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Zehntes Capitel.
Die Hurd.


                    Motto:

Am Himmelsgewölbe sind viel Haken eingemauert, daran das Menschenvolk seine Thorheiten hängt, und woran sie verwittern. Das neue Geschlecht reißt die alten herunter und hängt dafür seine neuen daran, die wieder verstocken und heruntergerissen werden, und wieder ersetzt. Die Haken halten.

Zur gesetzten Stunde brach unter einem sanften Sprühregen der Zug nach dem Gericht auf. Wie angenehme oder düstere Farben der Wolken am Himmel die Erde tonlos schmücken, so gaben die Glocken der Thürme mit ihrem wallenden Klange der Stadt ein unsichtbares – ein gleichsam frommes Dach, eine wie vom Himmel herab- und hereinklingende Weihe des Festes: zur Darlegung des Abscheus vor solchem höllischen Wesen, wo der Teufel einen Engel geliebt und der Engel sich dem Teufel ergeben mit Leib und Seele, sodaß sie Beide zu Einem, zu etwas Unnennbarem geworden.

Voran kamen »Funken«; darauf das schuldige Paar, nicht in Bußkleidern, die ihnen nicht zugestanden, denn ihre Schuld war nicht auf Erden abzubüßen, noch zu vergeben; sondern der erfinderische Geist des Carnevals hatte sie in Masken gesteckt, die noch nie gesehen und erhört waren. Und so folgte ihnen unmittelbar nicht ein geistlicher Orden, oder ein Beichtvater, sondern wieder erst hinter einem Zuge Funken sangen und beteten sie das Ora pro nobis, nur wie für sich und das Volk. Denn hinter ihnen kamen die Frauen und Jungfrauen, Väter und Mütter; hinter ihnen ein Zug zur Warnung gezwungen dazu befohlener Juden, Greise, Männer und Weiber und Jungfrauen, und alle ohne Maske, in schwarzen langen Sabbathröcken. Hinter ihnen kam nun der wahre große Carnevalzug. An der Spitze desselben zuerst in wunderlicher Maske der Ewige Jude, der die erhabensten Männer seines Volks führte: eine Reihe Könige, unter denen der kleine David mit dem Riesen Goliath; Salomo mit der Königin von Saba, und Absolon mit einer ehrfurchtgebietenden Perücke, die vor allen den Kindern am meisten gefiel. Zum Schluß kam Judas Ischarioth, den Beutel mit Silberlingen schüttelnd und seinen berühmten Strick um den Hals, und hinter ihm ein wirklicher Dieb, der heiliges Kreuzzugsgut gestohlen hatte, und zwar nur wenig Pfennige den Kindern aus der Tasche – doch jede Zeit hat ihre Hauptverbrechen, wie jedes Land sie – ihre zeitlang hat.

Sehr viele Männer und noch mehr Weiber aus allen Ständen und von allen Handwerken, die neben dem Zuge und hinter dem Zuge langsam ihre Augen und Ohren herausgetragen, stellten sich, endlich angekommen, um den Hügel mit dem Scheiterhaufen und zwei Pfählen, zu welchen die beiden Schuldigen hinaufgeführt und jeder an seinen Pfahl gebunden ward, mit den Händen hoch über den Kopf. Der Scharfrichter Elias in großem Staat, befahl da oben den Knechten. Und sie entkleideten die Verurtheilte so weit, daß ihr ganzer weißer Rücken erschien, und geißelten, ja zergeißelten sie, daß den Weibern allen, die sich am nächsten hinzugedrängt, die Augen vergingen, sie sich jammernd wegwandten oder mit dem Kopfe sich unter die Menschen bückten. Die Gegeißelte ertrug die Pein und den Schmerz ohne auch nur einen Laut. Sie schrie aber einen Gall, als die Knechte ihren Freund nun noch ärger geißelten. Der aber warf mit lauter Stimme entsetzliche Worte aus der Alten Schrift über die Menge, und rief Prophezeiungen aus wie zerschmetternde Blitze, worüber die gläubigen Hörer ihn verlachten – um nicht zu zeigen: sie wären dadurch zermalmt. Als aber zuletzt die Knechte das Feuer an die Scheiterhaufen legten und Rauch aufquoll und Glut, und das Feuer ihre Haare ergriff, daß sie aufloderten, da schrie sie entsetzlich zum Himmel empor, und entsetzlicher zu den Frauen hinab und rief: Und das leidet ihr Frauen? Ihr, die ihr Kinder geboren! und ihr Jungfrauen, die ihr Frauen werden wollt! Das leidet ihr, daß eine Mutter lebendig das Grab ihres Kindes wird? Das ist über alle Sünden und über alle Strafen. Wehe euch! wehe! wehe!

Da erwachten die Weiber wie aus einem Traume. Sie sahen sich an mit rollenden Augen, mit wüthenden Blicken; sie faßten sich an, an den Schultern, sie schüttelten einander, und ohne ein Wort zu verlauten, mit einem einzigen Schrei stürmten sie den Hügel, befreiten die wie rasend Gewordene, aber Stille, und geleiteten sie schonend und küssend, sanft und sorglich hinab und führten sie auf dem Wege zurück nach der Stadt.

Die Funken wagten nicht, sich an den Frauen zu vergreifen, denn sie hörten mit drohenden Fäusten selbst der Vornehmsten Weiber rufen: Verbrennt die Mutter, wann sie Gott ihre Schuldigkeit gethan. Dann, dann verbrennt ihr sogar ihr Kind vor Augen oder auf den Armen des Vaters. Aber ein Weib greift nicht an dem Weibe an, denn das Leben ist nicht die Mutterliebe, die himmlische Mutterangst.

Selbst ohne Waffen hätten sie die Bewaffneten zerrissen, und es blieb nichts übrig, als den schönen erbleichten Jüngling auch loszubinden, und mit dem siegreichen Weibe unter den siegreichen Weibern heimzuführen, langsam von fernen, von rohen Priestern begleitet und von dem Zuge der jüdischen Könige, und der Ewige Jude jubelte und tanzte voraus.

Raimund aber sprach leise zu Ramon: Der Narr hat gut gewirkt! und die Weiber mit Menschengefühl immer. Nun werden die Armen gewiß auch nach Rom gebracht! Nun muß ich fort. Du wirst ja hören, vielleicht noch heute, wenn du hinaufgehst zu den Augen- und Nasenpatienten. Wie froh bin ich. – Sie drückten sich die Hände.

Das lustige Volk aber lief wieder zurück zu dem Galgen, denn es hörte und sah: ihm zu einigem Ersatze wurde der Pfennigdieb gehangen Laut Godofred. Mom. I. c., der ärmste und lustigste Vogel in Köln seit vielen Jahren und Carnevalen. – »Fleisch lebe wohl!« hatte er, schon den Strick um den Hals, noch gerufen. Nun seht und versteht: Ich werde euch zur letzten Freude ganz ausgelassen mit meinen zwei Beinen zappeln – mehre habe ich nicht für den Augenblick – und dabei wißt nur: da tanz' ich mit Lilith, der alten Großmutter – ihr wißt schon von wem!

Und das Volk lachte unter den Masken hervor schauerlich, und sang dazu – denn es war ja Carneval, und ein Spaß mußte doch sein.



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