Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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In armer Hütte

In dem einsamen Häuschen weit draußen vor dem Dorf, fast auf der Höhe des Lindentalerweges gelegen, gerade da, wo sich die herrliche Aussicht auftut über Bergheim mit seiner stattlichen Kirche, seinem Wald von Obstbäumen hinweg in das Tal der Wertha, in dem sich die stattlichen Ortschaften Sülzdorf und Schottendorf dehnen, hinein in die tiefen Gründe der Erles und Saar, die beide der Wertha zueilen und manches Hammer- und Mühlwerk in Bewegung setzen, über die kahlen Vorberge des Gebirges, von deren Kamm zahlreiche Ortschaften herabschimmern, hinter denen die lange, dunkelblaue Bergkette des Thüringerwaldes die Aussicht abschließt – in dem kleinen Zieglershäuschen wohnte der Schustersbernhard mit seiner Mutter.

Es war freilich sehr einsam da droben auf der Höhe; im Winter heulte der rauhe Waldwind grimmig um den kleinen Giebel, und selbst im Sommer war das Leben mit manchen Beschwerlichkeiten verknüpft. – Aber die beiden Leute empfanden dies nicht, sie waren so glücklich über ihr ungestörtes Beisammensein, das sie so lange, so schmerzlich herbeigesehnt hatten, und erfreuten sich ihrer traulichen Wohnung. Und ein trauliches Fleckchen Erde war das Zieglerhäuschen und seine Umgebung. Fünf bis sechs 67 Steinstufen führten von der Straße, die hier fast einen Hohlweg bildete, zu dem freien Platz vor dem Häuschen empor, der breit genug war, neben einem Weg für die Bewohner, auch noch vier dichtbelaubten Kirschbäumen Raum zu geben, die wieder die hölzerne Bank neben der Haustür und den großen Steintrog, der das Wasser der Dachrinne auffing, beschatteten. Zwischen den Stämmen grünten noch Stachelbeer-, Johannisbeer- und Rosenstauden und bildeten eine dichte Hecke, die neugierige Blicke vom Weg aus abhielt. An die vordere Giebelseite schloß sich ein kleiner Baumgarten, ebenfalls von dichten Hecken umsäumt, und wenn Bernhard von seiner Arbeit aufblickte, erquickte sich sein Auge an der schattigen, lichtgrünen Dämmerung, erfreute sich sein Herz an dem munteren Treiben der Vogelwelt in den Zweigen, die, bald den sicheren Schutz erkennend, sich hier häuslich niederließ.

Mutter und Sohn lebten still für sich, hatten wenig Umgang mit ihren ohnedies entfernten Nachbarn, besonders die Mutter verließ das Häuschen fast gar nicht. Die rüstige, freundliche, dabei auch verständige und entschlossene Frau hatte gar eine schwere Vergangenheit hinter sich, hatte so viel Leid von den Menschen erfahren, hatte sie so gründlich kennen gelernt, daß es sie nicht nach ihrem Umgang gelüstete. Sie war am liebsten allein für sich; da war sie am wenigsten einsam, fühlte sich ihrem besten Freund so nahe, dem alten, getreuen Herrgott, – was waren alle Menschen gegen den? Ja, eine schwere Vergangenheit lag hinter ihr. Von einem Vater wußte sie nichts, ihre Mutter hatte sie kaum gekannt, und das Wenige, auf das sie sich von ihr erinnern konnte, war der Art, daß sie Gott für ihren frühen Tod dankte. Zehn 68 Jahre alt war sie gewesen, als vier Männer den roh zusammengenagelten, unangestrichenen Sarg in den Gottesacker trugen. Voraus trug ein Bube das Kreuz, hinterdrein schritt die Totenfrau und führte die weinende Rosine an der Hand, sonst begleitete niemand die Lumpenbärbel zur letzten Ruhestätte, nicht einmal eine Glocke läutete. Wozu hätte man um die Lumpenbärbel groß Aufsehen machen sollen, da sie im Leben selbst nichts auf sich gehalten hatte? Eilfertig ward der Sarg in die Grube gesenkt; während die Totenfrau geschwind ein Vaterunser herbetete, zündeten die Träger ihre Pfeifen an und gingen gleichgültig ihres Weges. Der Totengräber schaufelte schimpfend – er war zornig, weil es keinen Leichentrunk gab – das Grab zu und jagte das kleine Mädchen aus dem Gottesacker, das auf einem Grab kauerte, die Händchen unter ihr dünnes Schürzchen verbarg und mit großen Augen zusah, wie der garstige Mann eine Schaufel Erde nach der andern auf die Mutter drunten warf. Dann stand das Kind am Kirchhoftor, drückte das Gesichtchen an die Stäbe des Gitters und schaute nach dem kleinen Hügel, den kein Kranz, keine Blume schmückte. Ihr Haar und ihr Röckchen flatterten im Wind, am Himmel flogen die Wolken, helles Sonnenlicht und tiefe Schatten streiften über das blonde Köpfchen am Kirchhoftor, und immer stand das Mädchen und schaute nach dem kleinen feuchten Hügel, der an der Sonnenseite schon zu trocknen begann! – – Endlich am Abend holte der Schulz das Mädchen und führte es ärgerlich ins Hirtenhaus, wo es einer ledigen Frauensperson um geringe Vergütung zur Pflege übergeben ward. Freude kannte das stille Mädchen wohl kaum, die Tage gingen aber doch vorüber. Im Sommer 69 hütete Rosine die Gänse, las Ähren und half ihrer Pflegemutter Holz für den Winter sammeln; im Winter ging sie betteln. Als sie stärker wurde, kam sie ins Beckenhaus als Kindsmagd; nach ihrer Konfirmation ward sie im selben Haus erst Laufmädle, dann kleine, zuletzt große Magd. Erst Not und Hunger, dann Arbeit, Arbeit und immer Arbeit, dabei manchen Stoß und Schlag, harte Worte ohne Zahl – das war das Leben der Lumpenrosine. Und doch ging sie nicht zugrund; wie sich ihr Körper herrlich entwickelte, erwachte auch ihr Geist. Obgleich sie fast in keine Schule gekommen war, hatte sie doch lesen gelernt; der Pfarrer, der sie konfirmierte, schenkte ihr eine Bibel, die Gemeinde ein Gesangbuch – das wurden ihr Quellen des Trostes, der Erhebung. Ihre Kameraden nannten das saubere, stille, bildschöne Mädchen stolz und eingebildet; das war sie nicht, aber sie wollte frei sein, von niemand abhängen, das Schicksal der Mutter, die eigene Vergangenheit lag schwer auf ihr, der Mangel an Liebe machte sie scheu und verzagt.

Aber es kam eine Zeit, da auch ihr Herz sich öffnete, da ihr die Welt leuchtete und glänzte, da es um sie klang und tönte, auch ihre Lippen zum Gesang, zum Scherz und Lachen sich öffneten – sie liebte und ward wieder geliebt. Ihr Schatz war ein schöner, stattlicher Bursch, so arm als sie selbst, aber brav und tüchtig. Es war ihm auswärts eine Hausmannsstelle angetragen, er wollte Rosine heiraten, in der Freude darüber vergaßen sich beide, – damit war Rosinens Glück zu Ende. Die Bergheimer Gemeinde verweigerte die Aufnahme des mittellosen Burschen, seine Heimat wollte nichts von Rosine wissen; unterdessen ward die Hausmannsstelle anderweit besetzt, aus Zorn 70 über seine zerstörten Hoffnungen ergab sich der Bursche dem Trunk, sein Herr schickte ihn aus dem Dienst, und gerade als Bernhard geboren ward, verließ sein Vater Bergheim. Noch eine Zeitlang trieb er sich in der Gegend herum, – Rosine sah ihn nur noch einmal; sie konnte ihn nicht retten, drum zog sie sich zurück. Er verschwand, nie mehr hörte man von ihm.

Wer vermöchte zu beschreiben, was die junge Mutter duldete, litt, zu tragen hatte? Und doch war sie nicht ganz unglücklich, sie war ja nicht mehr allein in der Welt, hatte ein Wesen, das sie lieben konnte, das sie dankbar anlächelte, wenn sie ihm wohltat. Rosine lebte nur für ihren Bernhard; trotz ihrer Armut duldete sie nicht, daß er Geschenke nahm, sie gewöhnte ihn früh schon zur Enthaltsamkeit. Beten und arbeiten mußte er auch schon früh lernen. Die Bauern schalten sie, daß sie Bernhard auch im Sommer keine Schule versäumen ließ, aber Rosine kümmerte sich darum nicht; sie wußte zu gut, was an ihr selbst versäumt worden war und wollte Bernhard vor dem gleichen Schicksal bewahren. Nach seiner Konfirmation gab sie ihn zu einem tüchtigen Schottendorfer Schuhmacher in die Lehre, sie selbst trat wieder beim Beckenbauer in Dienste. Das war ein hartes Scheiden für Mutter und Sohn, die sich so sehr liebten und noch nie getrennt worden waren. Aber ein Trost blieb ihnen: die Hoffnung auf Wiedervereinigung dann für immer!

Bernhard ward ein wackerer Geselle, kam weit in der Welt herum, diente als Soldat seine Zeit und nahm dann, um der Mutter nahe zu sein, beim Bergheimer Vögelesschuster Arbeit. Noch manches Jahr ging hin, ehe er sein Ziel erreichte; oft wollte ihn Unmut erfassen, daß es ihm 71 gar so schwer gemacht wurde, ein eigenes Geschäft zu beginnen, endlich siegte doch seine Ausdauer: er ward Meister. Schon vorher hatte er für seine Mutter, die er nicht mehr dienen sehen wollte, das Zieglershäuschen gemietet, richtete sich nach und nach eine Werkstätte ein, und als er sein Meisterstück gemacht, zog er zu ihr. Das war ein froher Tag! Pochte auch gleich in der ersten Stunde ihres Zusammenseins die Sorge an die Tür, blickte Mangel und Not durchs Fenster: sie ließen sich nicht erschrecken. Mit fröhlichem Mut ging Bernhard Arbeit suchen, fest entschlossen, eher zu taglöhnern, als noch einmal Geselle zu werden. Und so kam es denn auch. An Bestellungen freilich fehlte es nicht, aber das waren arme Leute oder liederliches Gesindel, die zu ihm kamen, von denen er in Ewigkeit keine Bezahlung würde erhalten haben. Um sich Ärger und Verluste zu sparen, wies er sie von vornherein so bestimmt ab, daß sie das Wiederkommen aufgaben. Das machte, trotzdem ihm jeder Vernünftige recht geben mußte, in Bergheim ein großes Aufsehen und viel Rumor, eine Art Verschwörung entstand, dem hochmütigen Habenichts im Zieglershäusle alle Arbeit zu entziehen, und der Vögelesschuster, der die Konkurrenz des geschickten Bernhard fürchtete, hetzte und schürte öffentlich und im geheimen. Bernhard spürte die Folgen bald, doch ließ er sich nicht erschrecken, arbeitete tapfer, wo ihm Gelegenheit geboten ward, und suchte seine Kunden auswärts. Nach einem Vierteljahr bestellte ein Grumbacher die ersten Stiefel bei ihm, auch von den Bergdörfern liefen Aufträge ein. – Ach, mit welcher Lust setzte sich Bernhard auf seiner Brücke zurecht; wie lachte ihm die Sonne, wie sangen die Vögel noch einmal so schön, als sein Hammer 72 auf das Leder klatschte und der Draht durch die Löcher zischte! Gestern nun hatte er die erste fertige Arbeit ausgetragen, war mit dem ersten Meisterlohn und neuen Bestellungen heimgekehrt; als er dann heute morgen das Geld der Mutter zum Aufheben übergab, sagte er: »Mutter, nun freut Euch, jetzt haben wir gewonnen!«

»Geb's Gott!« sagte Rosine mit feuchtem Auge. »Aber, Bernhard, freu' dich nicht zu sehr, du bist ein armer, geringer Anfänger – wer weiß, was wieder d'reinkommt!«

»Nein, Mutter, heut' müßt Ihr mir die Freud' nicht verderben, Ihr selber sollt auch einmal die Sorgen aus dem Stüble jagen. Seht, ich hab' auf Wochen 'naus Arbeit, und wer einmal bei mir war, kommt wieder, dafür sorg' ich. Drum seid getrost, und wenn sich der Vögelesschuster auf den Kopf stellt, ich geh' doch nicht wieder auf den Taglohn. Und, Mutter, nun hätt' ich noch was auf dem Herzen.«

»Weiß schon, weiß schon, Bernhard, und ich sag' nicht nein! – Du hättest freilich mit dem Freien auch noch 'ne Zeit warten können, an Ordnung hätt' dir's gewiß nicht gefehlt – und – und – nun ja, ich muß dir das auch sagen: Ist erst einmal dein Geschäft im Gang, hättest du dich auch nach einem wohlhabenden Mädle umsehen können. Das sag' ich dir nur, damit du siehst, ich hab' mir die Sach' reiflich überlegt; nun wirst du auch verstehen, daß es mir aus dem Herzen kommt, wenn ich sag': Bring' mir das Dorle, eine bessere Schnur hätt' ich mir nicht wünschen können, und ich will sie lieb haben – so – so wie sie dich liebt!«

Da hatte Bernhard seinen Kopf in den Schoß seiner Mutter gelegt und ihre Hand fest an seinen Mund gedrückt, dann war er still in die Kirche gegangen. 73

 

Es ist Nachmittag, die Sonne brütet heiß in den Baumwipfeln, die Vöglein haben sich still in den dunkelsten Schatten geduckt, und dann und wann piepst eins schlaftrunken. Durch die offenen Fenster zieht ein erquickliches, kühles Lüftchen in das saubere, nette Stübchen; die Rosensträucher unter den Kirschbäumen senden ihren Duft herein und von der Kirche tönt leiser Orgelton herauf. Rosine, die sich gar stattlich herausgeputzt hat, summt leise den Choral nach, der in der Kirche gesungen wird, deswegen ruhen jedoch die Stricknadeln keinen Augenblick. Als die Orgel schweigt und die Predigt drunten beginnt, legt Rosine das Strickzeug weg und greift nach ihrem Starkenbuch; – so sitzt sie still, ihre Gedanken sind bei ihrem Kind, ihrem Bernhard, um dessen Glück sie betet. Und draußen lispeln die Blätter, ein leiser Windhauch streicht flüsternd durch die Zweige wie ein Odem Gottes. – Der Schmiedshahn kräht laut schallend, ein paar Kameraden antworten weiter drunten im Dorf, das weiß und grau getigerte Kätzchen sitzt auf dem Fensterbrett und putzt sich eifrig, ein untrügliches Zeichen baldigen Besuches. Zwei Männer gehen plaudernd vorüber, in der Dachrinne erhebt sich heftiger Zank unter vorwitzigen Spatzen und drunten in der Kirche verkündet Orgelton das Ende der Predigt. Rosine senkt den Kopf auf die gefalteten Hände, dann schließt sie das Buch, legt es vorsichtig auf den Sims und geht, vom Kätzchen begleitet, in die Küche. Nicht lange, erscheint Bernhard im Kirchenrock, das Gesangbuch in der Hand. Mit glückstrahlenden Augen begrüßt er die Mutter: »Sie kommt auch gleich!« winkt er ihr zu, dann eilt er in die Kammer, sich umzukleiden.

74 Während die Mutter den Tisch mit ihrem einfachen, irdenen Kaffeezeug beschickte, guckten zwei lachende Mädchengesichter durchs Fenster in die Stube und Rosine nickte: »Kommt nur, der Kaffee ist gleich fertig!«

Schon stürmte auch Bernhard die Treppe herab, zog die verschämt tuenden Mädchen ins Haus, gab Dorle einen herzhaften Kuß, führte sie dann der Mutter zu und sagte: »So, Mutter, nun habt Ihr zwei Kinder! Gelt, Dorle, du hast meine Mutter lieb, du wirst sie einmal in Ehren halten?«

»Ich versprech' sonst nicht gern und eigentlich ist's jetzt auch nicht nötig,« entgegnete Dorle, der das Wasser in den Augen stand. »Ach, wer wie ich weder Vater noch Mutter gekannt hat, der dankt Gott, wird ihm endlich eine Mutter geschenkt. Schwieger, ich red' von solchen Dingen nicht gern viel, aber gelt, Ihr vertraut mir, ganz und völlig? – Wenn Ihr noch einen Gedanken habt, sagt's frei; ist Euch was nicht anstehend an mir, tut mir's zu wissen, – ich bin nicht übelnehmerisch und weiß, daß ich nicht vollkommen bin. Aber eins muß ich sicher wissen, – sonst geh' ich nicht um die Welt in das Haus – daß ich Euch anständig bin und daß Ihr mir rechtschaffen traut!«

»'s Mundwerk geht beinah' ein bißle arg fix,« lächelte Rosine und zog Dorle an sich, »aber du bist ein brav's Mädle, hältst was auf dich und hast meinen Bernhard gern, – das ist die Hauptsach'! Ich vertrau' dir, Dorle, aus Herzensgrund, sonst würd' ich wohl nicht so fröhlich dreinsehen. Gebt euch die Händ', ihr zwei, der Herrgott segne euch und bewahr' euch vor allzu viel Unglück. Behaltet euch lieb und bleibet brav, das ist das beste, was ihr 75 euch selber antun könnt. – So, und nun setzt euch, lasset den Kaffee nicht erst kalt werden.«

»Wo nur Fritz bleibt?« fragte Bernhard verdrießlich. »Hat's so gewiß versprochen, er wollt' kommen!«

»Wenn ihr auf jemand wartet, das ist was anders!« sagte Rosine freundlich, als sie sah, wie Bärble das Wasser in die Augen kam. »Der Kaffee verdirbt nicht gleich, heiß will ich ihn schon halten.«

Aber Fritz kam nicht, und Bärble mahnte endlich selber, man solle nicht länger warten, auf Fritz sei eben einmal kein Verlaß.

Bernhard und Dorle bedauerten Bärble von Herzen, ließen sich aber durch ihren Kummer in ihrem Glück nicht stören. Sie konnten ihr ja auch nicht helfen, und die Freude war ihnen ohnedies karg genug zugemessen. Bärble saß wie auf Kohlen, der Zwang, den sie sich um der Freunde willen antat, vermehrte ihre Not, sie war oft daran, auf und davon zu laufen. Rosine merkte, wie es um sie stand, trank ihr Kaffeehäfele leer und sagte freundlich: »Komm', Bärble, mit denen da ist heute doch nichts anzufangen! Komm', ich will dir meine Levkoje- und Veilstöcke zeigen, – du bist ja grad' solch 'ne Blumennärrin wie ich.«

Bärble drückte ihr die Hand und Rosine sagte im Weitergehen: »Ja, hab' dir angesehen, wie's in dir gewühlt hat. Ich versteh' dich, hab's auch erfahren, drum weiß ich, wie's ist, mit einem Herzen voll Jammer fremdes Glück anzusehen. Ach, Bärble, bei mir war's noch viel viel schlimmer, als bei dir! – – Du armes Mädle, du hast dir selber ein rechtes Kreuz aufgeladen! Die Türken waren von jeher nichts nütz', – Gott behüt' mich, 76 daß ich jemand unrecht tu', die Bäurin und den Gottfried, die nehm' ich aus, das sind kreuzbrave Leut', müssen auch schwer genug dran tragen! – Ja – muß es denn grad' der Türkenfritz sein? – Sei still, ich wollt' dir ja nicht weh tun, ich sag' auch gewiß so was nicht wieder, Lieb' ist eben Lieb'! – Aber auf einen schweren Anfang darfst du dich gefaßt machen, wenn's dem Fritz wirklich Ernst ist. Solang' seine Mutter noch lebt, hast du an ihr eine Stütze, dagegen ist der alte Türk ein schlimmer. Mach' dich bereit, Mädle, auf schwere Zeiten! Aber verzagen mußt du deswegen auch nicht! Was ein Mensch mit einfältigem Herzen tut, ist recht und kann ihm nicht völlig zum Unglück ausschlagen, das hab' ich oft und oft erlebt! – Für's Türkenhaus ist's ein Glück, kommst du 'rein! Die alt' Bäurin hat zwar die bösen Geister auch nicht gebändigt, vielleicht gerät's dir! – Aber eins mußt du dir bald anschaffen: Ruhe, Gleichmut und Geduld! Willst du dich wegen jeder Kleinigkeit so abhärmen, wie du eben getan, bist du bald geliefert. Die Türken haben Herzen von Stein, drum müssen stählerne über sie kommen, sonst sind sie nicht zu zwingen. Komm' jetzt, freu' dich der Gottespracht und merk': Was werden soll, wird noch, all dein Seufzen und Sorgen ändert kein Dingle!«

»Ach, wenn man eben so ruhig und gelassen sein könnt'!«

»Ja, ein jung Herz ist eben ungestüm und meint, es müsse das Schicksal zwingen; – ach, und so ganz ergeben wird ja auch ein altes nicht. Üb' dich, Mädle, den Jammer 'nunterzuschlucken, ein fröhlich Gesicht zu zeigen, wenn's auch im Herzen brennt. Wer das kann, der hat gewonnen in der Welt. Geduld will gelernt sein wie alles; wer's aber erst so weit hat, nach innen zu weinen, den 77 Jammer ins Herz 'neinzudrücken und da unter Schloß und Riegel zu halten, dem hat kein Unglück mehr was an. Denn das Schlimmste bei dem Leid ist, daß man sich selber verliert und aufgibt, daß man meint, das eigne Weh wär' das größte in der Welt, und solches wär' noch gar nicht dagewesen. – Und wenn wirklich das allerschwerste Schicksal auf dir liegt, was hilft's, daß du es der Welt vorjammerst? Sie glaubt dir doch nicht und statt dich zu bemitleiden, verhöhnt und verlacht sie dich! Trag's! – trag's und sei still, – damit allein kannst du im Leid bestehen! Klag's in der Stille deinem Herrgott, vor den Leuten dagegen mußt du stark und getrost tun, – nicht mit Worten und Gebärden, du verstehst mich schon, so mit einem freudigen Wesen, so, als ob du wohl weißt, wofür alles gut ist und wer dir zuletzt helfen wird – ach, wenn ich's ausdrücken könnt', wie ich's so recht mein', – und du wirst bald spüren, wie dir getroster Mut und zuversichtlich Wesen wirklich ins Herz 'neinkommt. – Aber, was schwätz' ich da, – das will ja doch alles erlebt und erfahren sein; nu, gut gemeint war's gewiß!«

»Ich dank' Euch, Rosine, Ihr habt nicht vergeblich geredet. Ja, ich will mich zusammennehmen! – Aber gelt, ich darf noch manchmal zu Euch kommen, Ihr helft mir zurecht? – – Rosine, ach Gott, wäret Ihr doch meine Schwieger!«

»Ja, hätt' ich's Dorle nicht, wollt' ich damit wohl zufrieden sein! Jetzt wollen wir aber zu den anderen, – sie werden nicht wissen, wo wir bleiben.«

Bernhard und Dorle saßen auf dem Bänkchen neben der Haustür; so sehr sich auch Rosine wehrte, Dorle räumte ihr den eigenen Platz und setzte sich mit Bärble 78 auf die Treppe. Bernhard blies mächtige Dampfwolken hinauf zu den schon gebräunten Kirschen und meinte: »Mutter, 's ist doch nirgends schöner als auf der Welt!«

»Wenigstens hat's noch niemand probiert, wie sich's wo anders leben läßt!« lächelte Rosine.

»Ja, ich meine eben,« fuhr Bernhard fort, »die Welt säh' ganz anders aus, nun ich auf'm Handwerk arbeiten, Euch versorgen und Dorle heiraten kann! Ihr sollt einmal sehen, Mutter, wie wir's vorwärts bringen; Ihr erlebt gewiß noch ein eigen Häusle und Kühle!«

»Wenn ihr nur gesund bleibt und brav, ums übrige bet' ich nicht!« entgegnete Rosine. »Ach, ihr Kinder, ihr wißt mein Schicksal, nehmt euch zusammen und bleibet brav allerwegen. Was man so wünscht und hofft, die nächste Stunde kann's einem nehmen, nur was man selber ist und bedeutet, das bleibt. Drum seid verständig, tut's meinetwillen!«

»Müßt nicht so bitten, Mutter!« fiel ihr Bernhard ins Wort und gab ihr die Hand. »Einmal versteht sich's von selber, daß wir ehrlich in die Ehe treten, sodann aber ist's schon genug, wenn Ihr sagt: tut so und so; wir sind Eure Kinder!«

Rosine lächelte; eben stieg der Türkenfritz mit sehr rotem Gesicht die Treppe herauf, gab allen die Hand, gratulierte dem Brautpaar und sagte: »Ihr müßt mir's nicht übel nehmen, daß ich so spät komm', aber mein oberndorfer Mühlvetter, gar ein arg reicher, war da, und da konnt' ich doch nicht fort.«

Um Bernhards Lippen zuckte ein spöttisches Lachen, als Fritz den Reichtum seines Vetters so hervorhob; gern hätte er gesagt: jawohl, und er hat auch zwei Mädle, das 79 ist doch die Hauptsache für dich! – Um Bärble nicht zu kränken, schwieg er. Bärble atmete auf, zog Fritz neben sich, streichelte seine Hand und tröstete: »Ja, da bist du freilich entschuldigt! Ach Gott, Fritz, du hast mir einen Stein vom Herzen genommen!«

Fritz wurde rot und blickte verlegen zu Boden. – Wie schön war doch das Bärble, und so gut, so herzig gut! – War's nicht Sünde, so mit ihr zu spielen? – – Wie glücklich waren auch Bernhard und Dorle – warum er nicht? – Nur ein Wort kostete es ihm, und das Mädchen an seiner Seite war das glücklichste Wesen unter der Sonne, und daheim ward dann auch Freude und Sonnenschein. Und eine bessere, schönere Braut konnte er nicht finden, – warum sagte er nicht: »Bärble, ich bin dir gut, willst du Türkenbäurin werden?« – Fritz quoll es warm auf im Herzen, er nahm Bärbles Hand und neigte sich zu ihr. – Da hustete es unter den Büschen am Wegrand, Fritz fuhr zusammen, und Bernhard sagte höhnisch: »Brauchst dich nicht zu verstecken, Hannikel, hab' dich lang' gesehen! – Fritz, deinem Kamerad dauert's zu lang'!«

»Der Tausend aber auch! Hätt's bald vergessen, daß ich noch nach Lindenthal muß, Schaf' anzuseh'n!« entgegnete Fritz. »Nehmt's nicht übel, daß ich so bald wieder fortgeh', 's nächste Mal komm' ich auf längere Zeit. Bärble – heut im Dorf – nicht? – Adjes zusammen!« Damit sprang er die Treppe hinab. Bernhard schüttelte den Kopf, Dorle sah nicht von ihrem Strickzeug auf, und Rosine rechnete, was sie aus den Kirschen lösen würde, um Bärble Zeit zu lassen, das Wasser aus ihren Augen zu wischen.

80 Der Wagnershannikel, Fritzens eigentlicher Kamerad, war in der Tat ungeduldig und sagte, als sie außer Hörweite waren: »Du bist ein alter Hansgackele! Wer dich ein bißle anlacht, dir's Pfötle streicht, der hat dich! Ich glaub', wär' ich nicht dazwischen 'kommen, du hätt'st dich auf dem Bänkle vor'm Zieglershäusle mit dem Bärble versprochen! Ha, ha, ha! Hab' mir fast die Zunge abgebissen, um nicht laut hinauszulachen!«

»Und was wär' dabei zu lachen, wenn ich's getan hätt'? Ich bin mein eigner Herr und hab' mich vor niemand zu verantworten!«

»Freilich, freilich, natürlich bist du dein eigner Herr!« lachte Hannikel. »Aber das Aufsehen – herrjeh! – Die Leut' würden Maul und Augen aufgesperrt haben, hätt's g'heißen: ›Der Fritz hat sich so recht auf Bettelmannsweis' mit dem Veitenbärble versprochen; beim Schustersbernhard, im Zieglershäusle, ist's fertig 'worden!‹ – Du darfst mir's danken! Vor keinem Menschen mehr hättest du dich sehen lassen dürfen!«

»Du schwätz'st wie du's verstehst! Ein braver's und ansehnlicher's Mädle gibt's nicht, wie das Bärble, mit der braucht sich kein Bauer zu schämen. Und allen Leuten zum Trotz tu' ich's, nun grad' heirat' ich keine andere!«

»Ja so, das ist was anders! – 's ist schad', daß ich das gestern nicht gewußt hab', da hätt' ich die Schottendorfer Hofkleine gleich anders berichten können. – 's ist dumm, die wird ihren Part von mir denken, erfährt sie, wie's mit dir steht!«

»Du hast mit der Hofkleinen über mich geredet?« fragte Fritz neugierig.

»Nun ja, sie hat sich ja sogar angelegentlich nach dir 81 erkundigt!« war die verdrießliche Antwort. »Aber was kümmert dich das jetzt? – Und deinem Mühlvetter seine Augen möcht' ich auch sehen, wüßte er, was die Grüße an seine Große zu bedeuten haben, die du ihm aufgetragen hast, – 's ist zum Lachen!«

»Die Hofkleine hat nach mir gefragt? – Himmelschwenselens auch, nein! Was ist zu machen?« knurrte Fritz und fuhr sich in die Haare. »Solche Mädle, wenn man haben kann, 's wär' Sünd, wollt' man sie aus der Hand lassen! – Donnerwetter, die Hofkleine, das ist ja die Reichste landauf und landab! – – Hm, hm! – Aber das Bärble, das Bärble, – 's ist nicht recht, sie so an der Nas' 'rumzuführen!«

»O du Narr,« lachte Hannikel, »was ist weiter dabei? Man macht sich seinen Spaß mit ihnen, damit Punktum! Ich hab' auch so ein Gehäng' mit der Eckenlisbeth, sie ist völlig in mich vernarrt, meint auch, sie hätt' mich bei vier Zipfeln, – aber oha! Ich denk' nicht dran, daß ich sie heirat'! Was? – Soll ich mir alle Aussichten auf Glück und Reichtum und ein bequemes Leben solch dummem Mädle wegen auf einmal abschneiden? Das wär' das Wahre! – Nä, – der Mensch ist auf der Welt, daß er sich's gut macht, und dazu gehört Reichtum; – den aber erst erarbeiten, das wär' ein langweiliger Kram! – Mach', was du willst, Fritz, ich bleib' dabei: man muß dem Glück ein Türle offen halten, und danach tu' ich!«

»Ist meine Meinung ganz und gar, – aber – aber – dann sollten wir auch anderen Mädeln nichts weismachen?«

»Ein Narr, wer's tut! Sag' ich zu meiner Lisbeth: ich hab' dich gern, so ist das die Wahrheit; bezieht sie das aufs Heiraten, ist's ihre Sache, betrügt sie sich!«

82 »Ja, so läßt sich aber das Bärble nicht abweisen, die will in allen Dingen gewissen Grund!«

»So laß sie laufen!«

»Das wär' freilich das best', – aber ich kann noch nicht!«

»Bist ein Narr! – So sieh', wie du mit ihr zurecht kommst! Die Welt fällt nicht gleich auseinander, geht man einmal so ein bißle um die Wahrheit 'rum! Nur um Gottes willen laß dich nicht fangen, halt' dir die Hände frei, denk' dran, was für dich auf dem Spiel steht!« 83

 


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