Felix Salten
Fünfzehn Hasen
Felix Salten

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Die Erde hatte den Reichtum des Schmelzwassers getrunken. Davon war sie fett und schwarz geworden. Wie in glücklicher Hoffnung lag sie da, breitete sich das nackte Feld, stand der nackte, dunkle Wald. Geheimnisvolle Arbeit geschah unsichtbar, lautlos überall, geschah jedoch so leidenschaftlich und mit solcher Elementarkraft, daß sie, wenn jemand sie hätte hören können, dem Sturme geglichen hätte, der dem Frühling vorangebraust war. Diese Arbeit vollzog sich in der Erde, in den Wurzeln und im Geäst der Bäume, in den Sträuchern des Dickichts, in den Äckern; sie fand ihren Widerhall in den Herzen aller lebendigen Geschöpfe; sie war das wiedererwachende Leben selbst.

Ein Morgen dämmerte, wurde hell und von goldener Sonne durchstrahlt. Der Himmel wölbte sich in lichtem Blau und schien höher, schien verheißender als sonst in der leuchtenden Farbe der Freude, mit der er diese Welt segnete.

Keiner wußte, wie das gekommen war, und doch wollte jeder es mitangeschaut haben, glaubte mindestens in seiner Zuversicht, er habe es wirklich mitangesehen: Gegen Mittag waren Bäume und Sträucher nicht mehr schwarz und nicht mehr kahl. Ein lichter, zarter, grünlicher Schimmer zeichnete die Wipfel in frohen Umrissen. Die Äste und Ästchen reckten sich nicht mehr wie Verarmte oder Verzweifelte in die Höhe. Jetzt trugen sie den Schmuck des Werdens.

Die Erde im Walde, im Felde war vom selben zarten, lichten Schimmer überzogen, der es noch nicht wagte, ganz grün zu sein, sondern eine Weile das feine Gelb des Anfangs zeigte.

Überall schwang sich ein wunderbares Singen empor, unhörbar und nur mit der Seele vernehmlich. Die Scholle sang, die Bäume sangen, es sangen die kleinsten Halme, die an das Licht sproßten. Dann aber setzten Vogelstimmen ein, die lange verstummt geblieben waren. Zuerst jubelten die Amseln von den höchsten Spitzen der höchsten Bäume, dann rieselten die Zauberklänge hernieder, die von der Lerche über die Fluren hingejauchzt wurden. Dann rief der Pirol seine liebliche Freudenbotschaft ohne Unterlaß durch den Wald. Das Gewisper der Meisen tönte wieder, das Schlagen der Finken, das Auflachen der Spechte und ihr heiteres Trommeln.

Ein Königsfasan schritt durch das große Fest feierlich dahin. Er hinkte ein wenig, aber er verbarg das geschickt, und der Glanz seiner Erscheinung wurde dadurch nur wenig gemindert.

»Nun?« erkundigte sich Plana. »Wieder wohl?«

»Danke«, entgegnete er mit mürrischer Majestät. »Alles in Ordnung.«

»Unseren Glückwunsch!« lachte Hops.

Der Königsfasan tat ein paar Schritte, blieb stehen und fragte hochmütig: »Merkt man mir vielleicht etwas an?«

»Nicht das geringste«, beeilte sich Hops zu erwidern.

Plana fügte rasch hinzu: »Nein, gar nichts merkt man. Wir haben dich nur gleich erkannt, von damals her, na, du weißt ja . . . Das hat gefährlich ausgesehen . . .«

Der Königsfasan sagte wegwerfend und prahlerisch: »Ein kleiner Unfall, kaum der Rede wert.« Ohne Gruß stolzierte er hinkend davon.

»Wir hätten ihm doch mitteilen sollen, daß er jämmerlich hinkt«, meinte Plana. – »Warum?«

Ihre Schnurrhaare spielten lustig. »Na, weil er gar so eingebildet und unfreundlich ist.«

»Mag er sein, wie er will«, meinte Hops, »schön und dumm, meinetwegen. Wir wollen keinem, der lebt, seine Freude stören.«

Plana ließ einen Löffel fallen, daß er ihr neben dem Hals tief herunterhing; der andere lag ihr auf dem Rücken. »Glaubst du, ich wäre imstande, dem eitlen Tropf die Wahrheit zu sagen? Nein, ich liebe ihn, wenn er auch eitel ist und ein Tropf. Ich liebe alles, was lebt!«

Hops saß mit hochgeschnellten Löffeln vor ihr. »Auch mich?« wollte er wissen.

Aber statt einer Antwort lief Plana davon.

Hops stürmte ihr nach. Sie überkugelten einander. Dann saßen sie Seite an Seite.

»Ich bin so glücklich«, flüsterte Plana.

Hops legte sein Haupt in die Vorderpfoten. Er war ernst geworden. »Wüßt' ich, wo meine Mutter ist«, murmelte er, »ich wäre der glücklichste Hase im Walde. Ich weiß ja nicht, ob sie überhaupt noch lebt.«

Plana sprang auf. »Komm, suchen wir sie!«

Aber die beiden brauchten gar nicht lange zu suchen. Am Saume der Dickung, nahe ihrer Heimatwiese, saß die Mutter und sonnte sich.

Fosco war bei ihr.

»Mutter!« rief Hops, »Mutter!«

Er stieß ihr seine Nase in die Flanke und rieb seine Schnurrhaare an ihrem Fell, denn er wollte nicht, daß man seine Tränen sah.

»Nun«, sagte die Mutter beschwichtigend, »nun . . . nun . . .«

Plana setzte sich zur Alten und fragte geradeaus: »Erzähl doch, Mutter! Wie lange warst du krank, wo hast du dich versteckt! Erzähl doch!«

Fosco erklärte sanft, aber bestimmt: »Von solchen Dingen redet man nicht.« Ein Schweigen war. Dann wandte er sich zur Mutter: »Wir müssen jetzt fort. Komm!«

Und er entfernte sich.

»Auf Wiedersehen, Kinder«, sprach die Mutter leise, »laßt es euch wohl ergehen.« Damit folgte sie dem Gefährten.

»Wir lassen's uns schon nicht schlecht gehen«, lachte Plana.

»Nein!« Auch Hops lachte. »Nur . . . iß keinen Lauch!« mahnte er.

Plana machte erstaunte Augen: »Mein Guter . . . hast du mir nichts anderes zu sagen?«

Hops näherte sich ihr: »Das zuerst«, beharrte er, »ich will, daß du gesund bleibst.«

Plana wurde immer heiterer. »Es ist so viel Gutes da, so viel Gutes kommt jeden Tag . . . warum sollte ich Lauch essen?«

»Du bist so genäschig«, sagte er heiter, schwieg eine Sekunde und sagte dann zärtlich: »Du bist so schön, Plana.«

»Fang mich!« rief sie und rannte wiederum weg.

Augenblicklich sprang er ihr nach.

Sie sausten auf der Wiese draußen im Kreise hintereinander drein, wie einst in ihren Kindertagen.

Doch es war nicht mehr die harmlose Freude am eigenen Selbst wie einst. Jetzt hatte ihre Seligkeit tiefere Farben, jetzt fühlten sie den Frühling und empfanden das Glück der Liebe.

 

Ende


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