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1.

Piddl Hundertmark hieß er. Gewiß, sein Vorname paßte akkurat. Aber die hundert Mark in seinem Namen waren der reinste Hohn. Es wäre ihm nicht ein roter Heller aus den Taschen gefallen, wenn man ihn auf den Kopf gestellt und ausgeschüttelt hätte wie ein leeres Portemonnaie. Dabei sah er aus, als wenn ihn der liebe Herrgott in einer langweiligen Stunde aus einem alten Stück Holz geschnitzt hätte, um auch einmal ein Vergnügen und etwas zum Lachen zu haben. Der dicke Kopf mit den kleinen Augen und den großen Ohren, den borstigen Haaren und den abgezehrten Backen war das Auffälligste an ihm. Dabei steckten die kleinen Beine in ganz unmöglichen Hosen. Man wußte nie, was man mehr anstaunen sollte. Piddl oder seine Hosen. Sie waren tütenförmig und oben von einer so unnatürlichen Weite, daß man stets fürchtete, der kleine Knirps werde rettungslos in dem gewaltigen Hosenboden versinken. Seine Mutter hatte sie abends nach der Arbeit beim Schein der trüben, kleinen Petroleumlampe zusammengenäht, und es war wirklich mehr guter Wille als Geschicklichkeit an ihnen zu erkennen. Aber Piddl war stolz auf seine Hosen, und er tat nichts lieber, als die Hände in die Taschen zu vergraben und mit unbewegter Gelassenheit und dem unerschütterlichen Phlegma, das ihm eigen war, den Spielen der >Kinder auf der Straße zuzusehen. Kein Spottwort rührte ihn so leicht, und nur, wenn es gar zu arg wurde, drehte er sich um und ging ohne ein Wort, mit langsamen, abgemessenen Schritten ins Haus. Und wenn er dann wohl auch heimlich die Zähne zusammenbiß und sich die kleinen Augen mit großen Tränen füllten, so sah ihn doch niemand jemals weinen, sooft ihn auch die Kameraden zuweilen an den Haaren zupften oder mit dem Ellbogen in die Seite stießen. Er ging dann in den dunklen, kahlen Kellerflur, der so öde und schmutzig dalag und an dem das Zimmer seiner Mutter lag. An solchen Tagen kam er meistens erst des Abends wieder zum Vorschein, wenn die Gasse still geworden war. Dann schlich er an den Häusern entlang bis zur nächsten Straßenecke und stand unbeweglich unter der Gaslaterne, die dort brannte, und wartete auf seine Mutter, die tagsüber bei feinen Leuten die Wäsche besorgte und zuweilen erst spät des Abends heimkehrte. Er stand dann da, unbeweglich wie ein kleiner Gnom, der sich in die Stadt verirrt hat und nun mit großen, verwunderten Augen die Häuser und die Vorübergehenden mustert.

Ich erzähle von Piddl, als er neun Jahre war.

Als er einige Jahre älter geworden war, wurde er Auslaufjunge für eine Bäckerei. Des Morgens, in aller Herrgottsfrühe, wenn die Gassen noch nicht daran dachten, wieder aufzuwachen aus ihrem nebligen Schlafe, lief er schon mit seinem Brotkorb unter den Laternen hin und hängte den Kunden die Brotbeutel vor die Tür. Da hieß es sich sputen und hurtig bei der Hand sein, denn die Schule begann auf den Glockenschlag, und Piddl mußte vorher sein Brot besorgt haben, da half alles nichts. Ob Schnee lag oder die Brötchen einige Minuten später fertig geworden waren, danach fragte man nicht. Nur danach fragte man, ob alles richtig besorgt sei.

Er verdiente dabei jede Woche eine Mark und bekam jeden Abend (nach der Schulzeit wurde noch einmal Brot ausgetragen) einen Beutel voll alten, in der Form mißratenen Weißbrotes mit nach Hause, Brötchen mit einer aufgeblasenen Backe, schief gewordene und wunderliche Dinger, über die man lachen mußte, wenn man sie betrachtete. Aber Piddl war nie stolzer, als an dem Sonnabend, an dem er die erste selbstverdiente Mark seiner Mutter heimbrachte.

Es war ein funkelnagelneues Stück.

Bis in den Traum hinein verfolgte es ihn. Es wuchs in seiner Hand, wie er so stand und es betrachtete, und wurde zuletzt so groß wie ein Suppenteller aus blankem Silber. Er saß ganz entzückt davor und starrte in den blendenden Schein, der davon ausging.

Nie in seinem Leben hätte er gedacht, daß ein Geldstück so funkeln könne. Es war wie der Glanz der Sonne. Man mußte sich beinahe die Augen zuhalten, wenn man es ansah.

Er saß davor und starrte es an und wagte sich kaum zu rühren. Die Eins darauf stand so majestätisch in der Mitte, und es war natürlich, daß man von dem Kranze bei all dem Glanz des Stückes gar nichts mehr erkennen konnte.

Dann nahm er es und wollte es in die Tasche schieben und dann die Hand darauf halten, damit er es nicht verlor. Aber es ging schier in die Tasche nicht hinein, und er mußte es unter den Arm nehmen. Damit aber nicht alle Leute es sahen und gar Nachbars Konrad kam und ihm in den Nacken schlug, daß ihm die Funken aus den Augen flogen, wie vorgestern abend, als er müde nach Hause gekommen war, wickelte er es in sein Taschentuch. So konnte niemand sehen, welchen Schatz er bei sich trage.

Und dann überlegte er, was er alles dafür kaufen könne: ein paar Stiefel für seine Mutter, die die Sohlen schon seit Wochen ganz abgetreten hatte und beinahe auf den Strümpfen lief, und eine Abendhaube, und ein großes Umschlagetuch, und ein paar neue Tassen mit goldenem Rand, und eine neue Schiefertafel für sich, weil die alte zerbrochen war und eine neue in der Schule nicht geliefert wurde … O Gott, was für Herrlichkeiten konnte man alles für ein solches Geldstück haben!

Er lief durch die hell erleuchteten Straßen, um schnell nach Hause zu kommen, und fühlte, wie alle ihn ansahen und respektvoll auf die Seite traten und ihm nachschauten, wenn er vorüber war, und ein paarmal hörte er die Vorbeigehenden ganz deutlich flüstern: ›Das ist der Piddl aus der Winkelgasse, er hat eine Mark verdient!‹ Und dann blieben auch die beiden kleinen Mädchen stehen, die eben ins Schaufenster geguckt hatten, und sahen auf das rote Tuch, das er um seinen Schatz geschlungen hatte. Und er ging schneller und schneller, um nach Hause zu kommen und seinen Schatz abzuliefern. Erst sollte seine Mutter sich daran freuen, ehe er etwas davon ausgab.

Und dann bog er in die Winkelgasse ein. Richtig, da stand der Konrad wieder an der Haustür und trat ihm in den Weg, und er zitterte vor Angst.

›Wo hast du das Geld gestohlen?‹ fragte er mit einem bösen Blick und hielt ihn an der Kehle fest.

›Ich hab' es nicht gestohlen, Konrad, gewiß nicht,‹ stammelte er, ›ich hab' es beim Bäcker verdient, wo ich das Brot austrage.‹

›Verdient willst du es haben?‹ rief Konrad und packte ihn noch fester, ›gestohlen hast du's, du Lump!‹ Und damit schlug er ihm an die Backe, daß sie wie Feuer brannte und ihm das blanke Geldstück aus dem Tuch und unter dem Arme wegglitt und über die Straße rollte. Er riß sich los und lief hinterdrein, und es rollte vor ihm her und wurde kleiner und immer kleiner und rollte und rollte ohne Unterlaß, als wenn es Flügel hätte, als wenn der Wind dahinter wäre, wie hinter seiner Mütze, damals als der Sturm war, und endlich war es so klein geworden wie eine gewöhnliche Mark. Aber es rollte immer weiter, und er keuchte hinterdrein, und hinter sich hörte er Konrad lachen und rufen: ›Gestohlen, du Lump! Gestohlen!‹

Da! Plumps! war es durch einen Rost in den Straßenkanal gefallen. Ein eisiger Schreck fuhr durch seine Glieder – und er erwachte.

Er konnte sich gar nicht besinnen, wo er war.

Aber richtig, da lag er ja noch im Bett, und die Mutter war schon aufgestanden und hatte schon die Petroleumlampe angezündet, weil es ja noch früh und finster war … Und seine Mark lag noch an derselben Stelle auf der Fensterbank.

Am Nachmittag wurde er dann mit seiner Mark zum Krämer geschickt, und als er ein Pfund Margarine und eine Flasche Petroleum dafür erstanden hatte, bekam er ganze acht Pfennige wieder heraus. Vier schmutzige Zweipfennigstücke …

Und wie er dann so stand und sie in der Hand hielt, draußen vor der Ladentür, fiel ihm sein Traum aus der vorigen Nacht wieder ein, und er schluckte und schluckte, um die Tränen wegzubringen, die ihm langsam und brennend in die Augen zu steigen begannen. Als er aber wieder die Stube seiner Mutter betrat, konnte man ihm wirklich nicht ansehen, daß er geweint hatte.


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