Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Entscheidung

Fritz erwachte mit einem peinigenden Kopfschmerzen, und dieser unangenehme Mahner an den übertriebenen nächtlichen »Jux« war für Fritz doppelt quälend, da er eine dunkle Erinnerung an irgend einen dummen Streich erweckte, der dem Jux vorausgegangen sein mußte. Unmutig drehte er sich auf die andere Seite, aber der gewünschte Schlaf kam nicht, im gleichen Maße, wie der Kopfschmerz, wuchs seine Unruhe. – Plötzlich setzte er sich halb auf: Richtig, das war's. Angetrunken hatte er Bärble wahrscheinlich ein bischen allzu stürmisch zum Tanz gefordert und eine derbe Abfertigung erfahren, danach höhnte ihn der Wagnershannikel, und er schrie. – – Ein großes Licht ging Fritz auf, in voller Bestürzung fuhr er sich in die Haare; war's denn möglich, daß er so dumm, so sinnlos in den Tag hineinschwätzen konnte? Wenn's das Bärble erfuhr, – was nachher? – – Freilich, als er so sann, erwachte auch sein Unmut über Bärble wieder. Die Art, wie sie ihn abfertigte, noch dazu vor allen Planburschen, war nicht zu entschuldigen und bestätigte seinen Verdacht, sie gönne ihm kein Vergnügen und wolle sich jetzt schon eine Herrschaft über ihn anmaßen. Zu anderen Zeiten wäre wohl ihr Unmut über seinen nicht ganz ordnungsmäßigen Zustand begreiflich und natürlich 168 gewesen, er würde auch eine derbere Zurechtweisung nur gerecht gefunden haben, aber an der Kirmse ist nicht nur manches erlaubt, was sonst nicht gilt, ein Planbursch hat sogar die Verpflichtung, hie und da über die Stränge zu schlagen, um die allgemeine Fröhlichkeit zu erhöhen, die Lust nicht ausgehen zu lassen. Gewiß, ihm war schweres Unrecht geschehen, und noch dazu vor allen Kameraden! Das entschuldigte seine heftigen Worte nicht nur, es gab ihm auch das Recht, selbst einmal den Gekränkten zu spielen; diesmal mußte Bärble an ihn kommen, und bis das geschah, wer konnte es ihm verübeln, wenn er, um die Kränkung zu verschmerzen, sich auf alle Weise entschädigte und das Vergnügen der ledigen Burschen noch einmal gründlich genoß? Das Gefühl, unschuldig zu leiden, wuchs immer mehr; ihm schloß sich ein anderes an: die Empfindung der Sicherheit und Straflosigkeit. – Diesmal hatte er ja zu verzeihen, und Bärble durfte nicht mucken, selbst wenn etwas Ungehöriges vorkommen sollte! – Fritz war eben der Türkenfritz! Alle Lehren und Erfahrungen der letzten Zeit waren vergessen. – Der Vorfall gab ihm erwünschte Freiheit und, das war die Hauptsache, Bärble war ihm ja auf alle Fälle sicher genug! – So mit sich im Reinen, vergaß Fritz seinen Kopfschmerz und sprang mit dem festen Vorsatz aus dem Bett, wenigstens heute das Bärble zappeln zu lassen und noch einmal frank und frei der Türkenfritz zu sein.

Bis Mittag hatte er mit den übrigen Planburschen alle Hände voll zu tun, den Plan unter der Dorflinde zu schmücken und Pfarre und Schule, Schulzenhaus und die Häuser der Planmädchen durch Kränze und Tannenbüsche auszuzeichnen. Als er zum Essen heimkehrte, stand ein 169 zierliches, sauber lackiertes Bernerwägelchen im Hof, und der Vater, der ihn unter der Haustür erwartet zu haben schien, flüsterte ihm heimlich zu: »Der Oberndorfer Mühlvetter mit seiner Großen ist da! – Sind bloß deinetwegen 'kommen! – Das ist ein ander Mädle, wie dein Schluckerle, potz Christoph von Nordheim! – Wärst du nicht dümmer, wie dumm – aber ich sag' nichts, ich gelt' ja doch nichts mehr bei dir, seit du deiner Alten gänzlich unterduckst! Aber das Mühlbäsle, – guck' sie nur an, – das gäb' eine Türkenbäurin, holla, holla! – Aber ich sag' nichts, kein Wort sag' ich!« Damit ging er an den Wagen und trug Decken und Sitzpolster ins Haus.

Fritz war verblüfft und ward es noch mehr, als ihm bei seinem Eintritt das Mühlenbäsle entgegen tänzelte und ihn wortreich bewillkommnete, während der dicke Müller ächzend im Sessel sitzen blieb. Der Vater hatte nicht übertrieben, – das gab eine Türkenbäurin! An Pracht gab das Bäsle, Theres nannte sie der Vater, der Hofkleinen nichts nach, aber an Schönheit übertraf sie diese weit. Und dieses freundliche Wesen, diese »Redsprächigkeit!« – Die Worte quollen wie Wasser über die kirschroten Lippen, und wie sie beim Lachen die Zähne zu zeigen wußte! – Fritz war wie berauscht.

Der Henner lächelte in seiner tückischen Weise und nickte dem Müller heimlich zu, Gottfried stand still am Fenster, und ein finsterer Schatten lag auf seinem Gesicht, auch die Bäurin ging ernster als gewöhnlich ab und zu. Als Fritz im vollen Putz nach Tisch ins Wirtshaus wollte, rief sie ihn in die Küche. »Ist das eine angestellte Geschichte mit dem Müller?« fragte sie, und da Fritz erstaunt dreinsah, fuhr sie fort: »Was bedeutet das Schöntun und 170 Äugeln mit der Theres? – Ich will's glauben, daß die Sach' allein von deinem Vater eingefädelt ist, – aber du, nimm dich in Acht! – Mir will schier das Herz zerbrechen, wenn ich an das arme, arme Mädle, das Bärble, denk'! – Aber ich seh', an dir ist Hopfen und Malz verloren, du bist einmal nicht zu bessern! Ich sag' dir nichts als: nimm dich in Acht! Mit meinem Willen kommt nur das Veitenbärble als Schnur ins Haus! – Machst du an ihr den Schlechten, machst du mich und deinen Gottfried bei ihr zu Lügnern, – dann geschieht, was ich dir am Sonntag in der Heuernt' sagte. So – nun tu' du nach deinem Willen, wir sind vorläufig fertig mit einander!«

Das war ein böser Dämpfer; seine Freude war dahin, und ein drohender, finsterer Blick Gottfrieds machte ihn vollends kleinlaut. Doch hielt diese Stimmung nicht lange vor, im Kreise übermütiger Kameraden fand er bald sein Selbstgefühl wieder, und Hannikel, der die Mühltheres nicht genug rühmen konnte, schwätzte ihn in jenen Rausch, jenen Taumel hinein, der ihn stets blind und toll machte. Vergessen war Bärble, Mutter und Bruder, vergessen seine Liebe, vergessen alle früheren Torheiten und die ihnen folgende Reue. Er dachte nur noch an Glanz und Reichtum, Wohlleben und Überfluß. Er sah sich schon im Besitz, sah sich mit der »prächtigen« Frau neben sich, schnaubende, runde Pferde vor dem Wagen, stolz zu Markte fahren; dazu klang die Musik so lustig in seine Träume, und ein paar funkelnde Augen aus den Fenstern des Türkenhofes, die nur auf ihn blickten, leuchteten so glückverheißend hinein, – Fritz schwamm in einem Meere von Wonne. Tänzelnd und den schweren Gießer zierlich schwenkend, schritt er bei dem Umzug durchs Dorf den 171 Musikanten voraus, und seine Juhu übertönten alle anderen.

Er ahnte nicht, dachte aber auch gar nicht daran, wie sein übermütiger Jubel dem bleichen Mädchen, das sich hinter dem Hollunderbusch im alten Schulzengarten verbarg und ihm so liebevoll nachblickte, in das Herz schnitt. War ihr auch die Ursache seines Glückes nicht bekannt, das wußte Bärble, daß es mit ihr in keiner Beziehung stand, und während alles um sie her, jung und alt, groß und klein, in fröhlicher Erwartung glühte, Blumen und bunte Seidenbänder im Sonnenschein glänzten, über der Dorflinde die alte Freiheitsfahne aus dem Jahre 1848, – deren Gelb längst in ein graues Weiß verblichen war, – in der blauen Luft flatterte, Musik und Jubelrufe durchs Dorf schallten, fühlte sich Bärble so einsam, so verlassen. Fritz war gestern im Zorn von ihr gegangen, heute hatte er sich noch nicht nach ihr umgesehen, und nun dieses übermütige Jauchzen. – Bärble ahnte, daß die Entscheidung ihres Schicksals noch schneller hereinbrechen werde, als sie befürchtet hatte.

Jetzt kam der Zug mit allen Planpaaren das Dorf herab und ordneten sich auf dem Plan um die Dorflinde. Bärble hörte nichts von der Kirmespredigt, nichts von den Trinksprüchen der Planmädchen, ihr Auge haftete auf der schönen, stolzen Fremden, die dort dicht am Plan neben dem Türkenhenner stand, die Fritz im Vorbeiziehen mit lautem Juhu begrüßt und die ihm darauf so vertraulich, so zuversichtlich zugelächelt hatte. Sie preßte die Hand aufs Herz, das zu zerspringen drohte; obgleich sie vor Ungeduld fast verging, wagte sie doch nicht, Dorle nach der Fremden zu fragen, aus Furcht, das Beben ihrer 172 Stimme könne sie verraten. Die drei ersten Reihen, die nur die Planpaare tanzten, schienen kein Ende zu nehmen. – Bärbles Pulse flogen, sie zitterte leise, vor ihren Augen flirrte es. – Jetzt verließen Planburschen und Planmädchen den Plan, sich neue Tänzer zu suchen; Fritz steckte die weiße Schürze, die er als Gießerträger vorgebunden, auf, – wen wird er wählen? Noch steht er unentschlossen, er streicht sich die Haare aus der Stirn, – ach, sie hat ihm unrecht getan, er sucht sie mit den Blicken. – – Nein, die Blicke galten nicht ihr, stolz lächelnd geht er zur Fremden, – ja, er führt sie auf den Plan! –

Bärble ward es dunkel vor den Augen, – ein wilder Schrei drängt sich auf ihre Lippen. Da trifft ein verwundertes Flüstern ihr Ohr, sie hört ihren Namen nennen, hört sie bedauern, – soll sie den Leuten die Freude machen und ihren Schmerz zeigen, soll sie sich öffentlich als die Betrogene bemitleiden lassen? – Nein, und wenn sie danach sterben muß, jetzt gilt es, aushalten; die Zähne zusammenbeißend, unter der Schürze die Hände ballend im grimmigsten Schmerz, steht Bärble und blickt unverwandt nach dem Plan, ja, sie zwingt sogar ein Lächeln auf die Lippen, als sie die übrigen Zuschauer lachen hört. So sieht sie drei lange, lange Reihen; als aber eine lustige Jagd der Planmädchen nach neuen Tänzern die Aufmerksamkeit der Umstehenden fesselt, huscht sie, selbst von Dorle nicht bemerkt, aus dem Gärtchen und wankt heim.

Fritz überlegt: überging er das Bärble noch einmal, fiel es allzu sehr auf; es war allerdings fatal, sie an der Mühltheres vorüber auf den Plan zu führen, aber es mußte eben sein, ganz mit ihr zu brechen, kam ihm wenigstens vorläufig nicht in den Sinn. Daß er sein Bäsle zuerst 173 geholt, konnte sie ihm nicht verübeln, ohnedies war es leicht als Strafe für gestern darzustellen. Aber wo war Bärble? Niemand wollte sie gesehen haben, auch ihre Brüder nicht. – Was ist das? Treibt sie ihren gestrigen Trotz so weit? Fritz wußte wirklich nicht, sollte er sich ärgern oder freuen. – Bald überwog die Freude; schlau rechnete er: will sie ihren Kopf so gegen mich behaupten, darf sie sich auch nicht beklagen, bleib' ich auf meinem Sinn; nachlaufen tu' ich ihr einmal nicht und in meinem Vergnügen stören laß ich mich auch nicht! – Um sich dennoch auf alle Fälle den Rücken frei zu halten, tanzte er die nächsten drei Reihen nicht, dann aber setzte er keinen Tanz mehr aus, auch die Theres holte er nochmals auf den Plan.

In seinem Übermut achtete er abends nicht auf das gedrückte Wesen der Mutter und Gottfrieds, er fühlte sich behaglich, wie der Hecht im Karpfenteich, und war fest entschlossen, dieses Vergnügen einmal bis zum Grund auszukosten, dann konnte man ja sehen, wie sich die Sachen weiter gestalteten. Im Haus litt es ihn nicht, lachend und scherzend kehrte er nach dem Abendessen mit dem Bäsle auf den Tanzboden zurück.

»Willst du nicht einmal mit dem Fritz reden?« sagte die Türkenbäurin zu Gottfried, als der Henner mit dem Müller ebenfalls das Haus verlassen hatte.

»Wozu?« entgegnete Gottfried traurig. »Solang' er im Rappel ist, hört und sieht er doch nicht, und dann, wie ich das Bärble kenn', wär's auch zu spät!«

»Ach, warum muß ich das erleben?« schluchzte die Bäurin. »Ich hab' mich so darauf gefreut, das Bärble ins Haus zu bekommen! – Was nur in aller Welt den Fritz anficht? Die Theres reicht dem Bärble das Wasser 174 nicht, und wie's mit ihrem Vermögen steht, weiß erst kein Mensch. Mir ist auch gleich ein Stich durchs Herz 'gangen, wie ich sie anfahren sah! – Gottfried, ich kann mich nicht dreinfinden, daß nun alles aus sein soll, – ließ' sich nicht auf andere Weis' was tun?«

»Wie meint Ihr das?«

»Könnt' ich nicht mit dem Vetter, mit der Theres ernstlich reden?«

»Laßt's sein, die Geschicht' ist einmal vom Vater eingefädelt, so macht keinen Lärm ins Haus. Das Bärble nimmt den Fritz so wie so nicht, drum mag er's mit der Theres versuchen. – – Mutter, was wird nun mit uns? Sollen wir zu der Niedertracht von Fritz auch wieder Ja und Amen sagen? Sollen wir zusehen, wie die jungen Leut' mit dem Vater ein großartiges Leben anfangen? Sollen wir uns geduldig in die Ecke schieben lassen? – Ich hab' das Leben satt, dick satt! Ich hab's gut mit Fritz gemeint, hab's ihm öfter wie einmal gesagt, aber nun hört meine Brüderlichkeit auf, ich will auch einmal frei sein und nimmer den Lückenbüßer machen. – Mutter, war's Euer Ernst mit dem hintern Hof?«

»Mein völliger, und jetzt ist er's mehr denn je!«

»Ich dank' Euch, Mutter! Petri fangen wir einen Haushalt für uns an! 's ist das Beste für alle Teile! Im Anfang wird's freilich Sturm setzen, – mit dem Vater und Fritz müssen wir uns gleich gründlich auseinandersetzen, – dann wird auch Ruh'! Wir stören die jungen Leute nicht, und sie sind uns nicht im Weg'! – Ich dank' Euch, Mutter, – so haben wir doch noch ein paar Jahre für uns! – Mir kommt's Bärble nicht aus dem Sinn, – wie mag's dem armen Ding zu Mut' sein!«

175 Ohne Ahnung, wie sich unterdes an zwei Orten sein Schicksal entschied, jubelte und tollte Fritz auf dem überfüllten, von wenigen Talglichtern spärlich erleuchteten Tanzboden herum, und der Henner wechselte mit dem Oberndorfer Müller immer vergnügtere Blicke, je vertrauter Fritz und Theres wurden. Vom Hannikel und ihren Brüdern wußte er, daß Bärble unwohl geworden war und das Bett hütete, – und Fritz dankte dem Zufall, der ihm so günstig freie Bahn machte, ohne ihm den Rückweg abzuschneiden. Er tat sogar ein Übriges, trat in einer Zwischenpause mit einem guten Likör zur Veitenbäurin, erkundigte sich angelegentlich nach dem Bärble und bedauerte – um schöne Worte war er ja nie verlegen – ihre Krankheit, und daß sie das arme Mädle grade heute überfallen mußte. Die Bäurin, die bisher wie auf Kohlen gesessen hatte, der die spöttischen Blicke und Reden ihrer Nachbarinnen wie Stiche ins Herz gegangen waren, atmete froh auf. Mit einem Schwall von Worten dankte sie Fritz, ermahnte ihn zugleich über seinem stolzen Mühlbäsle doch ja das Bärble nicht zu vergessen und sie morgen zu besuchen. Fritz versprach beides und ging nachdenklich davon. Recht zur Unzeit tauchte Bärbles Bild aus den Tiefen seines Gemütes auf, und wie verblaßte vor ihm die Herrlichkeit der Base, wie schwand so rasch der Zauber, der ihm bisher die Augen verblendet hatte. Die Theres war freilich schön, aber neben Bärble konnte sie doch nicht bestehen. Fast ein Gefühl von Heimweh erfaßte ihn, aus der Freude, aus der Musik sehnte er sich nach dem einfachen, sanften Mädchen. – Fritz dankte Gott, als die Mühltheres bald darauf über Müdigkeit klagte. Pflichtschuldigst geleitete er sie bis an den Türkenhof, aber seine 176 Gedanken waren ganz wo anders, und die Theres konnte seine Veränderung nicht begreifen. Auf den Tanzboden zurückgekehrt, setzte er sich in einen Winkel und träumte. Der Wagnershannikel fluchte: »Der Teufel werde aus dem Fritz klug,« als er auf seine Frage, ob Fritz mit dem Bäsle einig sei, eine gesalzene Abfertigung erhielt.

Am Morgen quälten Fritz die verweinten Augen der Mutter und der finstere Trotz Gottfrieds; als er danach gar auf Befehl des Vaters den Vetter und die Theres durch Haus und Hof geleiten mußte, war ihm zu Mut, als versinke hinter ihm Glück und Freude, nur mit Mühe vermochte er die allernötigste Freundlichkeit zu zeigen. Sein Herz zog ihn zu Bärble, aber ein dunkles Gefühl hielt ihn ab, solange die Theres im Dorf war, den Veitenhof aufzusuchen. Nach dem Essen schützte er seine Geschäfte als Planbursche vor, und ging zum größten Erstaunen des Vaters, des Müllers und der Theres richtig ins Wirtshaus. Vater und Tochter waren verstimmt; die Bäurin machte aus ihrer Abneigung gegen Theres so gar kein Hehl, Gottfried ging ihnen so weit als möglich aus dem Weg, – und nun noch die Veränderung bei Fritz! Unmutig erklärte der Müller, er müsse heim, mit aller Mühe brachte es Henner kaum so weit, daß er wenigstens den Kaffee abwartete. Eben, als der Tanz auf dem Plane begann, zog er den Gaul aus dem Stall und saß bald droben auf dem Wagen neben der schmollenden Theres. »Ich seh', es ist nicht alles klar bei dir,« sagte er zum Abschied, »aber darum scher' ich mich nichts. Ich hab' nichts gegen den Fritz, obgleich sein Fortlaufen keine Manier ist; will er die Theres, ich sag' nicht nein. Aber dann muß er bald kommen, sonst ist's nichts!«

177 Beim Plan mußte er still halten, so dicht standen die Zuschauer, und Fritz sprang an den Wagen, Abschied zu nehmen. Der Wagnershannikel meinte einen ungeheuer gescheiten Streich zu vollführen und sich namentlich bei Fritz einen Stein ins Brett zu setzen, – plötzlich schwenkte er seine Mütze und schrie wie besessen: »Der Oberndorfer Müller soll leben – und die künftige Türkenbäurin auch daneben, – vivat hoch!« Aber von der Musik fielen nur wenige Instrumente zum Tusch ein und brachen mit abscheulichen Mißklängen ab, statt des Hochs der Zuschauer ertönte ein mißfälliges Murmeln, ja eine spöttische Stimme schrie laut: »Was kümmert uns die künftige Türkenbäurin? – Die Türken sind nicht der Art, daß man sich's ihretwegen einen Atemzug kosten ließ'! Überdem, wer weiß, aus welcher Ecken noch die Türkenbäurin 'reingeschneit kommt, der Fritz hat ja alle Tage 'ne andere auf'm Strich!« Der Müller war klug, hieb auf den Gaul und fuhr davon, ohne auf das brüllende Gelächter zu achten. Fritz war bleich geworden, als ihm noch gar von da und dort zugerufen wurde: »Bist wieder fertig mit einer? Wer kommt nun heut' dran? Der Schwänzlesschwänzler soll leben, vivat hoch!« knirschte er die Zähne zusammen. Auf dem Plan schrie er dem Wagnershannikel, der noch ganz verblüfft dreinschaute, wild an: »Reitet dich der Teufel, oder ist's nicht richtig im Oberstüble bei dir? Ich könnt' dir gleich auf dem Fleck da eine Schellen geben, daß du die Kirche für eine Baßgeige ansiehst, du alberner Schnitzgöker, du!« Das verdroß natürlich den Hannikel, der es so gut gemeint hatte, er gab eine passende Antwort, Fritz hielt auch nicht hinter dem Berg, – die beiden Freunde gingen als bittere Feinde auseinander.

178 Die Demütigung wurmte Fritz je länger je mehr, dazu wuchs seine Sehnsucht nach Bärble, und ihre Krankheit begann ihn zu ängsten, – sollte sie vielleicht gar mit dem Verdruß vom Ständchenabend zusammenhängen? Er ging nicht heim zum Abendessen, ihm war aller Hunger vergangen, kaum hatte der Tanz wieder begonnen, so eilte er mit Herzklopfen ins Veitenhaus.

Während er aber vergebens an Bärbles Kammertür pochte, vergeblich die schönsten, herzlichsten Worte und Bitten verschwendete, erhob sich daheim im Elternhaus ein Sturm, – auch seinetwillen. Als sich Henner zum Gang ins Wirtshaus rüstete, sagte die Bäurin: »Bleib'! Ich hab' mit dir zu reden!«

»Holla, holla, was ist's nun wieder?« schrie der Bauer, dessen böses Gewissen erwachte. »Nichts da, heut' ist Kirmes! – Und ich hab' überhaupt nichts mit dir auszumachen!«

»Doch, doch,« entgegnete die Bäurin, und Gottfried setzte hinzu: »Ja, ja, Vater, – bleibt nur, es ist wichtig und drängt.«

»Steckt 'mal wieder unter einer Decke?« knurrte Henner verdrießlich. »Meinetwegen auch, aber macht voran, ich hab' nicht lang' Zeit!«

»'s ist nicht viel, was ich zu sagen hab'!« begann die Bäurin. »Du wirst noch wissen, was wir wegen dem Fritz in der Heuernte verabredeten. Da ihr euch nun anders besonnen habt und wahrscheinlich mit der Mühltheres bald Freierei sein wird, wollt' ich dir nur zu wissen tun, daß bis Petri der hintere Hof in den Stand gesetzt sein muß –«

»Holla, holla,« schrie der Henner und dachte gar nicht mehr ans Fortgehen.

179 »– mit Vieh, Futter, Getreid', Schiff und Geschirr, genau so, wie du ihn von meiner Mutter überkommen hast –«

»Alte, bist du des Teufels?«

»Ferner verlang' ich die Hälfte von sämtlichem Hausgerät, – ich könnt' mehr fordern, aber ich will mich bescheiden!«

»Holla, holla! – und das nennst du dich bescheiden?«

»Mein zugebrachtes Barvermögen zahlst du mir bei Heller und Pfennig auf, und – –«

»So wollt' ich doch, daß dir's Maul zuwüchs'! – Bist immer noch nicht fertig?« schrie Henner, dem der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand.

– »und da ich auf die Zinsen doch keinen Anspruch machen kann,« fuhr die Bäurin unbeirrt fort, »verlang' ich die Hälfte auch vom erworbenen Vermögen!«

»So, weiter nichts? – Holla, holla! – Da nimm doch lieber gleich den ganzen Quark, nimm alles – holla, holla! – Alles! – Friß dich satt dran!«

»Ich verlang' nichts, als was ich mit Recht zu fordern hab'! Übrigens was zierst du dich? Hab' ich nicht vorhergesagt: so wird's?«

»Potz Christoph von Nordheim! – Alte, nimm Vernunft an, – wie soll ich das möglich machen?«

»Eine reiche Schnur bringt alles wieder, der Oberndorfer Müller wird euch nicht sitzen lassen!«

»Holla, holla, der wird uns was pfeifen, wenn er sieht, wie die Sachen stehen!«

»So? – Guckt an, das ist ja schön!«

»Alte, – Himmelherrgott, Alte, mach' mir den Kopf nicht warm. – Zum Donner auch, das kann doch dein 180 Ernst nicht sein! Sei gescheit, Alte! Denk' doch nur, was sollen die Leut' sagen?«

»Hast du jemals was danach gefragt? – Nein, Henner, mit meiner Geduld ist's zu End'! Um der Kinder willen laß ich mich nicht gerichtlich auf Tisch und Bett von dir scheiden, – aber ich halt's grad' so, als wär's geschehen! Was du mir zugefügt hast, verzeih' ich dir; daß du den Fritz nun doch ins Unglück gejagt hast, – lach' nur, dir werden bald die Augen aufgehen! – magst du mit dir selber ausmachen. – Aber daß du den Gottfried nicht als dein Kind achtest, daß du nur an den Fritz denkst, – das kann ich nimmer mit anseh'n! – Ja, guck' nur! Gottfried soll nicht mehr seines Bruders Pudelhund sein, auch will ich mein Alter vor gewissenlosen Leuten sicherstellen, ich will nicht von dir, von Fritz und seiner Frau abhängen!«

»Holla, holla! – Aber da hab' ich auch erst ein Wort dreinzureden!«

»Ich kann dir das nicht wehren! Tust du aber nicht gutwillig, was ich verlange, laß ich mich eben gerichtlich auf Tisch und Bett von dir scheiden!«

Fluchend rannte Henner in der Stube auf und ab. Plötzlich schrie er: »So soll Fritz in's Teufelsnamen das Bärble nehmen, ich selber will's fertig machen, nur red' mir nichts mehr vom Auszug!«

»Es kommt jetzt nicht auf dich und den Fritz an, sondern aufs Bärble. Aber selbst, wenn sie Fritz nähme, das ändert nichts mehr an meinem Vorsatz. Der Fritz hat das Bärble, mich und den Gottfried sündlich belogen und betrogen, ihm trau' ich nicht mehr über die Türschwelle, und dich kenn' ich lang' genug! Nein, Henner,« fuhr die 181 Bäurin fort und stand auf, »diesmal hast du verspielt, deine Praktiken gegen mich und Gottfried sind fehlgeschlagen. Von dem, was ich sagte, geh' ich kein Tippele ab! Und nun laß es vom Advokaten aufsetzen und festmachen: Du verkaufst dem Fritz den Türkenhof um ein Lumpengeld, aber der Kauf darf erst nach deinem Tod offenbar werden, damit dir der Fritz nicht den Daumen auf's Aug' setzt; laß es nur so einrichten, daß es bei deinem Tod heißt: die Kaufsumme hat der Verkäufer aufgezehrt, daß so Fritz alles zufällt –«

»Holla, holla!« schrie Henner und fuhr zurück. »Wer hat – –«

»Hab' ich dich erraten? Mach's nur so, ich werd' dagegen beizeiten sorgen, daß Gottfried trotzdem nicht zu kurz kommt! – So, Henner, wir sind fertig zusammen! Bis zum Auszug schlaf' ich in der oberen Stube! – Gut' Nacht!«

Da Gottfried schon vorher die Stube verlassen hatte, war Henner allein. An die Kirmes dachte er nicht mehr, im weichen Lehnstuhl saß er wie auf Dornen! Wie hatte er die Geschichte mit der Mühltheres so schlau eingefädelt, wie hatte sich alles so schön gefügt, – und nun mußte seine Alte so dazwischenfahren. Zorn und Angst kämpften in ihm, die Angst behielt jedoch bald die Oberhand. Leise schlich er an die obere Stubentür, klopfte, bat, – keine Antwort. Zuletzt kroch er in sein Bett, aber auch da verscheuchten böse Gedanken den Schlaf; die Not der Gegenwart weckte manche Erinnerung aus der Vergangenheit; das Kaffenetle füllte sich mit höhnenden, drohenden Gestalten, wie ein Alp lag es ihm auf der Brust. – In Schweiß gebadet, an allen Gliedern wie gerädert, die 182 trüben Augen, die kein Schlaf geschlossen, gerötet, – so traf ihn der grauende Morgen.

 

Als ihn Bärble nicht einließ, nicht einmal antwortete, war Fritz wie betäubt auf den Tanzboden zurückgekehrt. Eine quälende Angst trieb ihn ruhelos umher; die Musik, der Jubel machten ihn fast toll, dennoch konnte er Einsamkeit noch weniger ertragen. Als Bärbles Mutter gegen Mitternacht heimkehrte, schloß er sich ihr an; wohl eine Stunde stand – kniete er vor der Kammertür, aber weder auf seine Bitten, noch auf den Befehl der Mutter erfolgte eine Antwort, in der Kammer blieb es still wie im Grab. Zuletzt stürzte Fritz fort, ziellos rannte er durch die Nacht. Grau dämmerte der Morgen, als er heimkehrte und sich in den Kleidern aufs Bett warf. Eine dumpfe Bewußtlosigkeit befreite ihn von seinen Qualen, – dafür wurden sie desto größer, als er wieder zu sich kam. Die Glieder waren ihm wie gelähmt, als er aufstand. Die Mutter fuhr erschrocken bei seinem Anblick zurück, so zerstört, verwildert, – gealtert sah er aus. »Fritz, Fritz, – was hast gemacht!« rief sie. »Das Bärble weiß deine Reden vom Ständelesabend, weiß alles mit der Mühltheres, – sie läßt dir sagen, du solltest ihr nimmer vor die Augen kommen. – Geh' 'nauf, in der Oberstube liegt was für dich!« – Mit Angst sah sie, wie Fritz zusammenknickte, wie er so müde, so matt die Treppe hinaufschlich. – Als Fritz in der obern Stube auf dem Tisch seine Geschenke an Bärble, – eine Schürze, ein seidenes Halstuch, das noch nicht einmal ihre Brust geschmückt, – erblickte, da brach ihm das Herz.

183 Besorgt schaute die Mutter nach ihm; als sie ihn mit dem Kopf auf dem Tisch liegen sah, als sie ihn schluchzen hörte, schloß sie die Tür, wankte in eine Kammer, schloß sich ein, kniete an einer Lade nieder, weinte mit dem Sohn und über ihn und betete, daß ihn Gott nicht verlasse. 184

 


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