Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Trübe Tage

»Jetzt lob' ich dich!« sagte Dorle am nächsten Tage, da sie mit der Sichel in der Hand neben Bärble aufs Feld zum Kornschneiden ging. »Endlich hast du's einmal beim rechten End' gepackt! Halt nur jetzt fest und sei dem Fritz streng, dann kann dir's nicht fehlen. Ich gönn' dir dein Glück aus Herzensgrund!«

»Mein Glück!« sagte Bärble leise. »Ist denn die Welt ganz verkehrt? – Auch du, Dorle, lobst mich und tust, als wär' alles gut? – Ist's wirklich dein Ernst?«

»Nun hör' eines solche Reden! – Und warum soll's nicht mein Ernst sein?«

»Weil ich von dir was anderes erwartete; ich hab' gemeint, du müßtest mich besser verstehen!« Bärble pflückte gedankenvoll eine rote Glitsche (Klatschmohn), und indem sie die seidenartigen Blätter durch die Finger gleiten ließ, fuhr sie fort: »Schüttle nur nicht den Kopf! Du siehst eben auch bloß aufs äußerliche und meinst, weil wir doch zusammenkommen, wär' alles gut! – – Ich werd' eine innerliche Angst nicht los, mir ist's, als hätt' ich groß Unrecht auf mich geladen, daß ich doch nachgeben hab'. – Ich hab' ja freilich den Fritz noch lieb wie vorher, – aber doch nimmer so wie damals, nimmer so fröhlich, so – so, – ach wenn ich's ausdrücken könnt', was mich quält! 155 Durch ein Feuer ging ich ihm, das Leben wollt' ich lassen für ihn mit Freuden, – aber heiraten, – mich schaudert's, wenn ich dran denk'!«

»Nimm mir's nicht übel, Bärble, aber von all dem Getu' versteh' ich wieder einmal kein Dingle. Du bist und bleibst auch die verkehrte Welt! Wo du ihn zum Kuckuck hättest jagen sollen, hast du ihn gehätschelt; wo du dich endlich seiner erfreuen solltest, nun jammerst du und tust, als wär's wer weiß was für 'ne Sünd', daß du ihn heiraten sollst. Daraus werd' klug, wer kann!«

»Und ich mein', grad das wär' so einfach! Wenn zwei heiraten, sollen sie sich nicht bloß lieb haben, sie sollen eins sein in allen Stücken. Das wird bei uns nie und nimmer! – Ich kann dem Fritz wohl alles Gut's und Lieb's antun, aber eine rechte Frau werd' ich ihm nicht. Ich getrau' mich nicht mehr, ganz frei vom Herzen weg mit ihm zu reden, ja, dir gesteh' ich's, ich fürcht' mich vor ihm! Und daraus kommt wieder die Angst, ich könnt' ihm zu viel oder zu wenig tun, – ich kann mich bei ihm nimmer auf mich selbst verlassen, – und grad' er braucht eine feste, resolute Frau! – Dorle – für mich wär's beste, ich wär' gestorben!«

»O Herrgott, ist das 'ne Rederei! Wenn alle Leut' so difteln wollten, was würd' aus der Welt? Du deutest ja doch die Zukunft nicht aus, und allen Gedanken zum Trotz wird's doch, wie's werden soll! – Ist dir der Käs vom Brot gefallen, sei froh, daß du die Butter noch hast, am End' bist du noch himmeldankbar, bleibt dir's trockne Brot! – Es erzürnt mich: Du – keine rechte Frau! – Bleib' nur, wie du bist, halt' deinen Fritz kurz, bring's dahin, daß er vor einem krummen Blick von dir ins 156 Mausloch kriecht, – und 's ist alles gut! Muß denn dein Glück grad' nach deiner Elle zugemessen sein? – Sei kein Närrle! Halt' fest, was du hast, füg' dich in das, was kommt. So oder so, – du wirst deine Schuldigkeit überall tun, und mehr kann kein Mensch!«

Bärble konnte dagegen nichts einwenden, sie mußte zugestehen, es lag eine Wahrheit in Dorles Worten, – aber Beruhigung brachte sie ihr nicht. Wie sie auch sann, sie konnte den Grund nicht finden, sie kam nicht über die Empfindung hinaus: das ist alles recht gut und schön, aber für mich eben paßt es nicht. Besser traf sie es bei der Schustersrosine, die sie in der Dämmerung aufsuchte und ihr unter den leise rauschenden Kirschbäumen ihr Leid klagte, wie sie sich verwirrt vorkomme, seit sie dem Dorle im Herzen recht geben müsse und doch keinen Trost finde. Rosine drückte ihre Hände fest in die ihrigen, sah lange hinauf zu den prächtig funkelnden Sternen und sagte dann: »Armes Ding, mußt's bald erfahren, daß es nicht einen Trost für alle und für alles gibt! Ja, du bist eben ein besonderes Gemüt, eines von denen, die zum Leiden, zum Tragen auf der Welt sind. Nicht so, als ob sie mehr Unglück träfe, als andere; aber was auch über sie kommt, es trifft sie mitten ins Herz, für sie gibt's gar keine Kleinigkeit, und jedes Hindernis, das andere gar nicht beachten und ihm aus dem Wege gehen, laden sie sich lieber auf, müßten sie sich auch damit durchs ganze Leben schleppen, nur damit die Bahn rein und frei wird. Tröst' dich, Bärble, es sind das nicht die schlechtesten Menschen, sie sind auch ein Glück für die Welt, denn sie zeigen immer wieder, wie's eigentlich sein sollt', was doch so gar leicht vergessen wird. – Aber wer nun einmal so geartet ist, der soll auch 157 auf sich achten, daß der Trübsinn nicht über ihn Herr wird, – und das ist dein Fall, Bärble. Ich versteh' dich gar wohl! Du willst das Rechte so recht von Grund aus vollbringen, es soll alles sonnenklar und spiegelglatt verlaufen, und was du nun in dir nicht ganz zurecht legen und in Ordnung bringen kannst, das verwirrt und quält dich, du wirst ängstlich, verzagt und traust dir am Ende gar nichts mehr zu tun, aus Angst, es könne gefehlt sein! – Das ist aber kein rechtes Wesen, und darüber mußt du Herr werden! Wir sind nun einmal keine Engel und Heilige, und die Welt ist auch kein Paradies. Drum trage, was nicht zu ändern ist, grübele nicht über Dinge, die über deinen Verstand hinausliegen, – unser Herrgott hat sich eben auch was vorbehalten, und das mußt du ihm nicht abzwingen wollen. Tu' mit redlichem Sinn, was du vermagst, so wirst du vor Gott und der Welt bestehen. – Die Leute mögen sagen, was sie wollen, ich bin auch der Meinung, du hättest Fritz nicht wieder anhören sollen; denn mir will's nicht in den Kopf, daß ihr zusammenpaßt. Du hast's aber nun einmal getan, und deine Gründe sind nicht zu verwerfen, so führ's auch durch mit Freudigkeit. Die Sorgen wegen der Zukunft nützen so viel, als eine Latern' am Tag, gib sie auf. Bleib' brav allerwegen, so wirst du auch im Eh'stand mit dem Türkenfritz zurecht kommen. Sonst halt' nur was auf dich und laß nicht mit dir spielen; denn ist's auch nicht wahr, daß der Mensch ist, was er aus sich macht, so ist's doch leicht möglich, daß er's wird. – Drum unverzagt, Bärble, frisch und freudig, wie sichs für ein junges Mädle, das noch dazu halbe Braut ist, schickt. Denk' an den Spruch: einem fröhlichen Herzen schmecket alles wohl, was es isset!«

158 Das war freilich ein anderer Trost; er richtete Bärble mächtig auf, und was die Hauptsache war, er bewährte sich auf die Dauer. Die Angst, die innere Unruh' wich von Bärble; wenn auch nicht hoffend, doch wenigstens ohne Sorge blickte sie in die Zukunft. Aber ihre frühere Heiterkeit, ihr sicheres, frisches Wesen fand sie nicht wieder, sie blieb ernst, nachdenklich, zu einer trüben Auffassung des Lebens geneigt. Manche Unvollkommenheiten, die sie früher kaum beachtet, quälten und peinigten sie; ernsthaft drang sie auf Wahrhaftigkeit und Ehrbarkeit in allen Stücken, das schuf ihr viel Verdruß bei Eltern und Geschwistern, die, ohnedies durch die Rückkehr des verlumpten Bruders gereizt und verstimmt, ihre Mahnungen mit bitteren Worten vergalten. So ward Bärble auch im Elternhaus fremd; je einsamer sie sich fühlte, desto mehr zog sie sich in sich selbst zurück, selbst mit Dorle kam sie seltener zusammen, nur der Schustersrosine öffnete sie ihr ganzes Herz, nur bei ihr ward ihr wahrhaft wohl.

In eigentümlicher Weise gestaltete sich ihr Verhältnis zu Fritz. Ihr Umgang war warm, zärtlich, dennoch fehlte ihm die rechte Herzlichkeit und Innigkeit; Bärble konnte sich nicht mehr mit ganzer Seele hingeben, bei jeder Zusammenkunft mußte sie erst eine gewisse ängstliche Scheu überwinden, an seiner Liebesglut mußte erst die Eisrinde ihres Herzens wegschmelzen. – Dann brach freilich ihre Liebe desto stürmischer hervor, aber diese leidenschaftlichen Ausbrüche erschreckten mehr durch ihre verzehrende Glut, als daß sie erquickten und erfreuten. Fritz war dieses Wesen vollständig unbegreiflich, es machte ihm viel Sorge, manchmal wollte ihn auch Unmut beschleichen, – aber er hielt mannhaft an sich; er fühlte, daß er mit Geduld tragen 159 müsse, was er selbst verschuldet, und daß es an ihm liege, Bärble innerlich zurechtzuhelfen durch Nachsicht und immer gleiche Freundlichkeit. Auch nach einer andern Seite war Bärble vollständig verändert. Sie klagte nie mehr, wie sonst; eine ihr selbst unbegreifliche Scheu, fast Furcht, hielt sie ab, in früherer Weise auf Fritz einzuwirken, sie wagte weder zu tadeln, noch zu mahnen, sie hatte nicht nur das Vertrauen auf sich und ihre Worte verloren, sie ward auch die Empfindung nicht los, als habe sie kein Recht mehr zu solcher Einwirkung auf Fritz. Fritz war ihr eben fremd geworden, es stand etwas zwischen ihr und ihm, das nicht weichen wollte. Aber gerade ihre demütige Unterwerfung, ihr stilles Ertragen machte Fritz Pein, viel lieber hätte er sie zanken und schelten gehört, da er wohl wußte, daß er es nur zu oft verdiente. Einmal sagte er: »Bärble, ich weiß nicht, was mit dir ist, du bist gar nimmer das alte Mädle! Bist du krank, oder hast du noch immer einen Zorn auf mich?«

Bärble fuhr erschrocken zusammen, schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte: »Hab' Geduld, Fritz, ich kann noch nicht anders! – Hab' Geduld und sei gut, Fritz, recht gut und freundlich; ich bin so schreckhaft jetzt und um ein unfreundlich Wort könnt' ich mich zu Tod' grämen. Hab' Geduld, – ich werd' auch schon wieder anders!«

Und so schien es auch. Die Art, wie sich Fritz zusammennahm, wie er nur noch für sie lebte, ihr alles tat, was er ihr nur an den Augen absehen konnte, blieb nicht ohne wohltätigen Einfluß auf ihr krankes Gemüt. Allmählich erschien ihr die Zukunft nicht mehr so dunkel; wenn auch nicht auf großes Glück, so doch auf ein zufriedenes, 160 erträgliches Leben glaubte sie hoffen zu dürfen. Der schmerzliche Zug um ihren Mund verschwand, dann und wann konnte sie wohl leise lächeln bei den Späßen ihrer Kameradinnen, ja eines Abends stimmte sie sogar leise in den Gesang der Mädchen ein. Dorle war überglücklich, und Fritz wußte sich vor Freude kaum zu lassen.

Aber Fritz war ein Mensch, der das Glück nicht ertragen konnte; kaum war er Bärbles wegen beruhigt, so erwachte auch sein alter Leichtsinn, er ward wieder ausgelassen, übermütig, selbstzufrieden, eitel! Mit tiefem Schmerz sah Bärble, wie ihre Hoffnungen verfrüht waren, aber sie nahm sich zusammen und schwieg; sie sah ein neues Unheil heraufziehen, fühlte sich machtlos, es abzuwenden und ergab sich still in das Unvermeidliche. Brachte nicht einmal das letzte Zerwürfnis Fritz zur Vernunft, war ihm auch das noch keine Lehre, – dann mußten sie über kurz oder lang doch scheiden, je eher es zum Bruch kam, desto besser.

Fritz klagte oft, daß Bärble sich so still in alles füge, gar nicht mehr tue, als habe sie einen eigenen Willen, und dennoch, als sie einmal wagte, ihre eigene Meinung auszusprechen, als sie ihn herzlich bat, seinen Vorsatz aufzugeben, ward er mürrisch, seine Erwiderung klang rauh, er warf ihr vor, sie gönne ihm kein Vergnügen. Verstimmt, ohne ihr das gewünschte Versprechen gegeben zu haben, ging er von ihr. Bärble sah ihm mit Tränen nach, drückte die Hände aufs Herz und betete um Kraft für die schweren Stunden, denen sie entgegenging.

Fritz schritt mit gemischten Empfindungen die stille Gasse vom Herrenhof hinauf ins Dorf; fast hätte die Reue den Unmut überwogen, als ihm der Wagnershannikel 161 entgegen kam mit der Nachricht, die Burschen warteten schon lange auf ihn, er solle eilen, daß er ins Wirtshaus komme. Fritz lehnte ab, er habe sich anders besonnen und trete zurück. Einen Augenblick sah ihn Hannikel verdutzt an, dann lachte er höhnisch: »Ach freilich, du kommst vom Bärble! – Die hat dich ja schon herrlich gezogen!« – Fritz fuhr auf: er sei sein eigener Herr und lasse sich von niemandem einreden, auch vom Hannikel nicht; ins Wirtshaus gehe er mit, aber Planbursch'Planbursche und Planjungfer oder Planmädle heißen die Jünglinge und Jungfrauen, die an der Kirmes die drei ersten Reihen um die Dorflinde tanzen. werde er nicht. Hannikel lachte hinter ihm drein, und richtig, Fritz war noch keine halbe Stunde im Wirtshaus, so saß er unter den jungen Leuten, die dabei waren, die Kirmse »anzutrinken« (die Bergheimer nennen die Sache beim rechten Namen!). – Ehe er selbst recht wußte, wie ihm geschehen war, stand sein Name in dem mit Kreide gezogenen Kreis auf dem Tisch – Bärbles Mahnen zum Trotz war er ein Planbursche!

Wohl erschrak er am nächsten Morgen darüber, wäre gern zurückgetreten, aber er fürchtete den Spott des Wagnershannikel, und dann meinte er, es könne nicht allzu schwer halten, Bärbles Zustimmung nachträglich noch zu erlangen. Darin irrte er. Auf seine Mitteilung ließ Bärble den Kopf sinken und schwieg; – auf sein Drängen entgegnete sie: »Ich hab dir keine Vorschriften zu machen! Ich werde nicht dein Planmädle, da ist jedes Wort vergebens; ob es dir ansteht, so kurze Zeit vor der Hochzeit noch mit einer andern als deiner Hochzeiterin den Plan aufzuführen, mußt du selber wissen!« – Fritz war in großer Verlegenheit; er ahnte, daß Bärbles Worte mehr 162 enthielten, als sie aussprachen, und die zusammengepreßten Lippen des Mädchens kündeten unbeugsame Entschlossenheit. Nach vielen vergeblichen Bitten und Klagen verfiel er endlich auf den Ausweg, nicht selbst den Plan mit auszuführen, sondern den übrigen Planpaaren nur den Biergießer voranzutragen, ein Amt, welches allerdings gewöhnlich ältere, gesetztere Burschen versahen. Was blieb Bärble übrig? – Seufzend gab sie ihre Einwilligung, und der aufkeimende Zwist war beseitigt, wenigstens äußerlich; Fritz konnte seine Verstimmung nicht gänzlich bemeistern, im Stillen warf er Bärble vor, sie gönne ihm kein Vergnügen, wolle jetzt schon einen Hauspöpel und Weibermann aus ihm machen, und es war doppelt schlimm, daß er in einer schwachen Stunde seine Gedanken dem Wagnershannikel offenbarte. Bärble dagegen sah eintreffen, was sie von Anfang befürchtete; sie ward wieder bleich und still, und ihr gedrücktes Wesen, ihre scheue Zurückhaltung, anstatt ihn zur Besinnung zu bringen, verbitterte Fritz noch mehr. Heimlich rieb sich der Türkenhenner die Hände; jetzt begannen sich seine Erwartungen zu erfüllen. Er begann wieder Fritz die Ohren voll zu raunen: zu spät werde er einsehen, wie gut er's mit ihm im Sinne gehabt; jetzt schon komme es an den Tag, was die Weiber und der Druckser, der Gottfried, im Schilde führten und er werde noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wie ihn die Weiber in die Schraube nehmen würden! Daran reihten sich Schilderungen, wie er es hätte haben können, was er für ein Mann geworden wäre, hätte er sich an den Vater gehalten! Und diese Vorstellungen wirkten um so mehr, da auch der Hannikel aus derselben Tonart sang. Die Bäurin merkte von diesem Treiben nichts, 163 einmal nahm sich Fritz daheim zusammen, dann aber war er mürrisch, so hielt sie das für Reue, daß er sich mit den Planburschen eingelassen, – und Bärble klagte nicht. Nur Gottfried sah tiefer; aber er hatte einen Blick in Bärbles Herz getan, besser als Fritz verstand er, was in ihr vorging, – darum schwieg auch er.

Es war am Vorabend der Kirmse, die Planburschen zogen mit den Musikanten durchs Dorf, die üblichen Ständchen den Planmädchen und angesehenen Familien zu bringen. Im Veitenhaus war es still, die Mutter und die jüngeren Geschwister schliefen, der Vater und die älteren Brüder saßen im Wirtshaus, so konnten die beiden Mädchen, die allein in der dunklen Stube waren, ungestört plaudern und auf die bald näher bald ferner klingende Musik und die sie begleitenden Juhuschreie hören.

»Du versündigst dich, Bärble!« klagte Dorle. »Nimm an, wie's uns geht! Der Paulesnickel hat's dem Bernhard rund abgeschlagen, als er ihn an das Quartier erinnerte; nicht auf drei, geschweig' gar auf zehn Jahre verschreibe er ihm sein Häusle! Was fangen wir nun an? Mein Bernhard ist ganz desperat, und ich weiß auch oft nimmer, wo mir der Kopf steht!«

»Und ist sonst niemand im Dorf,« fragte Bärble, »der sich eurer annähme?«

»Geh' mir mit den Bergheimern!« rief Dorle zornig. »Das sind durch die Bank Dickköpf' und hartherzige Geldsäck'! Die Wenigen, die ja noch was für die Armut täten, können sich selber nicht helfen. – Ach Gott, ich möcht' manchmal die ganze Welt bei den Haaren kriegen! Wozu ist man brav und rechtschaffen, wozu plagt man sich und läßt sichs sauer werden, wenn man's doch zu nichts bringt? 164 – Geh' nur, Bärble, du weißt nicht, was dir fehlt! Ständ' ich in deinen Schuhen!«

»Dann hättest du's Glück bei Haufen! – Aber was gedenkt ihr jetzt anzufangen?«

»Weiß ich's? – Der Bernhard ist ganz wild, schimpft auf Bergheim und ganz Deutschland und will übers Wasser! – Ach du lieber Gott, muß's so kommen?«

»Nu? – Und was ist weiter dabei? – Hast du nicht mit Freuden Ja und Amen dazu gesagt?«

»Mädle! Bist du bei Trost? – Ich übers Wasser – in das Amerika? – Nein, nie und nimmer, eh' spring' ich da ins Wasser!«

»Schäm' dich! Ist das 'ne Red' für ein ordentlich's Mädle? – Und was sagt deine Schwieger?«

»Werd' eines klug aus der! Sie heult freilich auch, aber anstatt den Bernhard zur Vernunft zu bringen, bestärkt sie ihn noch in seinen verrückten Gedanken.«

»Dorle, ich kenn' dich nicht wieder! – Was hast du gegen Amerika?«

»Was? – So viel hundert Stunden übers Wasser, in ein Land, wo einen keine Seele kennt? – Du hast gut reden!«

»Und was nützt dir's, daß dich in Bergheim jedes Kind kennt? Ist's nicht besser, unter wildfremden Menschen zu plagen, als sich unter Bekannten tagtäglich über ihre Hartherzigkeit erzürnen? Ich an deiner Stelle sagte kein Wort, ich wollt' froh sein, hätt' ich nur erst das Dorf im Rücken!«

»Ist's dein Ernst?«

»Warum nicht? Hast du nicht drüben in Amerika deinen Bernhard und deine Schwieger? Was brauchst du 165 mehr? – Dorle, nimm dich überhaupt zusammen! Einen bräveren, besonneneren Menschen wie den Bernhard gibt's nicht, was der will, darfst du getrost unterschreiben. Daß der in Amerika nicht verkommt, das ist sicher! Wer weiß, ob er nicht dort an seinem Platz ist.«

»Aber die Sprach' drüben, – man versteht ja keinen Menschen! Und das ewige Geld für die Überfahrt! Unsere Ersparnisse gehen drauf, und wenn's umschlägt, – was nachher?«

»Und wenn ihr in Bergheim heiratet, kann's nicht auch mißraten? Ich denk', in Amerika wirds Unglück nicht schwerer zu ertragen sein, als bei uns, und wegen der Sprach', – ihr seid nicht die einzigen Deutschen drüben!«

»Ja, du hast eben gut reden!« klagte Dorle, doch merklich getröstet. »Hätt' ich solche Aussichten wie du, ich wollt' mich freilich nicht so absorgen und abquälen! Die Armut ist eben doch das größte Unglück auf der Welt!«

»Und was hab' ich für Aussichten? Aber wir wollen still sein, darüber werden wir doch nicht einig. – Horch, die Musik kommt in unsern Hof! Ach, wär' die Kirmes vorbei, mir liegt's so schwer auf dem Herzen, als ständ' mir ein großes Unglück grad' in diesen Tagen bevor!«

Dorles Entgegnung übertönte die Musik, die unter ihrem Fenster losschmetterte. Schon polterten und lärmten auch die Planburschen zur Tür herein, stellten ihre Laternen auf den Tisch, und Fritz, nicht mehr nüchtern, wollte Bärble stampfend und jubelnd zum Tanz ziehen. Aber Bärble riß sich los, flüchtete sich in eine Ecke und klagte weinend: »Schämst du dich nicht, mir in solchem Zustand unter die Augen zu kommen. – Geh', mir wär' grade wie tanzen!« Verblüfft stand Fritz vor der Zürnenden. Der 166 Wagnershannikel, der bei Dorle nicht besser angekommen war, lachte höhnisch: »Das sind ja ein paar zimpferliche Weiberleut'! Der Donner schlag' 'nein, sind wir euch nicht gut genug? – Na, ihr wäret mir die Rechten! Meinetwegen wartet, bis euch Prinzen abholen, vor mir habt ihr Ruh'! – Aber das sag' ich, wär' eine von euch mein Schatz, ich wollt's ihr zeigen, wie man mit Burschen umgeht! – Komm, Fritz, da haben wir nichts zu schaffen!« Unter höhnischem Lachen und nicht eben feinen Spottreden taumelten die Burschen hinaus, auch Fritz verließ ohne ein Wort des Abschieds das trostlose Bärble.

Draußen schlug ihm Hannikel auf die Schulter: »Du dauerst mich, Fritz, du bist wahrlich ein geschlagener Mensch! Was, ein Bursch' wie du, muß sich so behandeln lassen? – Geh' heim, Fritzle, und leg' dich ins Bett; denn erfährt's das Päpele droben, daß du ein Linsele lustig, kriegst du morgen was abgekanzelt! Da bin ich doch ein anderer Kerl! Donnerwetter, so was sollt' sich meine Lisbeth 'rausnehmen!«

Fritz glühte vor Zorn und Aufregung; erst knirschte er mit den Zähnen, dann brach er in ein wildes Gelächter aus: »Oha, ich bin der Türkenfritz, und so laß ich mir nicht kommen. Dem Jammerdingle da zum Trotz mach' ich mir nun erst recht meinen Jux! Und sie soll sich überhaupt vorsehen, noch hat sie mich nicht!«

Das böse Wort war heraus. Wird es wirkungslos verhallen? Fritz, Fritz! Die Nacht hat Ohren, und gute Freunde sind nur allzu bereit, ein aufgefangenes Wort dahin zu leiten, wo es nie und nimmer bekannt werden sollte. 167

 


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