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10.

Piddl hatte bisher immer gedacht, beim Meister Meyerdierks am Stintgraben in die Lehre gehen zu wollen, wenn er einmal die Schule verlassen haben würde. Es war ja eine großartige Aussicht, später so viele Mohrenköpfe und Feststullen essen zu können, wie er wollte. – Aber mit der Zeit sah er ein, daß es Dinge gab, die über einen Bäckerladen hinausgingen.

Sein Weg führte ihn seit einiger Zeit täglich an einem der großen Hotels vorbei, die in der Nähe des Bahnhofs lagen. Das ganze Kellergeschoß des riesigen, vielfenstrigen Gebäudes nahm die Küche ein, von deren niedrigen Klappfenstern gewöhnlich einige offen standen, die dann nur durch ein engmaschiges Drahtgewebe verwahrt waren und jedem Vorübergehenden einen Einblick gestatteten. Piddl konnte täglich einige Minuten lang ungestört in dieses unterirdische Reich hinunterschauen, das ihm wie ein Schlaraffenland erschien und dessen zauberisch lockende Düfte die ganze Straße füllten. So herrlich roch es nirgends, wie hier. Piddl wußte selbst nicht, wonach es eigentlich roch – aber daß es etwas ganz Wunderbares und Herrliches sein mußte, was da unten in den großen Töpfen auf dem Herde brodelte, in Pfannen briet und in Backöfen schmorte, war gewiß. Wie eine Zauberwelt voll unerhörter Genüsse wirkten die Gelasse dieses Kellergeschosses auf ihn. Er sah die Köche mit geröteten Gesichtern, in blitzweiße Anzüge und Schürzen gekleidet, hinter den großen Herden stehen und mit den Löffeln in geheimnisvollen Kochtöpfen rühren. Er sah sie Hasen spicken, Gänse braten, Torten mit Zuckerguß schmücken Und leckere Schüsseln mit grünen Kräutern auszieren. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, und er verließ seinen Platz nicht eher, als bis einer der Köche, ärgerlich über den ungebetenen Gaffer, der nicht wankte und wich, ein paar Eierschalen gegen das Drahtgitter des Fensters schleuderte oder aus einer Kuchenspritze heimtückisch einen Wasserstrahl auf ihn richtete.

Koch werden zu können muß herrlich sein! Die wunderbarsten Gerichte zubereiten zu können, von deren Geruch allein man schon selig wurde, und dabei noch von allen probieren zu dürfen, das war ein ganz herrlicher, ein wunderbarer Beruf. Wie konnte es angehen, daß, nicht alle Menschen Köche werden wollten? Warum war der Anstreicher, der dort seinen Handwagen mit der langen Leiter darauf vor sich herschob, nicht lieber Koch geworden? Wo blieb da der Bäcker Meyerdierks mit seinen simpeln Brötchen und Zuckerstangen? Die Backstube mit ihrem Geruch von frischem Brot, Hefe und Kuchenteig versank doch völlig gegen diese Zauberfülle von Düften und kostbaren Speisen!

Freilich, es dauerte gewiß viele Jahre, bis man ausgelernt hatte, und man wurde gewiß nicht gleich Koch oder Oberkoch, wie der Dicke, der da unten in der Hotelküche kommandierte und den Kostlöffel schwang! Erst wurde man Küchenjunge und mußte Schüsseln waschen, Hühner rupfen, Hasen abziehen und Fische entgräten. Immerhin, den köstlichen Geruch hatte man gleich vom ersten Tage an, und nichts konnte einem entgehen von dem Anblick all der Herrlichkeiten, die auf den silbernen Platten in die Gemächer da oben hinaufgetragen wurden, die so vornehm, ruhig und geheimnisvoll hinter ihren zartgeblümten Fenstervorhängen lagen.

»Nee,« sagte Fritz Röhnholz, als Piddl ihn eines Tages vor das Küchenfenster geführt hatte, damit auch er einen Blick hinabwerfe in dieses unterirdische Zauberreich, »nee, da werd' ich lieber Kellner! Das ist was! sag' ich dir! Da brauchst du dich nicht schmutzig zu machen, kannst alle Tage in Frack und Lackstiefeln gehen und bekommst die schönen Speisen doch zu riechen, wenn du sie 'neinträgst in die Zimmer da oben, wo die vornehmen Reisenden essen. Und Trinkgelder kriegste, daß dir ganz schwindlig wird, sag' ich dir. Und wenn nicht gegessen wird, hast du rein nichts zu tun …«

Aber Piddl ließ sich nicht irre machen. Koch zu sein, war ohne Frage schöner. Der Koch stellte die Speisen doch her und richtete sie an. Der Kellner war ja nur ein armseliger Bedienter, aber der Koch war ein Künstler, einer, ohne den es nicht ging, ohne den das feinste Hotel leer stand, und also die Seele des ganzen Betriebs.

Was die Speisen wohl kosten mochten, die da unten schmorten?

Fritz nannte fabelhafte Summen. Gott, mußten das reiche Leute sein, die so etwas essen konnten!

Piddl wollte Koch werden, das war gewiß und sicher. –

Eines Abends teilte er Klara seinen Entschluß mit, gespannt, was sie sagen würde.

»Koch willst du werden?« fragte sie ungläubig und brach in ein Gelächter aus.

»Warum lachst du denn darüber?« fragte er verletzt.

»Kochen tun doch die Frauen,« fuhr Klara lachend fort. »Das ist ja zu komisch. Wie kann ein Junge kochen lernen wollen!«

»Geh' doch mal zum Hotel ›Stadt London‹ und guck durch eins der Küchenfenster in die Küche hinein, ja?« fuhr es verletzt aus ihm heraus, »da kannst du die Köche sehen, zehn, zwanzig auf einmal! Und so einer will ich werden!«

»Sei doch nicht böse,« sagte sie und lief ihm nach.

»Du brauchst nicht zu lachen, wenn ich was sage!« murrte er. »Du meinst, was du noch nicht gesehen hast, gibt es nicht. Aber Frauen kann man in den feinen Hotelküchen nicht zum Kochen brauchen. Die feinen Speisen, weißt du, dazu müssen Köche sein.«

»Nee,« entgegnete Klara nun ganz ernsthaft, »weißt du, ich hätte doch keine Lust dazu. Wenn ich groß bin, hat mein Vater gesagt, soll ich Putz machen lernen. Ich hab' 'ne leichte Hand, sagt Vater, und die muß man haben, wenn man die feinen Blumen und Federn auf die Hüte setzt. In ein ganz großes Geschäft komme ich. Da stehn große Kästen mit Straußfedern und künstlichen Blumen. Man kann nur immer aussuchen. Und dann kommen die feinen Damen und stellen sich vor den Spiegel und probieren die Hüte auf, einen nach dem andern.«

»Na ja,« sagte Piddl, halb versöhnt, »das mag ja auch ganz schön sein und für dich wohl passen.«

Er nickte ihr gnädig zu und ging heim, ganz mit seinen Gedanken an die Zukunft beschäftigt, die ihn erwartete, wenn er erst im Hotel ›Stadt London‹ hinter dem Herde stand, in blitzweißes Leinen gekleidet und mit einer weißen Mütze auf dem Kopfe.

»Mutter,« sagte er, als er ins Zimmer trat, das die Dämmerung schon mit tiefen Schatten füllte, »ich will Koch werden.«

»So? Wie haste dir denn das gedacht?« fragte Frau Hundertmark, in ihre Sorgen versunken, ohne von dem Strumpfe aufzublicken, den sie bei dem schwindenden Tageslicht noch zu stopfen sich mühte.

»Ich werde erst Küchenjunge und dann Koch.«

»Das ist ja ganz einfach.«

»Nicht wahr?« fragte er glücklich. »Und dann bekommst du alle Tage Hasenbraten und Kompott und Rehbraten und was du willst …«

»Wird aber 'n Leben werden, Piddl!«

»Das sag' ich dir, Mutter!« lachte er und rieb sich die Hände vor Vergnügen und erwartungsvoller Freude. »Ich werd' doch nicht mein Leben lang für eine Mark die Woche bei Meyerdierks Brot austragen! Und Bäcker zu werden, ist auch nichts Rechtes. Da kann man die ganze Nacht in der Backstube stehen und kriegt keinen Schlaf. Otto ist des Morgens immer so müde, wenn ich hinkomme. Zum Umfallen, sagt er.«

»Wer ist denn Otto?« fragte Frau Hundertmark, weniger aus Neugierde, als um etwas darauf zu sagen.

»Das ist doch der neue Gesell,« entgegnete Piddl. »Ich habe dir doch schon von ihm erzählt? Weißt du, er hat mich neulich gefragt, ob ich bei ihm in die Lehre will, wenn er Meister ist. Er will nämlich selbst 'n Geschäft anfangen, und die Marie wird seine Frau.«

»Woher weißte denn das?«

»Das sagt er doch. Und ich hab's ihm beinahe zugesagt, aber morgen sag' ich ihm, daß ich nicht will, daß ich Koch werden will. Er weiß dann gleich Bescheid und rechnet nicht auf mich. Übrigens versteh ich schon was von der Bäckerei. Neulich morgens hab' ich die Brötchen backen helfen, als es noch zu früh zum Tragen war. Bäcker könnt' ich dreimal werden. Wär' 'ne Kleinigkeit. Aber Koch ist schwerer. Koch wird man nicht so leicht, und schöner ist es, das ist keine Frage. Fritz Röhnholz sagt, Kellner ist schöner. Aber ich danke. Nee, ich werd' lieber Koch. Sag' mal, was ist Vater eigentlich gewesen?«

»Vater?« fragt Frau Hundertmark und schrickt aus ihren Sorgen auf. »Wie kommste darauf?«

»Na, er muß doch was gewesen sein!«

»Darüber reden wir später mal, Piddl.«

»Sag' mir's doch, Mutter. Immer sagste, wenn ich von Vater anfange, später mal …«

»Ja, siehste, Piddl, ich weiß selbst nicht, was er eigentlich war … Er war wohl so reich, daß er nicht zu arbeiten brauchte …«

Piddl war starr vor Verwunderung.

»Vater war reich? So reich wie die Leute an der Regentenstraße und wie die, die im Hotel ›Stadt London‹ wohnen?«

»Ja, so einer war er,« sagte Frau Hundertmark und beugte sich tiefer über den Strumpf, den sie trotz der Dämmerung zu stopfen versuchte. »Gerade im Hotel ›Stadt London‹ hat er gewohnt, als er hier war.«

»Warum hat er uns denn kein Geld hiergelassen, als er abreiste, wie du mir mal erzählt hast?«

»Er hat's wohl vergessen.«

»Und er kommt nicht wieder?«

»Ich glaub's nicht, Piddl.«

»Hm,« machte er und dachte nach.

»Bist du denn damals auch bei ihm im Hotel ›Stadt London‹ gewesen?«

»Ich war da doch Zimmermädchen!« antwortete die Mutter mit klopfendem Herzen.

»Du bist da aus- und eingegangen? Bist in die Zimmer gekommen, wo die Reisenden essen und schlafen? Da muß es schön sein, im Hotel, Mutter?«

»Das kann ich dir sagen, Piddl. Plüschvorhänge vor Türen und Fenstern und Polstermöbel und vergoldeter Schmuck an den Zimmerdecken … aber nun geh' auch zu Bett.«

»Goldener Schmuck an den Decken? Oh, ich weiß! Ich bin auch einmal in einem Zimmer gewesen, wo Vögel mit langen, goldenen Flügeln unter den Decken gemalt waren. Ich hab' mal in einem solchen Hause gewohnt, Mutter!«

»Das hat dir geträumt, Piddl.«

»Nein, gewiß nicht, das war, eh' ich hierher kam … eh' ich geboren war, weißt du. Ich hab' es neulich schon mal Klara Dinghammer erzählt, aber die lachte mich aus. Unser Haus stand in einem Lande, wo es anders war wie hier … ganz anders … Vor unserem Hause war ein Wasser. Und Schiffe fuhren vorbei mit weißen Segeln. Ich weiß noch alles so deutlich. Aber in unserem Hause war es noch schöner. An den Decken waren goldene Vögel und Blumen … Aber es ist weit von hier weg. Wir können nicht hin. Das würd' eine Reise werden …«

»Geh' ins Bett, Piddl. Morgen früh is die Nacht vorbei, und denn wartet wieder der Tragkorb auf dich.«

Piddl seufzte.

»Ich bin ja auch noch immer so müde des Morgens, wenn du mich weckst. Aber das Laufen mit dem Bäckerkorbe wird ja auch mal 'n Ende nehmen. Laß mich nur erst Koch sein, Mutter, da sollste mal sehn!«

»Aber ins Hotel ›Stadt London‹ gehste nicht, Piddl!«

»Warum nicht?« fragte er verwundert Und hielt im Auskleiden inne.

Aber er bekam keine Antwort darauf.


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