Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel: August

Hora

Georg dachte: Sommer, o Sommer! Wie das alles hängt! Die heiße Luft in den grünen Wipfeln, in diesen schwer schlagenden Massen, und herein hängen die Wolken, weiße Ungeheuer, und das Blau hängt herein in all die glühende Enge. Wie glüht der graue Stein am Haus! Oben, die kleinen Barockfiguren auf dem Dach sehn aus, als wollten sie schmelzen in der blauen Glut, und sie schmachten nach dem eiskalten Schnee der Wolken, die über ihnen hinsegeln, – arme, kleine Tantalusse! O Sommer, o Sommer, o – – Sommer – – Som– –

Georgs Verstand blieb hier stehn. Durch seinen Traum gingen leichte Schritte, Schritte im Gras, Schritte aus Sonnenschein, aus Baumschatten, und etwas sah ihn an, Wesenloses, dann war's weg, und in Meilenferne brüllten langgezogen die Helenenruher Kühe. Dann sprengte ein Schimmel über den Deich herauf, wiehernd und stampfend, Georg bestieg ihn und flog mit ihm davon, wunderbar leicht, nicht mehr als ein paar Fuß hoch über der Erde, und es wiegte wie ein Karussellpferd, es ging den Deich hinunter und über das Wasser, in dem eine kleine Insel schwamm, auf der sein Vater, Onkel Salomon und Professor Prager Skat spielten in Hemdärmeln, und Georg sah seinem Vater über die Schulter; der aber hatte keine Karten in der Hand, sondern lauter Photographien von Georgs Korpsbrüdern, sagte aber ganz richtig Solo an und spielte aus. Es war aber gar nicht Georgs Vater, sondern der Wachtmeister aus Wallensteins Lager, und sang in einem fort: Und ist die Nase noch so groß, das macht nichts für das Kinn! Esther aber saß derweil still zu seinen Füßen, war zehn Jahre alt und stickte ungeheure kupferrote und lavendelblaue Blumen auf einen eisengrauen Vorhang, vor dem sie saß, und –

Wo bin ich denn? dachte Georg, sich aufrichtend. Bin ich denn nicht in Helenenruh? Nein, da steht ja das Montfortsche Haus in der Sonne, heiß und grau, und hier …

Im Grase sitzend, sah er neben seiner linken Seite das Postament der Sonnenuhr. Auf den Stufen zur Veranda vor ihm hüpften die Spatzen. Drinnen war es dunkel und schattig; die weiß und grün gestreiften Leinenvorhänge bauschten sich leicht gegen die Pfeiler und Glyzinienreben. Georg besann sich, daß er aus der Universität fortgelaufen und hergefahren war, nachdem er Esther nicht im Schlößchen gefunden hatte, aber hier … Er rutschte etwas vorwärts und beugte sich vor, um an der Sonnenuhr vorüber zu sehn, und richtig, da saß, als hätte sie immer da gesessen, die Chinesin im Schatten des weiß und grün gestreiften großen Leinenschirms und arbeitete an etwas Winzigem in ihrem Schoß.

Ach, wie kühl sah sie aus! Weißgelblich war ihr Kleid und ihr Gesicht wie Marmor in dem grünlichen Licht. Aber als er kam, hatte doch nur ihr Stuhl dagestanden und Nähsachen auf dem Sockel der Uhr? – Esther sah auf, schien ihn aber nicht zu sehn, griff über sich auf die Platte der Uhr, nahm ein dickes Buch herunter, schlug's auf und blickte längere Zeit hinein. Dann legte sie's vor ihre Füße ins Gras, und flugs machte sich ein kleiner Sommerwind damit zu schaffen wie ein Meerschweinchen, drehte sich darin herum und schlug die Blätter hin und her, als ob was darunter zu finden wäre. Georg aber fand auf einmal Esthers dunkle Augen auf sich gerichtet, und sie lächelte paradiesisch.

»Habe ich geschlafen?« sagte Georg. »Wo waren Sie denn? Warum sind Sie nicht in unserm Park?«

Esther sagte, sie hätte Brehms Tierleben gebraucht, und Renate hatte ihr gesagt, daß es in der Bibliothek ihres Onkels sei. – Georg rutschte noch etwas weiter nach vorn.

»Eben träumte mir,« sagte er, »ich wäre in Helenenruh und ritte auf dem alten Trompeterschimmel von Magdas Vater, immer einen halben Meter über der Erde, o, es war wunderbar, und Sie saßen – wo saßen Sie doch? Ich weiß nicht mehr, aber sie stickten feurige Lilien ins Montfortsche Haus. – Vulnorant omnia –« las er vom Sockel der Uhr ab.

»Was murmeln Sie da?« fragte Esther.

Georg legte sich lang auf den Rücken und gähnte: » Vulnerant omnia, ultima necat sagte ich. Was auf der Sonnenuhr steht.«

Esther antwortete nicht. Es zwitscherte überall, es rauschte leise. Oben schoben sich die Wolken, lautlos, riesig, unaufhörlich.

»Helenenruh,« sagte Georg, »da müssen wir einmal hinreisen.«

»Ist es so schön?«

»Helenenruh ist der ewige Sommer. Immer ist Sommer in Helenenruh und Ferien. Weiß der liebe Himmel, wann die Menschen da arbeiten. Es wird nur auf Schimmeln geritten. Gott, was rede ich für'n Unsinn.« Ihm fiel Unkas ein, der See und Jason al Manach, – welch ein Tag, welch ein sonderbarer Tag! – Ach, heute war ihm wohl, endlich, endlich einmal wohl …

»Helenenruh – – wissen Sie, wie das ist?« sagte Georg. »Das ist bloß Wiese. Wiese nach allen Himmelsrichtungen, und da liegt man und brennt in der Sonne. Mit vier Jahren habe ich da gebrannt, mit fünfen, mit sieben, und immer so weiter. Die Grillen zirpen, weit weg brüllt eine Kuh, und manchmal kann man das Meer hören. Blau ist die Luft, man kann sie aus Tassen trinken. Oh, Helenenruh ist schön, Helenenruh ist ein Inbegriff.«

Esther sagte nichts. Georg richtete sich wieder auf, rote Flecken schwammen vor seinen Augen, die tränten. » Vulnerant omnia –« las er wieder. »Wissen Sie was von Jason?«

»Ja, was ist das eigentlich für ein Mensch?« fragte Esther, ohne von ihrer Arbeit aufzusehn. Sie hatte einen kleinen Pappdeckel im Schoß und stocherte mit einer Nadel drin herum.

»Was machen Sie denn da eigentlich?« fragte er. »Sind das Perlen?«

»Richtig,« sagte sie, »und er geht eigentlich immer nur herum und sagt gar nichts. Und – wissen Sie – einmal, nein, schon mehrmals, wenn ich so seine stillen Augen ansah, kam mir's vor, als ob er wirklich alles wüßte, auch von mir, wenn er mich ansieht, und sogar, was einmal aus mir werden wird, aus mir und uns Allen.«

»Das ist ja unheimlich,« sagte Georg, »nun, wenn ich einmal nicht weiter weiß, werde ich ihn fragen.« Er stützte sich auf die Hände und sprang auf. »Jetzt will ich aber sehn, was Sie machen. Schmetterlinge?« fragte er, eine Abbildung in dem offnen Buch erblickend.

Sie hielt ihm hin, was sie in der Hand hatte, einen fingerbreiten Streif aus lichtgrünen Perlen, aus dessen einer Breitseite ein halber Falterflügel herauswuchs, dunkelrot von Perlen mit hellgelbem Auge. – Esther erklärte:

»Dies wird ein schmaler Streifen, lichtgrüner Grund und lauter ganz bunte Schmetterlinge, so schräg hin und her nebeneinander, als ob sie flögen. Die Farben kann ich wohl selbst erfinden, aber die Formen nehm ich aus dem Buche.«

»Und wenn's fertig ist?«

»Kommt's um eine Lampe mit einer flachen grünen Kuppel.«

»Wie die auf meinem Schreibtisch?«

Esther lachte. »Sagen Sie mir nun, wie die Inschrift auf deutsch heißt!«

Georg stierte gegen die Inschrift. Er reckte sich, stöhnte, knickte zusammen und fühlte sich wunderbar sommerschlaff.

»Alle verwunden, heißt es, die letzte tötet. Es sind die Stunden gemeint.« Ja, – ultima necat. Sollte das wahr sein? Gott sei gelobt, für die erste Hälfte stimmte es im Augenblick nicht. Danach kroch er vor Esthers Füße und legte sich zufrieden nieder. Durch halbgeschlossene Augen sah er den Saum ihres Kleides und die Spitzen leise in Wellen gehn, sah die weiße Haut durch den dünnen Strumpf schimmern und die kleinen Eindrücke um die Spitze des bronzenen Schuhs. Dies nicht zu küssen, ist schwer, dachte Georg.

Indem bemerkte er das kostbare gelbe Haupt einer Nelke an Esthers Kleidausschnitt und fragte eifersüchtig: »Esther, woher kommt die Blume?«

»Von Sigurd«, sagte sie gleichmütig.

»Das«, schrie Georg, »ist zum Tollwerden! Er hat mir vor drei Tagen, als ich mit Blumen zu Renate kam, den längsten sozial-ethischen Vortrag gehalten, was für ästhetische Albernheiten das wären!«

Esther zuckte die Achseln. »Gott, Georg, Sie kennen doch Sigurd.«

»Jawohl kenne ich ihn!« tobte Georg, »und wenn ich ihn jetzt darauf festnagelte, so würde er entweder schlank leugnen, oder er würde lächeln wie ein Waisenknabe und sagen: Ja, da habe ich wohl gelogen …«

Esther nickte strahlend. »Ich liebe ihn,« sagte sie, »er ist entzückend.«

»Merkwürdig ist er jedenfalls. In allen geistigen Dingen zuverlässig wie – Ajax, aber im Persönlichen wie eine berauschte Wetterfahne.«

»Er ist doch so reich, Georg!« verteidigte Esther, »können Sie das nicht verstehn? Sehen Sie doch: er war immer Zionist; jetzt kam einer und zeigte ihm, wie kostbar, wie einzig gerade die nicht nationale, die kosmopolitische Seite des Judentums wäre, und –«

»Wetterwendisch und vaterländisch, wie er ist –«

»Und feurig, wie er ist, sah er nur das Große, Seltene, Tiefe drin und entbrannte dafür.«

Es ist ja schrecklich, dachte Georg, wie sie ihn liebt! – Er schwieg gekränkt.

»Und weiter, Georg. Kommen Sie ihm heute mit Psychoanalyse, so glaubt er sich dafür geboren, und morgen mit Chirurgie, so will er Chirurg werden. Haben Sie gesehn, wie er zeichnen kann? Bogner war sogar erstaunt, und –«

»Nun will er Maler werden?«

»Glauben Sie nicht, daß er's sein könnte? Und wie spielt er Cello! – Ach, Georg,« sagte sie plötzlich mit einer Wehmut, »glauben Sie, es ist schwer, so zu sein. Da hat er Stunden, daß man meint, die Sonne säße ihm in der Brust, und er könnte, und er möchte die ganze Welt hell machen. Ja, und dann liest er vielleicht über – über dementia, und denkt an seine Mutter und sagt, er wird wahnsinnig. Georg, man kann nicht lachen dabei, denn Sie kennen seine Bestimmtheit, und man sieht, wie er's in sich frißt.«

»Aber Esther, Estherchen!« Georg benutzte die Möglichkeit, ihr die Hand auf den Kopf zu legen, »es hält doch nichts vor bei ihm, es ist ja – alles nur Jugend, nicht wahr?«

»Aber kann so einer je alt werden? Stellen Sie sich vor!«

Georg tröstete mit Bestimmtheit, Sigurd würde sich ändern und ein Greis werden. Sie seufzte und wandte sich wieder zu ihren Perlen. Georg lagerte sich geschmackvoll zu ihren Füßen, tröstete sich selber mit dem Anblick seiner schön abgestimmten Kleidung, nämlich zur Flanellhose pfirsichgrüne Socken, gleichfarbiges Hemde und etwas dunkler getönter Schlips, ließ dessen kühle Seide durch die Finger gleiten und dachte nach, worüber er ablenkend reden könne.

»Wissen Sie, Esther,« fing er träge zu sprechen an, »es ist ärgerlich mit den Träumen. Vor ein paar Monaten, da hat Renates Vetter Josef – Sie kennen ihn nicht? – mir so erstaunliche Dinge vom Träumen erzählt, daß ich alle Bücher darüber gewälzt habe. Sie haben sie wohl gelesen?« Esther nickte und sagte: »Freud.« – »Natürlich! Und nun – sehen Sie, was kommt heraus, nicht wahr? Gar nichts am Ende – abgesehen von dem Wert fürs Heilverfahren, der ja unschätzbar sein mag –, gar nichts, als daß der Zustand des Träumens ein fortgesetztes Wachen ist, bloß daß unsere logischen Verknüpfungen fehlen. Manchmal, so nach Tische, wenn ich nicht geschlafen, sondern nur so gedämmert habe, nicht wahr, – konnte ich genau beobachten, wie meine Vorstellungen allmählich in Bilder übergingen, traumhaft leibhaftig wurden, nicht wahr, wie die Zeitrechnung verschwand und – auf einmal alles ein Wirrwarr war und solche Albernheit, wie ich da eben geträumt habe, – nun weiß ichs nicht mehr …«

»Ein Schimmel«, half Esther.

»Ja, gleichviel, und mein Vater war Wachtmeister und spielte Karten. Und das, sehen Sie, ist, was mich ärgert. Diese – Unfruchtbarkeit. Anstatt daß gerade unsere Verworrenheit, die im wachen Leben doch groß genug ist, – anstatt daß die sich auflöste, Klarheit, Ordnung, Erfahrung – nicht wahr – entstünde, – anstatt dessen die völlige Sinnlosigkeit, hinterdrein Vergessen, und das Ganze ist abgelaufen wie Wasser vom Stein. Es kann mich ganz unwirsch machen, wenn ich denke, was da vergeudet wird!«

»Aber nun giebts doch die Traumdeutung, Georg.«

»Ach, das ist ja viel zu umständlich! Und was kommt auch mehr dabei heraus, als was ich aus meinem wachen Zustand ebenso gut, vielleicht besser erfahren könnte, wenn ich mich nur gehörig beobachten würde. Eben das ist's! Alles denken und Alles fühlen, unaufhörlich, nicht wahr, an diesen zehntausend Fäden unsers verworrenen Daseins hängen, – und dann noch beobachten, raten und knacken – das ist zuviel. Und wie wäre es da nicht einfach und schön und heilsam, wenn der Schlaf, der die Glieder und Sinne so liebevoll löst –« Georg war träumerisch stolz, so gut sprechen zu können – »wenn er auch die Seele und das Schicksal nur ein wenig befreite, und wir kämen klarer hervor, als wir hineingingen.«

»Jason,« sagte er nach einer Weile, da Esther schwieg, gedankenvoll, »Jason kann es vielleicht. Irgendeine Medizin muß er haben. Jason«, schloß er bescheiden, »ist ein guter Mensch. So sollten wir Alle sein.«

»Haben Sie,« fragte Esther nach einer Weile, »haben Sie eigentlich auch dies merkwürdige Gefühl, wenn er fortgegangen ist, – als ob er überhaupt verschwunden wäre?«

»Gar nicht mehr vorhanden?« fragte Georg. »Freilich, wenn ich mir ihn jetzt vorstellen soll, bringe ich es nur fertig, indem ich ihn mir irgendwo bei andern Leuten denke. Können Sie sich denken, daß er irgendwo allein ist, zu Hause bei sich, allein in einem Zimmer, lesend? oder schreibend? Oder wie er sich wäscht? Oder wie er im Bett liegt und schläft? Ich glaube, Esther,« sagte er, sich überbeugend, ganz leise neben ihrem Ohr, »er ist ein Geist. Er braucht nicht zu essen und zu schlafen und sich zu waschen, er ist immer so, wie er uns erscheint, und nur in unsrer Gegenwart ist er wirklich. Sonst unsichtbar, ein Geist, nimmt er Gestalt an, wenn er zu uns tritt, es ist schauerlich, finden Sie nicht?«

Esther hatte zuhörend ihr Gesicht langsam zu ihm nach oben gedreht. Sie sahen sich in die Augen, und Georg dachte angstvoll: Erwartet sie jetzt, daß ich sie küsse? Oder macht das unsre Haltung bloß zufällig? Nein, sie erwartete es scheinbar nicht, denn sie sagte ganz nachdenklich:

»Es giebt soviel Seltsames. Da Sie von Träumen sprachen … Hören Sie einmal zu.«

Georg setzte sich wieder vor ihre Füße, nahm eine Zigarette hervor und rauchte. Esther begann, ein wenig stockend und unbehülflich:

»Es hat aber eine Vorgeschichte. Ich kannte längere Zeit einen jungen Menschen, der war lungenkrank. Er liebte mich sehr. Um Weihnachten zogen seine Eltern von hier fort. Er schrieb mir öfters, ich hab ihm aber nie geantwortet, er verlangte das auch nicht. Lange Zeit kam kein Brief, und ich dachte niemals an ihn. Nun, – in der Nacht von Oster – Gründonnerstag nennen Sie's, nicht wahr? – auf Karfreitag – übrigens war er Christ – träumte ich, – ja, wie soll ich das beschreiben? – Es war ein Kreuz, und daran ein Gesicht mit sterbenden Augen. Ich wußte, es war ein Sterbender, er schien mir auch bekannt, als ich aufwachte, aber ich konnte mich nicht besinnen. Ich war aber ganz verstört von dem Traum, Sigurd merkte es mir noch an, als ich zum Frühstück kam, und ich erzählte ihm, was mir geträumt hatte. Dann erfuhr ich eine Woche später durch Bekannte, der junge Mensch, der lungenkranke, sei gestorben, und da wußt ich im Augenblick, daß ich ihn im Traum gesehen hatte. Nun schrieb ich an seine Schwester, die ich kannte, sie möchte mir sagen, wann er gestorben sei, und sie schrieb –, aber ich muß erst sagen, daß sie etwas sonderlich war, altjüngferlich und pathetisch – und so war auch ihr Brief, nur drei Zeilen, ohne Anrede: Er starb in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag um ein Uhr morgens mit Ihrem Namen auf den Lippen.«

Esther schwieg. »Wie sonderbar!« sagte Georg nach einer Weile halblaut. Er dachte noch nach, als er auf einmal Bogner bei der Sonnenuhr stehn sah, in seinem Malkittel, mit wüstem Haar, rotem Gesicht und verschwimmenden Augen. So starrte er auf das Zifferblatt der Uhr.

»Grüß Gott, Maler!« rief Georg, »wollen Sie wissen, was die Uhr ist?«

Bogner sah ihn zerstreut und unwirsch an. »Ich wollte was,« – sagte er, »aber nun hab ichs – vergessen. Ich wollte ins Haus und – – ah Streichhölzer!« sagte er erleichtert. – »Ich hatte mir eine Pfeife –« Er sah verwundert seine leeren Hände an, suchte in allen Taschen. »Nun habe ich die Pfeife liegen lassen!« schrie er grimmig, machte kehrt und lief davon. Georg rief ihm nach, er sollte doch warten und sein Feuerzeug mitnehmen, aber er hörte nicht.

Georg wartete noch eine Weile, ehe er zu sprechen anfing, aber der Maler kam nicht wieder. »Nun hat er das Rauchen vergessen,« sagte Georg, »der arme Kerl! Warten Sie einen Augenblick!« stand auf und ging in die Kapelle. Ja, da saß er und hatte eine kalte Pfeife im Mund, malte aber tüchtig an etwas Schwefelgelbem. Georg entzündete ein Streichholz und hielt es auf den Tabak. Der Maler merkte, daß es brannte, sog kräftig, sah verworren auf und murmelte: »Danke! danke!« Georg gab ihm den Rat, zu heiraten, aber er hörte nicht darauf, und Georg ging zu Esther zurück.

Die Arme auf der Sonnenuhr, den Zeiger in Händen, sagte er:

»Wissen Sie auch, Esther, was an Ihrem Traum das Seltsamste ist? Viel seltsamer als der Traum selbst?« Sie hielt inne mit Arbeiten und sah ins Gras zu ihren Füßen. Er sagte: »Da war doch ein Sterbender, Esther, nicht wahr, einer, der Sie liebte, ein immer Kranker, der seine ganze, trostlose Liebe zu Ihnen in einen ungeheuren Augenblick zusammenpreßte und angesichts des Todes die Geliebte dachte! dachte, und es gelang, nicht wahr, und einen Augenblick zwischen Tod und Leben schwebte seine glühende Seele, einen Augenblick lang vollbrachte sie dies Riesenhafte, daß sie sich über die Natur erhob und eindrang in ein fremdes Dasein. Freilich war es wehrlos in dem Augenblick, es schlief, und vielleicht gelang es ihr nur deshalb, daß sie eindrang und Traum ward in Ihnen. Sie aber, Esther, Sie, der diese gewaltige Anstrengung galt, diese furchtbare Liebe zuströmte, – Sie hatten davon nichts als den leisesten Schauder. Furchtbar, wissen Sie, furchtbar finde ich diese Einrichtung. Liebe gilt nichts, so gewaltig sie sich ereifert; gilt nichts, gilt nichts, denn Sie schliefen, und ein dünnes Traumbild wurde aus der Verzweiflung. Ja, so können wir uns bemühn mit heißester Glut, wir können Blut und Tränen vergießen, alle Ängste um etwas leiden, unser ganzes Dasein zum Opfer bringen: all das, alle Anspannung, alles Säen nützt nichts, wenn keine Erwiderung da ist, keine Willigkeit im Boden. Liebe allein gilt nicht, nur Doppelliebe. Und – ja, was gilt nun hier der Traum, den Sie davon hatten!«

Georg nahm sein Taschentuch heraus und trocknete sich die Stirn. Es regnete Glut über ihn, und er sah betroffen, als wär es das erstemal, daß der schräge Weiser vor ihm einen Schattenstreifen über das abgeschliffne Erz zog. Esther saß still da, bewegte einmal die Lippen, zog die untre ein wenig in den Mund, sagte aber nichts.

Es war Mittag, der Vogellärm schwieg. Vor Georgs Augen lag der geheimnisvolle Schatten des Sonnenzeigers, der in unendlicher Wandrung um seine Wurzel unzählbare Stunden anzeigte, spurlos auf der metallenen Fläche von Ewigkeit. Aber es bewegte sich etwas über Georg, irgend etwas wurde in seinem Augenfelde sichtbar, und über den Verandastufen stand Renate, schön wie Elysium, winkte mit ihrem Lächeln, und Georgs doppelt ergriffenes Herz riß in zwei Stücke mit lautem Stöhnen.


 << zurück weiter >>