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12.

Plötzlich, wie ein unvermuteter Windstoß eine Tür aufwirft, durch die wir noch niemals geschritten sind, hatte sich das Geheimnis der Menschwerdung vor Piddl aufgetan und sein Herz bis ins tiefste erschüttert.

Seine Mutter erschien ihm nun wie eine Heilige, die das Geheimnis seines Werdens bewahrte, und zuweilen, wenn er abends spät beim Schein der Petroleumlampe still grübelnd in seiner Ecke saß und sie verstohlen anblickte, die ihn, über eine Näharbeit gebeugt, nicht beachtete, fühlte er sich plötzlich über sich hinausgehoben, von einer stillen Feierlichkeit getragen. Die armselige Stube versank um ihn, und er sah nur das reine Licht, das aus dem Gesicht seiner Mutter strahlte und alle Dinge verklärte.

Mit jemand über das, was er erlebt hatte, zu sprechen, scheute er sich. Auch seiner Mutter sagte er kein Wort von dem, was ihn heimlich bewegte und in allerhand Grübeleien stürzte, trotzdem da noch so vieles war, was dunkel und rätselhaft blieb, und Fragen über Fragen sich in ihm erhoben. Aber das dunkle Gefühl, daß es sich dabei um Dinge handle, über die man nicht sprach, verschloß ihm den Mund.

Ebenso plötzlich, aber noch gewaltiger und folgenschwerer, trat wenige Wochen später ein neues Mysterium vor ihn hin, das mit eisigem Hauche seine Wangen streifte und ihn erschauern ließ unter der Gewalt seiner Größe – das Geheimnis des Todes.

Es war im Juni, in einer jener hellen Nächte, in denen ein Abglanz des Sonnenlichts noch um Mitternacht auf allen Dingen zu liegen scheint. Es wird niemals ganz dunkel in diesen Nächten. Es ist, als könnten die Dinge das strahlende Licht der sonnenheißen Tage nicht so bald vergessen und träumten nun während der windstillen Nächte noch von den Wellen des Lichtes, in denen der Tag sie gebadet.

In einer dieser Nächte verlor Piddl das Einzige, was er auf der Erde besaß – seine Mutter.

Es war ganz plötzlich gekommen. Aber vielleicht schien es nur so, und die Krankheit, die so schnell und mit solch jäher Gewalt zum Ausbruch gekommen war, hatte sich längst im stillen vorbereitet.

Frau Hundertmark war eines Tages schon am frühen Nachmittag von der Arbeit heimgekommen. Das war noch nie geschehen, so lange Piddl denken konnte. Bestürzt hatte er sie angesehen, als sie unvermutet in die Stube getreten war und sich gleich zu Bette gelegt hatte.

»Mutter,« hatte er gefragt, »Mutter, was fehlt dir?« Hatte ihre fieberheiße Hand ergriffen und ihr in die müden Augen gesehen, die einen solch' seltsamen, veränderten Ausdruck angenommen hatten.

Sie hatte ihn gebeten, still und ruhig zu bleiben. Es sei nicht so schlimm, und morgen werde vielleicht alles schon wieder besser sein.

Daß er den Nachmittag nicht zu seiner Ausgehstelle ging, hatte sie nicht leiden wollen und ihn zur gewohnten Zeit fortgeschickt.

Abends war er heimgekommen, und da war die Krankheit schon so weit vorgeschritten gewesen, daß ihn seine Mutter nicht mehr erkannt hatte.

Frau Dinghammer hatte bereits den Kassenarzt benachrichtigt. Der hatte die Kranke aufmerksam und schweigend untersucht und entschieden, daß sie sofort ins Krankenhaus gebracht werden müsse.

Und nun kamen die Ereignisse Schlag auf Schlag.

Der Arzt hatte selbst nach einem Krankenwagen telephoniert, und kaum eine Viertelstunde später rollte schon der Wagen auf seinen Gummirädern geräuschlos in die enge Winkelgasse vor das Haus.

Vorsichtig betteten die Wärter die Kranke auf die Bahre und trugen sie hinaus. Auf der engen Treppe, die von der Wohnung auf die Straße führte, hatte man Schwierigkeiten, hinauszukommen, ohne die Kranke in unbequeme Lagen zu bringen. Aber nach wenigen Minuten war alles erledigt. Die Türe des Wagens wurde leise zugeklappt, das Pferd zog an, und geräuschlos rollte der Wagen wieder zur Gasse hinaus.

Das Ereignis hatte die Aufmerksamkeit der ganzen Nachbarschaft auf sich gezogen. Vor allen Türen standen die Frauen in Gruppen zusammen, um das Ereignis aufgeregt zu besprechen. –

Piddl hatte es nicht vermocht, mit auf die Straße zu treten, als man seine Mutter hinausgetragen hatte. Wie erstarrt hatte er dagestanden, und erst, als das Zimmer leer gewesen und auch die Nachbarin mit der Lampe hinausgegangen war, um den Wärtern über den Flur zu leuchten, brach in dem Dunkel und der Leere, die ihn plötzlich umgaben, der Schmerz aus ihm hervor, wie das Blut aus einer Wunde, die man durch krampfhaften Druck bisher geschlossen gehalten hat.

Wie ein Verhängnis, mit unheimlicher Schnelle, waren die Ereignisse der letzten Minuten über ihn hereingebrochen. Keiner hatte sich währenddes viel um ihn gekümmert. Die Sorge um die Kranke hatte alle in Anspruch genommen, und er hatte dagestanden, wie an die Seite geschoben, stumm und versteint, und hatte kaum zu atmen gewagt.

Nun aber brach er in ein Weinen aus, das seinen ganzen Körper erzittern ließ.

»Mutter! Mutter!« schrie er in die Dunkelheit der Stube hinein, und die ganze Verzweiflung seines kindlichen Herzens lag in dem Rufe.

»Aber, Piddl!« hörte er da eine Stimme sagen. Es war Frau Dinghammer, die die Lampe zurückbrachte und nun neben ihm stand und ihm über den Scheitel strich. »Aber, Piddl! Wat is denn bloß? Mutter is krank. Ja, dat is wahr. Aber se soll doch wieder besser wer'n im Krankenhaus! Sollst mal sehn, morgend abend geht's ihr schon besser, un wenn 'n paar Tage vorbei sind, kannste schon rübergehn und se besuchen un – tscha, dann is se schon wieder so, daß se dich kennt, und vielleicht kann se dann auch schon wieder 'n bißken lachen.«

»Glauben Sie nicht, daß Mutter –?«

»I, wo wird se denn? Dat darf se einfach nich. Se wird doch ihren Piddl nich allein lassen woll'n. Dat glaub nur nich.«

»Dann hätte sie doch nicht ins Krankenhaus brauchen,« beharrte Piddl. »Der Doktor hat doch gleich gesagt, daß sie weg muß ins Krankenhaus!«

»Ja,« sagte Frau Dinghammer, »dat is nu so. Et gibt Krankheiten, die sind so, und welche, die sind so. Wat nu diese Krankheit is, das is eine, weißte, wo's am besten is, wenn Mutter im Krankenhaus is. Da sind de barmherzigen Schwestern, nich? Die verstehn et 'n kranken Menschen wieder gesund zu kriegen. Et stirbt doch nich gleich jeder, der in 'n Krankenhaus kommt? Dat is ja, dummet Zeug is dat ja! So, – nu mal de Tränen weg, un dann kannste mit rübergehn, zu uns. De nächsten Tage bleibste bei uns!«

Aber das wollte Piddl nicht.

»Du mußt doch 'n Stück Butterbrot essen, Junge!« redete ihm die Schustersfrau zu.

Aber er wollte nicht, und alle gutgemeinten Vorschläge, ihn aus dem Hause zu bringen, scheiterten an seinem Starrsinn. Zuletzt gab es Frau Dinghammer auf und ließ ihn allein.

Er riegelte hinter ihr die Stubentüre zu, löschte die Lampe und setzte sich in seine Ecke. Zu Bett gehen wollte er nicht. Auf keinen Fall. Nachher, wenn alles still geworden war in der Gasse, wollte er noch einmal nach dem Krankenhaus laufen. Vielleicht, daß er noch etwas hörte, wie es seiner Mutter ging. Hineingehen würde er ja so spät am Abend nicht mehr können, aber vielleicht wußte der Portier etwas, der die Nachtwache hatte. Aber es sollte erst stille werden draußen auf der Straße, damit ihn keiner fortgehen sah. Aber das konnte noch 'ne Weile dauern. In der warmen Sommernacht gingen die Leute nicht so früh zu Bett.

Er saß ganz mucksstill im Dunkel und grübelte.

Der kleine Wecker in seinem vernickelten Gehäuse tickte gleichmütig auf der Kommode, die neben dem Kopfende des Bettes stand, das noch warm war von dem fieberheißen Körper, der darin gelegen hatte.

Im Dunkel sah er das Gesicht seiner Mutter wieder vor sich, wie sie ohne Besinnung dagelegen hatte und hinausgetragen worden war, ohne einen Gruß für ihn, ohne einen Wink ihrer Hand, ohne ein Lächeln oder einen Blick für ihn.

Wenn sie nur wieder besser wurde, war ja alles nicht schlimm. Daß für ihn eine Zeit der Entbehrungen kommen könnte, fiel ihm gar nicht einmal ein. Er war das Alleinsein gewohnt, und darüber, wie er sich in der nächsten Zeit durchschlagen werde, machte er sich keine Gedanken. Seine einzige Sorge galt der Mutter, die vielleicht gerade jetzt in einen der großen Säle im Krankenhause hinaufgetragen und in eins der Feldbetten gelegt wurde, die dort standen. Er hatte vor Jahren einmal eine Besorgung dorthin gehabt und einen scheuen Blick in einen der Säle werfen können, dessen Türe gerade offen gestanden hatte.

Im Zimmer lag das Halbdunkel der Sommernacht. Die Gaslaterne auf der anderen Seite der Straße schien mit hellem Schein durch das niedrige Fenster und zeichnete den Rahmen auf dem Fußboden ab.

Plötzlich wurde es dunkler im Zimmer. Scharf zeichnete sich vom Fenster her der Schatten einer Gestalt auf dem Fußboden ab. Piddl blickte auf und erkannte Klara Dinghammer, die die Stirne an eine Scheibe preßte und sich bemühte, ins Zimmer zu spähen.

Leise klopfte sie mit dem Fingerknöchel an die Scheibe. »Piddl,« rief sie halblaut, »bist du drinnen?«

Piddl antwortete nicht.

Er fühlte, daß sie gekommen war, ihn zu trösten, und ihre Teilnahme weckte seinen Kummer von neuem. Er wollte sich nicht verraten und saß still, ohne eine Antwort zu geben.

Da huschte sie vom Fenster weg, die Kellertreppe herab, tappte über den dunkeln Flur und drückte die Klinke zur Stubentür nieder.

Drinnen rührte sich nichts.

»Piddl,« rief sie, »bist du drinnen?«

Keine Antwort.

»Bist du schon zu Bett gegangen?«

»Nein,« antwortete Piddl, der mit den Tränen kämpfend in seinem Stuhle saß. »Was willst du?«

»Schließ doch mal auf,« rief sie bittend.

»Warum?« fragte er zurück, mühselig schluckend, um das Zittern seiner Stimme nicht merken zu lassen.

»Ich muß dir was sagen!«

Piddl öffnete, und Klara trat ein.

»Was willst du mir sagen?« fragte er.

»Ach, Piddl,« flüsterte sie, »ich will dir nur sagen, daß – daß –« aber ihr gingen die Worte aus, und sie begann zu weinen, laut und jammernd, als habe man sie geschlagen.

»Sei doch still!« sagte Piddl ärgerlich und doch selbst kaum imstande, die Tränen zurückzuhalten.

»Meinst du, daß es schlimm ist?« flüsterte Klara.

»Ich weiß es nicht.«

Dann standen sie beide im Dunkel, ohne ein Wort zu sprechen.

»Du solltest zu uns rüber kommen,« begann Klara wieder.

»Nein,« sagte Piddl, »laß mich hier. Es ist mir lieber, und ich mag's auch nicht. Dein Vater –«

»Der Vater – ja,« sagte Klara leise. »Aber er wird nicht böse sein, wenn ich's ihm sage!«

Aber Piddl wollte nichts davon wissen.

»Laß das,« sagte er, »ich tu's doch nicht.«

Bedrückt schwieg Klara eine Weile.

»Weine bloß nicht mehr, hörst du? Ich kann nicht schlafen, wenn du hier allein bist und weinst.«

»Ich weine ja gar nicht,« antwortete Piddl und wischte sich die Augen.

»Gewiß nicht?«

»Nein! Das siehst du doch!«

»Gute Nacht!« flüsterte sie.

»Gute Nacht, Klara!«

Sie huschte hinaus, und Piddl blieb wieder allein.

Nach einer Stunde, als es still geworden war in der Gasse, stieg er vorsichtig durch das Fenster auf die Gasse hinaus, drückte es hinter sich leise wieder in den Rahmen und lief die Straße hinunter, immer in Sorge, daß ihn jemand von den Nachbarn gewahr würde und anriefe.

Aber nach wenigen Sekunden war er bereits in die erste Nebengasse eingebogen, und nun trabte er ohne Sorge weiter.

Als er zum Krankenhause kam, war dort alles still und dunkel. Hinter den Bäumen des großen Gartens, der das Haus von allen Seiten dunkel und weich umschloß, lag nun hinter irgendeinem der dunkeln Fenster seine Mutter.

Herzklopfend stand Piddl still und musterte das Torwächterhäuschen neben der großen Einfahrt, in dem noch Licht war.

An einer der Säulen, zwischen denen hohe, eiserne Türen in ihren Angeln hingen, befand sich ein elektrischer Druckknopf.

Sollte er den Wächter herausklingeln?

Unruhig ging er hin und her und spähte und lauschte.

Alles blieb still. Leise ging der schwüle Wind durch die Büsche hinter dem eisernen Staket, das den ganzen Garten umschloß, und dessen hohe Eisenstangen wie Lanzen in die Höhe starrten.

Von einer Stelle der Straße aus konnte er sehen, daß das Portal des Krankenhauses noch erhellt war. Es war also doch jemand dort wach und konnte ihm vielleicht Auskunft geben.

Vielleicht würde ihn der Wächter gar nicht einlassen, wenn er klingelte. Er würde ihn gewiß auf die Besuchszeit verweisen, die zweimal in der Woche war.

Aber versuchen wollte er es. Vielleicht, daß der Wächter selbst etwas wußte.

Herzklopfend drückte er auf den elektrischen Knopf und hörte deutlich, wie im Hause des Torwärters die Glocke trillerte.

Nach wenigen Augenblicken erschien ein Mann mit einer Uniformmütze. »Was ist los?« fragte er verwundert, als er den Knaben vor dem Staket stehen sah. »Hast du eben geläutet?«

»Ja,« antwortete Piddl. »Ich wollte – ich wollte bloß mal fragen, wie es meiner Mutter geht. Sie ist vorhin – um neun – hierhergebracht worden.«

»Aber Junge!« sagte der Wärter, »wie kann ich das wissen? Da mußt du schon morgen früh wiederkommen, wenn die Anstalt geöffnet ist! Jetzt geht das nicht. Es ist ja nach elf Uhr. Morgen früh um acht schließe ich das Tor auf, dann kannst du frei durchgehen und drüben im Hause bei den Schwestern nachfragen, verstehst du?«

Ach ja, er verstand es ganz gut. Nur wurde er jetzt um nichts klüger dadurch, und die Nacht war noch lang. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und stotterte: »Könnten Sie nicht einmal für mich nachfragen?«

»Nee, ist nicht zu machen,« erwiderte der Wärter, zuckte mit den Schultern und ging in sein Häuschen zurück.

Aufseufzend wendete sich Piddl um und entfernte sich mit zögernden Schritten. Er setzte sich in der Nähe in den Anlagen, die dem Krankenhause gegenüberlagen, auf eine Bank.

Es war nichts, das ihn hätte nach Hause treiben können. Die Nacht war warm und still, und die letzten Syringen drüben hinter den eisernen Stangen des Krankenhausgartens dufteten durchdringend und voll. Noch stärker aber war der Duft der Holunderbüsche, die ihre Blütenschirme wie ausgebreitete Hände in die Luft streckten.

Leise begann der Nachtwind seine Melodie in den hohen Kronen der Bäume. Über dem Dache des Krankenhauses stand der Mond wie eine große, ruhige Lampe, mild und still, als hätte er den Schmerz der Kranken, die dort drüben in den hohen, stillen Sälen lagen, gesehen und müsse nun einen Blick voll Ruhe und Zuversicht zu ihnen hineinsenden.

Piddl sah den Blick des Mondes auf sich gerichtet und schaute hinein voll klopfender Unruhe.

Aber immer ruhiger wurde es in ihm und um ihn. Mählich begannen die Dinge vor seinen Augen zu verschwimmen, und langsam schlossen sich seine Lider.

Im Traum sah er sich zu Hause am Tische sitzen. Seine Mutter saß ihm gegenüber und hielt ihre Augen mit einem Tuche bedeckt.

»Mutter, was ist dir?« fragte er.

Aber sie antwortete ihm nicht, sondern schüttelte nur stumm und traurig den Kopf.

Schmeichelnd lehnte er sich an sie, faßte nach ihren Händen und zog ihr endlich das Tuch von den Augen fort.

Da sah er, daß sie keine Augen mehr besaß. Wo sie gesessen hatten, lagen zwei große blutige Höhlen, daß ihm das Herz im Leibe gefror und er mit einem Schrei das Tuch losließ.

Da bat sie ihn, das Tuch mit frischem Wasser zu netzen, um die Wunden zu kühlen. Und er lief hinaus, holte Wasser in einer Schüssel und kühlte das heiße, blutige Tuch, wenn sie es von den Augen nahm.

Die Zähne klapperten ihm vor Entsetzen im Munde, die Kniee zitterten ihm, und er fühlte, wie seine Hände kalt waren wie Eis.

»Mutter, liebe Mutter!« rief er und konnte doch nichts anderes tun, als das Tuch mit Wasser netzen und dem Stöhnen lauschen, das von Zeit zu Zeit leise aus ihrem Munde kam.

Als er aus seinem Traume erwachte, waren ihm die Glieder wie gelähmt. Es fröstelte ihn, und er konnte sich nicht besinnen, wo er war.

Die Sonne war bereits aufgegangen, und in den Bäumen über ihm pfiff eine Drossel laut durch die Morgenstille. Verwirrt sprang er auf und sah nach der Uhr, die im Giebel des Krankenhauses saß.

Es war bereits ein Viertel nach vier Uhr.

Um fünf trat er bei Meyerdierks an. Wenn er jetzt fortging, kam er also gerade recht. Um acht würde er wieder zur Stelle sein. Die Schule würde er heute wohl versäumen müssen!

Die Glieder schlotterten ihm vor Kälte in der frischen Morgenluft, und er begann zu laufen, um wieder warm zu werden.

Bei Meyerdierks war die Ladentüre schon geöffnet, als er hinkam.

»Du kommst ja heute mächtig früh,« sagte der Meister, der die erste Platte frischer Brötchen in den Laden getragen hatte und nun mit aufgekrempten Ärmeln in der Haustüre stand, um einen Augenblick die frische Morgenluft zu genießen.

Piddl ging schweigend hinter ihm drein über den Flur in die Bäckerei, wo der Geselle am Backofen stand und mit der Schaufel die Platten aus dem heißen Ofen holte.

Es dauerte noch eine Weile, bis sein Korb gepackt war, und er konnte in Ruhe einen Schluck Kaffee trinken und ein paar der frischen Brötchen essen, die noch warm waren von der Ofenhitze.

»Junge, was hast du für 'ne Käsefarbe?« sagte der Meister und blickte ihm ins Gesicht. »Fehlt dir was?«

Piddl verneinte und freute sich, als er mit seinem Korbe abziehen konnte und so vor weiteren Fragen sicher war.


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