George Sand
Indiana
George Sand

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der Tag vor der Abreise verstrich. Indiana schloß sich in ihr Zimmer ein, um die wenigen Sachen zurechtzulegen, die sie mitnehmen wollte; dann trug sie dieselben, unter ihren Kleidern verborgen, Stück für Stück unter die Felsen in der Palmenbucht und legte sie in einen Bastkorb, den sie in den Sand vergrub. Das Meer ging hohl und der Wind wuchs von Stunde zu Stunde. Aus Vorsicht hatte das Schiff »Eugène« den Hafen verlassen und kreuzte hin und her, und Indiana erblickte in der Ferne seine weißen, vom Winde geschwellten Segel.

Gegen Abend ließ der Wind nach. Der »Eugène« näherte sich der Küste und bei Sonnenuntergang hörte Indiana einen Kanonenschuß in den Echos der Insel widerhallen. Es war das Signal der Abfahrt für den folgenden Tag.

Nach dem Abendessen fühlte sich Delmare unwohl. Er brauchte die Hilfe der Gattin, die sich nun plötzlich Vorwürfe machte bei dem Gedanken, wer sich dieses Greises erbarmen würde, wenn sie ihn verlassen hätte. Gegen zehn Uhr fühlte er sich jedoch bedeutend besser, er bat Indiana, sich niederzulegen und sich nicht weiter um ihn zu sorgen. Ralph versicherte, daß alle Krankheitssymptome verschwunden wären und ein ruhiger Schlaf jetzt das beste Heilmittel sei. Als die elfte Stunde schlug, war im Hause alles still. Indiana warf sich unter bitteren Tränen auf ihre Knie und betete, denn sie stand in Begriff, sich mit einer großen Schuld zu beladen, und von Gott allein konnte sie Verzeihung erwarten. Leise trat sie in das Zimmer ihres Gatten. Er lag in tiefem Schlafe, sein Gesicht war ruhig, seine Atemzüge gleichmäßig. In dem Augenblicke erst, wo sie sich entfernen wollte, bemerkte sie Ralphs Gegenwart, der in einer Ecke des Zimmers in einem Lehnstuhl schlummerte, um gleich bei der Hand zu sein, falls der Kranke seiner bedürfen sollte.

»Armer Ralph,« dachte Indiana, »welch' schmerzlicher Vorwurf für mich!«

Sie war nahe daran, ihn aufzuwecken und ihm alles zu gestehen, aber der Gedanke an Raymon war stärker als ihre Reue. Sie löste von ihrem Halse eine goldene Kette, ein Erbstück von ihrer Mutter, legte sie sanft um Ralphs Hals, als das letzte Pfand schwesterlicher Freundschaft, und hielt ihre Lampe noch einmal über das Antlitz ihres greisen Gatten, um sich zu überzeugen, daß er nicht mehr krank sei. Er träumte in diesem Augenblicke und sagte im Schlafe mit trauriger, schwacher Stimme: »Hüte dich vor diesem Manne, er stürzt dich ins Verderben! . . .« Indiana zitterte vom Kopf bis zu den Füßen und entfloh in ihr Zimmer. Sie rang die Hände in verzweifelter Ungewißheit; bald aber beschwichtigte sie der Gedanke, daß es sich ja um Raymons Glück handle, nicht um das ihrige.

Nachdem sie ihren Korb ausgegraben hatte, setzte sie sich schweigend und zitternd auf die Erde – lauschte dem pfeifenden Wind und dem Brausen der zu ihren Füßen sich brechenden Wogen; aber diese Stimmen wurden von dem Klopfen ihres Herzens übertäubt, das in ihren Ohren wie der Ton einer Totenglocke widerhallte.

Sie wartete lange. Die festgesetzte Stunde mußte bereits vorüber sein. Das Meer war so stürmisch und das Anlegen an den Küsten der Insel zu jeder Zeit so schwierig, daß sie an dem guten Willen der Matrosen, die sie holen sollten, zu zweifeln begann. Endlich bemerkte sie auf den glänzenden Wogen den schwarzen Schatten eines Bootes, das sich zu nähern suchte. Aber die Brandung war so stark, das Meer ging so hohl, daß das schwache Fahrzeug jeden Augenblick zwischen den Wogen verschwand. Zuweilen vernahm sie Rufe, die von dem Boote herübertönten; sie beantwortete dieselben, aber der heulende Wind verwehete ihre schwache Stimme. Als die Matrosen endlich nahe genug waren, um sie zu hören, ruderten sie mit großer Mühe heran und warteten, bis eine Woge sie an das Ufer führen würde. Sobald sie fühlten, daß das Boot erhoben wurde, verdoppelten sie ihre Anstrengungen und die Woge warf sie mit dem Boote an den Strand.

Das Boot entführte Indiana mitten durch die wild aufschäumenden Wellen unter dem Heulen des Sturmes und den Flüchen der beiden Ruderer, welche laut die Gefahr verwünschten, der sie sich Indianas wegen aussetzten. Der eine wünschte den Kapitän zu allen Teufeln, daß er nicht schon vor zwei Stunden den Befehl gegeben habe, die Anker zu lichten; aber nur dieses Frauenzimmers wegen habe er so lange gewartet. Der andere warnte seinen Kameraden, in Gegenwart dieser Zuhörerin auf den Kapitän zu schimpfen.

»Ei was!« entgegnete der erste, »in dieser Nacht haben wir nur mit den Haifischen unsere Rechnung zu machen, wenn wir je den Kapitän Random wiedersehen, so denke ich, wird er nicht schlimmer sein als sie.«

»Ja, die Haifische!« sagte der andere, »ich weiß nicht, ob es einer ist, der uns von da unten schon anglotzt, aber ich sehe in den Wogen ein Gesicht, das kein christliches zu sein scheint.«

»Dummkopf! siehst du einen Hund für einen Meerwolf an! Holla, vierfüßiger Passagier, man hat dich an der Küste vergessen, aber der Teufel hole mich, wenn du Schiffszwieback zu essen kriegst. Unsere Ordre lautet nur auf eine Frau, von Hunden ist keine Rede.«

Zu gleicher Zeit erhob er sein Ruder, um einen Schlag gegen den Kopf des Tieres zu führen. In diesem erkannte Indiana die treue Ophelia, die ihre Spur in den Felsen der Insel aufgefunden hatte und ihr schwimmend folgte. Im Augenblick, wo der Matrose nach ihr schlagen wollte, warf die Woge, gegen die sie mühsam ankämpfte, sie weit vom Boot hinweg, und ihre Herrin hörte ihr schmerzliches Geheul. Sie bat die Ruderer, Ophelia in das Boot aufzunehmen, aber in dem Augenblick, wo das treue Tier sich näherte, zerschmetterten sie ihm unter höhnischem Gelächter den Kopf und Indiana sah den toten Körper Ophelias, die sie so sehr geliebt hatte, verschwinden. Je mehr die Küste zurückwich, desto ruhiger wurde das Meer und bald eilte das Boot schnell und gefahrlos dem Schiffe zu. Jetzt kam den beiden Ruderern die gute Laune und mit ihr die Überlegung wieder. Sie bemühten sich, ihre Grobheit gegen Indiana wieder gutzumachen, aber ihre Schmeicheleien waren beleidigender als ihr Zorn. An der Rohheit ihrer Führer rächte sich Indiana, als sie auf dem Schiffe angekommen war, durch eine reiche Belohnung ihrer Mühsal, dann zog sie sich in die Kajüte zurück und wartete mit Angst auf die Stunde der Abfahrt.

Endlich brach der Tag an und auf dem Meere zeigten sich zahlreiche Boote, welche Passagiere an Bord brachten. Hinter einer Stückpforte verborgen, spähete Indiana angstvoll aus, ob sich ihr Gatte unter diesen Ankömmlingen befände, um sie zurückzuholen. Endlich verhallte der Kanonenschuß, welcher die Abfahrt verkündigte, in den Echos der Insel. Das Fahrzeug begann Berge von Schaum vor sich aufzuhäufen, und die aufsteigende Sonne warf ihr heiteres, rosiges Licht auf die weißen Gebirgsgipfel, die bald am Horizont verschwanden.

Als man sich einige Stunden auf dem Meere befand, führte Kapitän Random eine Art Komödie auf, um jede Verantwortlichkeit für die ungesetzliche Mitnahme seiner Passagierin von sich abzuwälzen. Er tat, als wenn er jetzt erst Frau Delmare auf seinem Schiffe entdecke, spielte den Überraschten, befragte seine Matrosen, erzürnte sich zum Schein, beruhigte sich dann und setzte endlich ein Protokoll auf, daß sich an Bord des »Eugène« ein Findelkind eingestellt habe, wie der technische Ausdruck für solche Fälle lautet.



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