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Vierzehntes Capitel.


Darauf zog er noch mit bis nach Basel. Dort war große Heerschau zum Zuge durch, ja über die Schweiz, nach Zürich, Zug, Altdorf und über den beschwerlichen und gefährlichen St.-Gotthard, nach Bellinzona. Schon jetzt waren Wunderdinge passirt; ein Seitenzug des Heers, mehre Tausend, die die Sarazenen schlagen wollten, hatten nicht gewagt, durch einen Wald zu ziehen, worin neun bis zehn Räuber hausen sollten, und schleunig um Schutzwache und Geleit von großen Männern gebeten. Es waren große Gewitter und in der That furchtbare Regenschauer gewesen; die Kinder hatten im Freien übernachten und naß am Morgen wieder hungrig weiterziehen müssen. So hatten Hunderte das Fieber bekommen und vor Angst doch eilend sich die Füße wund und blutig gelaufen unter entsetzlichem Weinen und Singen. Manche hatten sich Beine gebrochen, und so war ein meilenlanges Lazareth am Wege her entstanden. Dazu wurden sie von den fast unzähligen, nur auf Raub und liederliches Leben mit ausgezogenen Spitzbuben und Spitzbübinnen um ihre noch etwa übriggebliebene, für die äußerste Noth erst aufgesparte, an sich schon kleine Habe von ihrer Mitgift und ihrer Reiseausstattung gebracht, und die unter diesen Umständen mehr als grausamen Heuchler und Diebe und Diebinnen, die zu desto größerm Vertrauen gerade in Beguinen- und Beghardenkleidern mit dem Kreuz auf dem Rücken mitgepilgert waren, verzogen sich nun und entliefen aus gerechter Furcht vor dem Schicksale des Zugs so vieler Tausend auf einem meist häuserlosen Wege durch die Schweiz und über die Schneegebirge.

Raimund stand und übersah von einem Hügel das große weite wimmelnde Lager der Kinder, die im schönen warmen Sonnenschein wieder froh waren, und jedem besonders hohen Berge, als dem Berge des Pilatus, ein Zetergeschrei brachten. Er wollte morgen bei Tagesanbruch scheiden und die Scheidenden sehen klar und wahr. Neben ihm standen auch zwei Männer, ein Ritter und ein Priester, die das Leben unter dem Schwarme auch nicht mehr ertragen konnten, und den Zug verlassen wollten. Und der Ritter sprach verwundert: Wenn einem Heere von Rittern hätte ein Zug vorbereitet, geleitet, versorgt, ernährt und ausgeführt werden sollen, wie viel Millionen an Geld und viele nacheinander eintretende Tausende von sorgfältigen unermüdlichen Schaffnern, Aufsehern und Auf- und Nachräumern, und Heerden von Ochsen und Schafen und Pferden würde Das bedurft und gekostet haben – was hier blos aus Leichtsinn und auf Mildthätigkeit unternommen, und auch, wie bei uns Erwachsenen, zu nichts, als zu einem ebenso jämmerlichen Ausgange gebracht wird.

Und Raimund sagte bewundernd: Wie leicht und süß sterben doch Kinder! Ich habe da ein Mädchen sterben sehen – dagegen ist aller Rittermuth lächerlich! Da ist kein Glaube; da ist nichts als Kinderherz, noch nicht ängstlich gemachte, reine schuldlose Kinderseele! Sie schwebt auf und fort, wie ein ausgehauchtes Flämmchen! wie der unsichtbare Duft einer Blume! Und wenn diese Kinder alle die Teufelsbrücke hinunterstürzten oder gestürzt würden, sie fielen alle selig in den Himmel in ihrem Kopfe, in ihrem Herzen.

Ich muß es sagen, die Kinder ertrugen unzählige kleine und für sie große Beschwerden – mit gar keiner Geduld, nur mit fröhlichem Sinn aus Eifer, und weil ihrer Tausende das Gleiche ertrugen. Wie viel schwerer könnte der ganzen Menschheit das Leben sein, und es würde auch noch gelebt und zu Ende getragen!

Und der Priester hielt schon lange seine Hände gefaltet und sprach jetzt betrübt: Da seht nur unten den Wirrwarr! Die Messe wie vor den Kirchthüren! Alle stehen da untereinander, kaum die einigen hundert Priester und Geistlichen, alle unter gleichem Gewande, der Sklawine der Kreuzfahrer. Dort nur haben die Weiber sie abgelegt und waschen sie. Mädchen waschen ihre Läppchen und Lümpchen und hängen sie zum Trocknen auf Sträuche und Zäune – wie den Engeln hin. Andere nähen die Löcher und Schlitze zu, schneiden die Fetzen und Zumpel von ihren Röcken und stopfen noch einmal die letzten Strümpfe, oder schleudern sie fort. Da ist kein Schrank, keine Truhe, keine Vorrathskammer, woraus die Mutter den Schaden ersetzen könne und etwas Neues geben, und das Alte geht zugrunde. Und nun erst innerlich den Schaden zu besehen, um ihn zu verschweigen; – Ihr wißt wol, daß alle Welt, die Augen und Ohren hat, weiß ... wie es schon auf Processionen zu einem heiligen Bilde hergeht; am liebsten auf einer, wo ein Nachtlager hin und ein Nachtlager heim sehr angenehm ist, in schöner Sommernacht, selbst unter freiem Himmel; oder in Schuppen und Scheunen und Bansen, auf Stroh- und Heuböden, wo natürlich kein Licht geduldet werden darf. Ihr habt wol gehört, wie sich die Züge erwachsener Pilger und Kreuzfahrer gewöhnlich nicht durch besondere Heiligkeit auszeichnen, da sie blos mit dem Glauben und dem beschwerlichen und gefährlichen Kreuzzuge allein schon allen andern Ansprüchen an Menschenglauben genug zu thun und dabei keine andern Pflichten und Gebote für Menschen mehr besonders genau zu beobachten hätten, weil sie im Voraus schon Vergebung aller Sünden auf ihre Zugzeit erhalten haben, – ebenso verdient die Aufführung unserer jungen Kreuzfahrer und Kreuzfahrerjungen und -Mädchen – vermischt mit so vielem Gesindel, das nur, weil es nichts taugt, mit ihnen gezogen ist – wol keineswegs der Hülfe Gottes, oder der Maria und Magdalena zu ihrem Leben. Wie viele Aergernisse hat es schon gegeben, die alle vertuscht werden, um die Heiligkeit zu bewahren! Und wohin werden sie nun kommen? So Gott will nach Italien, in die warmen italienischen Nächte, in Haine bei Mondenschein und Nachtigallengesang!

Raimund sah den Priester an und mit dem gewissen Blick in die Augen, und dieser »Reine« sah ihn wieder so an, und Beide erkannten sich als Genossen eines Glaubens.

Sie hatten schon lange viele Rheinkähne von Hüningen herauf- und von Schaffhausen herabkommen, anlegen und ausladen gesehen. Als sie darauf bei Sonnenuntergang in das Lager hinabstiegen, sahen sie die kleinern Knaben warme Jacken und Hosen, zum Unterziehen unter die leinenen kalten Sklawinen, sich nach Hause tragen; die größern und größten Mädchen aber trugen sich Säcke heim, die inwendig und auswendig mit Wachs bestrichen waren, und die Säcke sollten über die Berge auf der dorflosen Straße ihre Betten sein, in die sie zur Nacht hineinkriechen und die sie mit den Bändern unter dem Kinn sich fest zubinden sollten. Damit schien ein doppelter Nutzen beabsichtigt zu sein von den geheimen Rathgebern des Nikolas, der einen besondern und wirklichen Hirtenbrief an die andern Hirtenknaben erlassen. Ein frommer Priester hatte aus frühern Jahren an die muthigen Schwestern, die »Syn-ei-Sactas«, erinnert, die das oft gelungene, oft mislungene Kunststück gewagt, unter Jünglingen und Männern muthig und getrost zu schlafen, und sich zu bewähren; aber aus den »Sacktes« hatten sie hier übelverstandene »Säcke« gemacht, die herbeigeschafft worden, und in welche zu fahren die redlichen Mädchen sich freuten und sie schon probirten.

Sie hatten dann ruhig und selig darin die Nacht geschlafen, aber es war gegen Morgen durch Fahrlässigkeit Feuer ausgebrochen; die Säcke hatten geschrien, sich fortgewälzt, sich selbst nicht erlösen können, und Keines hatte das Andere, vor zitternden Händen, aufknötern können – und so waren sie fortgehüpft, niedergefallen, wieder mühsam aufgestanden, und bei dem Feuerscheine hatte es ausgesehen wie eine ganz eigene Auferstehung von den Todten, oder von großen graugelben Ameiseneiern mit menschlich schreienden Köpfen.

Verbrannt, nicht einmal angesengt, war glücklicherweise kein Mädchen.

Das war das letzte Bild, das Raimund, bei seinem Aufbruch zu seinem Wagstück, von den armen Kindern in seiner Seele mitnahm.



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