George Sand
Indiana
George Sand

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Siebzehntes Kapitel.

Ab hier falsche Kapitelnumerierung im Originalbuch

»Das ist eine jämmerlich erfundene Lüge!« sagte Raymon, »Sir Ralph sehnt sich nach einer Lektion, und ich will ihm eine geben . . .«

»Ich verbiete es Ihnen,« sagte Indiana mit kaltem, entschiedenem Tone. »Ralph hat nie gelogen. Mein Gatte ist hier, wir sind verloren.«

»Wohlan,« sagte Raymon, indem er sie begeistert in seine Arme schloß, »da der Tod uns droht, so verzeihe mir alles und laß in diesem erhabenen Augenblicke dein letztes Wort das der Liebe sein!«

»Dieser Augenblick des Schreckens, der kühnen Mut erfordert, hätte für mich der schönste meines Lebens werden können,« sagte sie, »aber du hast ihn mir verdorben.«

Das Rollen eines Wagens ließ sich im Hofe hören und eine ungeduldige Hand setzte die Glocke des Schlosses in Bewegung.

»Ich kenne diese Art zu klingeln,« sagte Indiana aufmerksam und kalt; »aber du hast noch Zeit zu entfliehen. Geh! . . . .«

»Nein, ich gehe nicht!« rief Raymon; »ich ahne einen schändlichen Verrat. Ich bleibe, meine Brust wird dich beschützen . . .«

»Hier ist kein Verrat im Spiele . . . Du hörst, die Diener sind bereits wach und das Gitter wird geöffnet . . . Flieh, die Bäume im Garten werden dich verbergen, und der Mond ist untergegangen. Kein Wort mehr, geh!«

Raymon war genötigt, zu gehorchen; aber sie begleitete ihn bis zur Treppe hinab und warf einen spähenden Blick auf die Baumgruppen des Gartens. Alles war ruhig. Sie blieb lange auf der letzten Stufe, angstvoll dem Geräusche seiner Tritte auf dem Sande lauschend. An ihren Gatten dachte sie nicht mehr. Was kümmerte sie sein Verdacht und sein Zorn, wenn nur Raymon außer Gefahr war.

Dieser eilte durch den Park, überschritt die Brücke und erreichte die kleine Pforte. Kaum war er draußen, als Sir Ralph zu ihm trat.

»Haben Sie die Gefälligkeit,« redete er Raymon mit kalter Höflichkeit an, »mir diesen Schlüssel anzuvertrauen, wenn man ihn sucht, wird es weniger auffallen, ihn in meiner Hand zu finden,«

Raymon hätte die tödlichste Beleidigung dieser spöttischen Großmut vorgezogen.

»Ich bin nicht der Mann, einen aufrichtigen Dienst zu vergessen,« sagte er, »weiß aber auch einen Schimpf zu rächen.«

»Ich verzichte auf Ihren Dank,« antwortete Ralph in unverändertem Tone, »und erwarte ruhig Ihre Rache; doch das ist keine Zeit zu einem Gespräch. – Da ist Ihr Weg – denken Sie an Frau Delmares Ehre.«

Und er verschwand.

Raymon kam mit Tagesanbruch in Cercy an und legte sich mit Fieberschauern zu Bette.

Indiana dagegen machte beim Frühstück voll Ruhe und Würde die Wirtin. Der Oberst war düster und sorgenvoll, seine Angelegenheiten beschäftigten ihn so vollauf, daß er für einen eifersüchtigen Verdacht keine Gedanken gehabt hätte.

Raymon fand erst gegen Abend die Sammlung wieder, an seine Liebe zu denken; aber diese Liebe hatte bedeutend abgenommen. Er liebte die Hindernisse, aber sie durften nicht so peinlicher Art sein, wie er sie jetzt voraussah, nachdem Indiana das Recht hatte, ihm Vorwürfe zu machen.

Endlich erinnerte er sich, daß die Schicklichkeit es erfordere, sich nach ihr zu erkundigen. Er schickte seinen Diener aus, in der Nähe von Lagny herumzustreifen, um zu erfahren, was daselbst vorgehe. Dieser Bote brachte ihm folgenden Brief, den Frau Delmare ihm übergeben hatte:

»In dieser Nacht haben Sie ein Wort zu mir gesprochen, das mir schmerzliche Freude gemacht hat. Arme Noun! verzeihe mir! Sie haben gesagt, Raymon, Sie hätten mir diese Unglückliche geopfert, Sie liebten mich mehr als sie. Und doch hätte Ihr Betragen mich daran zweifeln lassen sollen. Wollen Sie versprechen, mich nie auf diese Weise zu lieben? O, nicht reiner geliebt zu sein, als sie es war! Wenn ich dies glauben müßte! . . . . Und doch war sie schöner als ich, weit schöner! Warum haben Sie mich vorgezogen? Sie müssen mich doch anders und tiefer geliebt haben. . . . Das wollte ich Ihnen sagen. Wollen Sie den Gedanken aufgeben, mein Geliebter zu sein, wie Sie der ihrige waren, dann kann ich auch ferner an Ihre Reue, an Ihre Aufrichtigkeit, an Ihre Liebe glauben; wo nicht, so werden Sie mich niemals wiedersehen. Vielleicht ist das mein Tod, aber ich will lieber sterben, als mich herabwürdigen.«

Raymon war sehr verlegen, was er antworten sollte. Dieser Stolz beleidigte ihn.

Von diesem Augenblicke an liebte er sie nicht mehr. Sie hatte seine Eigenliebe gekränkt. Für ihn war sie nicht einmal mehr das, was ihm Noun gewesen war. Arme Indiana! Sie, die mehr sein wollte! Ihre leidenschaftliche Liebe wurde verkannt, ihr blindes Vertrauen verachtet. Raymon hatte sie nie verstanden, wie hätte er sie lange lieben können!

Es war ihm nicht mehr darum zu tun, ein Glück zu erobern, sondern einen Schimpf zu rächen. Nach kühler Überlegung schrieb er folgende Antwort an Indiana nieder:

»Ich bin strafbar gewesen. Doch nein, ich war wahnsinnig. Vergiß diese Stunden. Ich bin jetzt ruhig; ich habe nachgedacht und fühle mich noch Deiner würdig. . . . Gesegnet seist du, Engel des Himmels, daß du mich vor mir selbst gerettet, mich erinnert hast, wie ich Dich lieben sollte. Ich werde Dein Freund, Dein Bruder sein, nichts mehr. Ich will sanft, unterwürfig, unglücklich sein, wenn ich nur noch ferner aus Deinem Munde höre, daß Du mich liebst. O, schenke mir Dein Vertrauen und mein Glück wieder; sage mir, wann wir uns wiedersehen werden. Ich weiß nicht, was in dieser Nacht nach meiner Entfernung vorgegangen ist; warum läßt Du mich darüber in Ungewißheit? Mein Diener hat Euch alle drei im Park spazieren gehen sehen. Der Oberst war niedergeschlagen, doch nicht zornig. Also hätte dieser Ralph uns doch nicht verraten? Seltsamer Mensch! Aber wie werde ich mich ferner in Lagny sehen lassen dürfen, da unser Schicksal jetzt in seinen Händen ruht? Ich werde es dennoch wagen, und müßte ich mich auch demütigen. Ich werde lieber alles tun, als dich verlieren. Um Deinen Willen verließe ich selbst meine Mutter; für Dich würde ich jedes Verbrechen begehen. Ach, wenn Du meine Liebe verständest, Indiana!«

Die Feder entsank Raymons Händen; er war müde bis zum Einschlafen. Er schellte seinen Diener, trug ihm auf, das Billett noch vor Tagesanbruch nach Cercy zu tragen, und genoß dann jenes tiefen, erquickenden Schlafes, dessen Süßigkeit nur der Selbstzufriedene kennt.«

Frau Delmare brachte die Nacht mit Schreiben zu. Als sie Raymons Brief erhielt, antwortete sie eilig darauf:

»Dank, Raymon, Dank! Du gibst mir Kraft und Leben wieder. Jetzt kann ich alles ertragen; denn Du liebst mich; Dich schrecken die härtesten Proben nicht. Ja, wir werden uns wiedersehen, wir werden allem trotzen. Ralph mag aus unserem Geheimnis machen, was er will, ich mache mir darüber keine Sorgen. Du liebst mich, ich fürchte selbst meinen Gatten nicht mehr.

»Du willst wissen, wie unsere Angelegenheiten stehen? . . . . Wir sind ruiniert. Es ist die Rede davon, Lagny zu verkaufen und in die Kolonien zurückzukehren . . . Aber was kümmert mich das alles! Raymon, ich baue auf Dein Versprechen, rechne Du auf meinen Mut. Nichts kann mich schrecken, nichts mich von meinem Vorhaben abbringen. Mein Platz ist an Deiner Seite und nur der Tod wird mich von Dir trennen.«

»Überspannte Frau!« sagte Raymon, indem er das Billett in den Händen zerdrückte. »Romanhafte Pläne, gefährliche Unternehmungen schmeicheln ihrer Einbildungskraft. Ich habe gesiegt, meine Herrschaft ist neu begründet, und jene tollen Ideen, mit denen sie sich trägt – das wollen wir schon sehen! Immer sind diese leichtsinnigen, lügenhaften Wesen bereit, Unmögliches zu unternehmen! Wenn man diesen Brief liest, sollte man wirklich nicht glauben, daß sie ihre Küsse zählt und mit ihren Liebkosungen geizt!«

Noch an demselben Tage begab sich Raymon nach Lagny. Ralph war nicht da. Der Oberst empfing ihn aufs freundschaftlichste und sprach voll Vertrauen mit ihm. Er führte ihn in den Park, um ungestörter zu sein. Dort sagte er ihm, daß er gänzlich zu Grunde gerichtet sei, und die Fabrik schon am folgenden Tag zum Verkauf ausschreiben werde. Raymon bot seine Hilfe an.

»Nein, lieber Freund,« entgegnete der Oberst, »schon der Gedanke, meine Stellung Ralphs Gefälligkeit zu verdanken, ist mir zu peinlich gewesen, es verlangt mich, meinen Verbindlichkeiten gegen ihn nachzukommen. Der Verkauf dieses Grundstückes wird mich in den Stand setzen, alle meine Schulden auf einmal zu bezahlen. Es wird mir allerdings dann nichts mehr übrig bleiben, aber ich habe Mut, Unternehmungsgeist und Geschäftskenntnis. Ich habe schon einmal das Gebäude meines kleinen Glückes aufgerichtet, ich kann wieder von vorn beginnen. Ich bin es meiner Frau schuldig, die jung ist, und die ich nicht in Dürftigkeit hinterlassen mag. Sie besitzt noch ein kleines Haus auf der Insel Bourbon, dorthin will ich mich zurückziehen und mich wieder auf Handelsgeschäfte verlegen.

Raymon drückte des Obersten Hand. »Ich sehe mit Vergnügen,« sagte er, »daß Sie sich von diesen Unglücksfällen nicht niederbeugen lassen. Aber zeigt Frau Delmare denselben Mut? Fürchten Sie nicht ihren Widerstand gegen Ihren Auswanderungsplan?«

»Die Frauen sind zum Gehorchen da, nicht um Ratschläge zu erteilen. Ich habe meiner Frau meinen Entschluß noch nicht definitiv angekündigt und mache mich auf Tränen und Krämpfe gefaßt, und wäre es auch nur aus Widerspruchsgeist! Doch ich rechne auf Sie, lieber Raymon, daß Sie meiner Frau vernünftig zusprechen werden. Sie hat Vertrauen zu Ihnen.«

Raymon versprach, am folgenden Tage wiederzukommen, um Indiana den Entschluß ihres Gatten mitzuteilen.

»Sie werden mir dadurch einen großen Dienst erweisen,« sagte der Oberst. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie ungestört mit ihr sprechen können.«

»Ei, das trifft sich ja herrlich!« dachte Raymon im Weggehen.



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