Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Es dämmerte stark, als Fritz todmüde, mit wüstem Kopf und jener Empfindung trostloser Öde und Leere in und um sich, die allzu geräuschvollen Nächten auf dem Fuße zu folgen pflegt, schläfrig in seine Kammer trat und nur daran dachte, möglichst rasch in sein Bett zu kommen. Er bemerkte nicht, daß Gottfried, schon völlig angekleidet, eben die Kammer verlassen wollte. Heftig fuhr er zusammen, als ihm Gottfried die Hand auf die Schulter legte und sagte: »Oha, Fritz! Die Schlafenszeit ist vorbei! Vorwärts, zieh' dich an, es geht in den Stall!«

»Ach, du bist wohl närrisch?« entgegnete Fritz gähnend. »Eben hat's zwei geschlagen! Leg' dich und laß mich in Ruh'!«

»Nichts! Der Regen muß benützt werden. Zieh' dich nur an und füttre die Ochsen, ich mache derweil die Pflüg' zurecht, dann geht's auf die Brachfelder.«

»Warum nicht gar! – Tu', was du magst, ich will schlafen.«

»Du mußt mit, – jetzt geht der Pflug im aufgeweichten Boden, wer weiß, was wieder für eine Dürre einfällt.«

»Zum Ackern ist am Tag auch Zeit, – zum Kuckuck, ich muß schlafen!«

»Am Tag gibt's mehr zu tun, abgesehen davon, daß 139 es in der Hitze Menschen und Vieh am Pflug nicht aushalten. – Nur mit!«

»Potz Kuckuck, nein! Jetzt sag' ich ernstlich: Laß mich in Frieden!«

»Ich streit' mich nicht mit dir! Merk auf: ziehst du dich nicht im Augenblick an und tust deine Schuldigkeit, reg' ich auch keinen Finger mehr. Seit Jahren hast du alle Vergnügen mitgemacht, während ich daheim sitzen mußte, und war dir dann der Kopf wüst, hab' ich samt meinem kranken Körper noch deinen Anteil aufgearbeitet. Ich tat's gern und wartete nicht auf Dank, – das ist vorbei! Hast du das Vergnügen gehabt, laß dir auch die Arbeit gefallen. Ich bin ein kränklicher Mensch und will mich schonen, jetzt kannst du einen Teil meiner Arbeit auf dich nehmen. – Du lachst? – Bist du nicht zu rechter Zeit im Stall, sag' ich der Mutter, daß eine Änderung eintreten muß, so oder so! – Danach richt' dich!«

»Da soll doch auch gleich!« fluchte Fritz, als Gottfried die Kammer verlassen hatte. »Das ist einmal wieder ein herrlicher Anfang. Was mag dem Gottfried über die Leber gelaufen sein? So hat er noch keinmal geredet!« Knurrend ging er hinab in den Stall, aber er ward bald still und vollständig wach. Der sanfte stille Gottfried war wie umgewandelt; finster, wortkarg verrichtete er seine Arbeit, die schwerste stets Fritz überlassend; dabei waren seine Augen überall, kein Versehen, nicht die geringste Lässigkeit entging ihm, und er rügte das mit solch bitterem Hohn, daß Fritz aus der Haut fahren wollte. Stellte sich Fritz zur Wehre, so kam er erst schlimm an, mit Verachtung im Blick und Ton erklärte Gottfried dann kurz: »Nur zu, Fritz! Unterwirfst du dich von dieser Stund' an 140 nicht allen meinen Anordnungen, geh' ich zur Mutter! – Brauchst dir von mir nichts gefallen zu lassen, gar nichts, natürlich, – ich will aber auch nicht mehr dein Lastesel sein!« Vor solcher Bestimmtheit verstummte Fritz.

Ein wundervoller Morgen dämmerte herauf. Der Himmel war so klar, als habe niemals ein Wölkchen seine Bläue getrübt, die Erde leuchtete im frischesten Grün und aus dem aufgebrochenen Feld stieg ein kräftiger, erquicklicher Erdgeruch empor. Aber beide Brüder merkten nichts von dieser Herrlichkeit oder achteten wenigstens nicht darauf. Auf dem bleichen Gesicht Gottfrieds lagen die Schatten tiefen Kummers und geheimen Wehs, Fritz hatte alle Aufmerksamkeit nötig, dem strengen Bruder genug zu tun, daneben quälte ihn physischer und moralischer Katzenjammer. Als es im Dorf vier Uhr schlug, hielt Gottfried seine Ochsen an und bedeutete Fritz, es ebenso zu machen, dann setzte er sich behaglich zwischen seine Pflugsterzen, teilte mit Fritz ein mitgebrachtes Frühstück und sagte ernst: »Fritz, Fritz! wo soll's noch hinaus mit dir?«

»Ha, Donnerwetter, was ist das nun wieder? Was hast nur?«

»Schämst du dich nicht solcher Aufführung?«

Fritz war dunkelrot, nahm sich jedoch zusammen und rief: »Was muß ich wieder verbrochen haben?«

»Verstell' dich nicht, wir wissen alles!« entgegnete Gottfried ruhig und sah starr vor sich nieder. »Gestern nach dem Gewitter gingen die Mutter und ich durch die Flur, da begegnete uns im Sülzdorfer Kirchsteig das Bärble – mich hat sie nicht gemerkt – gerechter Gott, wie sah das Mädle aus, nicht anders, als sei sie eben vom Sarg aufgestiegen! Abends berichteten nachher die Mägde deinen 141 Umgang mit der Hofkleinen, – da war uns alles klar. Die Mutter ist außer sich, wie du dir denken kannst, und du darfst dich auf einen Sturm gefaßt machen!«

Fritz quoll der Bissen im Mund, es war ihm zu Mut. als sei ihm ein Sturz eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen worden, – das war ja schlimmer als schlimm. Gottfried, der unterdessen angelegentlich sein Taschenmesser geputzt, fuhr leise fort: »Ich mache dir keine Vorwürfe, das steht mir nicht zu; aber lässest du das Bärble sitzen und freist die Hofkleine, dann wird's nötig, daß wir uns auseinandersetzen, denn mit solch einer Schwägerin mag ich nicht zusammenleben. Ich hatt's gut mit dir vor, schlägst du aber meinen Rat so in den Wind, tust du mir jetzt schon alles zuwider, wie könnt' ich mich einmal, wenn's mit mir schlimmer werden sollt', auf dich verlassen? Du nötigst mich, daß ich nun auch auf meinen Vorteil seh' und mich, was mein Erbteil betrifft, sicher stell'! Du Narr! Was hilft dir die Hofkleine oder sonst eine Reiche, wenn ich dich bei der Güterübernahme oder der Erbteilung in die Höhe treib'?«

»Oha!« schrie Fritz. »Da wird dir der Vater in Zeiten einen Riegel vorschieben!«

Ein bitteres Lächeln flog über Gottfrieds Gesicht. »Ist das deine Hoffnung, bist du betrogen. Merk's einstweilen: das Hauptvermögen kommt von der Mutter; will dir der Vater den Türkenhof in die Hände spielen, muß er ihr erst alles Eingebrachte 'rauszahlen, und dann wird sie sorgen, daß auch mir mein Recht wird. Leuchtet dir das ein?« –

»Schon gut!« keuchte Fritz, der große Tropfen schwitzte. »Jetzt will ich sorgen, daß der Vater beizeiten eure Praktiken zunichte macht!«

142 »Ist unnötig, das hat die Mutter schon lange im Amt festmachen lassen, und der Vater mußt's unterschreiben!«

»Das wäre der Teufel!« fuhr Fritz auf. »Aber noch hast du mich nicht. Biet' nur recht auf die Güter! Wenn ich nun dann den Stiel umkehr' und sag': behalt' die Güter selber um den Preis, – was nachher?«

»Meinst, ich kann sie nicht nehmen, wegen meiner Kränklichkeit? – O, vielleicht werd' ich stärker und gesünder, – im schlimmsten Fall verkauf' ich sie wieder. Ich komm' nicht zu Schaden, darauf verlaß dich! – Fritz,« fuhr Gottfried weich fort, als dieser den Kopf hängen ließ, »du hast's Bärble gern, und sie dich, besinn' dich, laß dich nicht durch den Reichtum verlocken, ist's Zeit noch, kehr' um. Du hast dem Bärble einen Floh ins Ohr gesetzt, ihr Versprechungen gemacht, – sei jetzt ehrlich, mach' das arme Ding nicht unglücklich!«

»Ho, ho, du nimmst dich ihrer arg an. Liegt dir so gar viel an dem Bärble? – Hast's vielleicht selber gern?«

»Und wenn's wär', was kümmert's dich? – Sie hat dich gern, nicht mich! – Brauchst nicht so dumm zu lachen, ich leugne 's nicht, ich möcht' das Mädle glücklich sehen. Also merk' dir: kannst du mit guter Art von der Hofkleinen zurück, besinn' dich nicht, söhn' dich mit dem Bärble aus und mach' die Sach' fertig, ihretwillen will ich deine unbrüderlichen Reden vergessen, und du sollst dich nicht über mich beklagen. Bleibst du aber auf deinen hoffärtigen Gedanken, dann weißt du auch, wessen du dich von mir zu versehen hast. – So, jetzt an die Arbeit!«

Betroffen, in tiefster Seele erregt, kehrte Fritz zu seinem Pflug zurück, und wie auf seinem Gesicht Röte und Blässe, so wechselten in seinem Gemüt die widerstreitendsten 143 Empfindungen, Zorn und Scham mit Reue, Ärger und Angst. Zuletzt blieben aber Reue und Angst allein im Herzen zurück, richteten sich da häuslich ein und warfen jede eigensüchtige, hochmütige, entschuldigende Regung unbarmherzig vor die Tür. Bis in die Lippen bleich schirrte er endlich seine Pferde aus und schritt zagend hinter Gottfried dem Elternhaus zu.

Dort mußte der Sturm schon losgegangen sein; man hörte die Bäurin eifrig reden, der Henner trippelte hastig in der Stube umher und rief von Zeit zu Zeit: »Holla, holla, Alte! Wer ist Herr, ich oder du?« Plötzlich lachte er tückisch auf: »Holla, holla! Du hast's noch lang nicht bei vier Zipfeln!« und schmetterte die Stubentür hinter sich zu. Eben, als er den Hof verließ, bogen die Brüder von der Straße dahin ab. Bei Fritz blieb er einen Augenblick stehen, klopfte ihm auf die Achsel und flüsterte ihm ins Ohr: »Hast's nicht schlecht angefangen! Potz Christoph von Nordheim! So lob' ich dich, hast doch gezeigt, daß du einen Tropfen Türkenblut im Leib' hast! Bleib' nur dabei, laß dich nicht breitschlagen, die da drinnen frißt dich nicht!«

Fritz schüttelte die Hand des Vaters ab und sah ihm zornig und verachtend nach. So hatte er's von jeher getrieben; zu allen schlechten Streichen munterte er ihn auf, war aber der Karren verfahren, ließ er ihn ruhig in der Patsche sitzen oder half redlich mit auf ihn losdonnern. Meinte es der Vater gut oder trieb er mit ihm sein boshaftes Spiel so gut als mit den andern? Diese Frage kam Fritz nicht zum erstenmal, nur war er stets leichtsinnig darüber weggegangen; heute jedoch empörte ihn dieses hinterlistige, feige Hetzen, er begann einzusehen, daß er dem Vater weder vertrauen könne noch dürfe.

144 Damit war ihm auch der letzte Rückhalt genommen, und als ihn nach dem Frühstück die Mutter ins Kaffenetle winkte, war er so zerbrochen, so reuevoll und demütig – am liebsten hätte er die Hand der Mutter ergreifen und sie bitten mögen: »Verzeiht, helft! Ich seh's jetzt, was ich an Euch habe!« Aber Furcht, verkehrtes Mißtrauen hielt ihn ab, das Wort zu sprechen, das seine Mutter so glücklich gemacht haben würde; mit heißer Liebe im Herzen saßen sich die beiden, die sich so nahe standen, fremd und kalt gegenüber, quälten und ängsteten sich ab. O, warum wird so selten zu rechter Zeit das rechte Wort gesprochen?

Ohne von dem Strickzeug aufzublicken, begann die Bäurin endlich mit einem tiefen Seufzer: »Wie weit bist du mit der Hofkleinen?«

Fritz hatte Vorwürfe, Schelte erwartet und sich dagegen gerüstet. Diese Frage brachte ihn außer Fassung. Wußte die Mutter bereits alles und wollte ihn nur demütigen, oder verlangte sie in der Tat Aufschluß? Er wußte sich nicht zu helfen, dunkelrot im Gesicht schlug er die Augen zu Boden.

Als die Antwort ausblieb, blickte die Mutter auf. Das Strickzeug sank in ihren Schoß, Tränen kamen in ihre Augen bei den Worten: »Also auch das noch?«

Fritz war ganz bestürzt, der Jammer der Mutter, die Ahnung, warum sie weinte, brachten ihn in eine ihm selbst noch unbekannte Verlegenheit und Aufregung. Schelten, Zürnen und Drohen würde er ertragen haben, es war ihm ja nichts Ungewohntes; aber dieser stumme Schmerz drang ihm tief in die Seele. Leise sagte er: »Mutter, ach Gott im Himmel! Hört auf zu weinen! Macht mit mir, was Ihr wollt, nur hört auf zu weinen!«

145 Auch der Mutter waren das ungewohnte Töne, aber sie hielt an sich. Langsam die Tränen abtrocknend, fragte sie leise: »Ist's denn wahr mit der Hofkleinen? Und hat sie dir wirklich die Schand' angetan? – Gesteh's! – Hat sie dich ablaufen lassen? – öffentlich?«

»Ich war wieder einmal Narr, ein dummer und ein schlechter Narr! – Mutter, dringt nicht in mich, ich bin geschlagen genug! Verzeiht mir nur dies eine Mal noch, verzeiht mir, habt wieder Vertrauen! Mutter, wenn Ihr so weint, wenn Ihr mich nichts mehr achtet, ist mir die ganze Welt verleidet. Ich gelob's Euch, Mutter, ich will mir ernstlich Müh' geben! – Mutter – guckt mich nur ein Linsele an! – –«

Die Bäurin entzog Fritz ihre Hand nicht, aber ihre Augen blieben verhüllt; die aufwallende Mutterliebe, die so gern vergibt und glaubt, kämpfte mit dem Verstand, der verlangte: mache dem Reuigen die Prüfung nicht zu leicht, damit seine Umkehr Bestand hat! Leise fragte sie: »Und 's Bärble?«

»Das ist's ja, Mutter, das ist ja das Elend!« rief Fritz, der ganz seinem besseren Gefühl folgte. »Euer Weinen, Mutter, das ist mir ins Herz 'nein 'gangen; jetzt versteh' ich's erst, wie ich mich verschimpft habe, da Ihr darüber weinen könnt! Ach Gott – wo hab' ich nur meine Gedanken gehabt! Und wenn Ihr schon weint – wie wird's erst das Bärble treiben? – Ich will mich nicht weiß brennen, Mutter, aber der Vater und der Wagnershannikel sind mit ihrem Geschwätz an allem schuld – freilich, ich hätt' auf Euch, nicht auf die hören sollen. Mutter, – verlaßt mich nicht, helft, bringt die Sach' ins gleiche! Ich selber getrau' mich schon nicht zum Bärble – und doch 146 ist's gewiß, ich kann nicht bestehen ohne das Mädle! – Mutter, zankt nicht, redet nichts, ich weiß alles. was Ihr sagen könnt, – Euer Weinen hat mir die Augen aufgetan – geht, wendet das Bärble um!«

Das Mutterherz siegte, die Bäurin zog Fritz an sich, und er verbarg seinen Kopf in ihrem Schoß. »Geh' jetzt, Fritz, und Gott erhalt' dich in deinen Vorsätzen. Ich will mein möglichstes beim Bärble tun; du aber sag' deinem Gottfried auch ein freundlich Wort – einen besseren Freund hast du nicht auf der Welt – und bitt' ihn, daß er mit ins Veitenhaus geht und ein gut Wort für dich einlegt, ich fürcht', es wird nötig sein. Ich geh' gleich heut' nach dem Feierabend zum Bärble, halt' dich auch in der Näh'! Geh' jetzt, – ach, Fritz, um deinetwillen halt' endlich, endlich dein Versprechen!«

Fritz wischte sich die Augen, als ihm Gottfried im Stall so treuherzig die Hand schüttelte und sagte: »Ich dank' dir, Fritz, du weißt nicht, wie ich mich oft nach einer freundlichen Rede von dir gesehnt hab'. – Es ist für mich nicht leicht, was du verlangst, aber ich tu's, ich geh' mit zum Bärble! Aber, Fritz, mach' sie glücklich – mach' sie glücklich!«

 

Bärble verbrachte die Nacht schlaflos; was in ihr vorging, was sie litt, welche Kämpfe sie zu überstehen hatte, wer vermöchte das zu sagen. Sie rang mannhaft! Nicht nur die Verzweiflung rang sie nieder, sie brachte es zur Entsagung. Sie liebte Fritz nicht weniger denn bisher, das Leid, das er ihr angetan, brachte sie nicht in Anrechnung, das war längst tausendfach vergeben, – gerade jetzt empfand sie: je mehr Leid, desto größer die Liebe! Aber 147 sie konnte nicht mehr an seine Liebe glauben, konnte ihn nicht mehr achten, und ohne Achtung von ihrer Seite, ohne Liebe seinerseits – wie war dann noch ein rechter Ehestand möglich? – Was sie alle Demütigungen, alle Kränkungen bisher hatte überwinden lassen, das war eben die unumstößliche Gewißheit gewesen, daß er sie dennoch wahrhaft liebe, daß sie ihm zu seinem Lebensglück unentbehrlich sei, und auf diesen Glauben gründete sich wieder die Zuversicht, daß sie ihn zu einem achtungswerten braven Mann umbilden werde. In dieser Gewißheit hatte sie den Grundmüllersjakob abgewiesen, hatte sie Fritz alle Kränkungen verziehen; sie schob alle Ungebühr seinem Leichtsinn zur Last; daß er sie wirklich verleugnen, im Ernst einem andern Mädchen Anträge stellen würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Da es nun doch geschehen, war sie keinen Augenblick im Zweifel, daß ihre Wege sich trennen mußten. Mit Mißtrauen, mit Mißachtung im Herzen konnte sie dem Türkenfritz nichts mehr nützen, konnte ihm nicht mehr zurechthelfen, wenn sie ihn auch noch liebte. Sie wußte, daß die Hofkleine nur ihr Spiel mit ihm trieb, sie ahnte, daß er bald reuevoll zu ihr kommen und sie bestürmen werde – darauf rüstete sie sich in der Stille der Nacht. Und nicht umsonst!

Mit Verwunderung betrachteten sie ihre Mutter und älteren Brüder. Sie erwarteten Jammer und Wehklage und hielten als Trostmittel den Bericht bereit, wie die Hofkleine Fritz habe ablaufen lassen. Wie erstaunten sie nun, als Bärble, zwar bleich und mit geröteten Augen, aber gefaßt, ruhig und freundlich herabkam und sich nicht nur ihre Erzählungen, sondern überhaupt jedes Gespräch über die gestrigen Vorfälle verbat. Kopfschüttelnd ließ 148 man endlich das »seltsame Mädle« gewähren, nur die Mutter schlich ihr nach, suchte ängstlich ihren Sinn zu erforschen, brachte aber auch nichts aus dem Mädchen heraus, als die Erklärung: »Ich werde tun, was ich denk', das recht ist!«

Mehr als den eigenen Angehörigen fiel der Türkenbäurin, die abends, von Gottfried begleitet, durch die Gärten in den Veitenhof trat, die Veränderung des Mädchens auf. Das Gesicht hatte an seiner Rundung verloren, den kleinen Mund umspielte ein sanftschmerzlicher Zug, die sonst so fröhlich lachenden Augen blickten tief ernst, fast fragend in die Welt, ein feuchter Hauch verschleierte ihren früheren Glanz und kündeten ungeweinte Tränen. Was mußten das für Schmerzen gewesen sein, die in einer Nacht solche Veränderungen hervorbringen konnten! Alles um sich vergessend, aufgelöst in Mitleid und Liebe breitete die Bäurin die Arme aus, – mit einem Ausruf des Schmerzes und der Freude flog Bärble an ihr Herz, und ihre Tränen flossen zusammen. Gottfried war ein stiller Zeuge; wohl zuckte es in seinem Gesicht, der drangvolle Atem verkündete seine Bewegung, aber er hielt sich tapfer. Obgleich er vielleicht nicht weniger des Trostes bedurfte, als die Frauen, redete er ihnen freundlich zu, und seinen milden Worten gelang es, den Sturm der ersten, übermächtigen Erregung zu beschwichtigen.

Es war auch Zeit, daß sie ihre Fassung fanden. Die Veitenbäurin bemerkte eben den »seltsamen Zuspruch«, der gleich ehrenvoll wie glückverheißend war; mit viel schönen Reden begrüßte sie die Bäurin und Gottfried und nötigte sie in die Stube.

Das arme Mädchen! Auf einen heißen Kampf hatte sie 149 sich bereitet, auf solchen Sturm war sie doch nicht gerüstet. Zwar flammte heftiger Unwille in ihr auf, als sie Fritz auf einer neuen Falschheit ertappte, und auch Gottfried und seine Mutter wechselten die Farbe, als sie von Bärble erfuhren, durch welche gemeinen Lügen er das Mädchen hinzuhalten gesucht hatte, da er ihr vorredete, auch seine Mutter wolle nichts von ihm wissen; zwar regte der Machtspruch des Vaters, womit er der albernen »Ziererei« der Tochter ein Ende zu machen gedachte, ihr ganzes Wesen zum trotzigsten Widerstand auf, – aber den Tränen der Mutter, die sie auf das Unglück in ihrer Familie, auf den verlumpten Bruder, dessen Heimkunft täglich zu erwarten stand, verwies, und sie mit gerungenen Händen beschwor, ihr das nicht anzutun, den Bitten der Türkenbäurin, die ihr so eindringlich vorstellte, wie auf sie die letzte Hoffnung ihres Alters gerichtet gewesen, und wie Fritz, wenn sie auf ihrem Nein beharre, ein verlorener Mensch sei, den ernsten ruhigen Worten Gottfrieds konnte sie auf die Dauer doch nicht widerstehen, sie ward ängstlich, verlegen, schwankend. »O Gott im Himmel!« rief sie und rang die Hände. »Was macht ihr mit mir? Laßt ab, quält mich nicht, macht das Elend nicht noch größer, als es ohnedies ist! – Gott weiß, wie's in meinem Herzen aussieht, aber ich kann nicht, ich kann und darf nicht!«

»Du siehst zu schwarz, Bärble!« sagte die Türkenbäurin und hielt die Hände des Mädchens fest. »Er hat dich ja doch gern von Grund seines Herzens! Ach, Bärble, hättest du gesehen, wie er heute um dich jammerte, wie er in mich drang, ein gutes Wort für ihn bei dir einzulegen, wie er so gänzlich umgewandelt war, – du könntest nicht so trotzig auf deiner Weigerung bestehen!«

150 »Ach, Bäurin, Ihr wißt nicht, wie oft ich mir durch sein Jammern und Bitten hab' das Herz weich machen lassen! Ich kenn' seine guten Wort' mit'nander! – Das ist's ja, ich kann ihm nimmer glauben, nimmer trauen, und wenn er noch so schön tut; er hat mich zu oft betrogen!«

»So probier's nur noch ein einzig's Mal mit ihm!« bat die Bäurin. »Ach Gott, Kind, ich kann nimmer reden, das Elend stößt mir 's Herz ab. Du nimmst die Schand', die er dir angetan, zu groß an!«

»Nein, Bäurin!« rief Bärble. »Um die Schande, die er mir angetan, handelt sich's gar nicht, die hab' ich lang verschmerzt. Aber daß er sich so wegwirft, daß er sich so verunehrt, darüber komm' ich nicht weg!«

»So willst du mich ohne Trost fortlassen? Mädle – du hast ihn doch nicht wahrhaft gern, sonst könntest du nicht so widerstehen!«

»Gott verzeih' Euch, Bäurin! Wie's in mir aussieht, das weiß nur ich, – könnt' ich Fritz vergessen, o, dann wär' ja alles gut! – Seht mich nicht so bestürzt an, Bäurin. Glaubt mir, ich hab' Fritz noch grad' so gern, wie – wie vorher. Aber ich trau' ihm nimmer, ich glaub' nimmer, daß er mich aufrichtig gern hat, – das ist's, das ganz allein, was uns scheidet!«

»Ich versteh' dich, Bärble, und acht' dich darum nur um so mehr!« sagte Gottfried weich. »Soll ich's grad' 'raus sagen, wie du's meinst? – 's ist nicht allein, daß du dem Fritz nicht mehr vertraust, – du bist irr' geworden, ob du überhaupt zu seinem Glück nötig bist, ob du was dazu helfen kannst, und ob er mit einer andern nicht besser fahren würde! – Ist's nicht so? – Du gut's Herz, 151 du, aus lauter Lieb' bist auf einen ganz verkehrten Weg geraten! Glaub' mir, Bärble, – du weißt, lieber biß ich mir die Zunge ab, eh' ich mit Wissen ein unwahr Wort red'! – Glaub' mir, der Fritz ist doch nicht so schlecht, als es das Ansehen hat; leichtsinnig ist er, Gott sei's geklagt, nur allzu viel, aber schlecht nicht! Bärble, am Fritz hat sich sein Vater schwer versündigt, und es ist ein Zeichen für seine gute Natur, daß er nicht ganz und gar ein Umschlag 'worden ist. Drum wir dürfen mit Fritz nicht so streng ins Gericht gehen, wir müssen in Geduld manches ertragen, – wir müssen darauf hinarbeiten, daß Fritz endlich zur Vernunft kommt, daß er das wird, was er selber sein möcht', daß er aufhört, sich selber Prügel zwischen die Bein' zu werfen und sich so zu Fall zu bringen! – – Ich seh', Bärble, du verstehst, was ich meine! – Nun überleg'! Kann ihn ein Mensch innerlich zurecht bringen, bist du's! – Schüttle den Kopf nicht; wenn ich je noch daran hätte zweifeln können, heut' ist mir's zur Gewißheit 'worden, – würd' ich's sonst sagen? – Also, Bärble, soll der Fritz so schwer dafür büßen, daß der Vater so unväterlich an ihm gehandelt hat? Ist das nicht schon Unglücks genug? Soll er dafür auch noch so hart gestraft werden?«

»Gottfried, hör' auf, – laß ab! – Du machst mich ganz verwirrt!« klagte Bärble. »O Gott im Himmel, ich kann dir nicht widersprechen, – und doch, – und doch, – ich spür's, ich kann, ich darf seine Frau nicht werden!«

»Wenn du den Fritz nicht dennoch von Herzen lieb hättest, wollt' ich kein Wort mehr sagen,« entgegnete Gottfried, »aber so wär's unrecht, wollt' ich stillschweigen. Er hat schlecht an dir gehandelt, hat dich belogen, betrogen, 152 hat dich und sich beschimpft, – alles wahr! – und von da aus hast du recht, wenn du nichts mehr von ihm wissen willst, – aber vergiß nur nicht, daß in Fritz zwei Naturen sind, und daß es Leute gibt, die es darauf anlegen, das Schlechte obenauf zu bringen. – Ja, ja, Bärble, ich weiß, was das bedeuten will: Er hat nun gar der Hofkleinen einen ernstlichen Antrag gemacht! – Weißt du denn aber, ob es der Fritz bei der Hofkleinen ausgehalten hätte, wenn sie ihn angenommen? – Ich meine, das solltest du wohl überlegen! – Bärble, mach' ein End'! – Du hast ihn ja doch noch lieb, und er dich, dafür bürg' ich, Bärble! – Und eigentliche Schlechtigkeiten sind Fritz nicht vorzuwerfen. Was geschehen ist, vergißt sich mit der Zeit, aber die Lieb' wird bleiben; und ist der Fritz einmal ein rechter Mann durch dich, wirst du's uns danken, daß wir dich von deinem Willen abbrachten. – Bärble, draußen unter der Kastanie sitzt einer in Angst und Qual – willst du seinem Harm nicht ein Ende machen?«

Dem neuen Tränensturm der Mütter, den Bitten und Ermahnungen der Ihrigen widerstand Bärble nicht länger. Leise zitternd sagte sie: »In Gottesnamen, – sei's denn! – Ich tu's nicht mit fröhlichem Herzen, – erwart' auch für mich weder Glück noch Freud'! Es war eben zu viel, was mir der Fritz gestern angetan. Vielleicht vergißt sich's wieder, ich will's hoffen, jetzt kann ich's noch nicht! – Ich sag' noch einmal: ich tu's nicht mit fröhlichem Herzen, mir ist's, als wär's besser gewesen, hätt' ich auf meinen Willen bestanden! Aber würd' der Fritz ohne mich unglücklich, verkäm' er vielleicht gar, – wie sollt' ich das Leben ertragen, nachdem Ihr solche Verantwortung auf mich gelegt? – Mutter, ich tu' Euren Willen und auch 153 Euren, Bäurin; steht mir aber auch bei, helft mir tragen, wenn Unglück über mich kommt. Du, Gottfried, bist brav, – ach, wär' dein Bruder nur halb wie du! – Auf dich verlass' ich mich, Gottfried, ich weiß, an dir hab' ich einen Beistand allezeit – gelt? – – Von Freierei redet nichts, das hat Zeit; aber das verlang' ich, daß es jetzt angesehen wird und gilt, als wär' Verspruch geschehen!«

Sie gab den Anwesenden der Reihe nach die Hand, – als sie sich nach Gottfried umsah, war er verschwunden. Langsam ging Bärble hinab in den Hof, immer war ihr, als riefe ihr jemand zu: »Kehr' um!« Als ihr Fritz laut jubelnd entgegenstürmte, wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück, mit einem Schauer empfand sie, daß ihr Glück unwiederbringlich verloren sei. Die Aussöhnung war bald geschlossen, Fritz war doppelt dankbar, da sie von gestern nichts hören wollte. Still litt sie seine Liebkosungen, als Erwiderung konnte sie nur weinen; Fritz ließ zuletzt auch den Kopf hängen und klagte: »Bärble – du hast mir doch noch nicht ganz vergeben!«

»Vergeben von Herzensgrund, Fritz!« entgegnete Bärble leise. »Vergeben und vergessen! Laß mich nur, ich kann nicht anders! – Ach, Fritz, um das Beste und Schönste an unserer Lieb' hast du dich selber gebracht!« 154

 


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