Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Capitel.


An dem endlich angebrochenen Ehrentage der öffentlichen Gerechtigkeit, gerade ein Jahr nach dem Kinderauszuge, schien eine helle freundliche Sonne über das liebe, schöne, fruchtbare, lustige Rheinland, und die Lerchen sangen wieder in der blendenden Bläue des Himmels unsichtbar verborgen, fröhlich über den auf dem Hügel bereitstehenden Block und den Pfahl mit dem Rade.

Die dem Himmel in sonderbarer Erdensündertracht Heimzusendende stand von tröstenden Geistlichen umgeben schon dabei. Eine immer, selbst bei jeder Feuersbrunst, jedem Deichbruch schaulustige Menge, diesmal vielmehr Männer, Jünglinge und heimgekehrte Kreuzfahrtknaben, als Weiber und Jungfrauen, harrten gleichsam, ihre Herzogin »abthun« zu sehen. Selbst der gute Erzbischof hielt in seinem Galawagen, seinen Beichtvater neben sich, galonnirte Diener hinter sich, und seinen allbeliebten und sogar seinen Herrn in der Noth schützenden Jost in der Staatsnarrenkappe vorn auf dem hohen Bocke neben dem Kutscher, der seine vor fauler Zeit übermüthigen sechs Schimmelhengste kaum bändigen konnte. Und der Erzbischof war gekommen zur Unterdrückung aller Art Ausbruchs des Volks durch seine bloße Autorität; wie alle kleinen Vögel schweigen, und selbst die Katzen sich verkriechen, als gäb' es gar keine, wenn ein Adler oben über allen schwebt, und selbst sein Schatten in den Gehöften unten macht, daß die Hühner gackern.

Da kam auf prachtvollem und prachtvoll gezäumtem höllenschwarzen Rosse der Schauspieler des Tags, Don Raimund, in seiner edelmanngleichen Amtstracht dahergebraust, in schwarzem Sammetkleid, kostbarem, weißen brabanter Spitzenkoller, die goldene schwere Amtskette um den Hals, daran das Wappen der freien Reichs- und Hansestadt blitzte, ein Ritterbarett auf dem Kopfe, und wie eine finstere Wolke im Gesicht; vor ihm – natürlich – ein Vorreiter; hinter ihm seine Diener; einer mit einem mannshohen blitzblanken Mauerschwert mit silbernem Griff, das er kaum aufrechthalten konnte; ein zweiter mit dem nagelneuen funkelnden Beil, und noch zwei niedern Dienern, genannt Knechten, zum Flechten auf das Rad, und mit dem Blutbesen – Alle in Masken, auch der Meister in der finstern Maske, als ob Menschen zu solchen Werken ihr Menschenangesicht nicht dürften leuchten lassen. Er stieg mit würdiger Haltung ab, verneigte sich gegen den Erzbischof, eigentlich gegen den Narren, seinen Freund, dann gegen das Volk, als für welches und in dessen Namen Alles geschehe; ließ sich das ungeheuere Schwert reichen; mit dem wandelte er drei mal um die Niedergekniete; ließ sie das Haupt auf den Block legen, dann kniete er nieder. Auf einmal sprang er begeistert auf, warf das Schwert von sich hoch in die Luft, sprang auf den Block, als auf seine Kanzel, und rief laut über das Volk die wie ein gewaltiger Bann schallenden Worte aus:

»Kraft meines uralten Rechts und unverkümmerten Gebrauchs schenke ich diesem Weibe das Leben, und dadurch, daß ich sie zu meinem Weibe nehme, und sie hiermit von diesem Augenblick an für meine wahre, leibliche und geistige Ehefrau erkläre, vor Gott und Menschen. So wahr mir Gott helfe, der es sieht, und die Menschen es dulden und loben müssen, die es sehen.«

Darauf erhob er sie von den Knien, hob sie zu sich auf und drückte die wie Todte an sein Herz und flüsterte ihr ein geheimes Wort zu, ließ ihr seinen schwarzen Sammetmantel umwerfen, behielt sie an der Hand, warf seine Maske ab, rief noch zum Volk als zu seinen Zeugen, daß er seine Richterei seinem Vetter schenke, nachdem er sein einziges erstes und letztes Werk verhoffe zu des christlichen Gottes Billigung und zur Freude selbst der christlichen Menschen vollbracht zu haben.

»Die Heirath vom Blocke weg« war also die von Jost in das Pergamentblatt eingekniffene Rettung gewesen. Und noch hob der beglückte Bräutigam ein weißes, großes documentartiges Papier in die Höhe und erklärte dabei: das ist der priesterliche Consens zu meiner Heirath. Denn ein Dispens war gar nicht nöthig, da mein Weib keine Blutsverwandte von mir gewesen. Und so lade ich Alle, Alle, die meine Gäste sein zu wollen mich beehren, zu heute Mittag und Abend bis zum Morgensterne zu meiner Hochzeit gebührend ein, und bitte: ihr Kommen mir durch ein lautes »Ja! Ja!«, gewißlich nicht »Nein« zu bekunden.

Da brach erst freilich ungeheuere Zustimmung vor Freuden auf einen gewiß furchtbaren Schmauß aus, wobei Masken allen Rang und Stand aufhoben. Und da die vom Tode, als sonderbarem Schwiegervater Erheirathete immer noch und noch mit gebücktem Haupte stand, riefen ihr Hunderte zu: Auf! auf! Nimm ihn, wenn du klug bist! Und merke wohl: du mußt! Denn kein Verurtheilter darf sich den Tod ertrotzen. Also fort! fort! Zu Bett, zu Bett!

So riefen die Gutschnabel. Andere Klugschnabel aber sagten sich leise: Das ist eine schlau abgekartete Sache! Sie haben um das Ding lange gewußt! Deswegen haben ihre Aeltern vor ihrer Trauung gebeichtet, sich von ihrem – jetzt als Braut dastehenden Fehltritt – absolviren lassen, und vor den Kirchthüren bei schrecklichem Regenwetter, wo Niemand in die Kirche geht, noch kniend gebückt und ihn noch dazu im Schleier abgebüßt – weil sonst »die junge Frau« da eine Blutsverwandte von ihrem jungen Manne gewesen, was Gott nur nothgedrungen nur Adam's Kindern und Enkeln hat durch die Finger sehen müssen, und zwischen Gottes Fingern ist eine breite Oeffnung zur Durchsicht.

Aber seht auch, sprachen andere scharfe Richter, seht, so gut auch sind die Weiber: sie geben erst die Treue um ein Kind vom Geliebten, und dann gibt eine Mutter sogar ihre Ehre um das Kind! So etwas ist sogar im Paradiese nicht geschehen und wir Menschen fangen an viel besser zu werden. Doch wir werden die Welt und die Weiber nicht ändern; denn Sünde muß sein, wie wäre da sonst das süße Vergeben! – Jetzt heißt es für uns: Heida zur Hochzeit! Und denkt euch geschwind was aus! ... und bring' ihn ja Einer darauf, daß er uns läßt um Dukaten spielen! nämlich nur also: er langt sie heraus und setzt sie – und wir würfeln darum und stecken sie ein!

Raimund aber führte vom Tödten, also wie selbst vom Tode erlöst, seine Frau heim in die schon heimlich immer mit Pracht geschmückte Lindenburg, wo die Aeltern ihr Kind in die Arme schlossen – was er nicht recht begriff – anders als neue junge Frau Schwägerin – und wo Gaiette sich auch einen so reichen, braven, ja stattlich schönen Mann wünschte, und wenn er sogar auch glaube: sie sei Eva! Nur eins war ihr nicht recht, und sie verzog das Gesicht dabei und lachte nur spöttisch. Als Raimund dem Gebrauche gemäß mit seinem Weibe in die herzliebe Brautkammer geführt worden, da legte er in das breit aufgedeckte, zweispännige Bett das mannsgroße Schwert die Länge nach mitten hinein, zur ehernen heiligen Scheidewand zwischen sich und ihr. Das Recht, ein Frauenzimmer dem Tode so wegzuheirathen, welches wol darauf beruhte, ungerechte und zu harte Urtheile so zu kassiren, schrieb aber gegen Misbrauch auch diesen Gebrauch als Gesetz wenigstens vor.
Anmerkung der Frau »Historia«.
– Gaiette bestaunte das und lispelte: Ich Unschuldige würde mir aber doch im Finstern einmal einen Kuß über die Grenze paschen, oder die Lippen des Mannes darüber paschen lassen, ihn ertappen und schwere Strafe bezahlen lassen!

Und selbst Don Ramon, der von Allen als reinen treuen Herzens der Gerührteste war, mußte lächeln, und schlug ihr mit Jostens Pritsche leicht auf den Mund, und einmal in Aufregung, faßte ihn das lose Mädchen und küßte ihn tüchtig ab zu allem Dank.



 << zurück weiter >>