Felix Salten
Fünfzehn Hasen
Felix Salten

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Am andern Morgen stand die Platane ganz entlaubt. Ihre Blätter lagen alle in einem dichten Kranz auf der Erde, rings um sie her. Wie ein abgestreiftes Hemd lagen sie da, und der Baum war nackt. Nicht ein einziges Blättchen hatte die Platane behalten. Sie schien sich ihrer plötzlichen Entblößtheit zu schämen, und sie schien zu frieren.

Die Wiese sah aus, als wäre sie mit Staubzucker bestreut. Dieser Reif schwand heute nicht, wie sonst mit fortschreitendem Tage. Vielmehr begannen später weiße Sterne und Flocken in der unbewegten, kalten Luft sacht zu tanzen. Mehr und mehr. So viele, daß man nur mit Mühe ein paar Schritte weit sehen konnte.

Die jungen Vögel, die flügge geworden waren, als die jungen Hasen zur Welt kamen, kannten das weiße Tanzen der eiskalten Sterne nicht. Sie wurden von den Flocken, die sich auf ihre Augen legten, geblendet, sie wurden von ihnen, die an ihrem Rücken und an ihren Schwingen hafteten, wie von eisigem Zugriff gehemmt.

Kerzengrad stiegen sie fliegend höher, um ihnen zu entwischen. Als sie sich überzeugt hatten, wie vergeblich diese Mühe war, suchten sie einen Ast zu erreichen, hockten auf und hielten sich verschüchtert still.

Auch die jungen Hasen, die dergleichen nie erlebt hatten, waren verblüfft. Eine Weile blieben sie ohne Bewegung, im Zuschauen versunken. Dann merkten sie, daß dieses Weiße, am Boden liegend, sich rings um sie her höher und höher schichtete. Sie merkten, daß ihr Haupt und ihr Rücken davon bedeckt wurden, und daß eine große Kälte von diesem Weißen her sie scharf durchdrang.

Sie wurden unruhig und wollten laufen. Doch sie gewahrten, daß es ihnen schwerfiel, sich in dieser kalten, weißen Masse zu bewegen.

»Was ist das?« fragte Hops erschrocken.

Und die Mutter antwortete: »Das ist die schwere Zeit!«

 


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