George Sand
Indiana
George Sand

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Drei Tage nach dem Abgange des Briefes nach der Insel Bourbon hatte Raymon den Brief und die Absicht, in welcher er ihr geschrieben, völlig vergessen. Er fühlte sich wohler und hatte einen Besuch in seiner Nachbarschaft gewagt. Das Landgut Lagny, welches Herr Delmare seinen Gläubigern an Zahlungs Statt überlassen hatte, war in Besitz eines reichen Fabrikanten, namens Hubert, übergegangen. Raymon fand den neuen Eigentümer bereits in diesem Hause eingerichtet, das ihn an so manches erinnerte. Anfangs überließ er sich seinen Empfindungen, indem er den Garten durchstreifte, der die Spur von Nouns leichten Schritten noch im seinen Sande zu bewahren schien, und indem er die Gemächer durchschritt, in denen er noch den Ton von Indianas sanfter Stimme zu hören glaubte; aber eine neue Bewohnerin dieser ihm so vertraulichen Räume gab seinen Gedanken eine andere Richtung.

In dem großen Salon, an der Stelle, wo Frau Delmare gewöhnlich zu arbeiten pflegte, saß ein junges, großes und schlankes Mädchen, in deren Zügen sich ebenso viel Liebenswürdigkeit als Bosheit ausdrückte.

Sie richtete auf Raymon einen halb spöttischen, halb schmeichelnden Blick, der ihn zu gleicher Zeit anzog und zurückstieß. Die junge Dame wußte das Gespräch bald auf Frau Delmare zu lenken.

»Sie waren mit den früheren Bewohnern dieses Hauses sehr genau bekannt,« sagte sie, »und es ist sehr freundlich von Ihnen, hier neue Gesichter aufzusuchen. Frau Delmare«, fügte sie hinzu, einen durchdringenden Blick auf Raymon werfend, »soll eine ausgezeichnete Frau gewesen sein und muß für Sie hier Erinnerungen zurückgelassen haben, die uns in den Schatten stellen.«

»Sie war eine treffliche Frau,« antwortete Raymon gleichgültig, »und ihr Gatte ein würdiger Mann.«

»Aber,« nahm das kecke, junge Mädchen wieder das Wort, »ich glaube, sie war noch mehr als eine treffliche Frau. Wenn ich mich recht entsinne, so lag in ihrer Person ein Reiz, der ein wärmeres, poetischeres Beiwort verdiente. Ich sah sie vor zwei Jahren auf einem Ball beim spanischen Gesandten. An diesem Tage war sie entzückend. Erinnern Sie sich nicht?«

Raymon erbebte, indem er jenes Abends gedachte, wo er zum erstenmal mit Indiana gesprochen hatte. Er erinnerte sich zu gleicher Zeit, daß er auf diesem Ball auch der vornehmen Erscheinung dieses jungen Mädchens begegnet war; aber er hatte sich damals nicht erkundigt, wer sie sei. Erst heute, als er sich verabschiedete und Herrn Hubert zu der Anmut seiner Tochter Glück wünschte, erfuhr er ihren Namen.

»Ich habe nicht das Glück, ihr Vater zu sein,« antwortete der Fabrikherr, »sondern ich habe Fräulein von Nangy adoptiert. Verwitwet und ohne Kinder, sah ich mich vor zehn Jahren im Besitz von ziemlich bedeutenden Kapitalien, den Früchten meiner Arbeit, die ich sicher anzulegen suchte. In Bourgogne war das Landgut und Schloß Nangy zu verkaufen, das zu den Nationalgütern gehörte und mir sehr bequem lag. Ich war seit einiger Zeit sein Eigentümer, als ich erfuhr, daß der ehemalige Besitzer mit seiner siebenjährigen Tochter in einem kleinen Häuschen daselbst ein kümmerliches Dasein friste. Dieser Greis hatte zwar Entschädigungen empfangen, sie aber zur gewissenhaften Bezahlung der während der Emigration gemachten Schulden verwendet. Ich wollte sein Los mildern, aber er hatte in seinem Unglück allen Stolz seines Ranges gewahrt. Kurze Zeit nach meiner Ankunft starb er, ohne von mir irgend eine Dienstleistung angenommen zu haben. Darauf nahm ich sein Kind auf. Die Kleine gewöhnte sich bald, mich wie ihren Vater anzusehen, und ich habe sie wie meine eigene Tochter erzogen. Sie hat mir reich vergolten durch das Glück, das sie über meine alten Tage verbreitet. Um mir dieses Glück zu sichern, habe ich Fräulein von Nangy adoptiert und wünsche jetzt nichts, als einen ihrer würdigen Gatten zu finden, der das Vermögen, welches ich ihr einst hinterlassen werde, wohl zu verwalten versteht.«

Raymon fühlte, daß er der zu dieser angenehmen Aufgabe berufene Mann sein könne, und dankte dem erfinderischen Glück, welches allen seinen Hoffnungen entgegenkam und ihm jetzt eine Gattin seines Standes mit einem hübschen bürgerlichen Vermögen darbot. Das war eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen durfte. Er suchte sich die Besorgnisse auszureden, mit denen ihn zuweilen sein nach der Insel Bourbon gesandter Brief erfüllte, und gab sich der Hoffnung hin, daß die arme Indiana seinen eigentlichen Zweck nicht fassen, oder nicht den Mut haben würde, ihm zu entsprechen; kurz, es gelang ihm, sich selbst zu täuschen und sich für schuldlos zu halten; denn um keinen Preis der Welt hätte er sich als einen Egoisten betrachten mögen.

Er kam also oft nach Lagny und seine Besuche waren Herrn Hubert sehr angenehm, denn Raymon verstand ja bekanntlich die Kunst, sich beliebt zu machen, und bald kannte der reiche Fabrikbesitzer nur noch den Wunsch, Herrn von Ramière seinen Schwiegersohn zu nennen. Aber seine Adoptivtochter sollte selbst wählen und er ließ beiden vollkommene Freiheit, sich kennen und beurteilen zu lernen.

Laura von Nangy hielt ihn zwischen Furcht und Hoffnung. Berechnend und einschmeichelnd, hochmütig und liebenswürdig, war sie ganz die Frau, Raymon zu beherrschen, denn sie war ihm an Gewandtheit ebenso überlegen, als er es Indiana gegenüber gewesen war. Sie hatte bald erkannt, daß ihr Vermögen eine ebenso starke Anziehungskraft auf ihren Bewunderer ausübe, als ihre Persönlichkeit; sie besaß zu viel Verstand und kannte die Welt zu sehr, um von Liebe zu träumen bei einem Vermögen von zwei Millionen. Sie nahm dies Herrn von Ramière durchaus nicht übel; sie verurteilte ihn nicht, weil er das Positive erstrebte, sie liebte ihn nicht, weil sie ihn zu genau kannte.

Für dieses junge Mädchen gab es weder Jugend noch süße Träume, noch eine trügerische Zukunft. Ihr war das Leben eine kalte Berechnung und das Glück eine kindische Täuschung, gegen die man sich wie gegen eine alberne Schwäche wappnen müsse.

Während Raymon an der Verwirklichung seines Glückes arbeitete, näherte sich Indiana den Küsten Frankreichs. Wie groß war ihr Erstaunen und ihr Schrecken, als sie, im Hafen angelangt, die dreifarbige Fahne auf den Mauern von Bordeaux wehen sah. Eine gewaltige Aufregung herrschte in der Stadt, der Präfekt wäre fast am Tage vorher ermordet worden; das Volk erhob sich von allen Seiten, die Garnison schien sich auf einen verzweifelten Angriff vorzubereiten und man kannte den Ausgang der Revolution in Paris noch nicht. »Ich komme zu spät!« war der erste Gedanke, der Indiana wie ein Blitzstrahl durchzuckte. In ihrem Entsetzen ließ sie das wenige Geld und die Sachen, die sie besaß, auf dem Schiffe zurück und begann in einer Art Geistesverwirrung die Stadt zu durchirren. Sie suchte einen Eilwagen nach Paris, aber die Postwagen waren mit fliehenden Reisenden überfüllt. Erst gegen abend fand sie einen Platz. Im Augenblick, wo sie in den Wagen steigen wollte, erschien eine Patrouille der schnell improvisierten Nationalgarde und verlangte die Papiere der Reisenden. Indiana hatte keine. Während sie darüber unterhandelte, hörte sie in ihrer Nähe sagen, der König sei abgesetzt und entflohen und die Minister mit allen ihren Anhängern ermordet. Diese mit lautem Freudengeschrei aufgenommenen Gerüchte versetzten Indiana einen tödlichen Schlag. In dieser ganzen Revolution interessierte sie persönlich nur die Person und das Schicksal eines einzigen Menschen. Sie sank ohnmächtig auf das Pflaster und kam erst in einem Krankenhause nach mehreren Tagen wieder zum Bewußtsein.

Ohne Geld, ohne Wäsche, ohne Kleider, wurde sie zwei Monate nachher, schwach und erschöpft durch eine Gehirnentzündung, wieder entlassen. Als sie sich in dieser großen Stadt allein auf der Straße fand, ohne Geld und von der ausgestandenen Krankheit noch erschöpft, ergriff sie ein unbeschreibliches Gefühl von Schrecken und Verzweiflung bei dem Gedanken, daß Raymons Schicksal schon längst entschieden sei und daß ihr niemand zur Seite stehe, der sie von dieser entsetzlichen Ungewißheit befreien könnte. Das Entsetzen des Alleinstehens lastete mit seiner ganzen Macht auf ihrem gebrochenen Herzen. In dieser geistigen Erstarrung wurde sie von der anbrechenden Nacht überrascht, die sie unter den Trümmern eines abgerissenen Hauses verbrachte. Endlich kam der Tag und der Hunger machte sich geltend. Erst jetzt erinnerte sich Indiana wieder, daß sie ihre Sachen und ihr Geld auf dem Schiffe zurückgelassen habe. Sie schleppte sich nach dem Hafen, fragte nach der Brigg »Eugène« und erfuhr, daß dieses Fahrzeug noch immer auf der Rhede vor Bordeaux läge. Sie ließ sich hinführen und fand den Kapitän Random eben beim Frühstück.

»Nun,« rief er, »schöne Reisende, schon wieder zurück von Paris? Sie kommen zur gelegenen Zeit, denn ich segle morgen wieder ab. Soll ich Sie nach Bourbon zurückbringen?«

Wie er erzählte, hatte er sie überall suchen lassen, um ihr ihr Eigentum zuzustellen. Aber Indiana hatte in dem Augenblick, wo man sie ins Hospital brachte, kein Papier bei sich, aus dem man ihren Namen hätte erfahren können. Sie war als Unbekannte in die Register eingetragen worden, und der Kapitän hatte nichts über sie erfahren können. Ungeachtet ihrer Schwäche reiste Indiana am folgenden Tage nach Paris ab.

Noch denselben Abend, wo sie dort eintraf, eilte sie nach Raymons Wohnung und erfuhr vom Portier, daß der Herr sich wohl befinde und in Lagny weile.

»In Lagny?« frug Indiana ungläubig. »Sie wollen sagen, in Cercy.«

»Nein, in Lagny, es ist jetzt sein Besitztum.«

»Guter Raymon!« dachte Indiana, »er hat dieses Landgut gekauft, um mir einen Zufluchtsort zu bieten, wo die Bosheit mich nicht erreichen kann. Er wußte wohl, daß ich kommen würde.«

Trunken von Glück und neubelebt, begab sie sich in ein Hotel garni und überließ sich die Nacht und einen Teil des folgenden Tages der Ruhe. Es war so lange, daß die Unglückliche keinen friedlichen Schlummer genossen hatte! Nach ihrem Erwachen kleidete sie sich sorgfältig an, sie wußte, daß Raymon auf die Reize der Toilette viel hielt, und daher hatte sie schon am vorigen Abend ein hübsches neues Kleid gekauft. Aber als sie ihr Haar ordnen wollte, suchte sie vergeblich ihre langen, schönen Flechten; sie waren während ihrer Krankheit unter der Schere der Krankenwärterin gefallen. Jetzt bemerkte sie es zum erstenmal, so sehr hatte der Gedanke an Raymon sie von allem anderen abgelenkt.

Doch als sie ihre kurzen schwarzen Haare auf ihrer weißen Stirn hatte locken lassen, als sie ihren hübschen Kopf mit einem kleinen Hute von englischer Form bedeckt und in ihren Gürtel ein Bukett der Blumen gesteckt hatte, deren Duft Raymon besonders liebte, hoffte sie, ihm immer noch zu gefallen.

Sie nahm am Nachmittag einen Wagen und kam gegen neun Uhr abends in ein Dorf am Saum des Waldes von Fontainebleau. Hier verließ sie den Wagen und schlug zu Fuß einen Waldweg ein, auf dem sie in einer Viertelstunde an den Park von Lagny gelangte. Da sie die kleine Pforte verschlossen fand, Raymon aber überraschen wollte, so ging sie an der alten morschen Mauer des Parkes hin und fand auch bald eine in Verfall geratene Stelle, die sie ohne zu große Mühe überstieg.

Als sie ihren Fuß auf einen Boden setzte, der Raymon gehörte und jetzt ihr Asyl, ihr Heiligtum werden sollte, fühlte sie ihr Herz vor Freude hüpfen. Sie eilte mit leichten Schritten durch die Alleen, die sie so gut kannte, und erreichte den englischen Garten. Nichts hatte sich verändert; aber die Brücke, deren schmerzlichen Anblick sie fürchtete, war verschwunden, der Lauf des Flusses sogar verändert, alle die Orte, welche an Nouns Tod erinnern konnten, waren nicht wiederzuerkennen.

»Er hat mir diese traurigen Erinnerungen ersparen wollen,« dachte Indiana.

Auf den Brettern, welche die Stelle der Brücke ersetzten, überschritt sie den Fluß und gelangte in den Garten. Sie mußte stillstehen, denn ihr Herz schlug so heftig, als wollte es springen. Sie erhob die Augen nach dem Fenster ihres ehemaligen Zimmers. O, Glück! hinter den blauen Vorhängen strahlte Licht, Raymon war da! Konnte er denn ein anderes Zimmer bewohnen? Die Tür der heimlichen Treppe war offen.

»Er erwartet mich zu jeder Stunde,« dachte sie, »er wird glücklich sein, aber kaum überrascht.«

Oben auf der Treppe blieb sie noch einmal stehen, um Atem zu schöpfen; sie beugte sich nieder und blickte durch das Schlüsselloch. Raymon war allein und las. Da saß er, ruhig und schön, die Stirn auf seine weiße Hand gestützt, die sich in seinen schwarzen Haaren verlor.

Indiana stieß heftig die Tür auf.

»Du hast mich erwartet!« rief sie, auf ihre Knie sinkend, »du hast die Monate, die Tage gezählt! du hast mich gerufen, und da bin ich! Da bin ich! ich sterbe!«

Ihre Gedanken verwirrten sich; unfähig, zu sprechen, schloß sie die Augen, um sie dann zu Raymon zu erheben.

Er war bleich, stumm, unbeweglich, wie vom Blitze getroffen.

»Erkenne mich doch,« rief sie, »ich bin es, deine Indiana, die du aus der Verbannung gerufen hast und die dreitausend Stunden weit herkommt, um dich zu lieben, dir zu dienen. Bist du mit mir zufrieden? Sprich! Ich erwarte ein Wort, einen Kuß, und ich bin hundertfach belohnt.«

Aber Raymon antwortete nicht; seine bewundernswürdige Geistesgegenwart hatte ihn verlassen. Er war wie zu Boden geschmettert, als er dieses Weib zu seinen Füßen sah; er verbarg seinen Kopf in seine Hände und wünschte sich den Tod.

»Mein Gott, du sprichst nicht! Du umarmst mich nicht!« rief Indiana, Raymons Knie gegen ihre Brust drückend. »Ja, ich weiß, das Glück schmerzt, es tötet, ich weiß es wohl! Ach, ich habe dich zu sehr überrascht. Sag' mir ein Wort, ein einziges Wort, Raymon.«

»Ich möchte weinen,« begann Raymon mit erstickter Stimme.

»Und auch ich,« sagte sie, seine Hände mit Küssen bedeckend. »Weine, weine denn an meinem Busen, ich werde deine Tränen mit Küssen trocknen, ich will dir alles sein, was du von mir begehrst, Gefährtin, Dienerin, Geliebte. Verfüge über mich, über mein Blut, mein Leben; ich bin dein mit Leib und Seele. Ich habe dreitausend Wegstunden gemacht, um dir zu gehören, nimm mich, ich bin dein, du bist mein Herr!«

Durch Raymons Kopf zuckte plötzlich ein höllischer Gedanke. Er erhob sein Gesicht von seinen gefalteten Händen und blickte Indiana mit einer teuflischen Ruhe an; dann irrte ein furchtbares Lächeln über seine Lippen und seine Augen funkelten: denn Indiana war noch schön.

»Vor allen Dingen mußt du dich verbergen,« sagte er aufstehend.

»Warum hier mich verbergen?« fragte sie; »bist du nicht der Herr, der mich aufnehmen und beschützen kann, mich, die niemand als dich auf der Erde hat und die ohne dich betteln müßte? Geh', selbst die Welt kann dir kein Verbrechen mehr daraus machen, mich zu lieben, ich habe alles auf mich allein genommen . . . Aber wo willst du hin?« rief sie, als sie ihn nach der Tür gehen sah.

Sie hing sich mit dem Schrecken eines Kindes, das nicht allein gelassen sein will, an ihn und schleppte sich auf den Knien fort, um ihm zu folgen.

Er wollte die Tür verschließen; aber ehe er sie mit der Hand erreichen konnte, öffnete sie sich und Laura von Nangy trat ein. Sie schien weniger erstaunt als verletzt. Ohne ein Wort laut werden zu lassen, bückte sie sich ein wenig, um die Frau, die halb ohnmächtig zur Erde gesunken war, zu betrachten.

»Frau Delmare,« sagte sie mit einem kalten, verächtlichen Lächeln, »es hat Ihnen beliebt, drei Personen in eine sonderbare Lage zu versetzen; doch danke ich Ihnen, mir die am wenigsten lächerliche Rolle zugeteilt zu haben, und ich entledige mich ihrer, indem ich Sie bitte, sich zu entfernen.«

Der Unwille gab Indiana die Kraft wieder; sie erhob sich elastisch und sagte zu Raymon:

»Wer ist denn diese Frau und mit welchem Rechte gibt sie mir Befehle in deinem Hause?«

»Sie sind hier in meinem Hause, Frau Delmare,« erwiderte Laura.

»Aber sprechen Sie doch, mein Herr,« rief Indiana, krampfhaft den Arm des Unglücklichen schüttelnd, »sagen Sie mir doch, wer das ist.«

»Es ist meine Frau,« antwortete Raymon mit jammervoller Miene.

»Ich verzeihe Ihrer Unwissenheit,« sagte Frau von Ramière mit einem grausamen Lächeln. »Wären Sie an dem Orte geblieben, den die Pflicht Ihnen anweist, so hätten Sie bereits eine Verlobungskarte von Herrn von Ramière erhalten. Nun, Raymon,« fügte sie in einem Tone höhnischer Freundlichkeit hinzu, »deine Verlegenheit dauert mich, ich denke, du wirst jetzt einsehen, daß das Leben etwas mehr Klugheit erfordert. Ich überlasse dir die Sorge, dieser abgeschmackten Szene ein Ende zu machen. Ich würde darüber lachen, wenn du nicht so entsetzlich unglücklich deswegen aussähest.«

Mit diesen Worten zog sie sich zurück, sehr zufrieden mit der Würde, die sie bewahrt hatte, und insgeheim über die überlegene Stellung triumphierend, welche sie durch diesen Vorfall über ihren Gatten erlangt hatte.

Als Indiana wieder zum Bewußtsein kam, befand sie sich allein in einem verschlossenen Wagen auf dem Wege nach Paris.



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