Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Ein stürmischer Tag und eine wilde Nacht

Fritz verbrachte die Nacht nach dem Streit mit dem Grundmüllersjakob und nach seiner abermaligen Aussöhnung mit Bärble schlaflos. Trotz seines Leichtsinns erkannte er, daß sein bisheriges Leben nicht mehr dauern könne, und daß sich in Kürze sein zukünftiges Schicksal entscheiden müsse. Nicht die Mutter allein war es, die ihn so zum Nachdenken brachte, der Spott seiner Kameraden, die Demütigung durch den Grundmüllersjakob, die Tränen Bärbles, – das alles wirkte zusammen. Er mußte sich selbst gestehen, alle Klagen gegen ihn waren begründet, er war durchaus nicht, was er sein sollte und konnte, es tat not, daß er sich zusammennahm, das kindisch alberne Wesen ablegte. Der Schustersbernhard und der Grundmüllersjakob waren nicht älter als er, – aber was stellten die für Burschen vor! – Ja, es half nichts, – er mußte es auch so weit bringen wie die, – solche Schande wie heute, nein, die durfte nicht wieder über ihn kommen. Also von jetzt an besonnen und ernsthaft werden! – Das war der erste Entschluß. Nun handelt es sich um seine Zukunft. – Was die Mutter einmal sagte, das galt; was nun tun? Ihre Vorschläge waren nicht übel, machten ihn selbständig, gaben ihm Raum, sich zu rühren und es vorwärts zu bringen. Aber sie schnitten auch alle außerordentlichen 121 Glücksfälle ab; heiratete Gottfried doch, blieb er sein Lebtag ein Kleinbäuerle, im glücklichsten Falle trat er eben in die Fußstapfen seines Vaters, ward Türkenbauer, nicht weniger, nicht mehr. Mit der Hofkleinen dagegen war er ein gemachter Mann, der reichste landauf, landab; aber es war noch die Frage, ob ihn die Kleine auch wirklich nahm, – dem Wagnershannikel durfte man nicht allzuviel trauen – und wenn auch, war es wirklich ein so großes Glück? Er kannte die Hofkleine; sie war ein stolzes, herrschsüchtiges Ding, dabei leichtfertig und vielleicht noch leichtsinniger als er selber. War das eine Frau für ihn? Zudem war der Vater der Hofkleinen noch sehr jung und seit einem Jahre Witwer; wenn er wieder heiratete und Kinder bekam, dann war es mit der Herrlichkeit der Hofkleinen aus, da alles Vermögen von ihm herstammte. Obendrein konnte seine Mutter die Hofkleine nicht leiden. – Je länger er sann, desto zweifelhafter ward er, ob er das Glück wirklich in Schottendorf finden würde; und nun begann er auch zu überlegen, – womit freilich jeder andere den Anfang würde gemacht haben, – ob er überhaupt eine andere als das Veitenbärble heiraten dürfe und könne! – Er begann Bärble mit der Hofkleinen, mit anderen reichen Mädchen zu vergleichen, – ja, da war keine, die ihr nur von ferne das Wasser reichte, schon in äußerlichen Dingen, und nun gar erst noch ihr freundliches Wesen, ihre Sanftmut, ihre Güte! – Fritz ward es warm im Herzen, sein Blut kam in Wallung. Ja, es gab nur ein Bärble auf der ganzen Welt, – und sie war ihm gut von Herzensgrund, was brauchte er noch auf weiteres Glück zu hoffen, konnte es ein größeres geben? Indem er sich seine Zukunft mit ihr ausmalte, mußte er sich unwillkürlich fragen: wie würde 122 ich leben ohne sie? Der Stich, der ihm durchs Herz ging, wenn er sich Bärble als die Frau des Grundmüllersjakob, sich selbst als den Mann der Hofkleinen dachte, sagte ihm wie lieb ihm das Mädchen sei, wie er sie nie, nie würde vergessen können. Sittliche Bedenken kamen bei den Erwägungen des Türkenfritz demnach nicht ins Spiel; was ihn bestimmte, waren zum Teil äußere Gründe, besonders aber, zu seiner Ehre sei es gesagt, das mit besonderer Frische und Lebhaftigkeit erwachte Gefühl seiner Liebe. Noch nie vielleicht war ihm die Größe seiner Neigung so klar bewußt geworden, als in der Stille dieser Nacht, dazu kam noch eine gesteigerte Empfindung seiner Untüchtigkeit nach allen Seiten, – doppelt mußte es ihn rühren, daß das schöne, brave Mädchen dennoch mit so unwandelbarer Treue an ihm hing, seinetwegen den Grundmüllersjakob, mit dem er sich in keinem Stücke vergleichen konnte, der ihm selbst im Vermögen ziemlich gleichstand, abwies. Fritz empfand sogar etwas wie Scham, daß er so oft in Gedanken das Mädchen bloß um des Geldes willen verließ, – genug, Fritz war auf dem Wege gründlicher Selbsterkenntnis und machte einen ernsthaften Anfang zur Umkehr. Was ihm den Entschluß, den Vorschlag der Mutter in allen Stücken anzunehmen und sich weder vom Vater noch vom Wagnershannikel beirren zu lassen, noch erleichterte, war die Überlegung: Wenn der Grundmüllersjakob um das Veitenbärble herumgeht, so ist das Beweis mehr für ihre Tüchtigkeit, denn der Jakob weiß wohl, was er tut! Wenn der sich aber getraut, mit dem Bärble glücklich zu werden, warum nicht auch ich? – Das überwand die letzten Bedenklichkeiten, und als er erst einmal mit sich einig war, erstaunte Fritz selber über die Freudigkeit, 123 die Ruhe und die Zufriedenheit, die über ihn kam. Eine warme Empfindung von Glück und Sicherheit erwachte in seinem Herzen, er faltete die Hände in der Luft und flüsterte lächelnd: »Bärble – mein lieb's, gut's Bärble!« Und: »Bärble – mein Bärble!« war sein erstes Wort, als er am Morgen erwachte.

Der Türkenhenner lachte tückisch, die Bäurin wußte sich vor frohem Erstaunen gar nicht fassen, und Gottfried schüttelte Fritz treuherzig die Hand, als dieser nach dem Frühstück aus freien Stücken erklärte: Er habe sich die Sache überlegt und sei in allen Stücken mit der Mutter einverstanden, – auf Petri wolle er das Bärble freien und den hintern Hof pachtweis' übernehmen. Nur solle die Sach' vorläufig noch verschwiegen bleiben; wenn alles in Ordnung, dann solle das Bärble erst drum erfahren, zu größerer Überraschung und Freude. Der Zusatz gefiel freilich weder Gottfried noch der Mutter, aber Fritz war so herzlich, blickte so aufrichtig drein, – warum sollte man ihm diese Kleinigkeit versagen?

Fritz nahm sich nun wirklich zusammen, war ernst und besonnen, tüchtig an der Arbeit, freundlich besonders gegen Mutter und Bruder; – seine Kameraden, vorab der Wagnershannikel, schüttelten die Köpfe, aber im Veiten- und Türkenhaus waren drei Menschen unbeschreiblich glücklich. »Wenn's nur Bestand hat!« warnte Dorle. »Es ist gar so unglaublich, daß der Fritz im Handumdrehen solch ein Ausbund geworden sein soll. Klärt sich der Himmel gar so plötzlich, ist nicht zu trauen, da lauert gewiß was dahinter, und das Wetter wird schlimmer denn zuvor. Freu' dich nicht zu sehr!«

Aber Fritz hielt sich wacker; zwei Wochen waren 124 vergangen, und nicht ein dummer Streich war von ihm ausgegangen; die Dienstboten begannen ihn mit andern Augen anzusehen, die Mutter ward täglich freundlicher, und Bärble machte aus ihrem Stolz auf Fritz kein Hehl. Aber gerade dieser rasche Erfolg war für Fritz Gift; zunächst erwachte sein Eigendünkel: hatte er sich's nicht täglich vorgesagt, die Bergheimer wissen gar nicht, was ich für Einer bin? Der alte Hochmut war da, ehe er sich's versah, und nun kamen auch die übrigen leichtfertigen, selbstsüchtigen Gedanken, zuerst verhüllt, bald aber nackt und bloß hervor. In diesen Tagen reiste der Grundmüllersjakob nach Amerika und befreite ihn von einer heimlichen aber drückenden Sorge. Fritz atmete auf, nun war er allein Hahn im Korb. Den Wagnershannikel nahm er wieder in Gnaden an und fiel ganz in sein zerstreutes Wesen zurück. Danach auf der Hochzeit des Beckenjörg mit der Dammsbrücker Luxrosine, einer reichen Hofbauerntochter, erwachte seine Liebe zum Reichtum, zu Glanz und Prunk stärker denn je. Alle guten Vorsätze waren vergessen. Sollte er dem Beckenjörg nachstehen? Mit Kühen zu Feld fahren, während der mit Gäulen daherkam? Sich Tag für Tag, jahraus, jahrein schinden und plagen, während der den Herrn spielte, keinen Finger krumm machte und doch im Schlaf reicher ward? Fritz rannte wie verrückt in den Wald und raufte sich die Haare, – warum mußte er sich so dumm vergaffen, warum wenigstens konnte er das Mädchen nicht los werden, da sie nun einmal seinem Glück im Weg stand? – Der Wagnershannikel hatte gewonnen Spiel, als er ihm am Sonntag früh einen Gruß von der Schottendorfer Hofkleinen ausrichtete und hinzusetzte, die Hofkleine sei ganz in ihn vernarrt und erwarte ihn 125 bestimmt nachmittags auf dem Vogelschießen. Es hätte der spöttischen Bemerkung Henners nicht bedurft, Fritz dachte trotz seines erst gestern Abend gegebenen Versprechens nicht daran, Bärble aufs Vogelschießen zu begleiten; sie fand wohl noch einmal den Weg allein, – er wollte sich wenigstens vorläufig noch den Rücken frei halten.

Und so waren er und der Wagnershannikel ziemlich die ersten, die Schottendorf erreichten. Dort paßten sie in einem nahegelegenen Wirtshaus auf die Hofkleine und schlossen sich ihr auf dem Weg zum Schießplatz an. Die prächtig gekleidete, in Gold und Silber funkelnde Hofkleine nahm Fritz freundlich auf und ließ sich seine Begleitung gern gefallen; oft ertappte er sie auf heimlich prüfenden Blicken, und jedesmal stieg ihm das Blut zu Kopf. Fritz geriet in eine Art Taumel; das Rauschen der Seide, das Blitzen der Ketten verwirrte ihm die Sinne. Solch prächtige Frau, die allein paßte ja für ihn, den Türkenfritz, – und das war ein Fingerzeig des Schicksals, daß ihm die Hofkleine fast in die Hände lief. Sie war ja freilich kein Bärble, du lieber Himmel! – Aber er wollte Reichtum und Glanz, beides fand er hier. »In's Teufelsnamen auch,« knirschte Fritz in sich hinein, »heut' noch muß 's gleich mit der Hofkleinen fertig und fest werden! Ich kann dem Bärble nicht helfen, warum ist sie solch arm's Schluckerle! Ein jeder ist seines Glückes Schmied!«

Es schien aber wirklich, als habe die Hofkleine extra auf den Türkenfritz gewartet, um sich ihm samt ihrem Reichtum an den Hals zu werfen. Das wilde, ausgelassene Ding war nicht wieder zu erkennen, so sittsam schritt sie neben Fritz her; über seine Artigkeiten lachte sie wohl, aber sie belohnte ihn mit manchem freundlichen 126 Blick, und die scherzend ausgesprochenen Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit ließen zu deutlich die Absicht durchschimmern, Fritz neue Gelegenheit zu erfreulichen Verheißungen zu geben, als daß sie hätte erschrecken können. Das heitere Spiel des Versteckens und Sichfindenlassens begann Fritz allmählich ernstlich zu erregen, seine Eitelkeit und Eigenliebe erwachte, und je gewisser er der Zuneigung der Hofkleinen zu sein glaubte, desto mehr trat das Bild Bärbles in den Hintergrund. Er gedachte ihrer nur noch mit einer gewissen Furcht, – jeden Augenblick konnte sie ja vor ihm stehen, sein wahres Verhältnis zu ihr aufdecken, – und dann war alles verloren. Darum lockte er die Hofkleine in die etwas abseits gelegene Bierbude, – er ahnte nicht, daß gerade dort dem Veitenbärble kein Wort seines ernstlichen Heiratsantrags entgehen sollte.

Schon das unpassende Gelächter machte Fritz stutzig, mehr noch die leichtfertige Art, mit der die Kleine jeder bestimmten Erklärung auswich. Wie reimte sich das zu ihrem vorigen, zutunlichen Wesen? Noch unterdrückte er jedes Mißtrauen; als er jedoch im Schützensaal, den er, um Bärble nicht zu begegnen, auf weitem Umweg durch den Wald erreichte, sie im vertrautesten Geplauder bei dem reichen Bundorfer Schloßgustav stehen, ja zum Tanz antreten sah, runzelte sich seine Stirn. Beim nächsten Tanz gehörte sie zwar ihm, aber sie achtete dabei so wenig auf seine Reden, lachte so spöttisch, als er seinen Antrag wiederholte, warf andren Burschen so vielsagende Blicke zu, daß es Fritz heiß und kalt überlief. Er hatte nicht Zeit, seinem Unmut Luft zu machen; vorn in der Saalecke stand Bernhard, also war das Bärble auch nicht weit, – das hatte nur noch gefehlt! Um einer verfrühten 127 Entdeckung vorzubeugen, suchte er selber Bernhard auf, – seine letzten Worte trafen ihn wie ein Schlag auf den Kopf. – Das Bärble war hier, wußte vielleicht alles, – und die Hofkleine trieb ihren Spott mit ihm! – Da tanzte sie wieder mit dem Schloßgustav vorbei, und welche verliebten Blicke sie ihm zuwarf, – genau so, wie vorhin ihm selber! Fritz wirbelte der Kopf, auf einen Zug stürzte er ein Seidel Bier hinab, dann suchte er die Hofkleine, zog sie in eine Ecke und knirschte: »Was soll das bedeuten? Was hast mit dem Schloßgustav?«

»Und was hast du danach zu fragen?«

»Kreuz, Hagel! Komm' mir auch so! Wenn du ihn noch einmal anlachst, schlag' ich ihm und dir alle Knochen entzwei!«

»Ha, ha, ha! Du! – Du siehst mir danach aus! Laß los, was zerrst du an mir? – Laß los, sag' ich, ich will tanzen!«

»Holla! – Dageblieben! – Was ist das für 'ne Manier? Schäm' dich, so ein Flunkerle zu machen. Und ich leid's nicht! Hast du eingewilligt, mein Schatz zu sein, mußt du dich auch danach betragen!«

»Was hätt' ich? – Dein Schatz? – Ha, ha! – O du spinnenbeiniger Hanskasper, du! – Ha, ha, ha, – ich erstick'! – Dein Schatz, – ich? – Nein, so was ist gänzlich unerhört!«

»Daß dich der Geier! Also da will's 'naus? – Aber oha, du Schnepperle, dasmal bist an den Unrechten 'kommen! Du g'hörst mein, verstehst mich? Und lachst du noch 'nen andern an, ich hab's gesagt, alle Knochen schlag' ich ihm und dir zusammen!«

»Ich gehör' dein? – Geh', laß dich begraben, du 128 Strohsack! – Merkst denn nicht, daß mir's nur um einen Spaß zu tun war? Holderido, Fritzle!« lachte sie und schlug ihm ein Schnippchen. »So sperr doch 's Maul nicht auf, als wolltest du mich fressen! – Spaß muß sein auf der Welt! Such' dir dein Schluckerle wieder, für dich gibt's keine Hofkleine!«

Damit riß sie sich los. Eben öffnete sich drüben über Schottendorf der Himmel, das ganze Gebirge stand in Flammen, und der krachende Donnerschlag, der das Haus in seinen Grundfesten erbeben machte, übertönte das Gelächter der Umstehenden. Eine grenzenlose Verwirrung entstand im dunkeln Saal, die Musik brach ab, die Tänzer stoben auseinander. – »Es hat eingeschlagen!« schrien einzelne Stimmen, andere jammerten: »Gott sei uns gnädig, wir sind alle des Todes!« Von draußen drängten bestürzte Gesichter rücksichtslos in den Saal, der bald zum Erdrücken gefüllt war, und immer noch drückten mehr nach. Jammerrufe, Wutschreie wurden laut. Ungeduldige vermehrten die Verwirrung. Dazu zuckten die Blitze und klirrten die Fenster vom dröhnenden Donner ununterbrochen. Jetzt wälzte sich eine graue Wolke wie ein riesiges Gespenst vom Gebirge herab über Schottendorf heran, – im Saal ward es Nacht, draußen brüllte der Sturm durch die Eichen und Buchen, klappernd und rauschend strömte der Regen an Wänden und Fenstern herab. Fritz stand wie betäubt, das kam alles so schnell, er konnte sich nicht fassen, des Gedankens nicht erwehren: das ist die Strafe für deine Schlechtigkeit! Plötzlich fuhr er zusammen, – wo war Bärble? – Vergessen hatte er die Hofkleine, vergessen die Kränkung, die sie ihm angetan, er dachte nur an die Gefahr, in der Bärble schwebte, hatte sie kein 129 Obdach erreicht. Er stellte sich auf die Fußspitzen, aber bei der Dunkelheit konnte er kaum die nächsten Gesichter erkennen; als er versuchte, sich nach dem Ausgang durchzudrängen, ward er drohend zur Ruhe verwiesen. So stand er, unfähig ein Glied zu regen, vor Aufregung und Angst schwitzend, und mußte geduldig das Ende des Wetters abwarten. Fritz kam eine wahre Wut an über die Hofkleine, den Wagnershannikel, zuletzt über sich selbst. Zum Glück dauerte das Wetter nicht lange; kaum ließ der Regen nach, drängten die Eingeschlossenen, die fast erstickten, ins Freie; Fritz war einer der ersten mit, die den Ausgang gewannen. Was nun? – Auf dem Platz sah es wild aus; viele Buden waren eingestürzt, in andren hatte der Regen die Waren verdorben, heulend jammerten die Besitzer über ihre Verluste. Unter Bretterhaufen hervor, aus dem Wald krochen Unglückliche, die kein Haus mehr hatten erreichen können; triefnaß, mit ruinierten Kleidern, verwünschten sie das Vogelschießen, während andere, glücklichere, sie verlachten. Großer Gott! – Und wie sahen erst die Anzüge der feinen Stadtdamen aus! – – Fritz achtete darauf nicht, er dachte nur an Bärble. Trotz des Schmutzes überall rannte er auf dem Festplatz, suchte, rief, – vergeblich. Ins Schießhaus zurückgekehrt, hatte sich unterdes die Menge verlaufen und Fritz fiel es jetzt ein, daß er die Ausgehenden zuerst hätte mustern sollen. Wenn Bärble, wie wahrscheinlich, doch im Schießhaus das Wetter abwartete, – jetzt war sie gewiß schon weit fort auf dem Heimweg. Noch haderte er mit sich selbst, als eine Gestalt auf ihn loskam, die er im ersten Augenblick gar nicht erkannte, so viel Spuren des Schottendorfer Erdbodens trug sie zur Schau. Trotz seines Elends mußte er lachen und 130 schrie: »Ha, Tausendsapperment, – bist's wirklich, Hannikel? Na, – du mußt das beste Eckele grad' g'funden haben!«

»Hol' dich der Geier! Brauchst auch noch zu lachen, du dummer Hansgackel, du!« fluchte Hannikel in übelster Laune und hielt seine triefenden Arme weit ab vom Leib. »Hilf lieber ein Wasserloch suchen und wasch mich, daß ich wieder einem Menschen gleich seh'!«

Fritz sah die Notwendigkeit ein, führte Hannikel an einen Wassergraben in der Nähe und gab sich alle Mühe, ihn von seinen Anhängseln zu befreien. »Du siehst aber wirklich sündlich aus!« meinte er dabei. »Was hast nur gemacht?«

»Gemacht? – Hätt' bald was g'sagt! – Such' ich dir vorhin die Eckenlisbet, tut's auf einmal einen Donnerschlag, – brrr! – Hören und Sehen ist mir vergangen. Wie ich wieder zu mir komm', ist der Platz leer und alles rennt aufs Schießhaus los. Ihr Narren, denk' ich, das kann man bequemer haben, 's wird ja nicht so arg werden, und kriech in das Kasperletheater, das grad' in der Näh' stand. Kaum war ich drin, Herr meines Lebens, kommt dir ein Wind, und, bums, lieg' ich mit dem Kasten längslang im Dreck! Ich will natürlich wieder 'raus, bleib' aber in den Docken und Figuren, die alle über mich 'nein fallen, stecken, und muß richtig aushalten, bis das Wetter vorbei ist, – den Zustand vergess' ich mein Lebtag nicht! Ich denk' zuerst, die Lappen, die um das Gestell hängen, werden wenigstens den Dreck abhalten, – ja, prost Mahlzeit! Wie ich mich doch endlich 'rausarbeit', kriegt mich so ein Spielerskerl beim Kragen und verlangt Schadenersatz; da ich aufbegehr', hängen sich gleich drei – vier – von 131 der Bande an mich, – richtig, muß ich mich mit einem Taler loskaufen! – Der Geier hol' die Spielersbande! – – Brrr, – Donnerwetter! – Bist nicht bald fertig? Ich klappere vor Frost nur so zusammen! – Mach' voran, daß wir in eine warme Stube kommen! – Wie stehst mit der Hofkleinen, – ist's fertig?«

»Fertig, bis aufs Schwärzen, und ich hätt' beinah' Lust, damit bei dir den Anfang zu machen!« schrie Fritz, dem bei dieser Frage all seine Not wieder einfiel. »Du erbärmlicher Maulmacher, am ganzen Elend bist du schuld! – Das Bärble weiß den ganzen Kram, die guckt mich nimmer an!«

»Ha, potz Michel, meine Katz'! – Desto besser! Sei froh' brauchst ihr nicht erst den Abschied zu geben, – alle zwei kannst du doch nicht behalten!«

»Alle zwei? – Willst mich auch noch hänseln? – Nichts ist's mit der Hofkleinen, – zum Narren hat sie mich gehabt, zum Gespött der Leute gemacht! – Herrgott, wenn ich dran denk', dreht sich alles in mir!«

»Red'st du im Ernst?« rief der Wagnershannikel und schüttelte Fritz am Jackenflügel. »'s ist ja rein unmöglich! Und wie seid ihr auseinander 'kommen?«

»Wie ich vorhin in den Saal 'nein komm, tanzt sie schon mit dem Schloßgustav von Bundorf drüben und äugelt auf ihn, 's ist eine Schand'! – Wie ich sie nachher darüber zur Red' setz' und mir das ernstlich verbitt' – –«

»So? – Dacht' ich doch, es würde auf eine Dummheit deinerseits hinauslaufen!« unterbrach ihn Hannikel zornig und stampfte, ohne den Schmutz zu beachten, mit dem Fuß. »Kommt man einem Mädle, wie der Hofkleinen, so? – Sei nur still, ich weiß jetzt gleich alles. Du bist auf 132 sie eingefahren, und das hat sie sich nicht gefallen lassen, drauf bist du grob 'worden, und sie auch, drauf du noch gröber, wie's so deine Art ist, daß du mit Knitteln unter die Sperlinge wirfst, wenn du sie fangen willst, – das ist ihr ins Näsle g'fahren, sie hat geheult, – und aus war's! – Ist's nicht so?«

»Was mich betrifft, wird's schon zutreffen«, entgegnete Fritz kleinlaut, »aber bei der Kleinen war's anders, ganz anders!«

»Anders? – Möcht' ich auch wissen! – Und wie denn?«

»Ja, grob war die Hofkleine auch, sackgrob! Aber geheult hat sie nicht, konträr – –«

»Nun? – was konträr?«

»Gelacht hat sie, – grad' 'naus gelacht!«

»O du Zipfel! Und du sagst, 's wär aus? – Merkst du denn nicht, was das bedeutet? Wenn sie gelacht hat, das ist ja lauter Lieb'!«

»Dafür dank ich«, knurrte Fritz, erst halb gläubig. »Das leichtfertige Ding! Vor allen Leuten hat sie gesagt: Spaß wär's gewesen, für mich gäb's keine Hofkleine«.

»Und was sollte sie sagen, nachdem du ihr so rund 'kommen bist? Dich noch loben, – he? – Jetzt mach' mir keine Geschichten! Die Hofkleine hat dich gern, sell ist gewiß, und hast du sie gekränkt, mußt du ihr das erste gute Wort gönnen. Zum Kuckuck auch, willst du ihr verbieten, andre Leute anzugucken? Willst du ihr jetzt schon jedes Vergnügen abschneiden? – Nichts da! Jetzt gehen wir nach Schottendorf, daß ich mich ordentlich trocknen und reinigen kann, – und nachts auf dem Rathausball wird die Sache ins Gleiche gebracht.«

133 Fritz machte zwar noch Einwendungen, aber Hannikel hörte nicht darauf; zuletzt steckte seine Zuversicht auch ihn an. Eine Stimme sprach zwar in ihm: Geh' heim und versöhne dich mit dem Bärble, vielleicht ist's noch nicht zu spät, – aber er unterdrückte sie. Hatte ihn Bärble wirklich beobachtet, so half ihm kein Bitten, kein Versprechen, dafür kannte er sie, – und es war ja auch gut, kam es zum Bruch, wenn sich die Hofkleine doch noch belehren ließ. Hatte aber Bernhard die Sache übertrieben, war Bärble vielleicht gar nicht auf dem Vogelschießen gewesen, dann brachte er sie wieder herum, dafür war ihm nicht bange. Auf alle Fälle konnte es nicht schaden, blieb er auch die Nacht noch in Schottendorf.

Es dunkelte eben, als Fritz mit dem getrockneten und gereinigten Wagnershannikel die Treppen zu dem neuen Rathaussaal emporstieg.

Da der Himmel noch immer gewitterte und die Lust auf dem Schießplatz gründlich zerstörte, war der weite Saal schon dicht gefüllt; eben begann der Ball, und Fritz machte den Hannikel voll Ingrimm auf die Hofkleine aufmerksam, die schon wieder mit dem Schloßgustav vorbeitanzte. Das freudestrahlende Gesicht der Kleinen, die zärtlichen Blicke auf den Gustav wollten selbst dem Hannikel durchaus nicht gefallen; fluchend brummte er: »Das sind faule Geschichten; ich glaub' beinah' selber, das flattrige Ding hat sich ihren Spaß mit uns gemacht!«

»Siehst du?« sagte Fritz, als sei Hannikel der Betrogene, nicht er.

»Aber einerlei!« raffte sich Hannikel zusammen. »Du probierst's noch einmal, – ist's nichts, – nu, so war's eben ein Spaß! Der Hofkleinen wegen bleibst du immer 134 der Türkenfritz, wir finden schon noch eine schwerere, die für dich paßt.«

»Solchen Spaß hol' der Geier!« brummte Fritz kleinlaut. »Und du bist an der ganzen Geschichte schuld. Hätt'st du mich nicht beschwätzt, mit keinem Atem hätt' ich an die Hofkleine gedacht. – Jetzt wär ich mit dem Bärble ein Herz und eine Seel'. – Herr! – Ich könnt' dich gleich auf dem Fleck zerkrümmeln!«

»So, ist das dein Dank?« fuhr Hannikel auf, dem es bei dem Stand der Dinge gar nicht wohl zu Mut war, und der darauf sann, mit guter Art von Fritz loszukommmen. »So, so! – Aber ich will mir das aufs künftige hinter die Ohren schreiben. So! Hast du die Kehr verfahren, sollen andere einstehen! – Dank schön! Friß aus, was du dir eingebrockt! – Ich werd' mich ein andermal besinnen, eh' ich dir einen Gefallen tu'!« – Fort war er.

Fritz blickte erschrocken um sich; sollte er ihm nach? – oder heim? – oder noch einmal sein Glück bei der Hofkleinen versuchen? Fritz kraute sich die Haare; nach kurzem Besinnen ging er entschlossen zur Hofkleinen und forderte sie zum Tanz auf. »Einmal tu' ich's, er ist jetzt grad' nicht da, und das muß er sich schon gefallen lassen, – nachher aber geh' mir aus dem Weg, ich rat' dir Gutes! – Komm!« lachte sie. Fritz riß die Augen auf, hätte die Kleine hebräisch gesprochen, es hätte ihm nicht unverständlicher sein können; aber das Mädchen selber half ihm auf die rechte Spur. »Ich bin dir's schuldig, daß ich ein vernünftig Wort mit dir red', du hast mir einen argen Gefallen getan heut', und ich hab' dich gar zu schlecht behandelt. Guck an! – Ich und der Schloßgustav 135 sind lange schon einig, aber um einer Geringigkeit willen trotzt er mit mir seit vierzehn Tagen. Wart', dich krieg' ich, hab' ich gedacht, durch Eifersucht mach' ich dich zahm! Kommt mir der Hannikel, der mir die Ohren von dir vollschwätzt, grad' gelegen, – du warst mir der rechte Bursch. Ich tu' denn auch, als wär' ich arg in dich vernarrt, trag' ihm Grüß' auf und bestell' dich auf heut' Nachmittag. Und 's gelingt über Erwarten! – Du gehst in die Falle, und der Schloßgustav fällt auch 'nein, – ha, ha, ha! Aber nun tu' mir den Gefallen und geh' mir aus dem Weg, je weiter, je besser. Der Schloßgustav nimmt die Sach' ernster, als mir selber lieb ist, – sei auf der Hut! – Es war schlecht von mir, ich seh's selber ein; verzeih' mir die Dummheit, ich wußt' mir nicht anders zu helfen, und du hast dich auch gar zu gutmütig zu allem hergeben. Ein andermal sei gescheiter!«

Fritz wirbelte der Kopf, er merkte nicht, daß seine Tänzerin verschwunden war; erst als ihn eine zornige Stimme anschrie, kam er zur Besinnung. Vor ihm stand der Schloßgustav zornrot; drohend schüttelte er die Faust und schrie: »Meinst, man kennt dich nicht, du Schwänzlesschwänzler? – Wofern du dir beikommen läßt und guckst die Hofkleine mit einem Blick an, bist du geliefert!«

»Ho, ho, du Bundorfer Großmaul!« schrie Fritz dagegen, der die ganze Welt hätte prügeln können. »Aus dem Weg, sag' ich! Um deinetwillen tu' ich zehnmal, was ich will. Grad' tanz' ich mit der Hofkleinen!«

»Und ich sag' dir, ich leid's nicht! Du hast dich schon allzu viel um sie 'rumgetrieben, – dank' Gott, daß ich dir das hingehen lasse!«

Fritz sah sich plötzlich von Bundorfern umringt, – was 136 konnte er allein gegen die Übermacht ausrichten? Wütend begab er sich auf den Rückzug, nicht aber ohne den Bundorfern mit der Rache der Bergheimer gedroht zu haben, was diese freilich nur mit höhnischem Gelächter aufnahmen.

Zitternd vor Wut stand Fritz in einer Ecke ganz verlassen und allein, und als er sein Unglück so überlegte, hätte er rasend werden können. Die Hofkleine hatte ihn schnöde mißbraucht und betrogen, der Wagnershannikel treulos verlassen, ungerächt mußte er sich von den Bundorfern beschimpfen und bedrohen lassen, hielt die Hofkleine nicht reinen Mund, ward er vollends zum Gespött aller losen Zungen. – Vor allem aber war das Bärble gewiß bös, und diesmal ernstlich! – Fritz wußte nicht, sollte er Streit beginnen, seinen Zorn zu kühlen, oder heulen, dem Jammer Luft zu machen, der ihm fast das Herz abdrückte.

Lange schwankte er, bis endlich Zorn und Jammer in ein wehmütiges Selbstbedauern umschlug und ihn auf andere Gedanken brachte. Er war nun einmal ein Pechvogel, alles schlug ihm fehl; immer mußte er sich zum Sündenbock für andere hergeben, – es war sein Schicksal, unrecht zu leiden. Warum sich nun gleich das Leben abfressen? War's Bärble nun einmal hin, da half alles Jammern nichts; die Hofkleine aber verdiente nicht, daß er, der Türkenfritz, sich ein graues Haar um sie wachsen ließ, er fand wohl noch eine bessere, reichere, schönere! Freilich, das Bärble, – das Bärble! – Ein Bärble fand er nicht wieder! – Der Bock begann ihn wieder zu stoßen! – Aber, was da, was dort! Zum Seufzen ist morgen auch noch Zeit! Ist's ihm auch heute schlecht gegangen, er bleibt doch der Türkenfritz, und kommt erst seine Zeit, – 137 Hergott von Bentheim! – kommt erst seine Zeit! – Die Hofkleine soll's noch bereuen, daß sie ihn so schnöd' hat ablaufen lassen, und das Bärble, – trotzt sie auch eine Zeit, auf die Dauer kann sie ihm gewiß nicht widerstehen!

Ganz beruhigte ihn dieser Trost freilich nicht, heimliche Sorge, ein heimliches Weh ward er nicht los. Aber es gab ja auch noch andere Trostmittel. Dem Schicksal zum Trotz wollte er sich nun gerade noch einen »Jux« machen! Er trat an den Schenktisch, die Getränke begannen bald zu wirken, nicht alle Mädchen waren so spröde und gefährlich als die Hofkleine, wie toll und rasend flog er durch die Reihen. Ein Schwarm lustiger Gesellen sammelte sich um ihn, Fritz fühlte sich in seinem Element, den wilden Tag beschloß eine wilde Nacht! 138

 


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