Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nochmals im Kaffenetle

Zu aller Verwunderung war heute der Türkenfritz der erste aus dem Bett und an der Arbeit, während er sonst gerade an Sonntagen fast nicht zu erwecken war. Das hatte freilich seinen Grund. Die Geschichte mit dem Bärble, das halbe Versprechen, durch das er ihre Versöhnung erkauft, machte ihm viel Gedanken und ließ ihn nicht einschlafen. Daß er dem Mädchen von Herzen gut war, daß sie für ihn paßte, daß er mit ihr glücklich leben würde, – wenn er noch daran hätte zweifeln können, gestern war es ihm klar geworden. So sehr es ihn aber auch beruhigte, daß sie ihn wieder angenommen, ja, wenn ihn gleich fast eine Rührung ankam, bedachte er die große Liebe des Mädchens, – dennoch drückte und ärgerte ihn das Versprechen wegen der Heirat. Zornig warf er sich im Bett herum und schalt auf sich, daß er sich so weit hatte vergessen können, zumal gewiß das Bärble auch ohne dies nicht von ihm gelassen haben würde. Heiraten, – sich fürs ganze Leben binden, da ihm noch die Welt offen stand, – dem Glück den Weg verbauen! Fritz hätte sich gern bei den Haaren genommen; die Zähne biß er zusammen, um nicht zornig hinauszulachen, als er an Bärbles übrige Vorschläge dachte. – Das hintere Höfle sollte er pachten – pachten! – Er, der Türkenfritz, – sollte ein 52 Kuhbäuerle machen, als alleiniger Knecht hinter seinem Mistwägele dreintrollen, da er, nahm er seine fünf Sinne zusammen, mit Pferden durch die Welt kutschieren konnte, der erste Mann der Gegend sein mußte? – Nein das war nichts, darauf konnte er um keinen Preis eingehen. Kuhbäuerle? – Fritz schüttelte sich! – Nein, das litt schon seine Ehre nicht! – Aber nun kam ihm wieder Bärble in den Sinn. – Sie war so bleich und kummervoll, allein seinetwegen! – Er sah ihre guten, tränenvollen Augen, in denen nichts als Liebe für ihn leuchtete! – Sollte er sie verlassen? Fritz kam fast das Wasser in die Augen, er fühlte, wie ihm das Herz mitten entzwei gehen müsse, sollte er Bärble verlieren. – Wie sich nun helfen? Was jetzt tun? – Zuletzt kam Fritz auf seine alten Sprünge, sein alter Trost mußte auch jetzt aushelfen. Wozu sich jetzt schon den Kopf abreißen, dachte er; dazu ist nachher auch noch Zeit! Kommt Zeit, kommt Rat! Mit der Heirat, das ist vorläufig nichts, das hintere Höfle läuft mir auf keinen Fall aus der Hand, – wozu sich das Hirn einrennen? Langsam führt auch zum Ziel! Wart's ab! Findet sich was Besseres, nachher ist auch Zeit zum Simulieren, ich kann ja dann immer noch tun, was ich will. – Und findet sich nichts, – mir auch recht! – Türkenbäurin wird das Bärble immer noch bald genug!

Damit schlief er denn endlich ein. Aber Ruhe brachte ihm auch der Schlaf nicht. Böse Träume quälten ihn. Bald höhnte ihn der Bernhard und nannte ihn zornig einen ehrlosen Kerl, einen Hallunken; bald wieder stand Bärble vor ihm, weinend, klagend, zuletzt wendete sie sich zornig von ihm, ward hinweggeführt, – immer weiter – immer weiter! Er wollte rufen, aber die Stimme versagte; 53 er wollte ihr nach, aber seine Füße waren wie im Boden festgewurzelt. Noch einmal sah sich Bärble nach ihm um, so traurig, so harmvoll; – Fritz fühlte, wie ihm ihr Blick ins Herz schnitt, ein unendlicher Jammer kam über ihn, eine unsägliche schmerzliche Sehnsucht, – zu spät! – Bärble war verschwunden! – In Schweiß gebadet erwachte Fritz, er zitterte und meinte noch immer den Schmerz im Herzen zu spüren. Ruhe und Schlaf war vorbei, der letzte Blick des Mädchens lag ihm wie ein Alp auf der Seele. Er dankte Gott, als es fünf Uhr schlug; die Arbeit, hoffte er, würde ihn bald auf andere Gedanken bringen. Erst später fiel ihm ein, daß sein Frühaufstehen das Gescheiteste war, was er nach seiner gestrigen Lässigkeit tun konnte.

Gottfried kam auch in den Stall, er ging in seiner stillen Weise bedächtig um Fritz herum, daß dieser gleich bemerkte, er würde mit ihm reden wollen. Gottfried öffnete ein paar Mal den Mund, wendete sich aber immer wieder rasch ab, und Fritz schüttelte zu solch sonderbarem Wesen den Kopf. Endlich, Gottfried war gerade mit seinen Ochsen beschäftigt, und Fritz konnte sein Gesicht nicht sehen, begann er: »Hör' – ist's wahr, daß du dem Veitenbärble ernsthaft zu Gefallen gehst?«

»Was ist das für 'ne Frag'?«

»Red leis', die Mägd' lauschen drüben im Kuhstall auf jedes Wort. – Ich mein eben, ob du das Bärble freien willst?«

»Was geht's dich an?«

»Nichts, das weiß ich! Aber ich kenn' dich, Fritz, und weiß, wonach dein Sinn steht, drum wollt' ich dir was sagen. Ich bin ein gebrechlicher Mensch und werd' 54 das ewige Leben nicht haben, drum wär's Vermessenheit, wollt' ich einen eigenen Haushalt anfangen. Bleib' ich aber ledig und bei dir im Haus, so ist mir's nicht einerlei, wen du einmal freist. Ich will eine Schwägerin, mit der ich mich vertragen kann, und die gut mit mir umgeht! – Brauchst nicht zu lachen, du einfältiger Hansdampf! – Wenn mir's einmal bei dir nicht gefällt, zieh' ich auf den hintern Hof, den laß ich nicht aus den Händen, kommt's zur Teilung, das merk' dir! – Und wer mich dann ordentlich verpflegt, dem vermach' ich mein Vermögen! – Gelt, jetzt guckst du? – Das kann ich nicht? – Wirst du mich vielleicht hindern? – Geh, das versteh ich besser als du! Was mein ist, ist mein, damit mach' ich, was ich will! – Also, ist dir was an meinem Erbteil gelegen, so hör', was ich dir sage: ich kenn' das Veitenbärble vielleicht besser als du; das wär' die Schnur für die Eltern, eine Frau für dich, wie du sie nicht besser findest, – und für mich wär's auch ein Trost, würde sie Bäurin, dann braucht ich gewiß das Elternhaus nicht zu verlassen. Drum stoß' dich nicht an ihrer Armut, Fritz; die reiche Frau nützt dir doch nicht so viel, als wenn du mich im Haus behältst und dereinst beerbst. So, das war's, überleg' dir's!«

Gottfried ging schnell aus dem Stall und ließ Fritz in tiefen Gedanken auf der Futterlade zurück. Trotz seiner Selbstsucht rührte ihn doch die einfache Weise, in der Gottfried von seiner Zukunft sprach; es jammerte ihn, daß er so früh schon mit dem Leben abgeschlossen hatte. Daneben schoß ihm auch wie helle Freude der Gedanke durch den Kopf: Gott sei gelobt, nun ist das Bärble mein! – Dennoch blieb er auf seiner Futterlade sitzen, kaute an einem Strohhalm und seine Stirn legte sich in Falten. Das war 55 so recht seine Natur: wo andere Menschen fröhlichen Herzens einen Entschluß faßten, sann und grübelte er, bis er über ein Haar im Weg stolperte; dagegen, wo bedachtsame Überlegung am Platz war, folgte er der Eingebung des Augenblicks, eine Laune, ein plötzlicher Einfall konnte ihn bestimmen. Jetzt war er ins Rechnen geraten und brachte glücklich heraus: wenn denn einmal der Gottfried nicht alt werden soll, so kommt sein Erbteil auf alle Fälle mir zu, meine Heirat hat damit gar nichts zu schaffen. Herrgott! – Ein schöner Brocken wär' da gleich zusammen, und nun erst noch eine reiche Frau! – Ist das nicht ein Fingerzeig, daß ich meinem Glück nicht die Tür vor der Nase zuwerfe? – Nein, nein, ich wart's ab! Das Bärble ist mir auf alle Fäll' sicher; – kann ich besser ankommen, wär' ich ein Narr, wollte ich nicht zugreifen.

Wie ein Feldherr, der den Plan zur Schlacht vollendet, sich im voraus des vermeintlich sicheren Erfolgs erfreut, so sprang jetzt Fritz von der Futterlade herab und stolzierte mit leuchtenden Augen zwischen den Ochsen, – die vergeblich nach frischem Futter brummten, auf und ab. Jeder Zoll an ihm war wieder ganz Türkenfritz! Es fehlte an nichts, als an der Gelegenheit, – und die Welt hätte erstaunen müssen, was sie am Fritz hatte! Mit vier Pferden zu Markt fahren, daß der Kot über drei Häuser wegspritzte, mit Laubtalern um sich werfen, daß den Bergheimern Hören und Sehen vergehen mußte, – es wäre ihm ein Leichtes gewesen.

Im Eifer übersah er ganz den Bruder, der schon geraume Zeit in der Stalltür stand und ihm kopfschüttelnd nachblickte. »Mit dir ist's wahrhaftig nicht richtig!« rief endlich Gottfried. »Was ficht dich an, daß du 56 herumkreiselst wie ein tolles Schaf? – Und meiner Treu! Die Ochsen stehen richtig vor leeren Barren, nicht einmal hat er ihnen unterdes Futter gegeben, – und seine Pferde sind auch noch nicht gestriegelt! – Fritz, ich hätte wahrlich Lust, dich aus dem Stall zu werfen, – dank's dem lieben Sonntag, daß es nicht geschieht! – Schäm' dich! Und du willst auf Freiersfüßen gehen?«

Fritz wagte keine Entgegnung, beschämt kroch er zwischen seine Pferde und begann aus Leibeskräften zu striegeln und zu putzen. Gottfried versorgte unterdes die Ochsen, half ihm sogar die Pferde reinigen, und Fritz ließ auch das geschehen, obgleich ihm das Blut ins Gesicht schoß; – die Mutter rief eben zum Frühstück.

Golden lag die Morgensonne in der großen, sauberen Stube auf dem weißgescheuerten Tisch und Fußboden, kleine Staubwölkchen wirbelten glitzernd durch ihre Strahlen, – aber ihr Licht erhellte keine sonntäglichen Gesichter, und der blaue Himmel, der durch die offenen Fenster hereinlachte, die würzige, mit Rosenduft geschwängerte Luft, die hereinströmte, ward nicht beachtet. Die Bäurin, etwas bleicher als sonst, ging nachdenklicher herum; der Bauer, der nur ungern das Bett verlassen hatte, saß ohne Jacke, Weste und Hosenträger im Lehnstuhl, gähnte die Sonne an, dankte mürrisch auf die Morgengrüße und murrte und brummelte ärgerlich in sich hinein. Ersichtlich lag ihm noch der gestrige Sturm im Kopfe und in den Gliedern.

Nachdem sich Söhne und Mägde um den Tisch gereiht, las die Bäurin eine Morgenandacht und schloß sie mit dem Vaterunser und dem Segen. Nun erst kam der Bauer an den Tisch und ließ sich Kaffee und Kuchen schmecken; Söhne und Mägde bekamen statt des Kuchens weißes 57 Semmelbrot. Während die Mägde den Tisch aufräumten und aufwuschen, sagte die Bäurin: »Mach' vorwärts, Henner, und zieh' dich an. – Du, Fritz, gehst ins Kaffenetle, ich hab' mit dir zu reden, – du darfst's auch anhören, Gottfried!«

»Bin nicht neugierig!« entgegnete Gottfried und ging hinaus. Fritz ward rot, als die Mägde kicherten, kraute sich die Haare und suchte, um nur seine Verlegenheit zu verbergen, die Tabakspfeife. Schon knurrte der Vater im Kaffenetle, die Mutter ging mit ihrem Strickzeug hinaus, das deutete auf wichtige Verhandlungen. Fritz repetierte in aller Geschwindigkeit die dummen Streiche der letzten Zeit und trat mit sehr verblüfftem Gesicht in das Heiligtum des Hauses.

»Setz' dich!« sagte die Mutter, ohne vom Strickzeug aufzublicken.

Fritz war es sehr übel zu Mute, ganz demütig nahm er die Pfeife zwischen die Knie. Eine Weile war es still, dann wendete sich die Bäurin an Henner: »So red'!«

»Holla, holla! Möchtest mich vorschieben? – Bist nicht dumm, gar nicht dumm, – aber ich will doch sehen, wer Herr im Haus ist!« zankte Henner. »Kannst du des Nachts stürmen, kannst du's auch am Tag ausmachen! Ich geb' mich nicht dazu her, daß ich deine Pfeil' verschieß'!« Dabei warf er Fritz einen aufmunternden Blick zu.

»Das Blinzeln und Nicken verbitt' ich mir; übrigens kann Fritz nunmehr wissen, was von deinen Eulenspiegeleien zu halten ist!«

»Holla, holla!« wollte der Bauer auffahren.

»Willst du nicht reden, hältst du das Maul!« unterbrach ihn die Bäurin und strich über ihre Schürze, als 58 wolle sie etwas von sich wegschieben. »Fritz, ich muß dir sagen, mit dir ist's nicht mehr auszuhalten, deine Art ist völlig nimmer zu ertragen. Sonst heißt's: Der Verstand kommt mit den Jahren, aber bei dir ist's umgekehrt, ich schäm' mich, daß ich's sagen muß: du wirst alle Tage liederlicher und verdrehter! – Was dir nur im Kopfe steckt, möcht' ich wissen; so wie du bist, hab' ich noch gar keinen Burschen gesehen!«

»Oha, Alte, allzu scharf macht schartig!« fiel der Henner dazwischen. »So schlecht laß ich den Fritz nicht machen; Jugend hat nicht Tugend!«

»'s weiß der liebe Gott,« fuhr die Bäurin fort, ohne darauf zu achten, »ich hab mir doch rechtschaffne Müh geben, dir die Mucken auszutreiben, dich zu Verstand zu bringen, aber bei dir schlägt kein Mittel an, weder Lindigkeit noch Strenge. Freilich ist's eben nicht zu verwundern, verderben die Kinder, wenn der Vater selber sie in ihrer Torheit stärkt und gegen die Mutter aufstiftet«.

»Holla, holla!« schrie der Bauer.

»Du bist ganz still! Red' ich nicht die Wahrheit? – Ich hab's nun aufgegeben, dich, Fritz, zur Vernunft zu bringen, will mich aber auch nicht deinetwegen verzürnen, und Gottfried – du weißt's wie's mit seiner Gesundheit steht – soll auch nicht mehr deinen Lückenbüßer machen und sich für dich halb zu Tod' arbeiten. Mit einem Wort, du sollst nun selber für dich sorgen, heiraten und einen eigenen Haushalt anfangen.«

Fritz blickte überrascht auf. – Das war es also? Die Güter sollte er übernehmen, heiraten! – Freilich, die Einleitung der Mutter hätte anders sein können, aber was schadet es? Seine dummen Streiche hatten nun doch einen 59 Erfolg, den er mit aller Bravheit nicht erreicht hätte. Mochten auch die Eltern noch brummen, er blieb doch der Türkenfritz, und war er erst der Bauer, hatte dies ja ohnedies ein Ende. Unwillkürlich warf er sich in die Brust. – Da, das Kaffenetle war nun bald sein Herrschersitz, von hier aus gab er Befehle, teilte Verweise aus, und er selber war frei, war der Herr! Seine Wangen begannen zu glühen, fast überhörte er die Mutter, die ernst fortfuhr: »Es ist freilich gewagt, dich zum Mann zu machen, aber es bleibt mir eben kein ander Mittel. Guckst du in dein eigen Häfele, mußt du dich zusammennehmen, willst du durchkommen; hast du eine rechtschaffene, brave Frau: vielleicht hilft das mehr als mein Bitten und Warnen. Drum sind ich und dein Vater einig 'worden –«

»Einig? – einig?« schrie der Bauer. »Potz Christoph von Nordheim! Das nennst du eine Einigung? Schändlich überfallen hast du mich mitten in der Nacht, gelärmt und gestürmt, bis ich Ja sagte!«

»– – Einig 'worden,« fuhr die Mutter fort, ohne darauf zu achten, »du sollst von uns den hintern Hof pachten und –«

»Was?« schrie Fritz und riß die Augen auf. »Pachten? – Das hintere Höfle?«

Henner lachte vergnüglich in sich hinein und nickte Fritz aufmunternd zu; darauf hatte er gewartet, so mußte es kommen, nun hatte er gewonnen Spiel. Die Bäurin sah ebenfalls erstaunt auf, aber ein tiefer Verdruß lag in der Falte zwischen den Augenbrauen. Mit scharfer Stimme fragte sie: »Nu – was soll der Lärm? Ist dir das hintere Höfle vielleicht nicht gut genug?«

Fritz, den diesmal das Nicken und Blinzeln des Vaters betörte und ermutigte, platzte voreilig heraus: »Das 60 solltet ihr mich gar nicht erst fragen! Ich bin der Türkenfritz, so erbärmlich klein fang' ich einmal nicht an!«

Der Henner stellte jetzt sein Nicken und Blinzeln ein und zog die Mundwinkel boshaft herunter; die Bäurin, der das nicht entging, fragte scheinbar ganz gelassen: »So, so! – Und was ist denn deine Meinung?«

»Ha, fragt auch! – Wenn ich denn freien soll, übergebt mir die Güter, wie sich's gehört! 's soll Euch nicht gereuen, Ihr sollt's gut haben, und Gottfried – –«

»Holla, holla! – 's Maul gehalten, du infamer Umschlag! – Kein Wort mehr,« schrie Henner. »Du bist ein fein's Blümle, du! Aber so gescheit, wie du, bin ich auch, und auf deine Gütigkeit hust' ich dir, dafür geb' ich keine Pfeif' Tabak! – Dir in die Händ' gucken? – Holla, holla! – Eher wollt' ich von meinem bittersten Feind abhängen, als von dir! Nä, nä! Das schlag' dir aus dem Kopf, daraus wird nichts, so lang' ich leb', geb' ich keinen Heller von meinem Vermögen aus den Händen! – Du bist und bleibst ein Umschlag, mit dir ist nichts anzufangen!« Henner nahm seinen Stummel vom Sims und ging brummelnd hinaus.

Der Bäurin zuckten die Lippen, bittere Worte lagen ihr auf der Zunge – sie hatte die letzten Worte nur zu gut verstanden. Aber vor dem Sohn den Vater schelten? – Nein, sie hatte das nie getan, auch jetzt zwang sie die Bitterkeit zurück, gelassen begann sie wieder: »Deine hirnlose Dummheit könnte einen fast dauern, müßte man sich nicht so sehr darüber ärgern. Du weißt jetzt, wie du mit dem Vater stehst – und was er gesagt hat, unterschreib' ich bis aufs Tippele! Lieber wollt' ich von ganz landfremden Leuten abhängen, als von dir. Merke: so lang' ich 61 leb', kriegst du von meinem Vermögen auch nicht einen Heller, und eine Schnur mag ich erst gar nicht im Haus – wenigstens jetzt noch nicht! Mir ist's mein lebenlang schlecht genug 'gangen, ich will wenigstens im Alter Ruhe haben. – Merk' dir das! – – Wärst du brav und tüchtig, kein Mensch dächte daran, daß du aus dem Haus solltest, zumal ja Gottfried wohl keinen eignen Haushalt anfangen wird; aber so, wie du es treibst, ist es eben nimmer zu ertragen. Du weißt selber, was der Vater in der Wirtschaft nützt. Statt daß du nun an seine Stelle trätest, Hof und Güter in Ordnung hieltest, gehst du deinen Vergnügungen nach, machst eine Albernheit um die andere, und mußt du einmal arbeiten, so bist du nur halb bei der Sach', deine Gedanken sind immer ganz wo anders – so schadest du mehr, als du nützest. Nun liegt alle Last auf mir und dem Gottfried! Eine Frau und ein Kranker müssen einstehen, daß zwei gesunde Männer ein Herrenleben führen können – so recht Türkenart! – Aber ich will's leichter haben, und Gottfried soll sich auch Ruhe gönnen – drum mußt du den hintern Hof pachten. Du bekommst noch ein paar Äcker und Wiesen dazu, damit du nicht gar so klein anfängst – wir halten uns nachher einen Knecht, so ist allen geholfen. Bist du dran, kannst du's zu was bringen; was du erarbeitest, ist dein Vorteil; bist du lässig, ist's dein eigner Schaden. – Jetzt sag': Bist du einverstanden? – – Auf deinen Vater brauchst du dich nicht zu stützen, du weißt, was ich will, das geschieht! – – – Du besinnst dich noch? – So hör': Nimmst du den hintern Hof nicht, ziehen Gottfried und ich auf Petri dort ein, du magst dann sehen, wie du mit dem Vater zurecht kommst!«

62 Fritz ließ den Kopf gewaltig hängen, der Abstand zwischen seinen Erwartungen und der Wirklichkeit war zu groß. Sollte er denn wirklich ein Kuhbauer werden? – Und hätte er wenigstens noch den hintern Hof als sein Eigentum bekommen, dann war's doch eine Sache! – Ach, das war gar zu schlau ausgesonnen, ihn so recht sündhaft ins Joch zu spannen. War's nicht schändlich, von einem jungen Anfänger ein Pachtgeld zu verlangen? Und wenn's nicht groß ausfiel, jeder Kreuzer war ein Unrecht! Sollten seine Eltern nicht froh sein, wenn er in der ersten Zeit überhaupt nur durchkam? Und dann war der Pachtvertrag eine Kette, die ihn gänzlich in die Gewalt seiner Mutter gab; er war dann unfreier als jetzt, und seine Herrlichkeit war vorbei. »Mutter,« sagte er verdrießlich und strich mit den flachen Händen die Knie, »Mutter, ich weiß gar nicht, wie Ihr nur auf solche wunderliche Einfälle kommen könnt. Das geht doch nicht, guckt an – und es geht eben nicht. Denkt nur, was das für eine Schande für die Türkenleute wär', würd' ich ein Kuhbäuerle. Nä – Ihr müßt's selber einsehen, das ist zu viel von mir verlangt!«

Die Bäurin mußte lachen. »O du Hanswurst! Magst du mir so kommen? Du darfst was von Schande reden! Ist an unserm Namen noch was Gutes, – du sorgst, daß auch das in Unehr' verwandelt wird! Arbeit schändet nicht, du Hochmutsnarr! – Und kurz und gut: Willst oder willst nicht?«

»Solch Sach' bricht man nicht übers Knie, das will überlegt sein!«

»Das hab' ich reichlich! Du weißt, ich mein's gut mit dir – ja oder nein?«

63 »Um tausend Gottes willen! Zu einem eignen Haushalt gehört doch auch 'ne Frau – –«

»Das sagst du? – Wenn man Mädle ins Theater führt, braucht man noch nach einer Frau zu suchen?«

Fritz kraute sich die Haare. »Ja, mit den Hämpelsmädlen ist's nichts, die haben den Spaß arg übel aufgenommen, – und ich mag sie auch gar nicht, die dummen Dinger!«

»Ja, was schwätzest du von den Hämpelsmädlen?«

»Nun – redet ihr nicht von der Theaterfahrt vor acht Tagen?«

»O du meine Güte, was ist das nun wieder? – Ich denk', du hast das Veitenbärble gefahren?«

»Da möcht' man sich doch gleich zerreißen! – Ihr wißt noch nichts von der Sach'? – Da hab' ich wieder was schön's gemacht! – Nu ja, was ist's weiter? Ich hab' das Bärble und die Hämpelsmädle zusammen ins Theater gefahren!«

»O du gerechter Gott im Himmel!« rief die Bäurin und schlug die Hände über den Kopf zusammen. »Ist's nur möglich, daß du dem armen, armen Mädle auch noch das antun konntest? – Fritz, du mußt wahrlich einen Kieselstein statt des Herzens haben! – Und was sagte das Bärble?«

»Nichts! Geheult hat sie und getrotzt bis gestern abend, da sind wir wieder einig 'worden!«

»Nun sag' mir, was hast du mit dem Mädle vor? Jahrelang schwätzest du ihr die Ohren voll, und doch läufst du immer wieder anderen nach. Wo will das hinaus – was soll draus werden?«

Ja, 's Bärble wär' schon recht,« erwiderte Fritz verstockt, »aber sie ist halt gar zu arm!«

64 »Ich möcht' in den Erdboden versinken, daß ich solchen Nichtsnutz auferzogen hab'!« rief die Bäurin mit funkelnden Augen. »Wär' ich nicht deine Mutter, nimmer vor die Augen dürftest du mir! An dir ist jedes gute Wort verloren, drum red' ich auch anders! Merk's: du pachtest den hintern Hof und heiratest das Veitenbärble – bis Petri nächstes Frühjahr muß alles in Ordnung sein. Tust du's nicht, – der liebe Gott weiß, wie sauer mir's ankommt, aber ich führ's durch – dann zieh' ich meine Hand ab von dir, du wirst wissen, was das bedeutet! – Ich will keine Antwort, du weißt meine Meinung! – Ach, mein Gott, wozu bin ich auf der Welt! – Es ist noch keine Klage über meine Lippen 'kommen, aber jetzt sollst du es wissen! Dein Vater hat durch seine Schlechtigkeit mich fast unter die Erde gebracht; wenn so ein Schelmenstück nach dem andern ans Tageslicht kam, wenn die armen Leute, die er ins Unglück brachte, fluchend am Haus vorbei gingen – da hab' ich auf den Knien gebeten: Gott soll' verhüten, daß meine Kinder werden wie ihr Vater! – Und du bist auf dem besten Weg dahin! Ich kann dich nicht mehr aufhalten, du bist mir entwachsen, – tu nur, was du nicht lassen kannst, aber verlang' nicht, daß ich deinen Hochmut und Leichtsinn stütze. Hast du dem Bärble was weiß gemacht – halt' auch Wort! Noch einmal: Bis Petri muß alles in Ordnung sein, sonst zieh' ich meine Hand von dir! – Geh' jetzt, ich will allein sein!«

Verdonnert schlich Fritz auf seine Kammer, seine Hände zitterten, als er seine Sonntagskleider anzog. Er wußte selbst nicht, was ihn so tief erschütterte, so im Innersten erbeben machte, die Worte der Mutter waren es nicht allein. Ja – jetzt wußte er es: ihr Blick quälte und peinigte ihn, 65 ihr Blick, aus dem bei allem Zorn, allem Kummer so viel Liebe leuchtete – freilich: gekränkte Liebe! Als es zur Kirche läutete, griff er nach dem Gesangbuch; unwillkürlich legten sich seine Finger in einander, und aus dem Herzen quoll ihm der Entschluß, nun anders zu werden, ganz anders!

Am Gartenzaun lehnte der Vater; als Fritz an ihm vorbeiging, höhnte er: »Hat sie dich zusammengeschmissen? Hast du klein beigeben? – O du Hasenfuß! – Na, geh' hin, frei' das Bettelding, plag' dich dein lebenlang, was kümmert's mich? – Geh' weg! Du hast keinen Blutstropfen der Türkenart in dir! Solch ein Schluckerle! Pfui! Hätt' was anders von dir erwartet! 66

 


 << zurück weiter >>