George Sand
Indiana
George Sand

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Raymon hatte seiner Ermüdung nachgegeben und war in tiefen Schlaf gesunken, nachdem er Sir Ralph kurz abgefertigt hatte. Als er erwachte, ergoß sich ein Gefühl des Wohlbehagens durch seinen ganzen Körper; er glaubte, die Hauptkrisis dieses Abenteuers sei jetzt überstanden. Schon längst hatte er vorausgesehen, daß ein Augenblick kommen würde, wo er seine Freiheit gegen die romantische Leidenschaft dieser Frau würde verteidigen müssen. Jetzt endlich war die Entscheidung gefallen, – er hatte gesiegt. Indiana hatte sich einsichtsvoll und vernünftig gezeigt und ihren Entschluß schnell gefaßt.

Raymon war sehr zufrieden mit seiner Vorsehung, denn er besaß eine für sich allein, auf welche er rechnete, um alles zu seinem Vorteil, wenn auch zum Nachteil anderer hübsch in Ordnung zu bringen.

Er fühlte sich zwar noch erschöpft von diesen sogenannten Gemütsbewegungen, dennoch beschäftigten bereits freundliche Bilder der Zukunft seine Gedanken. Er war endlich wieder frei und überließ sich ganz der seligen Empfindung dieses köstlichen Zustandes, den er sich gewöhnlich so schlecht zu bewahren wußte.

»Warum langweilt mich denn diese köstliche Freiheit des Geistes so bald, die ich mir immer so teuer zurückerkaufen muß?« fragte er sich. »Fühle ich mich in den Fesseln einer Frau gefangen, so sehne ich mich danach, sie zu zerbrechen, um meine Herzensruhe wiederzuerlangen. Ich will verdammt sein, wenn mir das sobald wieder geschieht! Der Kummer, den mir diese beiden Kreolinnen bereitet haben, soll mir zur Warnung dienen, ich will mich in Zukunft nur an leichtsinnige, spöttische Pariserinnen wenden . . . an wahrhaft vornehme Frauen. Vielleicht täte ich gut, mich zu verheiraten, um den Torheiten für immer ein Ende zu machen.«

Am anderen Tage dachte er aber daran, daß ihm noch die Aufgabe zu erfüllen bliebe, die Achtung, wenn auch nicht die Liebe Indianas wiederzugewinnen. Er wollte nicht, daß sie sich rühmen könne, ihn verlassen zu haben, er wollte sie überzeugen, daß sie seiner höheren Vernunft und seinem Edelmut nachgegeben hätte. Er wollte sie noch beherrschen, nachdem er sie verstoßen hatte, und schrieb ihr:

»Ich komme nicht, Deine Verzeihung, liebe Freundin, für einige grausame oder verwegene Worte zu erbitten, die mir in der Aufregung entschlüpft sind. Es ist nicht meine Schuld, wenn ich in Deiner Nähe das Feuer meines kochenden Blutes nicht bemeistern kann. Du warst zu vollkommen, um Dich zu den gemeinen Leidenschaften herabzuwürdigen, wie sie uns anderen, staubgeborenen Kreaturen anhaften. Ich habe Dir es oft gesagt, Indiana, Du bist keine Frau, ich verehre Dich in meinem Herzen wie eine Gottheit. Aber ach! in Deiner süßen Gegenwart nahm oft der alte Mensch seine Rechte wieder, und ich vergaß, daß Du ein Abglanz des Himmels bist, ein Traum ewiger Seligkeiten, ein Engel, vom Busen Gottes losgerissen, um meine Schritte in diesem Leben zu leiten und mir von den Freuden eines anderen Daseins zu erzählen. Warum, reiner Geist, hattest Du die verführerische Gestalt eines Weibes angenommen? Warum, Engel des Lichtes, hattest Du Dich mit den Lockungen der Hölle geschmückt? Oft glaubte ich das Glück in meinen Armen zu halten, und Du warst nur die Tugend.

»Verzeihe mir, teure Freundin, ich war Deiner nicht würdig. Mein Herz leidet schmerzlicher als das Deine, durch den mutigen Entschluß, der Dich meinen Armen entführt. Ja, meine Indiana, Du hast die Kraft gefunden, dieses heroische Opfer zu bringen. Es vereinsamt meine Zukunft und vernichtet mein Dasein. Doch ich liebe Dich noch immer genug, um mein Schicksal ohne Klage zu ertragen; denn mein Glück ist nichts, das Deinige ist mir alles. Meine Ehre würde ich Dir tausendmal zum Opfer bringen, aber die Deinige ist mir teurer als alle Freuden, die Du mir gegeben hättest. Die Verachtung der Menschen hätte mich tiefer gebeugt als Dich. Ich hätte es nicht ertragen, Dich durch meine Schuld verachtet, beschimpft zu sehen und von diesem Schimpfe Dich nicht reinigen zu können! Denn vergeblich hätte ich mein Blut für Dich vergossen, ich hätte Dich vielleicht gerächt, aber Dir Deine Ehre nicht wieder zurückgeben können. Arme Indiana, ich hätte Dich ins Verderben gestürzt! O, ich wäre sehr unglücklich geworden!

»Reise also, Vielgeliebte, flieh unter einen anderen Himmel, um die Früchte der Tugend und der Religion zu ernten. Gott wird uns für unsere Entsagung belohnen, er wird uns in einem glücklicheren Leben vereinigen und vielleicht sogar . . . Aber dieser Gedanke ist nur ein neuer Frevel; und doch kann ich nicht umhin, zu hoffen! . . . Leb' wohl, Indiana, leb' wohl! . . . Ach, mein Herz ist vernichtet. Wo könnte ich die Kraft finden, Dir Lebewohl zu sagen.«

Frau Delmare verschloß den Brief uneröffnet in einen Koffer, den sie erst in den Kolonien öffnen sollte. Sie wollte sich von ihrer Tante verabschieden, Ralph redete ihr dies jedoch aus: er war bei Frau von Carvajal gewesen, er wußte, daß diese heuchlerische Betschwester ihre Nichte mit Vorwürfen überhäufen wolle; und dieser Demütigung wollte er Indiana nicht aussetzen.

Am folgenden Tage, als Delmare und seine Gattin in den Postwagen steigen wollten, sagte Sir Ralph in seiner gewohnten gleichmütigen Weise zu ihnen:

»Ich habe Ihnen oft zu verstehen gegeben, liebe Freunde, daß ich Sie zu begleiten wünschte; Sie haben mir stets ausweichend geantwortet. Jetzt aber wiederhole ich meine Frage: Wollen Sie mir erlauben, mit Ihnen zu reisen?«

»Nach Bordeaux?« fragte Herr Delmare.

»Nach Bourbon,« antwortete Herr Ralph.

»Wo denken Sie hin!« rief der Oberst. »Sie dürfen sich bei der Wahl Ihres Aufenthaltes nicht nach uns richten, denn unsere Zukunft ist sehr ungewiß, wir würden Ihre Freundschaft mißbrauchen, wollten wir das Opfer annehmen. Sie sind reich, jung, frei, Sie müssen wieder heiraten und eine Familie gründen.«

»Darum handelt es sich hier nicht,« entgegnete Sir Ralph. »Seit einem halben Jahre hat es mir geschienen, als wenn Ihrer beiden Freundschaft gegen mich etwas erkaltet wäre. Sollte ich mich täuschen, so genügt ein Wort von Ihnen, mich zu beruhigen. Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten. Bin ich Ihrer nicht mehr wert, so sagen Sie es mir offen.«

Der Oberst reichte ihm gerührt die Hand und versicherte, daß er aufrichtiger als je sein Freund sei und sein Anerbieten nur aus Zartgefühl ablehne.

»Und du,« wandte sich Ralph mit bewegter Stimme an Indiana, »fühlst auch du noch die alte Freundschaft für mich?«

Dieses Wort erweckte all die kindliche Neigung, alle jugendlichen Erinnerungen wieder, die einst ihre Herzen vereinigt hatten. Sie sanken einander weinend in die Arme. Ralph war einer Ohnmacht nahe, denn in diesem kräftigen Körper, unter diesem ruhigen, zurückhaltenden Temperamente verbargen sich die mächtigsten Leidenschaften. Er ergriff Indiana und den Oberst bei den Händen. »Seien Sie offen gegen mich in dieser Stunde einer vielleicht ewigen Trennung,« sagte er, »lehnen Sie meinen Vorschlag, Sie zu begleiten, meinetwegen oder Ihretwegen ab?«

»Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre,« antwortete Delmare, »daß ich ein großes Opfer bringe, indem ich ihn ablehne.«

»Was mich betrifft,« sagte Indiana, »so weißt du ja, daß ich mich nie von dir trennen möchte.«

»Gott bewahre mich, daß ich in einem solchen Augenblicke an Ihrer Aufrichtigkeit zweifeln sollte, teure Freunde,« entgegnete Ralph, »Ihr Wort genügt mir, ich bin mit Ihnen beiden zufrieden.«

Und er verschwand.

Sechs Wochen nachher ging die Brigg »La Coraly« im Hafen von Bordeaux unter Segel. Ralph hatte seinen Freunden geschrieben, daß er einige Tage vor ihrer Abreise dort eintreffen würde, aber aus seiner lakonischen Mitteilung ließ sich nicht entnehmen, ob er ihnen nur ein letztes Lebewohl sagen, oder sie begleiten wollte. Sie erwarteten ihn bis zur letzten Stunde vergeblich und der Kapitän gab das Zeichen zur Abfahrt, ohne daß Sir Ralph erschienen wäre. Manche düstere Befürchtungen vermehrten den Schmerz, welcher auf Indianas Gemüt lastete, als die letzten Häuser des Hafens in dem Grün der Küste verschwanden. Sie zitterte bei dem Gedanken, jetzt ganz allein auf ihren Gatten angewiesen zu sein, den sie haßte, und mit ihm leben und sterben zu müssen, ohne einen Freund zu haben, der sie trösten und sie gegen seine heftige Gemütsart schützen könnte.

Aber als sie sich umwandte, blickte sie plötzlich in Ralphs ruhiges, ihr freundlich zulächelndes Antlitz.

»Du verläßt mich also nicht!« rief sie, als sie sich unter strömenden Tränen an seinen Hals warf.

»Niemals!« antwortete Ralph, sie an seine Brust drückend.



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