George Sand
Indiana
George Sand

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

An einem der ewigen Sommerabende, deren die Insel Bourbon sich erfreut, wanderten zwei Passagiere der Goélette »La Nahandove«, die vor drei Tagen angekommen war, der Schlucht von Bernice zu. Der Mond, kaum aus den dunklen Fluten des Ozeans aufgetaucht, zog einen langen Silberstreif auf dem Wasser, aber sein Licht drang noch nicht in die Schlucht und in dem See spiegelten sich nur zitternd einige Sterne. Die auf dem Abhange des oberen Gebirges zerstreuten Zitronenbäume waren noch nicht mit den bleichen Diamanten bedeckt, mit welchen der Mond ihre spröden, glatten Blätter besäet. Nur auf dem Wipfel einiger gigantischen Palmen, deren schlanke Stämme sich hundert Fuß über den Boden erhoben, versilberten sich die Blätter im Glanze des Mondlichtes.

Die Seevögel schwiegen in den Felsspalten, einige blaue Tauben, hinter den Gipfeln der Berge verborgen, ließen ihr lockendes Gurren hören. Schöne Käfer schwirrten wie lebendige Edelsteine in den Kaffeebäumen und das eintönige Brausen des Wasserfalles schien geheime Gespräche mit dem Echo der Ufer zu führen.

Die beiden einsamen Wanderer schritten einen Felsensteig empor und kamen endlich oberhalb der Schlucht an den Ort, wo der Bergstrom seine weiße, leichte Dunstsäule in den Abgrund stürzt. Sie befanden sich auf einer kleinen Plattform, die der Ausführung ihres Vorhabens besonders günstig war. Einige an Raphiastengeln hängende Lianen bildeten hier eine natürliche Laube, die sich über den Wasserfall neigte. Mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit schnitt Sir Ralph einige Äste hinweg, die den Sprung hätten hindern können, dann ergriff er Indiana bei der Hand und ließ sie auf einen bemoosten Felsen niedersitzen.

»Ich gedenke, diese große Stunde der Andacht und dem Gebete zu weihen,« nahm Ralph das Wort. »Ich sage nicht, daß wir uns mit dem Ewigen aussöhnen müßten, das hieße den Abstand unterschätzen, der uns von seiner erhabenen Macht trennt; aber wir sollten uns mit den Menschen versöhnen, die uns Leiden bereitet haben, und dem Abendwind, welcher nach Nordwesten weht, Worte der Verzeihung für diejenigen anvertrauen, welche dreitausend Stunden von uns entfernt sind.«

»Ich fühle, daß ich ohne Selbstüberwindung verzeihen kann,« sagte Indiana, »daß mein Herz weder Haß noch Liebe empfindet. Großer Gott, Du siehst in den geheimsten Grund meiner Seele; Du weißt, daß alle meine Gedanken Dir zugewendet sind.«

Ralph setzte sich jetzt zu Indianas Füßen und begann mit lauter Stimme zu beten. Der Todesstunde nahe, schüttete er sein ganzes Herz aus, die Fesseln, die es gedrückt hatten, lösten sich, die innere Glut, die er unter der Maske eisiger Kälte getragen, war jetzt kein Verbrechen mehr, der Schleier, welcher so viel Tugend, Seelengröße und Selbstverleugnung verborgen hatte, sank herab, und der Geist dieses Mannes erhob sich zur Höhe. Zum erstenmal gehorchte das Wort seinen Gedanken und der unbedeutende Mensch, der während seines ganzen Lebens kaum etwas gesprochen hatte, was sich über das Gewöhnliche erhob, entfaltete in seiner letzten Stunde eine überzeugende Beredsamkeit, wie Raymon sie nie besessen hatte. Für Ralph war jetzt der Augenblick da, er selbst zu sein, vor seinem Richter die Verkleidung abzulegen, welche die Menschen ihm aufgezwungen hatten. Der Ralph, den Indiana gekannt hatte, lebte nicht mehr, und der, den sie jetzt hörte, schien ihr ein Freund, den sie einst in ihren Träumen gesehen hatte, und der erst jetzt, am Rande des Grabes, für sie zur Wirklichkeit wurde. Sympathisch strömten die Gedanken und Empfindungen, die er aussprach, auf sie über, und Tränen frommer Begeisterung fielen aus ihren Augen auf Ralphs Locken.

Jetzt trat der Mond über die Wipfel der großen Palmbäume und sein Strahl fiel auf Indianas weißes Gewand und ihr langes, auf die Schultern herabfallendes Haar.

Ralph kniete vor ihr nieder.

»Jetzt, Indiana,« sagte er feierlich, »mußt du mir alles Leid verzeihen, das ich dir angetan habe, damit ich mir es selbst verzeihen kann.«

»Ach,« antwortete sie, »was habe ich dir denn zu verzeihen, armer Ralph? Muß ich dich nicht im Gegenteil in der letzten Stunde meines Lebens segnen?«

»Ich weiß nicht, bis zu welchem Grade ich strafbar war,« begann Ralph wieder, »aber während des langen und furchtbaren Kampfes mit einem Geschick war ich es gewiß oft genug, wenn auch wider meinen Willen.«

»Von welchem Kampfe sprichst du?« fragte Indiana.

»Das eben ist das Geheimnis meines Lebens,« antwortete er, »was ich dir, ehe ich sterbe, enthüllen muß. Waffne dich mit Geduld, denn ich habe eine lange Geschichte zu erzählen, Indiana, es ist die Geschichte meines Lebens.«

»Kenne ich sie denn nicht bereits? Lebten wir nicht immer beisammen?«

»Nein, du kennst sie nicht, du kennst keinen Tag, keine Stunde davon,« sagte Ralph traurig, »wann hätte ich sie dir denn erzählen können? Der Himmel wollte, daß der einzige Augenblick, der zu diesem Geständnis geeignet war, der letzte unseres Lebens sein solle. So höre denn, Indiana: Die Natur beging einen sonderbaren Fehler, als sie mir ein glühendes Herz gab; sie hatte auf mein Gesicht eine Steinmaske gedrückt und auf meine Zunge ein schweres Gewicht gelegt, sie hatte mir versagt, meine Empfindungen durch Blicke und Worte auszudrücken. Man beurteilte mich nach dem äußeren Scheine. Mit Abscheu entfernte meine Mutter mich von ihrem Busen, weil mein Gesicht ihr nicht zulächeln konnte. In dem Alter, wo man einen Gedanken kaum von unbewußtem Instinkt unterscheiden kann, wurde ich schon ein Egoist genannt.

»Da war es entschieden, daß niemand mich lieben würde, denn ich konnte niemandem meine Liebe ausdrücken. Man stieß mich fast aus dem väterlichen Hause und zwang mich, wie ein armer Vogel auf den Felsenklippen zu leben. Du weißt, Indiana, was für eine traurige Kindheit mir beschieden war. Jedoch der Himmel sandte mir einen Trost, eine Hoffnung. Du tratest in mein Leben, als wenn du für mich geschaffen worden wärest. Armes Kind! Du warst verlassen wie ich; ohne Liebe und ohne Schutz, schienst du mir bestimmt zu sein. Zehn Jahre lang warst du mein, ungeteilt mein! Damals wußte ich noch nicht, was Eifersucht sei. Ich machte aus dir meine Schwester, meine Gefährtin, meine Schülerin. Ich fing an, mich zu achten, da ich dir nützlich wurde. Nachdem ich deinetwegen die Last des Lebens auf mich genommen hatte, regte sich in mir die Hoffnung auf einen Dank. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, daß du meine Gattin werden könntest; verzeihe mir dieses Wort, das ich auch jetzt nur mit Zittern auszusprechen wage. Meine Phantasie schmückte dich bereits mit allen Reizen der Jugend; ich war ungeduldig, dich zur Jungfrau heranwachsen zu sehen. Jeden Morgen forschte ich, welch eine Wirkung ein Tag mehr auf dich hervorgebracht hätte; denn ich war schon ein Jüngling von fünfzehn Jahren und du warst noch ein Kind. Schon glühten in meinem Busen Leidenschaften, deren Namen dir unbekannt waren, du erstauntest oft über mein trauriges Wesen und ich schien dir melancholisch und wunderlich. Dennoch liebtest du mich, wie ich war; jeder Augenblick meines Lebens war nur dir geweiht und meine Leiden machten dich meinem Herzen nur teurer. Ich lebte der Hoffnung, daß du bestimmt seiest, sie einst in Freuden zu verwandeln.

»Ach, verzeihe mir den verbrecherischen Gedanken; wenn es ein Frevel war, auf dich zu hoffen, so ist Gott allein strafbar, mir diesen Gedanken zum alleinigen Troste gegeben zu haben. Wovon konnte dieses gedrückte, verkannte Herz leben, von wem konnte es einen Blick, ein Lächeln der Liebe erwarten, wenn nicht von dir?

»Doch nie versündigte ich mich durch einen unreinen Gedanken an der Jungfräulichkeit deines Herzens. Meine Küsse waren die eines Vaters, und wenn deine unschuldigen, scherzenden Lippen den meinigen begegneten, so weckten sie nie das verzehrende Feuer des Verlangens. Nein, nicht in dich, das kleine Mädchen mit den blauen Augen war ich verliebt. So wie du damals warst mit deinem freundlichen Lächeln und deinen unschuldigen Liebkosungen, sah ich in dir nur mein Kind oder meine kleine Schwester; aber wenn ich in die Zukunft schaute, sah ich dich erwachsen vor mir und liebte in dir die Jungfrau.

»Oft habe ich, allein auf diesem Felsen sitzend, meine Hände gerungen und das unbekannte Glück der erträumten Zukunft angerufen. Aber sah ich dich unten auf dem Fußsteig, lachend und scherzend zu mir eilen, dann beruhigte sich mein Blut; in Gegenwart der siebenjährigen Indiana vergaß ich die fünfzehnjährige, von der ich eben geträumt hatte. Dennoch betrübte es mich, daß du noch so jung, so klein warst. Ich verglich dein Haar mit anderen Locken, die ich in früheren Jahren von deiner Stirn geschnitten hatte, und sah mit Lust die dunklere Färbung, die jeder Frühling brachte. Dann betrachtete ich an dem Stamme eines Dattelbaumes die Merkmale, die ich daran eingegraben hatte, um die Fortschritte deines Wachstums zu verfolgen. Der Baum trägt heute noch jene Einschnitte. Aber, ach! vergeblich bist du groß geworden, vergeblich hat deine Schönheit ihre Verheißungen erfüllt, vergeblich sind deine Haare schwarz geworden wie das Ebenholz, du bist nicht für mich groß geworden, nicht für mich haben sich deine Reize entwickelt, für einen andern schlug dein Herz zum erstenmal.

»Es war eine reine, eine tiefe und wahre Liebe, welche du mir damals schon einflößtest. Noun war mit zehn Jahren um einen ganzen Kopf größer als du; Kreolin in der ganzen Bedeutung des Wortes, war sie schon entwickelt, der Ausdruck ihres feuchten Blickes, ihre Haltung, ihr ganzes Wesen war das eines jungen Mädchens. Doch ich liebte Noun nur deinetwegen, deren Spiele sie teilte. Nie kam mir die Frage in den Sinn, ob sie schon schön sei, ob sie noch schöner werden würde. In meinen Augen war sie noch mehr Kind als du. Ich liebte eben nur dich. Ich rechnete auf dich, du warst die Gefährtin meines Lebens, der Traum meiner Jugend . . .

»Aber die Zukunft täuschte meine Hoffnungen. Der Tod meines Bruders zwang mich, seine Braut zu heiraten. Ich schweige über diese Zeit meines Lebens. Ich war der Gatte einer Frau, die mich haßte und die ich nicht lieben konnte. Ich war Vater und verlor meinen Sohn; ich wurde Witwer und erfuhr, daß du mir verloren warst.

»Als ich hieher zurückkam, als ich den Mann sah, mit dem man dich verheiratet hatte, . . . verzeih, Indiana, da wurde ich wirklich Egoist. In der Liebe liegt stets Egoismus, selbst in der meinigen herrschte er vor. Ich empfand, ich weiß nicht welche grausame Freude bei dem Gedanken, daß man dir in diesem Manne einen Herrn, aber keinen Gatten gegeben hatte. Du erstauntest über die Zuneigung, die ich ihm bezeigte; ich sah eben in ihm keinen Nebenbuhler. Ich wußte wohl, daß dieser Greis weder Liebe einflößen noch empfinden könne und daß dein Herz in diesem Ehebunde unberührt bleiben werde. Ich war ihm dankbar für deine Kälte und für deine Treue. Wäre er hier geblieben, so würde ich vielleicht sehr strafbar geworden sein; aber ihr wandtet euch nach Frankreich und ließet mich allein. Ohne dich zu leben, schien mir unmöglich. Ich versuchte, diese Liebe zu besiegen, die in aller ihrer Kraft wieder aufgelebt war, als ich dich wiederfand, wie ich dich in deiner Kindheit geträumt hatte. Aber die Einsamkeit schärfte nur mein Leid und ich gab dem Bedürfnis nach, dich zu sehen, unter demselben Dache zu leben, dieselbe Luft zu atmen. Ich begriff, daß ich mit der Gefahr nicht spielen dürfe, denn meine Leidenschaft war zu glühend. Ich fühlte, ich müsse eine dreifache Mauer von Eis um mich aufrichten, um mir dein Interesse und dein Mitgefühl zu entfremden, das mir verderblich geworden wäre und alle meine guten Vorsätze vernichtet haben würde. So habe ich denn den Vorwurf der Herzlosigkeit und des Egoismus auf mich genommen, den, Dank dem Himmel, du mir nicht erspart hast. Meine Verstellung gelang über mein Erwarten, du schenktest mir eine Art beschämenden Erbarmens, du sprachst mir Herz und Gemüt ab und ich hatte nicht das Recht, darüber in Zorn zu geraten, denn dadurch hätte ich dir gezeigt, daß ich ein Mann war.

»Ich beklage mich über die Menschen und nicht über dich, Indiana. Du warst stets gut und nachsichtig, du ertrugst mich unter der abstoßenden Hülle, die ich angenommen hatte, um in deiner Nähe zu weilen. Nächst dir bewies mir Delmare die größte Nachsicht. Du hast mich beschuldigt, ich hätte ihn dir vorgezogen, ich hätte dein Wohl meinem Egoismus aufgeopfert, da ich mich weigerte, in eure häuslichen Zwiste als Vermittler einzugreifen. Du hast nicht begriffen, daß ich die Stimme zu deinen Gunsten nicht erheben konnte, ohne mich zu verraten. Was wäre aus dir geworden, wenn Delmare mir die Tür gewiesen hätte? Wer hätte dich geduldig, schweigend, aber mit der ausdauernden Festigkeit einer unerlöschlichen Liebe beschützt? Raymon gewiß nicht! Und dann, ich gestehe es, ich liebte Delmare aus Dankbarkeit, diesen rohen, ungeschlachten Mann, der mir das einzige Glück, das mir blieb, entreißen konnte, und es doch nicht tat. Aber nun bin ich an den Punkt gekommen, wo ich von den entsetzlichsten Leiden meines Lebens sprechen muß, von jener Zeit, wo deine von mir so sehr ersehnte Liebe einem andern gehörte. Damals goß der Haß sein Gift in meinen Busen und die Eifersucht verzehrte den Rest meiner Kräfte. Damals hätte ich den verabscheuten Menschen im Grunde dieser Schlucht sehen mögen, um ihm mit Steinwürfen das Haupt zu zerschmettern. Ich wollte ihn nicht töten, weil du ihn beweint haben würdest.

»O, der Elende! Gott verzeihe ihm das Leid, das er mir angetan, aber er strafe ihn für das, welches er auf dein Haupt gehäuft hat! Schon bei seiner Geburt hätte ihm die Gesellschaft das Brandmal auf die Stirn drücken sollen; sie hätte ihn als den herzlosesten, verruchtesten Menschen aus ihrer Mitte stoßen sollen! Aber im Gegenteil, sie hat ihn im Triumph herumgetragen! O, daran erkenne ich die Menschen, die einem Scheusal, welches Glück und Ehre anderer mit Füßen tritt, auch noch ihre Verehrung darbringen.

»Verzeihung, Indiana, Verzeihung! Es ist vielleicht grausam, vor dir zu klagen, doch es ist zum ersten- und letztenmal; laß mich dem Schurken fluchen, der dich ins Grab stößt. Es bedurfte dieser entsetzlichen Erfahrung, um dir die Augen zu öffnen. Vergeblich warnte dich Nouns trauriges Ende, vergeblich erhob sich vom Sterbelager Delmares eine Stimme und rief dir zu: ›Hüte dich vor ihm, er stürzt dich ins Verderben!‹ Du warst taub; dein böser Genius hat dich fortgerissen und, gebrochen, wie du bist, verdammt dich die öffentliche Meinung und spricht jenen frei. Ach! du liebtest ihn so sehr! und er hätte dein Dasein so schön machen können! An seiner Stelle wäre ich mit dir in den Schoß wilder Gebirge geflohen; ich hätte dich der Gesellschaft entrissen, um dich für mich allein zu besitzen, ich hätte mich deiner Verlassenheit gefreut, um dir alles ersetzen zu können. O, Indiana! diese wilde Schlucht als Wohnung, diese Bäume als unser ganzer Reichtum, wie hätten sie mich stolz und glücklich gemacht, wenn der Himmel sie mir mit deiner Liebe gegeben hätte!«

Ralph weinte wie ein Kind und in diesen Tränen lag mehr Schmerz um Indianas Los, als um das seinige.

»Weine nicht über mich,« sagte er, als er sie ebenfalls in Tränen gebadet sah, »beklage mich nicht, dein Mitleid entschädigt mich für die ganze Vergangenheit und die Gegenwart ist nicht mehr bitter, was sollte mich jetzt schmerzen? Du liebst ihn ja nicht mehr.«

»Hätte ich dich besser gekannt, Ralph, so hätte ich ihn nie geliebt,« rief Indiana, »deine Tugend hat mich ins Verderben gestürzt.«

»Und dann,« sagte Ralph, sie mit schmerzlichem Lächeln betrachtend, »ich habe noch andere Ursachen zur Freude. Ohne es zu ahnen, hast du mir während der Überfahrt in vertraulichen Stunden das Geständnis abgelegt, daß dieser Raymon das Glück nicht erreicht habe, das seine Frechheit erstrebte, und damit hast du mich von dem quälenden Vorwurf befreit, dich schlecht gehütet zu haben, denn ich hatte die Kühnheit, dich gegen seine verführerischen Künste beschützen zu wollen, und dadurch habe ich dich beleidigt, Indiana. Ich unterschätzte deine Kraft; das ist abermals ein Verbrechen, das du mir verzeihen mußt.«

»Ach,« sagte Indiana, »du bittest mich um Verzeihung, mich, die eine so reine und edle Liebe mit unbegreiflicher Verblendung, mit abscheulichem Undank vergolten hat. Ich sollte mich zu deinen Füßen werfen und um Verzeihung flehen.«

»Diese Liebe erregt also weder deinen Abscheu noch deinen Zorn, Indiana? O Gott, ich danke Dir! Ich werde glücklich sterben! Nun darf ich mich deinen Bruder, deinen Gatten, deinen Geliebten für die Ewigkeit nennen. Seit dem Tage, wo du gelobtest, mit mir aus dieser Welt zu scheiden, habe ich den süßen Gedanken genährt, daß du mir gehörtest, mir wiedergegeben seiest, um mich nie zu verlassen; ganz im stillen begann ich dich meine Braut zu nennen. Im Schoße Gottes erwartet mich die Seligkeit, die meine Kindheit träumte, und dort wirst du mich lieben, Indiana; dort wirst du, von allen trügerischen Täuschungen dieses Lebens gereinigt, mich für ein ganzes Dasein voll Leiden und Entsagungen entschädigen; dort wirst du mein sein, Indiana! In diesem Sinne habe ich dich gebeten, dieses weiße Kleid anzulegen, es ist dein Hochzeitskleid, und dieser Felsen, der in den See hinausragt, ist der Altar, der uns erwartet.«

Er stand auf, pflückte einen blühenden Orangenzweig und befestigte ihn in Indianas schwarzes Haar. Dann kniete er wieder nieder.

»Mach mich ganz glücklich,« bat er, »sage mir, daß dein Herz in diese Verbindung für das andere Leben einwilligt. Gib mir die Ewigkeit, zwing mich nicht, mir die Vernichtung zu wünschen.«

Von Indianas Augen war die schon lange gelockerte Binde herabgesunken. Zur Wahrheit, zur Natur zurückgekehrt, sah sie Ralphs Herz, wie es war, sie erblickte auch seine Züge, wie sie sie nie gesehen hatte. Im unverhüllten Schmucke seiner Offenheit und Tugend war er weit schöner als Raymon und Indiana fühlte, daß sie ihn hätte lieben sollen.

»Sei mein Gatte im Himmel und auf Erden,« sagte sie zu ihm, »mit diesem Kusse verlobe ich mich dir für die Ewigkeit.«

Ihre Lippen vereinigten sich und in diesem Kusse, an der Schwelle eines anderen Lebens, genossen sie alle Freuden des Irdischen. Dann faßte Ralph seine Braut in seine Arme und trug sie fort, um sich mit ihr in den Abgrund zu stürzen . . .



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