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Drittes Capitel.
Der Rath.


Raimund hatte seinen neuen Freund mit auf sein Zimmer genommen, und die flinke Gaiette hatte ihnen Rheinwein, grüne Becher und einen Teller Carnevalgebäck dazu hingestellt.

Sie gingen Beide gegeneinander auf und ab und blieben zu Zeiten in der Mitte stehen, noch ohne zu reden, nur zu trinken vor erduldeter Tageserhitzung und der Erregung des Abends, während das Carneval eingelauten ward, und das lustige Volk durch die Straßen schwärmte und sang. Dem hörten sie so eine Weile zu – als sei das die Welt.

Endlich sprach der Arzt zum Kaufherrn: Wir sind Zwei, und Ihr habt zwei Aufgaben zu lösen, schwere, schwere: Eure zwei Mädchen da zu erlösen, die ältere vom Tode geradezu, und von welchem? ... die andere vom Kreuzzug, also so gut auch wie vom gewissen Tode. Aber die Kinder sind angesteckt. Es ist nur Feuer in sie angelegt. Sie sind krank – weiter nichts als krank. Uebernehmt Ihr die ältere zu retten, ich will die jüngste übernehmen zu heilen, und mit der stärksten Hoffnung nicht nur, sondern mit Zuversicht. Denn sagt nur kurz: seit wann sind erst Menschen nach Jerusalem gezogen? Immerfort seit Erschaffung der Welt? Oder meint Ihr, ohne rasend zu sein, daß Menschen alle Jahrtausende noch hinziehen werden – bis, wie Eure Frau Schwägerin von dem armen Lebensleider gehört: die Welt ausgeweint hat und die Augen zugeschlossen. Das ist nur ein » raptus«, eine geistige Witterungskrankheit, eine Ausbildungskrankheit des Menschen, wie die Kinder am Zahnen leiden und sterben. Die selbst in der Ausbildung begriffene Erde hat bekanntlich die ihr angestammte Pest – den Tod. Die Erde ist immer so still krank und hat ihre Krankheiten, die ihr aus dem Bauche kommen; sie hat die Wassersucht und die Feuersucht, wie die Sündfluten und die Erdbeben, Fieber und Erbrechen von Steinen und entzündetem Lavablut, uns höhern Aerzten bewiesen. So leiden die Menschen hier und da Alles mit der Erde, jetzt Dies, zu andern Zeiten Das, bis sie platzt. Für die Menschen aber besonders theile ich die Krankheiten ein in Kopf-, Oberleibs- und Unterleibskrankheiten; und der Bauch, aus dem die Träume kommen, spielt gerade die größte Rolle. Darum muß dem Bauche geholfen werden, damit sie nicht zu Kopfe steigen. Wie viel plötzlich ausbrechenden Wahnsinn, wie viel Versetzungen der Menschen in sinnlose Dinge haben alle Aerzte schon leicht im ersten Anfall gehoben, sodaß sie mit Recht und zum Heile verworrener Köpfe jetzt den Muth haben, Menschen zu heilen von irgendwelchem Glauben, wie mir ein anderer jüdischer Arzt in Spanien beschworen hat, daß er unzählige Sarazenen, Mauren, die vor Sehnsucht, ja Wuth nach dem Heiligen Grabe wiederum ihres Propheten zu pilgern ... und von Mekka auf zeitlebens – und nach ihrem Tode also damit zugleich – ohne Rückfall glücklich curirt hat. Und da, wie ich höre, Ihr alsbald nach der Lindenburg hinauszieht – so laßt mich mit; ich will Euch die kranke Irmengard heilen, und am liebsten mit mehren Kindern zugleich in Gesellschaft; und will heimlich mir kranke Kinder werben gehen, deren Aeltern den Tod derselben sonst vor Augen sehen, und ihr ganzes Vermögen darum gäben, sie zu Hause behalten zu können, und sie nicht halten dürfen! Die ganze Geschichte ist nur eine Krankheit, die mit Thränen über Andere beginnt – und wenn die Kranken erwachen, mit Thränen über sich selber erlischt und in Reue und Beschämung erstickt – und doch sind die Kranken unschuldige Leute, wie alle Kinder unschuldig an ihrer Geburt.

Sein Freund lächelte und sagte ihm: Thut Das, was Ihr um unsere Irmengard thun wollt; denn Euere Rede ist nicht ohne Grund der Erfahrung. Aber wie helfe ich der andern Schwester? Das letzte Mittel wäre – Gift.

Die arabischen Aerzte, jetzt fast allein noch erst die vernünftigen auf der Erde, sprach der jüdische Doctor, haben ein Gift, wenn man es mit dem widersinnigen ungerechten Namen beschimpfen darf, das fühllos macht, selbst wenn man die Hand, das Gesicht, oder die Nase nur, in Feuer steckt – das würde sie also schmerzlos in Flammen sterben lassen oder zuvor im Kerker; aber eben »sterben«, das will sie weder jetzt im Kerker, in welchen Ihr laut des christlichen Decrets freien Zutritt habt, noch in der Hurd auf dem Hügel da draußen, bis sie ihr Kind geboren, um welches sie als heilige Mutter des Himmels und der Erde ihr Leben gibt – sie will nur mit dem Menschenkinde an ihrem Theil die Welt mit geschaffen und mit geweint haben – dann hat sie ihren Evatheil erfüllt, und will dahin, begraben und vergessen sein wie Eva, und Der, der sie und ihren Namen erdacht hat. Denn kein Mensch hat damals oder jemals gesehen, wie Gott der Herr, oder die Elohim die Welt, die Erde und das liebe Paradies erschaffen und den Baum des Lebens, aber auch den Apfelbaum und die Schlange darein gesetzt. Darum versucht Ihr die Erlösung mit Gold! Die Gelegenheit für Gold ist immer, Tag und Nacht, und jetzt in der tausendjährigen Nacht, zu jeder Stunde.

Ich will mit Freuden ein Faß große Rosinen daran setzen, rief der Kaufherr freudig; das heißt, erklärte er leiser dem Freunde: ein Fäßchen Gold, ja das zweite; mit dem dritten bin ich noch zwei reiche Männer. Der Handel hat mich gesegnet und ich habe noch ein Schiff in See. Auf! Gleich fort! Man kann nichts Nöthiges Zeit genug thun; oft eine Stunde zu spät bekommt man nicht mehr, was man bedürfte ... ist der Mann nicht mehr da, der uns hülfe! – Da steht man bestraft für die Saumseligkeit, die Mutter der Versäumniß. Darum gleich fort in den Hansesaal unserer reichen Stadt Köln, der mächtigen Stadt, einer alten Stadt, in Wahrheit schon vorher herrlich, ehe man noch Anno Eins schrieb, welche Einführung alle Chroniken erst recht verworren und finster macht, und vor der Hand und noch lange alle Contracte. Und mein Köln – sammt seinem ganzen Weichbild mit Städterecht – es baut jetzt 300 Schiffe und ist Stapelort der weit mächtigen, innig verbundenen Hanse. In ihrem Saale hören wir von Fremden aus allen Landen und von den einheimischen Männern – Ihr von Euern reichen klugen Juden, und ich von meinen ehrenwerthen Unglaubensgenossen, alles uns Nützliche – den Stand oder die Lage der Dinge. Dem Kaufmann, dem ist die Welt mit allen geistlichen und weltlichen Dingen nur ein Handelsartikel, nur eine Kaufhalle vom alten heidnischen Gott Mercurius, der aber selbst kein Heide war, da er ein Gott war. Und obendrein heut', als am Sabbath, ist alter Versammlungsabend; die Sonne ist unter, und der Mond erleuchtet die Straßen.



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