Felix Salten
Fünfzehn Hasen
Felix Salten

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Eine Zeit schlich heran, in der die Sonne spät aufging und früh am Abend versank. Sie kam überhaupt selten zum Vorschein, die Sonne. Tagelang hing der Himmel voll grauer, dicker Wolken. Regen goß reichlich hernieder, so andauernd, daß es im ganzen Walde kein trockenes Plätzchen gab.

Die Hasen bargen sich unter ausgewaschenen Baumwurzeln, krochen in Höhlungen und ließen sich nirgendwo blicken.

Dann brausten wieder heftige Stürme durch den Wald, zerrten, rüttelten, zausten und knickten Äste wie Bäume. Die Hasen waren von dem Getöse noch mehr eingeschüchtert. Allein der Sturmwind trocknete den Boden, trocknete die Bäume. Es fielen keine Tropfen mehr von den Wipfeln, und die Hasen brauchten nicht in beständigem Erschrecken unruhig zu werden.

Doch die Nächte waren kalt und kälter. Des Morgens lag ein weißer Schimmer auf dem kurzen, gelben Gras der Wiesen, das mehr und mehr welkte.

Das Laub an den Wipfeln, an den Stauden wurde gelb, wurde braun und rostrot. Die große Veränderung, die Hops geahnt hatte, begann sich zu vollziehen. Dauernd flüsterte an schönen Tagen, flüsterte während stiller Nächte das Rieseln niederfallender Blätter durch den Wald.

Es war nirgend mehr Ruhe.

Hops und Plana zogen, wenn der Boden auch nur leidlich trocken wurde, hinaus ins Feld, zogen an den Waldrand, dorthin, wo ein nackter, breiter Bodenstreifen, grasgesäumt, geradeaus ins Unendliche lief. Dieser Streifen trug vielerlei verdächtige Spuren, und vielerlei erregende Witterung schwebte oft ganz frisch vorüber. Manchmal kam auch Er des Weges, wenn Hops und Plana nachdenklich am Rain hockten. Aber das war nicht gefährlich, denn sie hörten Ihn schon von weitem. Er ging hier auf dem breiten Streifen ganz ohne die listige Behutsamkeit, die sie sonst von Ihm kannten, und die Ihn eigentlich so furchtbar machte. Hier war offenbar Seine Welt. Hops und Plana fingen an, dieses Band zu lieben. Trotz Seiner Spuren und trotz Seiner Witterung. Sie kamen des Abends her und blieben die Nacht. Hier waren sie vom unheimlichen Flüstern des Blätterfalls verschont. Hier hatten sie die Felder, auf denen sie da und dort nach vereinzelten Kartoffeln suchten. Überraschte sie der Morgen, so mußten sie sich vor dem Habicht in acht nehmen und erreichten rasch den schützenden Wald. Krähen und Elstern, die sie nicht mehr zu fürchten brauchten, gaben ihnen überdies Warnungssignale. Die Eule sahen sie hier auch des Nachts von weitem, so daß sie sich verstecken konnten.

Hier war wenig Gefahr.

So saßen Hops und Plana einmal des Nachts mitten auf dem breiten Streifen.

Der bestirnte Himmel dehnte seine ungeheure Wölbung über das Gefilde, und die schwarze, starre Mauer des Waldes stand nahe und still.

Hops und Plana hatten sich soeben gesättigt.

Sie naschten jetzt nicht mehr, denn die Überfülle war verschwunden, und es gab nichts mehr zu naschen.

Jetzt hatten sie schon einige Mühe, schmackhafte Speisen zu suchen. Wo immer sie welche fanden, fielen sie nun darüber her und aßen vernünftig, ohne Tändelei, so lange, bis sie satt waren.

Das hatten sie nun vollbracht und saßen mitten auf dem Streifen. – »So schön ruhig ist es hier!« sagte Plana.

Hops ließ beide Löffel hängen und meinte: »Hier ist es meistens ruhig.«

»Man darf einmal atmen«, fuhr Plana fort, »und sich in Sicherheit fühlen.«

Hops wurde nachdenklich, hielt den Kopf schief nach oben, bewegte die Nase und sprach: »Atmen kannst du, o ja, doch unsereins darf sich niemals sicher fühlen, niemals! Vergiß das nicht!«

Plana schob sich ganz zu ihm heran. »Du bist so klug«, schmeichelte sie, »viel klüger als ich bist du . . .«

Mit spielenden Schnurrhaaren entgegnete er: »Ich will nur leben, und ich will, daß du lebst, Plana.«

Ganz in der Ferne blitzten zwei feurige Punkte auf. Dicht am Boden. Rasch nachher wurden es große Flammenaugen. Gleich darauf waren es zwei weißglühende Sonnen. Ein heller Schein strahlte blendend über den Bodenstreifen.

Hops und Plana hatten kaum Zeit, die Löffel hochzuwerfen, kaum Zeit, sich in die Hinterbeine emporzurichten.

Die zwei Sonnen kamen näher, der grelle Schein wurde noch blendender und flog heran.

Dumpfes Rollen, Knattern, Surren schwoll betäubend.

Die beiden Hasen rannten, betaumelt, halb wahnsinnig vor Furcht, Staunen und Neugier.

Sie badeten in dem weißlockenden Licht der zwei Sonnen, das ihnen gefiel und sie zugleich mit Entsetzen durchdrang.

Und es war der allerletzte Augenblick, als Hops, beinahe erblindet, seitlich in den Straßengraben sprang.

Plana ihm nach.

Das Ungeheuer donnerte, prasselte unter Gestank vorüber. Eine Sekunde, und fort war es. Eine Sekunde, und das Flammenlicht der zwei Sonnen, weithin vorausgesendet, leuchtete fern den Streifen entlang.

Bald war alles entschwunden.

Hops und Plana lagen im Dunkeln, das jetzt noch viel dunkler zu sein schien als vorher.

Fassungslos fragte Plana: »Was war das?«

Auch Hops rang um Fassung: »Eine . . . schreckliche . . . Gefahr!«

Plana jedoch wollte wissen: »Was war das?«

Mühselig sammelte sich Hops: »Das war doch . . . Er!«

Plana glaubte ihm nicht: »Er? Nein, das kann nicht Er gewesen sein.«

Hops beharrte: »Gewiß. Er war's . . . was denn sonst?«

Plana ereiferte sich: »Darauf kann ich nicht antworten! Aber Er . . .? Er . . .? Niemals war das Er!«

An Widerspruch von der sanften Plana nicht gewöhnt, wurde nun auch Hops schwankend. »Wenn Er's nicht war . . .«

»Nein«, unterbrach ihn Plana.

»Dann . . . dann weiß ich nicht, was das gewesen ist«, sagte Hops.

»Wir müssen glücklich sein, weil wir gerettet sind«, meinte Plana wichtig.

Hops wollte seine Überlegenheit wahren und schloß: »Du siehst, wie recht ich hatte. Unsereins darf sich niemals sicher fühlen.«

 


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