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Dreizehntes Capitel.
Der Mädchenbezauberer.


Heut' berichte ich Euch ein Neues, das die Verbindung von Morgenland und Abendland mitgeführt hat und welches noch viel Anderes, Schlimmeres und Besseres, mit sich bringen wird. Unausbleiblich. Die Sarazenen werden uns in Europa den Gegenbesuch machen und die Tataren sich bis in das Herz von Deutschland wälzen, Konstantinopel sich erobern und Rom zu vertilgen drohen, als den Krater von alle dem Unheil, die Lavaströme. Gewiß!

Also! Ich sitze in unserm lieben deutschen Strasburg, auf der Rheinbrücke von Kehl, darauf gegangen. Die Abendsonne schien prächtig den aus der Stadt wandelnden oder reitenden Menschen in das Gesicht. Kommt gerade ziemlich einzeln ein Reiter geritten. Sein Pferd glaubte ich gesehen zu haben und es zu kennen; zuletzt selbst ihn – und ich besann mich: von jenem Abend her, da wir nach Köln einritten, wo er plötzlich einem uns begegnenden jungen Reiter in auffallend schönen, reichen, wie goldenen Locken auf der Straße zurück nachsprengte, erhitzt wiederkam, von uns schied, und der uns, in den nur acht Tagen darauf, nicht aufgesucht und uns nicht vor Augen und Ohren gekommen.

Er war's; auch schon wieder auf Reisen, wie ich. Als er mich sah und wiedererkannte, hielt er, stieg ab, ließ das Pferd seinem Knechte, nahm mich unter dem Arm, und wir gingen stumm von der Brücke rechts am gerade menschenleeren Strand hinunter. Sein erstes Wort war: Ich reise nach Alexandrien. Ja, sprach er, als ich überrascht ihm ins Gesicht sah. Hört eine wahre, noch unerhörte Geschichte.

Ich unterbrach ihn nicht, und er erzählte, oft sich selbst nur mit Ausrufen des Schmerzes, der Wuth, der Trauer und der Hoffnung das Herz erleichternd, mir folgende Jammergeschichte:

»Vor drei Jahren um diese Zeit kam ein junger Mann zu uns in unser Landhaus am Genfersee. Wie er sich eingeführt, das weiß ich nicht; denn ich war auswärts gewesen und kam erst zurück, als ich meine Schwester schon als seine Braut fand, die sterblich – leider sterblich – in ihn verliebt war. Und sie wäre unzweifelhaft lieber gestorben, als ihn nicht zu besitzen, ihn zu verlieren oder je zu verlassen. Was kann ein Bruder dazu sagen, dazu oder davon thun! Die Brüder sehen das so mit an, als eine natürliche, wenn auch neue und überraschende Entfaltung ihres Haus- und Familienlebens, und machen Brüderschaft mit dem Schwager und er mit den Schwestern der Braut. Wird doch selbst ein neuhinzugekommener Sperling unter einem Flug Sperlinge aufgenommen und fliegt mit dem zusammensichhaltenden Volke. Er gab sich nicht nur für einen Griechen aus, sondern seine Thaten werden Euch zeigen, daß er wirklich einer war von jenem unglücklichen Volke, das jetzt seinen Kaiser, seine Hauptstadt und Alles verloren: Ehren, Würden, hohe einträgliche Aemter und Handel und Wandel. Und wo die Rache ins Unglück fällt, wie Gift in Milch, da ist Alles möglich, und wenn nicht verzeihlich, doch erklärlich. Doch ich überstürze mich. Aeltern mußte er doch gehabt haben, und so war es auch glaublich, daß sie in Kreta wohnten, und daß sie von ihrem großen Vermögen noch Einiges gerettet, was er nicht übertrieben groß angab. Er erzählte auch (in Vorrath, sage ich wieder voraus) von seinem Bruder Endy, der ihm als Zwillingsbruder zum Verwechseln ähnlich sähe, der aber ein so leichtes Leben führe, daß er ihn selbst, um sich seiner nicht schämen zu müssen, lieber verleugne. Er selbst nannte sich mit seinem Taufnamen Mion; denn der Vater habe den Namen Endymion in sie beide vertheilt. Ein Bruder hat nun keinen rechten Begriff von der Schönheit oder gar Engelhaftigkeit seiner Schwester; doch sah ich, wie die meinige allen jungen Männern ein Wunder, ein angstmachendes Wesen war. So glaubte ich auch an die Liebe des Griechen, der jahrelang in Paris den Wissenschaften obgelegen, so gut wie, unter angenommenem Namen, der Sohn des Sultans Saladin in jener weltberühmten Stadt viele Jahre lang das Wissen und Können der Abendländer erforscht und sich eigen gemacht, um ihnen an Geist vollständig die Wage zu halten. Mein Schwager wollte sich auch nun ein verständiges edles Weib mit nach Hause nehmen, frug nie nach Vermögen, nach einer Mit- oder Nachgift, oder gar einem Erbe – und nur die Mutter stand endlich dagegen auf, ihre Tochter einem Griechischgläubigen zum Weibe zu geben ... und so weit weg! – Da war meine Schwester eines Morgens entführt, sammt der ihr bereitgelegten Mitgift an Gold und Schmuck. Er hatte aber, wie wir erfuhren, im nächsten Orte schon redlich sie sich antrauen lassen, und sein Diener, ein finsterer, verschlossener Ragusaner, hatte für sich auch ein ganz armes, aber bezauberndes Mädchen mit entführt, als leise Gott, zur Kammerfrau seiner Herrin, damit sie in der Fremde doch mit Jemandem von der Heimat reden könne.

Meine Schwester schrieb einen rührenden Brief an die Aeltern, und was wollen Aeltern mehr als das Glück ihrer Kinder, wenn es auch ihnen im Alter eine Einbildung ist. Aber sie hatte versprochen, alle Jahre nach Venedig zu kommen – und sie war drei Jahre nicht gekommen und hatte auch nie geschrieben! – Da traf ich in Genua auf meinen Schwager oder seinen Bruder; der erstaunte über meine heftige Anrede; er gestand zu, er sei der Bruder desselben, und wollte endlich nur gehört haben, die Frau sei gestorben, und sein Bruder habe es deswegen verschwiegen, damit sie in der Seele ihrer Verwandten leben bliebe! Er nahm kurzen Abschied. Ich fing Verdacht irgendeiner Art. Ich schiffte nach dem angegebenen Wohnort meiner Schwester. Welch ein Schreck! Dort kannte kein Mensch einen solchen jungen Mann! Vielleicht sind die jungen Leute von christlichen Seeräubern geraubt, fortgeführt und verkauft worden, sagte mir nur ein verständiger Alter. Und nach Monaten begegnete ich meinem Schwager, dem Goldlockenkopf, in Nizza wieder. Ich faßte ihn an der Brust. Ich wollte ihn festhalten, mir Rede zu stehen! Er entriß sich mir. Das machte ihn mir verdächtig, schuldig. Ich habe ihn wiedergetroffen und dann grimmig verfolgt. Ihn plattweg »erstechen« hätte ich zweimal gekonnt; aber was half das mir? Er mußte mir Rede stehen, mir Rechenschaft, mir Auskunft geben! In diesem Aufruhr des jetzigen Menschengeschlechts, in diesem Gekreuz und Gewirr von unzähligen Fahrern und Reitern aller Art, worin sich Tausende verbergen könnten, irrte ich verkleidet auf gut Glück mit Euch, bis zu Euch. Er hat da eine junge, reizend schöne, wohlerzogene Französin, die, verarmt, sich bei ihren Anverwandten aufhält, geheirathet, sich mit ihr trauen lassen, und war mit ihr verschwunden, als ich glücklich noch seinen Diener ertappte, den Ragusaner. Ich verschaffte mir handfeste, schlaue, für Geld gewissenlose Gehülfen, die ihn Abends von der Straße wegfingen, ihn knebelten und in ein einsames Gewölbe schleppten. Ich verschaffte mir gerade müßige, bärbeißige und mitleidslose Diener bei der Inquisition der Dominicaner, welche die Folter aus dem Grunde verstanden. Ich war grausam aus Liebe gegen meine Schwester, aus Angst für unsere trostlose Mutter ... mir schaudert zu sagen: er gestand erst die dritte Nacht – und was? ... Meine Schwester war schon die dritte – Frau, um so zu sagen, die er ihrer Schönheit wegen um einen ungeheuern Preis an reiche Türken verkauft, die fabelhafte Summen für eine fabelhaft schöne Jungfrau mit Freuden geben. Er hatte sich mit ihr trauen lassen, um sie sicher zu machen und zu beruhigen! So waren sie, meine Schwester Isidore und er, nach Alexandrien – geflohen; er hatte durch den gewandten Diener die Ankunft einer frischen Schönen dem Statthalter Maschemuch zu wissen gethan, die von ihrem Manne rein und unberührt wie ein Engel geblieben und bleiben mußte. Er hatte sich bis dahin krank und leidend gestellt! Sie hatte er gereizt, ein Harem sehen zu wollen. Sie war verschleiert mit ihm gegangen. Sie hatte gesehen. Sie war gesehen worden. Sie hatte gefallen – und nicht mehr hinausgehen dürfen. Welche Ueberraschung für ein liebendes, treues Weib! Sie hatte geweint. Sie war verzweifelt. Er war mit dem Golde fortgegangen. Der Diener hatte ihr in dem Harem – worein, wie in alle Häuser, alle Neuigkeiten dringen – die Nachricht hineinschwärzen müssen: ihr Mann sei ermordet. Das sollte ihr Trost sein!

Darauf seien sie wieder nach neuem Raube ins Abendland gezogen, wo er seine bezaubernde Schönheit zum Köder von jungen Schönen gemacht, die noch Alles glauben, weil sie lieben, und Alles thun, weil sie wähnen, mit sich zu entzücken.

Ich habe mir Alles lassen genau angeben, und den Diener auf ein Schiff auf den Walfischfang – besorgt! Er könnte sobald und würde sich kaum rächen; denn ich habe ihm so viel gegeben, als er mit zehn Reisen von dem goldlockigen Apollo bekommen hätte. Lebt meine Schwester noch, so ist sie vor Gram – über ihren angeblich gestorbenen Gemahl abgemagert, blaß und elend geworden – schlimmer wie alt. Und so darf ich hoffen, sie von ihrem Herrn zurückzukaufen, wenn es sein muß, um sein doppeltes ... dreifaches Kaufgeld. Ja, ich wäre so niederträchtig, jedoch aus heiligen Ursachen, ihm ein wunderschönes Mädchen für sie zu geben, wenn ich mich nicht schämte, eine dazu Willige zu suchen oder zu finden. Der Wille macht Alles gut und Zwang macht Alles entsetzlich. Die Jungfrauen und Frauen wollen lieben; das steht bei Allen fest. Dann zerfallen die Liebenden in Geliebtseinwollende, geliebt von Mehren, geliebt von Einem, geliebt zuerst, geliebt einzig und geliebt zuletzt! Aus diesen Geblütsarten mischt das Herz und das Glück und das Unglück ihnen das Leben.«

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Der junge Ritter, der Heinrich von Savern hieß, begleitete seinen frühern Reisegenossen Raimund in sein kleines Stübchen bei ärmlichen Leuten, in deren eigener Stube gegenüber zugleich Irmengard und Gaiette wohnten, denen mit einem querüber gezogenen Bindfaden in der Ecke ein Stübchen im Stübchen abgegrenzt war. Raimund vertraute ihm dort auch sein Geheimniß, daß die zur Hurd Verurtheilten nach Rom geliefert seien; daß er die von ihnen einzuhaltende Straße wisse; die Zahl ihrer Begleiter – nur zwei –; die Farbe ihrer Maulthiere; die Woche, in der sie an einem ihm genannten Orte in Sänften mit schwarzen Kreuzen und Fähnlein vorüberziehen würden; und daß er sich schon immer mit zuverlässigen Männern versehen und bereit halte, die Unglücklichen aufzuheben und dann weit vom Wege ab an einen sichern Ort zu bringen und zu verbergen. Und in einer Woche ginge die Woche an, sich seitwärts in Wald oder Schlünden wo in Hinterhalt zu legen. Bei dem langsamen beschwerlichen Ueberklettern des Kinderkreuzzugs über die Alpen und den noch weiten Weg durch die Lombardei bis Genua, hoffte er noch vor ihm am Meere einzutreffen, um dann wieder ihrer Irmengard weiter beizustehen in der Raserei unter offenem Himmel, dem Tagwandeln so vieler mond- oder kreuzsüchtiger armer Kranken, welche Noth und Tod erst bei ihren Namen rufen müsse und werde, um entsetzt und beschämt zu erwachen und zu sehen, »wo sie wären«. Aber wohin, frug er, rathet Ihr mir, Savern, unsere Frederune mit ihrem, ich glaube »Salomon«, zu bringen?

Und Savern sprach: Zu meinen Aeltern nach Genf! Sie haben über den See weg, und dann noch hinter Vevay, jenseit der Berge, eine kleine Meierei, die außer allen Wegen liegt.

Raimund konnte ihm nur mit Freuden dafür danken, und Savern schrieb ihm in Hast einen Brief an die Seinen, und bat ihn, ihnen von sich zu erzählen, und daß er hoffe, in zwölf Wochen zurück zu sein nach Genua.

Jetzt kam Gaiette, die den Fremden hatte kommen sehen, mit ihrer Zither herüber, und Raimund sagte zu ihr in froher Stimmung, ja im Scherz, der widerwillig auch zu Zeiten den Unglücklichen befällt: Siehe, Gaiette, da ist ein Herr, der fährt mit Engelsflügeln nach dem Gelobten Lande, oder dicht daneben, der nimmt dich geschwind wie der Wind mit.

Also auf, fort noch die Nacht! sprach Savern zu ihr und ergriff ihre Hand. Schöne Pagenkleider für dich sind geschwind in der Stadt noch zu haben. Ich habe ein feines, kleines, rehfarbenes corsisches Pferdchen für dich. Dort bist du dem Sultan Amalrich von Jerusalem selbst nicht zu schlecht, ja ein Schatz; hier bleibst du ungekauft, als von einem Schneider, Schuster oder Tuchknappen; denn du hast kein Geld, dir einen bessern Mann zu kaufen! Also!

Sie ließ ihm die Hand und war nur roth geworden. Und mit bittern Gefühlen im Innern frug er sie: Kannst du Zither spielen?

Und das morgenlandsüchtige Mädchen rauschte ihm was in den Saiten.

Kannst du singen?

Und das gute Mädchen sang, daß ihr die Thränen in die Augen traten.

Kannst du Türkisch reden?

Und das begeisterte Mädchen redete Worte aus ihrem Glauben: »wie Türkisch klingen müsse!« redete, und befahl ihm mit ausgestrecktem Finger: »Ili, kutsch Ili! Ili, kutsch Ili!« sodaß Alle lachen mußten und sie selbst.

Nun Alles sehr gut! belobte sie Savern. Aber nun noch die Hauptsache: Kannst du tanzen?

Und nun tanzte das mond- und türkenmondsüchtige Mädchen, reizend mit liebenswürdigem Gesicht und funkelnden Augen. Aber vor Lachen taumelte sie und warf sich auf das Bett. Und Savern besah ihre Finger und steckte ihr einen schönen Ring an, in dessen Glanz und Schein sie lange hineinsah – wie in das Morgenland.

Raimund ward zum Nikolas in einen »Rath der Hirtenknaben« fort aus dem Hause berufen, und die beiden Männer, jeder für die Seinen zu jedem Opfer bereit, schieden auf Tod und Leben, ungewiß, ob sie sich wiedersähen.

Savern blieb in Gedanken sitzen.

Am Morgen kam Irmengard zu Raimund herübergestürmt und erzählte ihm ihren Schreck, daß im Morgengrauen sie ein schöner junger Page im Bette überfallen, ans Herz gedrückt und unter heißen Küssen ihr Gesicht und Brust naßgeweint habe, und frug ihn, wo Frohmuthe wol sei?

Er erröthete über das kecke entflohene Mädchen und über Savern, der sie als letztes Mittel, seine Schwester zurückzukaufen, mitgelassen, mitgenommen. Wollte auch er selbst ja, wie Jener, sogar sein Leben daran setzen, warum sollte Savern nicht nur eines Andern Wunsch erfüllen? Und »des Menschen Wille ist sein Himmelreich«, sprach er, »nur ein verrückter Wille: ein Verrücktes«.



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