Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21.

Am folgenden Montagmorgen stand Piddl zum erstenmal in der großen Maschinenhalle der Werft. Soeben hatten die Dampfsirenen mit schrillem Pfeifen den Beginn der Arbeit angezeigt, als das geheimnisvolle Spiel der Maschinen wie mit einem Zauberschlage in allen Abteilungen des großen Betriebes rings um ihn lebendig zu werden schien. Die Kräne zum Transport der Eisenmassen, die unter den Decken der Hallen auf Schienen lagen, fingen an, sich in Bewegung zu setzen, die Räder und Treibriemen begannen allenthalben zu laufen, und schon nach wenigen Minuten waren alle Räume erfüllt von dem tausendstimmigen Lärm der Arbeit. Eisenplatten wurden mit Hammer und Spitzmeißel zum Bohren vorgezeichnet und unter die Köpfe der Lochmaschinen gebracht, die mit ihren stählernen Zähnen zolllange Eisenstücke aus den dicken Platten stießen. Die unzähligen Essen der Schmiede wurden in Glut versetzt, und das Gedröhn der wiedererwachten Arbeit scholl in betäubenden Wellen zum Dache der Halle hinauf, wurde zurückgeworfen, verstärkte sich durch sein eigenes Echo und ging in ein unentwirrbares Durcheinander von Tönen über, das sich zu einer machtvollen Harmonie vereinte, die das Ohr betäubte und die Luft mit Brausen erfüllte. Das knatternde Geräusch der pneumatischen Hämmer, das Kratzen und Kreischen der Feilen, das dumpfe Klopfen und Stoßen der Dampfhämmer, das den Boden erzittern ließ, als seien alle Mächte der Erde lebendig geworden und tobten voll Wut gegen ihre Fesseln, das Rasseln der Ketten, das pfeifende Surren der Antriebsmaschinen, deren große Schwungräder durch die Schnelligkeit der Bewegung wie feststehende, glänzende Scheiben erschienen, das schwirrende, schlurfende Geräusch der Transmissionen, das Knirschen der Eisenhobel, das unzählige Pinkpank – pinkpank der Handhämmer in der Schmiede – alles das vereinte sich zu einem mächtigen Akkord der Arbeit, der ungebrochen, stark und voll die weiten Hallen erfüllte.

Piddl stand da, schier verzagt unter dem überwältigenden Eindruck dieser neuen Welt, der er heute zum ersten Male gegenübertrat. Niemand schien sich um ihn kümmern zu wollen, niemand Rücksicht auf ihn zu nehmen oder ihm Beachtung zu schenken, als hätte dies Riesengetriebe nirgends Platz für ihn, böte nirgends mehr Raum in dem wohlgeordneten Spiel seiner tausendfältigen Kräfte.

Plötzlich wurde er angeredet. Ein Werkführer winkte ihm und fragte ihn nach seinem Namen und seiner Arbeitsnummer.

Piddl hatte Mühe, sich in dem rasselnden Lärm verständlich zu machen.

»Komm mit!« rief ihm der dann ins Ohr und führte ihn zur Halle hinaus. Draußen glitzerte der breite Wasserspiegel des Flusses, auf dem die im Bau befindlichen Schiffe nahe dem Ufer in gerader Reihe lagen. Haushoch hoben sich ihre eisernen Wände aus dem Wasser empor, und allenthalben vernahm man das rasselnde Pochen der pneumatischen Hämmer, mit denen die eisernen Planken der noch auf den Helgen liegenden Schiffe genietet wurden.

An einer Esse, oben auf dem Deck eines halbfertigen Dampfers, erhielt Piddl seinen Platz und seinen Meister, einen gutmütig dreinschauenden Graukopf, der ihn mit einem festen Handschlag begrüßte und ihm die ersten Anweisungen gab. Er schloß ihm die Esse an die Luftdruckleitung an, daß der fauchende Luftstrom die Kohlen in helle Glut versetzte, und zeigte ihm, wie die Nieten im Feuer geglüht, mit der Zange gefaßt und weitergegeben wurden.

Piddl glühte vor Interesse und Arbeitseifer.

Ein Gefühl unendlicher Befreiung erfüllte ihn. Der Strom der Arbeit, der rings um ihn in vollen Wellen brandete, hatte ihn mit aller Macht ergriffen. Er fühlte sich frei und auf sich selbst gestellt, seiner Zukunft überantwortet und doch hineingestellt in eine große Gemeinschaft, in der er nur ein winziges Glied bedeutete, aber doch einen Teil des Ganzen. Seine Arbeit half mit an dem Leibe dieses Schiffes, das über die Meere hinfahren würde, durch Stürme und Wellen, Tropenhitze und Winterkälte.

Von dem hohen Rande des Schiffsbords aus übersah er den Fluß, der unter den Morgennebeln lag, die ihn bedeckten: er sah die Dampfer vorüberfahren, die zum Hafen und in die Weite drängten und das Wasser bewegten, daß es mit hellem Rauschen am sandigen Ufer entlang lief, als müßten die Wellen den scheidenden Schiffen das Geleit geben, sah die weißen Wolken über sich wie große, weiße Fahnen am Himmel stehen und fühlte einen solchen Strom von fröhlichem Mut und Hoffnungsfreude durch sich hindurchströmen, daß ihm die Hände leise zitterten.

›Tacktacktack …‹ begann da der pneumatische Hammer seines Meisters neben ihm zu rasseln. Die erste der Nieten, die Piddl auf seiner Esse gewärmt hatte, saß fest im Leibe des Schiffes.

Oh, diese erste Freude an der Arbeit, an der neuen Lebensstufe, die er erklommen hatte!

All seine Pulse klopften, und mit leuchtenden Augen stand er da, die Mütze in den Nacken geschoben, und sah in die Glut der Esse, deren Feuer blendend hell unter der schwarzen Kruste der aufgeschütteten Kohlen hervorleuchtete.

Einer der Aufseher kam und schritt auf Piddl zu.

»Sie müssen heute abend nach Feierabend ins Kontor kommen. Sie erhalten dann Ihr Lohn- und Arbeitsbuch.« Damit ging er weiter.

Und am Sonnabend würde er zum erstenmal seinen Lohn ausgezahlt bekommen! Hatte er früher bei Meyerdierks mit seinem Brotkorbe eine Mark die Woche verdient, so verdiente er jetzt das gleiche an einem Tage!

Er konnte sich vor Freude wirklich kaum mehr halten. Am liebsten hätte er in das rasselnde Pochen der Hämmer rings um ihn, das jetzt auf dem ganzen Schiffe mit ohrenbetäubender Gewalt eingesetzt hatte, einmal mit siegreicher Freude hinausgeschrien, so laut er nur konnte.

Da trat der Meister neben ihn, schob eine eiserne Lasche in das Feuer, bis sie weißglühend geworden war, legte sie dann auf einen Amboß und ließ sie von einem der Gesellen mit dem Hammer bearbeiten.

Gespannt sah Piddl zu.

»Haste mal Lust?« rief ihm der Meister zu. »Dann zeig mal, ob du Kraft hast.«

Piddl griff nach dem Hammer, der schwer und wuchtig in seinen Händen lag, hob ihn und ließ ihn im Schwung auf das Eisen fallen.

Hell und freudig klangen seine ersten Hammerschläge über das Deck des Schiffes, und jeder Schlag schien zu rufen: ›Ich und das Leben! Ich und die Zukunft!‹

 


 << zurück