George Sand
Indiana
George Sand

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Achtzehntes Kapitel.

Raymon sah voraus, daß diese Liebe, welche sich ihrem Ende näherte, ihm bald höchst lästig werden würde. Daher kam ihm auch das Mißgeschick des Obersten sehr gelegen. Für ihn handelte es sich nur noch darum, sich Indianas Übersprung geschickt zu nutze zu machen und dann seinem guten Sterne die Sorge zu überlassen, ihn von ihren Tränen und Vorwürfen zu befreien.

Am folgenden Tage begab er sich daher nach Lagny.

»Indiana,« begann er seine Unterredung mit ihr, »ahnst du wohl, mit welchem Auftrage mich dein Gatte betraut hat? Ich soll dich bitten, ihn nach der Insel Bourbon zu begleiten, ich soll dich überreden, mich zu verlassen, mir das Herz aus dem Leibe zu reißen. Glaubst du, daß er seinen Advokaten gut gewählt hat?«

Der düstere Ernst Indianas zwang Raymon trotz seiner Kunstgriffe dennoch eine gewisse Achtung ab.

»Warum willst du von dem allen mit mir sprechen?« fragte sie; »fürchtest du, daß ich gehorche? Beruhige dich, Raymon, mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin bereit, den kühnen Schritt zu tun, zu dem mein Geschick mich treibt, und du wirst ja meine Stütze, mein Führer sein!«

Raymon erschrak vor Indianas ruhiger Zuversicht. Übrigens war er immer noch in der Meinung, daß Indiana ihn eigentlich nicht liebe und ihre überspannten Ideen nur aus Romanen geschöpft habe, um sie jetzt auf ihre Lage anzuwenden. Er nahm seine leidenschaftliche Beredsamkeit, seine poetische Phantasie zu Hilfe, um sich auf gleicher Höhe mit seiner romanhaften Geliebten zu halten, und es gelang ihm, ihren Irrtum zu verlängern.

Raymon fürchtete jedoch, Indiana könne ihn beim Wort nehmen und ihn zur Erfüllung seiner Verheißungen zwingen, wenn er nicht geschickt den von ihr entworfenen Plan unterminierte. Daher überredete er sie, bis zu dem Augenblick, wo es Zeit zum offenen Widerstand sei, dem Anschein des Einverständnisses oder der Gleichgültigkeit anzunehmen.

Ralph wollte durchaus seinen unglücklichen Freunden helfen. Er bot sein ganzes Vermögen, sein Schloß Bellerive, seine Renten aus England und den Verkauf seiner Plantagen in den Kolonien an; doch der Oberst war unbeugsam. Er wollte keinerlei Opfer von ihm annehmen. Ralph verpachtete Bellerive und begleitete Herrn und Frau Delmare nach Paris, bis zu ihrer Abreise nach der Insel Bourbon.

Lagny wurde mit der Fabrik und allem Zubehör zum Verkauf gestellt. Der Winter verfloß für Indiana traurig und düster. Wohl war Raymon in Paris, wohl sah er sie alle Tage; er war voll zarter Aufmerksamkeit für sie, aber er blieb stets nur kurze Zeit und nur in Anwesenheit ihres Gatten.

Raymon hatte Grundsätze, wie wir schon gesagt haben. Als er sah, welche Freundschaft, welches Vertrauen der Oberst ihm schenkte, wie er ihn für das Muster der Ehrenhaftigkeit hielt und wie er fast auf seine Vermittlung zwischen sich und seiner Frau brannte, da entschloß er sich, dieses Vertrauen zu rechtfertigen, diese Freundschaft zu verdienen und die beiden Gatten zu versöhnen. Er wurde wieder moralisch, tugendhaft, Philosoph. Es wird sich zeigen, auf wie lange.

Indiana, welche diese Umwandlung nicht verstand, litt furchtbar, sich so vernachlässigt zu sehen; doch war sie harmlos genug, sich den völligen Ruin ihrer Hoffnungen nicht einzugestehen, denn sie ließ sich leicht täuschen. Ihr Gatte trug vor der Welt den stoischen Gleichmut eines charakterfesten Mannes zur Schau, zu Hause aber war er nur noch ein reizbares Kind. Indiana hatte darunter schwer zu leiden. Eine gewöhnliche Frau würde diesen Mann beherrscht haben, sie wäre auf seine Ansichten eingegangen und hätte sich ihr Bestes dabei gedacht; sie hätte sich scheinbar seinen Vorurteilen angeschlossen, um im stillen sich darüber lustig zu machen, sie würde ihm geschmeichelt, würde ihn getäuscht haben. Aber Heucheln und Täuschen war in ihren Augen ein Verbrechen und zwanzigmal in einem Tage war sie im Begriff, ihrem Gatten zu gestehen, daß sie Raymon liebe; nur die Furcht, den Geliebten zu verlieren, hielt sie davon zurück. Ihr kalter, schweigender Gehorsam reizte den Oberst weit mehr, als offener Widerstand es vermocht hätte, denn er mußte sich gestehen, daß er wohl befehlen, aber nicht überzeugen könne. Wenn er zuweilen eine verkehrte Anordnung tat, die Indiana, ohne ihre richtigere Meinung geltend zu machen, mit der mechanischen Unterwerfung eines Sklaven ausführte, und wenn er dann sehen mußte, wie sehr die Folgen ihres blinden Gehorsams sein Interesse schädigten, so geriet er in furchtbare Wut, und das schlimmste dabei war, daß er sich selbst als Schuldigen anklagen mußte. In solchen Augenblicken hätte er Indiana umbringen können.

Und doch liebte er im Grunde seines Herzens diese schwache Frau. Wenn er des Morgens in ihr Zimmer trat, in der Absicht, mit ihr zu zanken, so fand er sie zuweilen schlafend und wagte nicht, sie aufzuwecken. Er betrachtete sie schweigend, erschrak über ihre Zartheit, über die Blässe ihrer Wangen, über den Ausdruck schwärmerischer Ergebung, der sich in diesen stummen Zügen aussprach. Dann schämte er sich, daß ein so schwächliches Wesen auf sein Geschick einen Einfluß gewonnen hatte, auf ihn, den Mann von Eisen, gewohnt, durch ein einziges Kommandowort ganze Schwadronen in Bewegung zu setzen.

Dieses Weib, fast noch ein Kind, das er, wenn er gewollt hätte, mit seiner Hand hätte zerdrücken können, da lag sie, hinfällig, unter seinen Augen vielleicht von einem andern träumend und selbst im Schlafe ihm trotzend. Er fühlte sich versucht, sie an den Haaren herumzuschleifen, um sie zu zwingen, um Gnade zu bitten; aber sie war so hübsch, so zierlich, so weiß, daß er sich ihrer erbarmte, wie das Kind vom Anblick des Vögleins gerührt wird, das es töten wollte. Und er weinte wie ein Weib, dieser eherne Mann, und entfernte sich, damit sie nicht den Triumph genießen sollte, seine Tränen zu sehen. In der Tat, es war schwer zu entscheiden, wer unglücklicher war, ob sie oder er. Herr und Frau Delmare hatten in Melun und Fontainebleau einige wohlhabende Familien kennengelernt, die den Winter in Paris zubrachten und hier das Ehepaar aufsuchten. Diese kleinstädtischen Menschen wurden nun die eifrigsten Zwischenträger und suchten die Gatten auszusöhnen, die doch niemals in Streit gerieten. Die einen rieten Frau Delmare zur Unterwerfung und sahen nicht, daß sie darin schon des Guten zu viel tat; die anderen rieten dem Gatten, streng zu sein und sein Ansehen nicht unter den Pantoffel kommen zu lassen. Nichts wurde von diesen klatschsüchtigen Leuten, unter dem Vorwande, Frieden zu stiften, unversucht gelassen, die Lage des so ungleichen Ehepaares zu verschlimmern und ihre gegenseitige Hartnäckigkeit noch zu schüren.

Ralph war klug genug, sich in ihre Zwistigkeiten nicht zu mengen. Indiana hatte geargwöhnt, er werde Raymon bei ihrem Gatten verdächtigen; doch das fortdauernde gute Einvernehmen zwischen diesen beiden war ihr ein überzeugender Beweis von der Verschwiegenheit ihres Vetters. Sie fühlte jetzt das Bedürfnis, ihm zu danken; aber er wich ihren Versuchen aus. Sie bemühte sich daher, ihm ihre Dankbarkeit durch freundliche Fürsorge und kleine zärtliche Aufmerksamkeiten zu bezeugen; aber Ralph schien nicht darauf zu achten und Indianas Stolz wurde von dieser hochmütigen Großmut sehr gedemütigt. Um in ihm nicht die Meinung zu erwecken, als habe sie ihn durch jene zarten Auszeichnungen nur in seiner Nachsicht und Verschwiegenheit bestärken wollen, nahm sie gegen den armen Ralph wieder ein kaltes, gezwungenes Wesen an. Sein Benehmen erschien ihr als der ausgebildetste Egoismus; er schien sie zwar zu lieben, aber nicht mehr zu achten. Ihre Gesellschaft schien ihm nur zu seiner Zerstreuung zu dienen, seine Besuche nur eine gewohnheitsmäßige Sache, ihre Fürsorge für seine kleinen Bedürfnisse nur etwas Selbstverständliches zu sein.



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