eingeborenen Neigung gefangenen Tochter sehen! Das ist und bleibt trotz aller Verirrung doch schön und hold und eine Belohnung für Schmerzen der Schuld und des Betrugs. Und welche neue, unmöglich zu erfüllen geschienene Hoffnung thut sich ihm unerwartet auf! Die Menschen wollen und wenn auch spät erst – und er steht gesund und frisch erst in den dreißiger Jahren – doch immer noch ihr sehnlich gehofftes Glück erlangen und doch von nun an auf dem rechten Lebenswege wandeln. Wem ist diese edle That zu verdenken? Er kommt! er malt! Ich brauche ihm mit Raimund's geheimer Stimme der Wahrheit erst keine Stimmung zu geben; da würde er sich schämen, und um vor Andern nicht schlecht zu scheinen, mit Trotz unglücklich oder doch unerquickt bleiben. Das Leben hat manchmal später Rath und Hülfe durch seine Weiterentfaltung, aber selten; darum verlassen die Menschen sich klug auf die Stunde, und thun ihr Gewalt an in frühern Tagen!

Ebenso lange als der Arzt dies dachte, hatte sich der Maler bedacht, und sagte jetzt zu. Ja, er wollte den Umständen, also dem Todten nach, alsbald hinauskommen, und seine Staffelei und seine Farbentöpfe und Pinsel sogleich fortsenden. Und jetzt empfahl er sich ihnen der Vorbereitung wegen.

Und der Arzt wandelte stumm mit seinem Freunde, dem als Unwissenden kein Weh bei alledem geschehen war, sondern erst künftig dadurch geschehen sollte; und eilte vor der Stadt eifrig, um seine Heilung fast mit Gewalt an den Kindern zu betreiben, welche er, diese von Müttern, jene von Vätern, auf dem Wege zur Lindenburg hinausgeleiten sah.

Laut zurückgelassenem Befehl hatte der Hausmeister Hagebald die guten Leute mit den Kindern in den Saal im Oberstock gewiesen, und sie waren schon über ein in Vorrath eingerührtes Frühstück her, dem nichts anzuschmecken war von gefährlicher Vernunft, die in dem beigemischten einfachen Mittel lag. Die Aeltern weinten den Arzt an und beschworen ihn leise um seinen Beistand, da sie zu arm oder zu beschäftigt seien in ihren Gewerken, um, wie andere Aeltern, die Kinder in fremde »gesunde« Städte oder Dörfer, nach Franken, Würtemberg, oder nach dem immer gar nüchternen glücklichen Holland zu bringen; indeß andere, hier zu bleiben Gezwungene ihre Kinder auf künstliche Weise lahm gemacht, ja durch gewisse Mittel blöd auf die Augen, ja krank auf den Leib, furchtsam vor Räubern und Riesen und Ottern und Bären und Wölfen, ja sehr viele vor Abscheu vor dem Verhungern, dem Gras- und Krautessen, vor den Nächten ohne Bett und Nachtlampe, vor dem Alp und dem Teufel, der ihnen entsetzliche Gesichter und Faxen vormache und sie auf schaudernde Abwege verlocke, durch redende Kühe auf den Bergeshalden, und geschwänzte feuerbrüllende Drachen mit Krallen und Flügeln, und zuletzt vor ihrem eigenen Grabe voll Kröten und Basilisken und zwickenden Krebsen. Viele trotzige Knaben säßen mit Gewalt eingesperrt in den Kellern im Finstern, und weislich ohne Taschenmesser und Strick, Schnure, ja nur Bindfaden.

So gestanden sie ihm, und lachten und weinten dazu. Und als er die Mädchen alle in Ein Zimmer, und die Knaben alle in ein anderes hatte führen lassen, tröstete er sie auf ihren Zweifel: »daß es nur, ach, nicht möchte zu spät sein, ihnen zu helfen«, und sprach: Mit der Vernunft ist es niemals zu spät, und niemals zu früh, sogar nicht schon in der Wiege, wo sie dem Kinde leuchtet aus der Mutter Augen. Nur daß kein neuer Zünder, Raptus, oder neue Wuth sie überfällt! Denn die Vernunft, sie, die allgemeine Gesundheit der Seele und also des Leibes, will auch befestigt sein und ins Herz gebannt als der beste Geist, den Niemand bannt noch verbannt.

Er vergönnte ihnen nicht nur, wer wolle, dazubleiben, sondern bat sie ausdrücklich, wiederzukommen, damit die Kinder doch sahen und einsähen: sie hätten Aeltern, und durch Scheiden und Wiedersehen ihnen wieder in Erinnerung zu kommen, als ihnen unentbehrlich und theuer als ferne Nebel und Nebelbilder. Denn wer seine Aeltern liebt, recht liebt, meinte er, kann niemals verloren gehen, ja kann nie verrückt werden, es sei um was es wolle. Redliche liebevolle Aeltern sind den Kindern die angeborenen Heiligen und Engel; ja, wenn auch als Schuster verkleidet mit Schurzfell und Pfriemen und Pechdrath, oder als Schneider mit Scheere und Bügeleisen, oder als Tuchscheerer mit der gefährlichen Scheere mit beinahe windmühlflügelgroßen stählernen Flügeln. Das seien alles nur Narrenspossen und Carnevalsmasken auf Erden; denn der Kern sei die Nuß, und die Traube der Most und der Wein.

Frohmuthe bediente die kleinen und großen Gäste lebhaft und heiter, und es war ihnen so wohl, als wären sie aus der ängstlichen Welt hoch in den friedlichen Himmel versetzt; den Kindern aber graute künstlich und gründlich übel vor der ganzen Welt.

Raimund hatte unten im Saale, wo der Todte im Sarge stand, gesehen, wie die alte gekommene Mutter Wollenweberin in Trauerkleidern und voll unmäßiges Mitleid, das auf eine Reue deutete, ihrer Tochter, der verwitweten Frau Rath, um den Hals gefallen, und er hatte Mutter und Tochter allein gelassen. Dagegen hatte ihn eine Schar Dorfkinder, die in den Hof gekommen, aufmerksam auf einen Knaben in gebräuchlichen Sonntagskleidern gemacht. Aber der Knabe schien doch ganz besonders, sodaß Raimund ihn ohne Frage aus seiner Vorstellung als den Hirtenknaben Nikolas gleichsam erkannte. Er kam barhaupt, die Haare auf der Stirn gescheitelt, in bloßem Halse; eine prächtige hohe Brust, ein starker Bau und doch feine Glieder; barfuß, einen abgebrochenen Blütenzweig in der Hand; aus großen dunkeln Augen träumte er nur die Frühlingswelt an, und hörte mit reizendem Lächeln die singenden Lerchen in blauer Luft und segnete gleichsam mit zwei Fingern der Hand die bunten Bilder der Wolken im See, die wunderbar oben und unten zugleich ganz leise zogen, und das Bild der Sonne blitzte ihn aus dem Wasser in sein ernstes, schönes, von der Frühlingswärme schon leicht gebräuntes Gesicht. Der Schritt seiner Füße war nur schwebend, und eine Ruhe umfloß und umglänzte ihn, daß die Leute reglos und lautlos vor ihm stehen blieben, während er vorüberging, die Augen vor ihm niederschlugen, und erst lange nachdem er vorüber war, sich schüchtern nach ihm umsahen. Sein Hündchen, sein Phylax, begleitete ihn, und er begleitete einen großen langbeinigen Mann, noch nicht alt und nicht mehr jung, mit fabelhaft langen magern Beinen, mit einem muntern getrosten Gesicht unter seinem sehr breitrandigen Pilgerhut und einem sehr langen, fast schleppenden Pilgerrocke, mit hohem Pilgerstabe, sodaß er einem alten heidnischen Sänger, einem Aoiden, am meisten ähnlich gesehen haben möchte in seinem ehrwürdigen Bart. Seine kleinen Augen funkelten auf Alles um ihn aufmerksam und neugierig umher; seine langen hohen Beine machten fast Riesenschritte, und die Morgensonne hinter ihm warf vor ihm her einen an den Rändern aufglänzenden verwunderlichen Schatten, als stiege ein Bewohner der Unterwelt aus alter Zeit in dem heutigen Tage in das Menschenschloß. Seine Seele schien, wie ihre festen wie angreifenden Blicke verkündeten, mit allen gestalteten Dingen und allen Elementen sehr wenig Umstände machen zu wollen, die Welt für einen Frühlingsnebel auf blauer Wiese zu halten, und ohne alles Bedenken durch Feuer und Wasser zu schreiten bereit zu sein, ohne Fußsohlen, Haare und Bart zu bedenken, oder wenn sie doch anbrennten, nachher eben nicht besonders zu bedauern.

Der Knabe Nikolas führte ihn desgleichen geradeaus in das Schloß seiner Herren und in den offenen Saal mit dem Todten, über welchem das große Bild des Erzengel Michael hing, der den gekrümmten Teufel auf tausend Jahr in den Abgrund stößt. Alle Bewohner des Schlosses eilten leis in den Saal: Raimund und Ramon, die Diener, die Mägde; aber die junge Irmengard stand erst wie gebannt, mit gefalteten Händen den Blick zu Boden. Dann kam sie nur so wie geflogen, wandte sich plötzlich zurück, fiel ihrem Mädchen um den Hals und rief ihr freudig erschrocken zu: Er ist da! Er ist da!

Wer denn? frug Frohmuthe sie schelmisch; – der lange Mann?

Ach wer denn anders als Nikolas! erwiderte sie bös, und zitterte ganz. Aber dabei blieb es auch, und sie ward wieder still, blickte hin, blickte weg, und blieb halb gleichgültig und halb gereizt und wie unwillig über sich selbst, von Ferne stehen.

Soll der Hahn krähen? frug Frohmuthe sie mit anspielendem Vorwurf. Und es klang wirklich peinigend, als draußen ein wirklicher Hahn krähte.

Ramon hatte die Irmengard durchdringend beobachtet, und erstaunte selbst über die Wirkung nur schon der einen Gabe von seinem Mittel; aber sie schien vorüberzugehen, wie Schein des Mondes die dunkeln Wolken wieder überziehen. Doch lehnte sie sich blaß an die Wand. Der lange hochbeinige Mann setzte sich ohne weiteres in einen Stuhl, der beiseite im Winkel stand; entschuldigte sich nicht, sondern sagte nur: Ich bin müde, und habe einen weiten Weg zu schleichen. Der Knabe Nikolas aber stellte sich drei Schritt nahe vor die Hausfrau hin, sah sie fest an und sprach zu ihr mit seiner wohllautenden fesselnden Stimme, die nicht nur wie aus dem Munde oder der Brust, sondern aus seinem ganzen Körper, oder durch ihn aus der ganzen Welt umher herauf- und herauszutönen schien: Theure Mutter, die unsere Irmengard geboren, ich bringe dir den heiligen Boten, den Gott uns zum Führer gesendet. In unserer Hütte hat er nicht Ruhe, nicht Raum; denn mein irdischer Großvater Elias, der bei Menschen geehrte und berühmte Scharfrichter, der nur aus Eifer für die Ehre Gottes und aus Haß gegen den Satan sein ernsthaftes, blutiges, feuriges Amt bekleidet, und zu der nahe bevorstehenden brennenden Hurd einberufen worden, liegt mir und der Mutter zu Hause krank. Der gottgesendete Bote und Führer aber ist mir von der Vorsehung zugekommen, auch wenn er meint, er sei nur von seinem eigenen Geiste getrieben. Denn höre nur. Thomas Champré, Ap., II., 39. Er kommt aus Brabant, wo er schon lange in großer Heiligkeit gelebt und schon lange Gott hat nach dem Gelobten Lande wallfahren gewollt, aber immer unentschlossen, sein Beten und Fasten durch die weite Pilgerreise durch die südlichen Völker auf der elenden Erde zu unterbrechen. Jetzt ist ihm ein Engel in seinem festverschlossenen Gemache erschienen, das sollte man gar nicht glauben – — und Raimund sprach mit seiner geheimen Stimme, die er jetzt von dem Teufel aus dem Bilde an der Wand her vernehmlich herabertönen ließ, indeß er mit eisernem Gesicht dem Knaben Nikolas in sein Gesicht sah: Ja, das sollte man gar nicht glauben! Aber – du sagst es!

Aber Nikolas fuhr fort: Er hat gerade in der Nacht vor Petri Kettenfeier, als helles Licht ihn umflossen, die Stimme des Engels vernommen, die da sprach: Der Herr hat deine Sehnsucht, das Gelobte Land zu schauen, wahrgenommen, und mich gesandt, deinen Wunsch zu erfüllen. Darauf hat ihn der Engel ergriffen und ihn in der einen Nacht zu allen Orten der heiligen Lande geführt, sodaß er diese Lande, Jerusalem und Bethlehem, und auf dem Wege hin und auf einem andern Wege zurück, alle merkwürdigen Städte von Burgund, der Lombardei und Italien leibhaftig, leibhaft gesehen. –

Und Raimund's Stimme erscholl wieder aus dem Teufel: Das sollte man gar nicht glauben!

Der Knabe Nikolas sprang auf das Bild los, und zerhieb und zergeißelte den Teufel, dazu aber nur lachte, mit seinem blühenden Apfelbaumzweige, daß die Blüten umherflogen, indem er betreten und demüthig leise dazu sprach: Ja! auf tausend Jahr ihn verschließen, war zu kurze Zeit – denn er erhebt sich wieder wie vor, und abscheulicher – verzeihe Gott mir die Sünde! Ach, er ist gegen uns alle arme Sünder zu gnädig!

Er weinte dazu unter den mit der Hand zugehaltenen Augen, indem er seine Hitze bereute, und der heilige Mann und der Engel kam ihm wieder ein, und er beschloß seinen Bericht von den Beiden nur noch eilig mit den Worten: Und der Engel brachte ihn noch in derselbigen Nacht wieder in sein Bett!

Und der Teufel vom Bilde sprach wieder deutlich dazu: Das sollte man glauben.

Die Andern im Saale standen wie verrathen und verkauft; Raimund aber bemerkte, daß dem Hirtenknaben nicht sein Verstand, sondern diesmal sein Unverstand stille stand. Er hatte das Ansehen eines Erwachenden, schnippte mit den Fingern seinen Hund herbei, als wolle er hinaus und fortgehen. Da sah er Irmengard hinter der Mutter hervortreten; er sah ihr in die Augen, sie ihm, und sein Sinn hatte sich wieder gestärkt und er sagte getroster: Nun haben Viele gebetet, auch so bequem von Engeln dahin getragen zu werden, wohin wir Schritt vor Schritt pilgern werden; aber nicht immer den dritten zurück, denn wir büßen ja keine Todsünde ab. Der theure Mann hat sich aber von heimgekehrten Pilgern erbitten lassen, uns ein erfahrener Wegweiser zu sein. Darum bewirthet uns Allen und mir ihn wohl!

Darauf faßte er Irmengard an beiden Händen und befahl ihr: diesen Abend in der heiligen Ursulinerkirche den Kindern eine Predigt zu halten. Die Kirche werde erleuchtet sein; sie werde außer den Knaben und Mädchen und ihren Müttern viel Hundert andächtige Zuhörer haben, und von den hohen Fenstern herab die viel Tausend Jungfrauen. Der Geistliche werde sie auf die Kanzel führen und sie werde mit Engelflügeln geschmückt sein, mit einem Narcissenkranz auf dem Haupt und einem Palmenzweig in der Hand.

Und als Herzog der Kinder all nahm er sie, ohne Billigung noch Widerrede weder ihrer Mutter noch ihres überraschten Oheims, an der Hand, um sie in den Garten zu führen, und ihr die Gegenstände zu sagen, von denen sie predigen solle, und über die sie sich im Gebet Erleuchtung und Begeisterung und Muth und Kraft vom Himmel erflehen solle. Er küßte sie drei mal auf die Stirn und war im Begriff, sie an den Fingerspitzen sich hinaus- und fortzuführen.

Aber indessen hatten Leute aus der Stadt die Staffelei des Malers, Malertuch und Töpfe, und Scherben und Flaschen, und Farben und Pinsel gebracht, die sie an den ihnen angewiesenen Ort unter den Engel und Teufel ruhig und vorsichtig abgesetzt. Kurze Zeit darauf, ehe die Witwe des Todten – wenn Todte noch Witwen haben – sich ruhig geathmet hatte, trat der Maler leise, bescheiden und schüchtern, ja wie furchtsam vor dem zugedeckten Todten, ein. Er nahte der Hausfrau; er bedauerte sie über ihren unersetzlichen Verlust und sah mit dem glühroth gebückten Gesicht zur Erde. Beide und Alle standen so, lange stumm. Aber er war ja gekommen, den Todten zu malen, und so mußte er doch sich ihn ansehen. Die treulose Witwe Rath selbst mußte das Gesicht ihm aufdecken, und er sah sich ihn lange an – aber er selbst hatte die Augen dabei zu. Endlich, um vorläufig auch die Farbe der Augen des Verblichenen zu erkunden, that er ihm mit Daumen und Zeigefinger der Linken ein Auge auf, hielt das Lid lange offen, und der jüdische Arzt sagte: Könnte ich doch Euch selbst so malen, wie Ihr dasteht und der arme Todte Euch ansieht! Das wäre eine neue Art Bild.

Da wandte der Maler sich davon, der sehr sorgfältig gekleidet und geschmückt mit der goldenen Ehrenkette, die er vom Grafen Wilhelm von Holland empfangen; auch seine Finger funkelten von Ringen, und er strich sich die schönen Haare aus der heißen Stirn.

Jetzt fragte er ganz gelassen und gleichgültig nach der Tochter, die er auch malen solle; wie groß sie wol sei? damit er in Gedanken das Bild schon immer ordnen könne. Raimund ergriff das schöne, edle, gewiß engelgleiche Mädchen und stellte sie ihm vor. Irmengard schlug die Augen vor ihm nieder, und er unterdrückte ein inneres Entzücken, eine heilige Ueberraschung kaum mit Mühe; ja, er mußte aus seinem Herzen hinaus eine Frage thun, die zu keinem Bilde für keinen bloßen Maler als nur geistigen Vater eines Bildes gehört; er frug ihre Mutter: Wie heißt denn Eure Tochter?

Die Blicke des männlich schönen Malers auf die aufblühende schöne Irmengard verdrossen den gewissenhaften Don Ramon, ob sie ihn gleich rührten, als treue Sprache der Natur, die immer allweise und offen in ihren unverhüllten Geheimnissen und Offenbarungen ist; sie verdrossen den Raimund unwissenderweise; sie verdrossen den Hirtenknaben Nikolas, den Herzog des Kinderheers. Er ergriff sie wieder an der Hand, führte sie hinaus und fort in den blumigen blühenden Garten; und Raimund stieß heimlich die schlaue Frohmuthe an, ihnen in schicklichem Zwischenraum zu folgen, damit sie nicht den Entwurf zu der Kinderpredigt störe.

Den Kinderkreuzzugsboten geleitete Hagebald in ein Zimmer hinauf, eine Dachkammer, und um dem alten Hausmeister seine Kraft zu zeigen, machte der langbeinige Herr immer Schritte über zwei, drei Stufen zugleich.



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