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Fünftes Capitel.


Dem alten treuen Hausmeister Hagebald war aufgetragen gewesen, auch die drei Faß spanische Rosinen mit hinausbringen zu lassen, und Raimund ging jetzt die Nacht noch mit ihm, eins aufzuschlagen, und aus dem darin geborgenen kleinen Fäßchen sich reichlich mit Gold zu versehen, wobei er den alten, fast wie zum Freund seines Bruders gewordenen Diener zugleich mit nicht erst zählender Hand beschenkte. Der spanische Doctor hatte indessen droben seine Medicin bereitet für die morgen erwarteten Kreuzzugskinder, und dabei sich der Hülfe der schlauen Frohmuthe bedient, der er erst kein Schweigen auferlegte, weil er wußte, daß so etwas gerade erst recht bei Weibern und Mädchen vergeblich ist, der Sache eine Wichtigkeit beilegt und gerade das Gegentheil wirkt; weswegen der Weiber größte Angst ist um Das, was sie gesagt oder wiedergesagt haben oder haben sollen.

Mit einem Verlaß auf Etwas schläft jeder ein, auf seine Kunst oder Wissenschaft, oder doch auf sein Grabscheit, ja auf Anderer Bedarf und Noth, und selbst dem zu Grabe Getragenen legen seine Begleiter noch einen Verlaß unter. Die beiden hülfreichen Freunde verließen sich aber auf kranke Kinder und einen berühmten Narren, einen Großnarren, weil er einem Großen diente, und schliefen Jeder in seinem prächtigen Zimmer, bis die Morgenröthe hineinflammte. Mit Sonnenaufgange standen sie fertig angekleidet; der Doctor spanisch, Raimund französisch-provenzalisch.

So gingen die beiden Herren die breite Treppe leise hinab, sahen rechts die Thüre des großen Saales offen stehen, den Todten im Sarge, und an dem Sarge mit gefaltenen Händen seine noch junge Witwe in weißem Kleide. Der Todte war aber unaufgedeckt, sodaß sie noch vor Furcht oder Schmerz, oder irgendeinem andern schweren Gefühl, die weiße breite Decke über seiner Gestalt und seinem Antlitz unaufgehoben gelassen.

Sie traten leise zu ihr; Raimund winkte ihr mit den Augen guten Morgen, schlug die Decke zurück und sah sich den todten Bruder an, den die aufgehende Sonne mit ihren über die grünende Erde daherschwimmenden, wie in Blumen und Blüten watenden Strahlen beleuchtete.

Armer Bruder! stöhnte er; armer Vater, den die große Tochter so betrogen hat! So unausstehlich, daß du es nicht ausgestanden doch überstanden hast.

Doch hat sie Gott nicht betrogen, und Gott sie nicht, nur eine Welt fabelhafter Menschen; sprach der Doctor tief erschüttert, aber erhoben. Und wie halb fluchend, halb betend, sprach er mit Sonnenglanz verklärtem Antlitz: »Richte die Menschheit, die Erde zum Himmelreich an, herrsche auf jedem Dorfe ein gütiger weiser König, besitze sie alle Weisheit und Kunst, aber bleibe sie in einer Abscheulichkeit in der höchsten Sklaverei stecken: »Sei ihr die Liebe nicht frei, und die Ehe zwischen Liebenden nicht frei«, dann hat sie noch mit aller Gewalt und allen Sinnen an dieser einzigen, so leichten und so natürlichen, allen andern Wesen unter dem Himmel und auf der Erde gegebenen Freiheit zu bauen, die die Lerche in der Luft und den Goldkäfer in der Erde ihr zum Vorbild und zum Ziele schon hat, und durch sich wie selig macht – denn die Ehe sich Liebender ist die Seligkeit. Und der heimliche Haß zweier sich nicht von Herzen Liebender ist das tiefste Elend, wenn die Liebe des Einen noch ihr Leben ertragbar macht. Aber das Leben und die Welt soll nicht ertragen werden, sondern gefeiert als schönstes blumiges Lauberhüttenfest!« Und der Vater verlor die große Tochter durch den Unsinn und die Herzlosigkeit der Welt, indeß die Tochter liebesweise war, und schrecklich dafür bestraft, wie das gottgläubigste, frommste Kind voraus in der gewiß erscheinenden, Allen das Beste gönnenden Zukunft auf Erden lebte und liebte, ohne Ahnung einer Unseligkeit; denn reine Liebe ist der höchste Glaube, ohne gleiches Nebengut noch Nebenglück.

O wie schön – und o wie fabelhaft traurig für den Vater! sprach Raimund dazu. Und nun soll er, oder doch die arme unglückliche Mutter hier, noch ihre jüngste Tochter verlieren! Wollen wir sie doch ihr malen lassen! – und den Vater!

Indessen stand Irmengard neben ihr und die Mutter bedeckte wie vor Scham ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte dahinter.

In meinem Zimmer droben, sprach Raimund zu seiner Schwägerin, hängst du gemalt von einem vortrefflichen Maler, der noch leben muß; denn deine Frederune steht noch klein zwischen deinen Knien, und du flechtest ihr das Haar; und ein Maler vermag schwerlich jemand Aeltern in seine Jugend oder gar seine Kindheit zurückversetzt, als die heitere Unschuld, so treu und schön zu malen; das Bild scheint also etwa dreizehn Jahre alt. Wie hieß denn der Maler?

Und – sich bückend und dann wie davon röther geworden, antwortete sie halblaut: Er heißt van Graveland. Er war eines hiesigen reichen Wollenwebers Sohn, und webte selbst schon reizende Teppiche; ging aber nach den Niederlanden, ich weiß nicht warum, und ward Maler; lebt aber jetzt wieder hier, oder auch nur auf Besuch, und hat sogar vorige Woche höflich sich ausgebeten, sein Bild, als nämlich mich mit dem Mädchen, wiedersehen zu dürfen, um es zu prüfen und daraus zu lernen.

Ach, dem laß ich mich gern malen! rief die Tochter. Dem mußte man gut sein, und wie getreu und lieb er einem in die Augen sah!

Die Männer, und der Arzt nicht ohne besondere, aber verschwiegene Gedanken, versprachen den Maler aufzutreiben und herzubringen.

Sie gingen darauf, mit kurzen klaren Worten ihre Absichten besprechend, in die Stadt zu dem redlichen Narren im erzbischöflichen Palast. Er saß im Bett auf, die Kinder um ihn, deren jedem Raimund eine Düte schenkte, mit der sie zur Mutter liefen, die bald darauf selbst kam und ihrem Manne etwas in die Ohren flüsterte; er schüttelte gegen Raimund den Kopf, der ihm die Hand drückte und sagte: Es ist nichts schändlicher und despotischer, als ganz allein aus Hoheitsrecht andern dankbaren Menschen zu wehren, Jemandem oder mehren um ihn Verdienstlosen zu danken oder einen ihnen Feindlichen zu tadeln. Ich zerreiße dieses Garn, und bitte dich, Bruder Jost, auch noch diese Düte mit 2000 Goldstücken deinem guten Herrn in meinem Namen zu verehren, damit er der Stadt gewogen bleibe für gestern, und die schönen Fenster und die zerhämmerten Glocken auf den Thürmen wieder herstellen zu lassen – weil mich der Herr in der Fremde gesegnet und wenigstens mich gesund und lebendig hat heimkehren lassen.

Jost dachte darauf bei sich im Stillen nach, während ihn der Arzt neu verband und ihm ohne Nachwehen wieder seine Gesundheit mit kurzen Worten versprach.

Und wenn ich morgen stürbe, so würde heut' doch meine letzte Bitte für Eure Sache bei meinem Herrn und Gnaden erst recht anschlagen, sprach Jost. Die letzten Bitten sind die einschlagendsten in ein gutes Herz, wie das meines Heiterkeit liebenden, Allen – beinahe schon ganz vernünftig – wohlwollenden Herrn, dem zu Liebe ich sogar meine Narrenkappe und Pritsche dem Erzbischof Siegfried zu Mainz überlassen, und dem zu Leide ich nicht in die Dienste des Bischofs Friedrich zu Halberstadt und nicht zu den Bischöfen von Lüttich, Bamberg, Strasburg und was weiß ich wohin gegangen. Ja, ja, seht mich berühmten Mann nur an! Aber »Heiterkeit bedürfen auch die Heiligen, und Wahrheit auch die Kaiser, und Freude die Engel«; sagt mein guter Herr – und nur gestern ist sie mir schlecht bekommen, fast zu schlecht! In ihrer Begeisterung stört nur eben ein alberner Narr die Bienen, kein kluger; nach der Begeisterung aber lassen sich die wildesten Pferde als wahre Esel in den Stall führen, und nachträglich durch eine Tracht Schläge und Hunger ganz zitternd vor Liebenswürdigkeit machen.

Darauf ging er gleich aufrichtig zur Sache über, und meinte ... daß sich der schöne redliche junge Mann die vor Liebe unbedachtsame übereilte Jungfrau hat in der Fremde antrauen lassen gewollt, und deswegen mit allem seinem großen Vermögen mit ihr freilich heimlich wegziehen – das nutzt jetzt nichts mehr. Wenn der Herr Christ, der sich mit einer Türkin vergangen, das ihn sogleich rettende, aber uns abscheuliche Wort ausruft: »Es ist nur Ein Gott«, das ist hier nur fruchtlos. Daß er sich will taufen lassen, das rettet das Kind nicht; denn es ist noch aus früherm teuflischen Geist, und so die Mutter noch seine verteufelte Mutter. Die Hurd, nach der alle brennen, um hinter allen den frommen Städten am Rhein zu Berg und Thal nicht an Frömmigkeit zurückzubleiben, wäre nur aufzuschieben durch Eingreifen und Einschreien und Einschreiten barmherziger, außer sich gerathener »Weiber voll guter Hoffnung«. Und dann ist, was ich meine, das Beste, die Schuldigen zur Gnade oder Bestrafung nach Rom zu überweisen, was zu thun meinem gnädigen Herrn das redliche Menschenherz erleichtert. Viel Geld in die leeren Kassen zu Rom würde zuerst doch in den Kerker, und noch mehr Geld auch endlich aus dem Kerker bringen. Auf dem langen Transport zu Eseln nach Rom aber könnten sich die Schuldigen ja – vielleicht verirren! ... von Räubern geraubt und in ein ander Land transportirt werden, und selig bis an ihr seliges Ende leben. Wirkt Ihr also auf der solchen doppelmitleidigen Weiber Herz – ich will eines braven Mannes Herz erweichen.

Raimund ging in Bekümmerniß auf den Altan hinaus und sahe die Schiffe fahren und umher die Bäume blühen, als gäbe es keine unglücklichen, keine bethörten Menschen, und das Wasser des Stroms floß so silberklar und die Tauben girrten auf dem Dache des Palastes, und fielen vor Liebe fast herunter; sie errafften aber in der Luft ihre Flügel und schwärmten um den Thurm und flogen zu Nest.

Indeß vertraute der Doctor dem Narren seine Weise, die Kinder zu heilen, die der Narr ganz auf die Natur gegründet fand, und sich freute, sodaß er wieder lachte. Er erkundigte sich dann, als des Auszurichtenden oder Auszuführenden sich immer und überall bewußt, nach dem Maler, der in ihr Haus kommen und die jüngste Tochter malen solle. Da schüttelte der Jost den Kopf und sprach ihm leise zum Ohr: Aber auf Männerverschwiegenheit; der schöne junge Mann war der Nachbarssohn der jetzigen jungen Witwe, die ihre Aeltern aber dem vornehmen Patricier aus Streben nach Rang und Ansehen zum Weibe gaben, worüber der verschmähte junge Mann in die Ferne ging – aber vor mehren Jahren, schön, reich und berühmt, und der ersten Liebe unvergessen, wie die Weiber sie noch viel weniger vergessen – wiedergekommen ist, und seine erste Geliebte und ihn zuerst Liebende wundervoll gemalt hat, wobei sie ihm so in die Augen gesehen, daß sie sich so an ihm versehen – doch Ihr werdet ihn ja sehen und sinnen, wo Ihr ihn doch schon wo gesehen habt – als irgend wen und was, ja den schönen Mann mit vollem schwarzen Bart sogar als Mädchen ohne Bart erkennen.

Der Doctor schwieg verstummt, doch klug gemacht als ein erfahrener, tausend Häuser kundiger Mann; und Jost sagte nur noch: Mich sollte es nur wundern, wenn in Euerm Hause da keine Hochzeit würde, sobald nur die äußere Trauer aus ist. Denn wer auch nichts Früheres zu verehelichen hat, der sinnt doch auf Wiederverehelichen. Denn die Welt ist eine verliebte Katze, sagte mein Vater immer. Und hier erscheint den Wissenden sogar nachträgliche Redlichkeit, und dem guten Raimund schadet es nicht und beunruhigt ihn nicht, wenn er nur darüber unwissend bleibt, daß die jüngste Tochter der Frau Rath aus innerer Liebe und stiller Treue das Kind des ihr früher verweigerten Malers ist und nicht seines todten Bruders.



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