Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Die Einnahme von Gibraltar

Die Abteilung, die der Schwarze Korsar und der Baske durch den von der feindlichen Batterie verteidigten Sumpf zu führen hatte, bestand aus dreihundertundachtzig Leuten. Diese waren nur mit einem kurzen Säbel und einigen Pistolen bewaffnet, letztere mit geringer Munition. Gewehre mit sich zu führen hielten sie für unnötig, da sie ihnen im Kampf gegen die Forts nur von geringem Nutzen und im Handgemenge sogar hinderlich erschienen.

Diese dreihundertundachtzig Mann waren aber wie Dämonen, kampffreudig, zu allem entschlossen und bereit, mit starkem Siegeswillen allem zu begegnen.

Beim Kommando der Führer setzten sie sich sofort in Bewegung. Jeder von ihnen führte Holzbündel und Baumstämme mit sich, mit denen sie eine Brücke über den Sumpf zu schlagen gedachten.

Kaum hatte man den Saum des langgestreckten Stumpfes erreicht, als plötzlich die jenseits aufgestellten spanischen Geschütze aufflammten und ihren Kugelregen herüberschleuderten. Das war eine ernste Warnung. Sie schreckte jedoch die kühnen Seefahrer nicht.

Sie machten sich jetzt über den Morast her, rammten Pfähle ein und führten Stämme darüber hinweg, die sie mit Reisig belegten. Um die feindlichen Geschosse kümmerten sie sich nicht im geringsten. Diese folgten von Minute zu Minute schneller, wühlten Wasser, Schlamm und Äste auf, was auf die arbeitenden Seeleute spritzte und prasselte.

Je mehr sich die Flibustier vom Waldesrande entfernten, desto schwieriger gestaltete sich der Vormarsch. Die von Hölzern und Reisigen gefertigte Brücke war zu schmal und nicht widerstandsfähig genug, um alle aufzunehmen. Die Leute sanken bald rechts, bald links bis an den Gürtel in den Morast und waren nicht in der Lage, sich selbst zu befreien. Erst mit Hilfe ihrer Kameraden konnten sie wieder aus dem Schlamm herauskommen.

Zu allem Unglück reichte auch das mühsam herbeigeschleppte Material nicht aus, um die Brücke ganz hinüberzuführen. So war man gezwungen, Strecke für Strecke am hinteren Ende wieder aufzureißen und vorn anzusetzen. Und dies immer unter dem Feuer der feindlichen Batterie. Das war nicht nur eine ermüdende, sondern wegen der Bodenbeschaffenheit auch sehr gefährliche Arbeit.

Das Feuer der Spanier wurde inzwischen heftiger. Die Kugeln pfiffen unheimlich, erzeugten nicht nur eine Unmenge schlammiger Wasserspritzer, sondern trafen auch in die Reihen der Flibustier, die auf das tödliche Blei nicht antworten konnten.

Der Schwarze Korsar und der Baske bewahrten in dieser furchtbaren Lage eine erstaunliche Geduld. Sie ermutigten mit Worten und Beispielen; sie nahmen Anteil an den Schmerzen der Verwundeten, die sie verbanden. Sie eilten hin und her, um den Holzträgern zu helfen und geschütztere Stellen für den Weiterbau der Brücke zu suchen, um ihre Leute nach Möglichkeit dem unaufhörlichen Feuer zu entziehen.

Obgleich die Flibustier schon an einem Gelingen des schweren Unternehmens zu zweifeln begannen, verloren sie doch den Mut nicht und arbeiteten weiter.

Die Kugeln wirkten immer verheerender. Schon war eine Menge Korsaren getötet worden und im Moraste verschwunden. Doch keiner klagte. Im Gegenteil, sie riefen sich gegenseitig zu: »Vorwärts, Brüder! Rache für die, die für uns gestorben sind!«

Diese Zähigkeit, diese Kühnheit und dazu die Tapferkeit der Führer mußten schließlich über alle Hindernisse triumphieren. Als die letzte Strecke nach neuen Verlusten und unsäglichen Anstrengungen überwunden war, standen die Korsaren endlich auf festem Boden. Sich sofort formieren und wie ein Orkan auf die Batterie losstürmen, das war das Werk eines Augenblicks.

Niemand konnte diesen ungestümen, rachedürstenden Kämpfern Widerstand leisten. Keine Batterie, kein Geschütz konnte ihren Angriff hemmen.

Mit dem Säbel in der Rechten und der Pistole in der Linken stürzten sie auf die Schanze zu.

Eine Kartätschensalve schmetterte die ersten Reihen nieder. Da aber warfen sich die andern wie entfesselte Furien über die Soldaten her, metzelten die Kanoniere nieder und überfielen die Bedeckungsmannschaften, trotz des erbitterten Widerstandes, den diese leisteten.

Ein lautschallendes Hurra verkündete der Abteilung des seitlich marschierenden Olonesen die Überwindung des ersten, vielleicht schwierigsten Hindernisses.

Doch war ihre Freude nur von kurzer Dauer. Der Korsar und der Baske, die sich eiligst in die Ebene begeben hatten, um die Wege zu erkunden, entdeckten ein weiteres Hindernis, das ihnen den Anmarsch zum Berg versperrte.

Jenseits des Waldes hatten sie die Fahne Spaniens flattern sehen, und diese Standarte zeigte ihnen, daß dort Forts oder Feldschanzen angelegt waren.

»Donnerwetter!« schrie Michele, ganz außer sich. »Da gibt's noch eine harte Nuß zu knacken! Will uns denn der verdammte Kommandant von Gibraltar vernichten? Was meinst du, Cavaliere?«

»Ich glaube, daß wir jetzt nicht zurückweichen können.«

»Wir werden aber sofort grausame Verluste haben, und unsere Leute sind schon erschöpft!«

»Gönnen wir ihnen eine kleine Ruhepause, und dann stürmen wir auch diese Batterie!« sagte Ventimiglia.

»Glaubst du, daß es eine Batterie ist?«

»Ich vermute es.«

»Ob es dem Olonesen wohl gelungen ist, die Forts zu erreichen?«

»Wir haben doch nach dem Gebirge zu keine Schüsse gehört, da dürfte er ohne Hindernisse bis zu den Wäldern vorgedrungen sein.«

»Er hat doch immer Glück, dieser Mann!«

»Hoffentlich auch wir, Michele!«

»Was machen wir nun?«

»Wir schicken einige Patrouillen vor, die den Wald auskundschaften sollen!«

»Gehen wir, Cavaliere, damit die Begeisterung nicht abnimmt!«

Sie gingen auf die Anhöhe zurück, die sich hinter dem Walde befand, und beauftragten einige verwegene Männer, sich an die Batterie heranzuschleichen.

Der Patrouille, die zum Schutze der im Walde Versteckten eiligst abgesandt wurde, folgte dann in kurzem Abstand eine Schar Bukanier.

Währenddessen wurden auf Befehl des Anführers die Verwundeten wieder über den Sumpf zurückgetragen, damit sie für den Fall eines plötzlichen Rückzuges sicher waren. Mit Reisigbündeln und Baumstämmen versuchte man wieder, sich den Rückweg zu bahnen.

Kaum hatten sie die neue Brücke geschlagen, als sie die Patrouillen und die Bukanier zurückkommen sahen.

Die Nachrichten, die sie überbrachten, waren nicht gut: Der Wald sei zwar von den Spaniern geräumt worden, aber in der Ebene habe man eine mächtige Batterie mit zahlreichen Feuerschlünden wahrgenommen. Sie werde mit guten Kerntruppen geschützt, die man unbedingt angreifen müsse, wenn der Weg zum Berge erreicht werden solle.

Vom Olonesen und seiner Truppe waren jedoch keine Nachrichten eingelaufen; aus keiner Richtung hatte man Schüsse vernommen.

»Marsch, Seeleute!« rief der Korsar, indem er das Schwert zog. »Haben wir die erste Batterie genommen, so werden wir vor der zweiten nicht haltmachen!«

Die Flibustier, die danach strebten, an die Forts von Gibraltar heranzukommen, ließen sich dieses Kommando nicht zweimal geben.

Nachdem sie eine Schar zur Bewachung der Verwundeten zurückgelassen hatten, marschierten sie im Eiltempo durch die Waldung, in der Hoffnung, den Feind zu überraschen.

Das Durchschreiten des Dickichts vollzog sich ohne Schwierigkeiten. Nirgends zeigte sich ein Widerstand. In der Ebene hemmten sie jedoch plötzlich ihre Schritte, so überraschend war der Anblick der von den Feinden aufgestellten schweren Batterie. Es war kein gewöhnlicher Erdwall, sondern eine wirkliche Feldschanze, von Trockenmauern, Pfahlwerken und Wassergräben umgeben und mit acht Kanonen ausgerüstet, die für den Kartätschenhagel bereitstanden.

Auch der Schwarze Korsar und der Baske zögerten einen Augenblick.

»Da ist die harte Nuß!« sagte Michele. »Es wird nicht leicht sein, die Ebene unter Geschützfeuer zu durchqueren!«

»Ja, es gibt kein Zurück, besonders nicht, wo der Olonese vielleicht gerade bei der Festung angelangt ist! Man würde sagen, daß wir keinen Mut hätten!«

»Hätten wir nur Kanonen! Aber die Spanier haben ja die Geschütze der von uns eroberten ersten Batterie an den Boden festgenagelt!«

»Also auf zum Angriff!« rief Ventimiglia.

Ohne zu beachten, ob ihm die andern folgten, stürzte sich der mutige Korsar in die Ebene und stürmte, mit dem Schwert in der Hand, gegen die Feldschanze.

Die Flibustier zögerten zunächst. Als sie jedoch hinter dem Korsaren auch den Basken, Stiller, Carmaux und den Neger sahen, stürzten sie vorwärts, indem sie sich durch eigenes Geschrei ermutigten.

Die Spanier der Feste ließen sie bis auf tausend Schritt herankommen und eröffneten dann das Geschützfeuer.

Die Wirkung der ersten Salven war unheimlich. Die vordersten Reihen der Piraten wurden niedergemäht, während die übrigen, ohne auf die Rufe ihrer Führer zu achten, erschrocken und entmutigt zurückwichen.

Einige Truppen versuchten erneut, anzugreifen. Sie wurden aber durch eine zweite Salve gezwungen, den andern zu folgen, die in völliger Unordnung in den Wald und dann über den Sumpf zurückeilten.

Der Korsar war ihnen aber nicht gefolgt. Er sammelte zehn bis zwölf Mann um sich, unter denen sich Carmaux, Stiller und der Afrikaner befanden, und warf sich durch das den Rand der Ebene flankierende Buschwerk. So konnte er im Sturmschritt die Schußlinie überschreiten und glücklich den Fuß des Berges erreichen.

Kaum in Deckung angelangt, hörte er aus der Höhe das Donnern der schweren Festungsgeschütze von Gibraltar und das Schreien der Flibustier widerhallen.

»Freunde!...« rief er. »Der Olonese bereitet sich zum Sturm auf die Stadt vor! Vorwärts, meine Tapferen!«

»Gut, wohnen wir nun dem zweiten Feste bei!« sagte Carmaux. »Hoffentlich wird das lustiger sein!«

Obgleich sehr ermüdet, begannen sie allesamt mutig die Besteigung des Berges, indem sie sich zwischen Baum und Gestrüpp mühsam den Weg bahnten. Inzwischen dröhnte vom Gipfel der beiden Forts her die schwere Artillerie. Die Spanier hatten, so schien es, die Truppen des Olonesen entdeckt und bereiteten sich fieberhaft auf die Verteidigung vor.

Die Flibustier des berühmten Korsaren antworteten auf den Geschützdonner mit einem betäubenden Geschrei, um den Feinden eine größere als die wirkliche Kopfstärke vorzutäuschen. Da sie keine Gewehre hatten, mit welchen sie antworten konnten, so versuchten sie auf diese Weise, Eindruck auf den Gegner zu machen.

Überall schlugen die Kugeln der großen Kanonen ein. Mit sausendem Lärm zeigten sie ihre Flugbahn an. Die schweren Geschosse fällten selbst hundertjährige Baumriesen, die krachend zu Boden stürzten.

Ventimiglia und seine Gefährten beeilten sich, den Olonesen zu erreichen, noch bevor dieser zum Angriff auf die beiden Festungen angetreten war. Sie fanden plötzlich einen richtigen Pfad, der durch den Wald führte, und in weniger als einer halben Stunde trafen sie am Gipfel mit der Nachhut des Olonesen zusammen.

»Wo ist euer Führer?« fragte der Schwarze Korsar.

»Am Rande des Waldes!« antworteten sie.

»Ist die Attacke schon eingeleitet?«

»Wir brechen los, sobald wir die Gelegenheit für günstig halten!«

»Führt mich zu ihm!«

Zwei Flibustier geleiteten ihn durch das Gestrüpp zu dem Vorposten, wo sich der Olonese mit einigen seiner Leutnants befand.

»Bei Gott!« rief der Flibustier freudig. »Das ist ja eine Verstärkung zur rechten Zeit!«

»Aber eine magere, Pierre!« antwortete der Korsar. »Ich führe dir nur zwölf Leute zu.«

»Nur zwölf? ... Und wo sind die andern?«

»Nach schweren Verlusten sind sie in die Sümpfe zurückgetrieben worden.«

»Donnerwetter! ... Und ich hatte auf sie gerechnet!«

»Vielleicht haben sie einen Angriff auf die zweite Batterie versucht. Vor kurzem hörte ich Kanonenschüsse.«

»Es macht nichts! Beginnen wir inzwischen die Attacke auf das stärkere Fort!«

»Aber wie soll die Erstürmung vor sich gehen? ... Du hast keine Kletterwerkzeuge!«

»Das ist richtig, aber ich hoffe die Spanier aus ihrer Verschanzung zu locken.«

»In welcher Weise?«

»Indem ich einen überstürzten Rückzug vortäusche. Meine Korsaren sind unterrichtet.«

»Nun denn, so greifen wir an!«

»Flibustier der Tortuga!« schrie der Olonese. »Auf zur Attacke! ...«

Die Korsarentruppen, die sich bis dahin, zum Schutze gegen das fürchterliche Kanonenfeuer der beiden Forts, unter Bäumen und Sträuchern verborgen gehalten hatten, stürzten jetzt, auf Kommando ihres Führers, in die Ebene.

Der Olonese und der Schwarze Korsar hatten sich an die Spitze gestellt und brachten, um die grausamen Verluste möglichst zu verringern, ihre Leute im Laufschritt vorwärts.

Als die Soldaten des nächstgelegenen Forts, welches das wichtigste und am besten bewaffnete war, die Piraten auftauchen sahen, eröffneten sie das Feuer und bestrichen das ganze Gelände.

Aber es war schon zu spät.

Obgleich so mancher am Wege liegenblieb, langten die Korsaren doch in wenigen Augenblicken unter den Mauern und Türmen der Festung an. Die Böschungen erklimmend, gaben sie aus ihren Pistolen Feuer, um die Feinde von den Schießscharten zu verdrängen.

Trotz der verzweifelten Verteidigung war es einigen bereits gelungen, emporzuklettern. Da ertönte die donnernde Stimme des Olonesen:

»Seeleute, zurück!«

Die Piraten, die zwar ohne Leitern und trotz hartnäckigen Widerstandes der Spanier bereits Türme und Bollwerke erklommen hatten, beeilten sich nun, ihr Unternehmen einzustellen. Sie schienen in wirrem Durcheinander nach dem nahen Wald zu fliehen, hielten aber ihre Waffen fest in der Hand.

Die Verteidiger des Forts, im Glauben, jetzt ein leichtes Spiel zu haben, ließen schnell die Fallbrücken herunter und stürzten sich unklugerweise ins Freie, um die Korsaren zu verfolgen. Genau so hatte es der Olonese erwartet.

Als die Piraten auf der angeblichen Flucht sich verfolgt sahen, machten sie sofort kehrt und griffen wütend die Feinde an.

Die Spanier, die von dem überaus raschen und ungestümen Gegenangriff überrascht waren, flohen zuerst in wilder Unordnung zurück.

Dann aber setzten sie sich zur Wehr, aus Furcht, die Korsaren könnten sich diesen Rückzug zunutze machen und in das Fort eindringen.

Eine blutige Schlacht fand auf dem Gelände und vor den Bollwerken statt. Korsaren und Spanier kämpften gleich erbittert mit Säbeln und Pistolen, während die hinter den Schießscharten Zurückgebliebenen mit einem Kugelhagel Freunde und Feinde durcheinander niedermähten.

Schon war es, als sollte es den an der Zahl zweimal stärkeren Spaniern gelingen, die Freibeuter in die Flucht zu schlagen und Gibraltar zu retten. Da griff die Schar des Basken Michele, dem es gelungen war, sich einen Weg durch das Gehölz zu bahnen, in den Kampf ein.

Diese dreihundert Männer, die gerade zur rechten Stunde kamen, entschieden das Schicksal des Handgemenges.

Die von allen Seiten bedrängten Spanier wurden in das Innere der Festung zurückgeworfen, und mit ihnen rückten gleichzeitig die Flibustier ein, unter denen sich der Olonese, der Schwarze Korsar und der Baske befanden, die wunderbarerweise unversehrt geblieben waren.

Obgleich zurückgeworfen, setzten die Spanier im Fort ihre hartnäckige Verteidigung fort, entschlossen, lieber zugrunde zu gehen, als das Banner Spaniens zu streichen.

Der Schwarze Korsar stürmte, als einer der ersten, in einen der weiten Höfe, in welchem über zweihundert Spanier mit verzweifelter Erbitterung kämpften. Er versuchte, die Feinde zurückzuwerfen und deren Reihen zu durchbrechen.

Schon mehrere Büchsenschützen waren unter seinen wuchtigen Streichen gefallen, als er einen, Krieger in vornehmer Kleidung, den Hut mit Straußenfedern geschmückt, auf sich zukommen sah.

»Gebt acht, Cavaliere!« rief der Edelmann, indem er sein langes, blitzendes Schwert mit einer Bewegung erhob, als ob er den Korsaren töten wollte. Dieser, der sich soeben mit Mühe eines Hauptmanns erwehrt hatte, der nun sterbend zu seinen Füßen lag, wandte sich um und rief erstaunt: »Ihr seid es, Graf?«

»Ja, ich, Cavaliere!« antwortete der Kastilianer. »Verteidigt Euch, die Freundschaft zwischen uns ist jetzt zu Ende! Wir sind Gegner! Ihr kämpft für die Freibeuterei – ich für die Fahne Kastiliens!«

»Ich habe eine Dankespflicht gegen Euch, Graf! Wie kann ich meine Waffe gegen Euch richten?«

»Nein, wir sind quitt! Entweder falle ich unter Eurem Schwerte oder Ihr unter dem meinigen! Ehe das Banner hier fällt, stirbt Graf Lerma, zusammen mit seinen tapferen Offizieren!«

Nach diesen Worten stürzte er auf den Korsaren und reizte ihn mit dem Schwerte.

Der Kapitän, der sich der Überlegenheit seiner Waffen über den Kastilianer bewußt war, wich einen Schritt zurück.

»Ich bitte Euch: Zwingt mich nicht, euch zu töten!«

Der Graf lächelte. »Los, Herr von Ventimiglia!«

Während rings der Kampf mit wachsender Erbitterung tobte, während die Verwundeten stöhnten und klagten, die Gewehre knatterten und Pistolen knallten, gingen beide Kämpfer aufeinander los.

Der Graf attackierte mit Ungestüm und verdoppelte seine Stöße, die prompt zurückgegeben wurden. Einer wie der andere hatte, außer dem Schwert, auch den Dolch gezogen, um besser parieren zu können. Sie gingen vor, gingen zurück, fielen sich wieder mit erneuten Kräften an, indem sie achtgeben mußten, in den Blutlachen nicht auszugleiten.

Der Korsar, der es vermied, den edlen Kastilianer zu töten, führte jetzt einen geschickten Hieb, eine Terz, mit der er dem Grafen das Schwert zu Boden schlug. Ein Spiel, das ihm schon im Hause des Notars gelungen war.

Zu Füßen des Grafen röchelte noch der Hauptmann, der kurz zuvor von dem Korsaren verwundet worden war. Der Graf stürzte sich auf ihn, entriß ihm das Schwert, das er noch krampfhaft in der Hand hielt, und warf sich von neuem auf den Gegner. Gleichzeitig war ihm ein spanischer Soldat zu Hilfe gekommen.

Ventimiglia, der nun gezwungen war, Front gegen zwei Angreifer zu machen, zauderte nicht mehr. Mit einem blitzartigen Hieb schlug er den Soldaten nieder. Dann wandte er sich gegen den Grafen, den er von der Seite anfiel. Der Kastilianer, der die schnelle Wendung des Korsaren nicht erwartet hatte, bekam einen Stoß derart in die Brust, daß ihm die Schwertspitze auch den Rücken durchdrang.

»Graf!« schrie Ventimiglia, indem er ihn in seinen Armen auffing, »das ist ein trauriger Sieg für mich; aber Ihr habt es so gewollt!«

Der Sterbende schlug noch einmal die Augen auf und sagte schmerzlich: »So wollte es das Schicksal! ... Wenigstens ist es mir erspart ... das Banner Kastiliens ... fallen zu sehen!«

»Carmaux! Stiller! Zu Hilfe!« rief der Korsar.

»Laßt ... Cavaliere! ... Zu spät!«

Ein Blutstrom schnitt ihm die Rede ab.

Der Korsar war bewegt. Er warf noch einen letzten Abschiedsblick auf den tapfern Spanier, nahm dann sein blutiges Schwert wieder und stürzte sich mit dem Rufe: »Seeleute, mir nach!« von neuem in das Kampfgetöse.

Der Kampf innerhalb des Forts tobte noch immer mit äußerster Heftigkeit. Hinter den Verteidigungsständen, auf den Türmen, in den Kasematten kämpfen die Spanier mit der Wut der Verzweiflung. Der alte, tapfere Kommandant von Gibraltar lag mit allen seinen Offizieren erschlagen am Boden. Trotzdem ergaben sich seine letzten Truppen noch nicht.

Eine Stunde dauerte das Gemetzel. Fast alle Verteidiger fielen rings um die Fahne ihres fernen Vaterlandes.

Während die Flibustier des Olonesen das Fort besetzten, erstürmte der Baske mit seinen Leuten das nicht weit entfernte zweite Fort und zwang die Verteidiger, nachdem er ihnen Schonung des Lebens zugesagt hatte, zur Übergabe.

Gegen zwei Uhr war diese schon in der Frühe begonnene Schlacht zu Ende. Vierhundert Spanier und einhundertundzwanzig Freibeuter lagen erschlagen teils in den Wäldern, teils in- und außerhalb des Forts von Gibraltar.


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