Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Das Versprechen eines kastilianischen Edelmannes

Ein Mann stieg eiligst vom Achterdeck und verweilte vor der Gestalt des Schwarzen Korsaren, der von seinen Fesseln befreit war.

Es war ein Greis von imposantem Aussehen mit langem weißem Bart und kräftigen Schultern, trotz seiner fünfundfünfzig Jahre doch noch ein kräftiger Mann. Er sah wie einer jener alten Dogen der venezianischen Republik aus, welche die Galeeren der Meereskönigin gegen die Korsaren des Orients zum Siege führten.

Wie jene auch war er von einem glänzenden Stahlpanzer umschlossen. An seiner Seite hing ein langes Schwert, das er noch mit großer Geschicklichkeit zu handhaben wußte, und am Gürtel sah man einen Dolch mit silbernem Griff.

Sein Anzug mit den weiten Puffärmeln aus schwarzer Seide und den hohen Reitstiefeln aus gelbem Leder mit silbernen Sporen war spanisch.

Schweigend betrachtete er den Schwarzen Korsaren, mit Augen, die noch feurig loderten; dann sprach er langsam und gemessen:

»Ihr habt gesehen, Cavaliere, daß das Glück auf meiner Seite war. Ich habe geschworen, euch alle zu erhängen. Diesen Schwur werde ich halten!«

Als der Korsar diese Worte vernahm, hob er stolz das Haupt, warf einen Blick höchster Verachtung auf seinen Gegner und sagte: »Verräter haben immer Glück in diesem Leben. Doch wir werden sehen, wie es in jenem um sie steht. Mörder meiner Brüder, vollende dein Werk! Die Ventimiglias fürchten den Tod nicht!«

»Ihr habt Euch mit mir messen wollen«, antwortete der andere spöttisch. »Jetzt habt Ihr das Spiel verloren und werdet bezahlen.«

»Nun, so hängt mich doch auf.«

»Doch nicht so eilig!«

»Auf was wartet Ihr denn?«

»Ich hätte Euch lieber in Maracaibo aufknüpfen lassen, doch nun werde ich es in Gibraltar tun!«

»Elender! Genügt Euch der Tod meiner Brüder nicht?«

Ein wilder Blitz zuckte aus den Augen des Herzogs, in dem die Furcht lag vor dem gefährlichen Zeugen seines damaligen Verrats in Flandern.

»Wenn ich Euch nicht töte, würdet Ihr mich morgen doch wieder verfolgen. Vielleicht hasse ich Euch nicht so sehr, wie Ihr glaubt. Ich wehre mich aber. Besser ist's daher, ich entledige mich eines Gegners, der mich nie in Ruhe lassen würde.«

»Da habt Ihr recht! Schon morgen würde ich den Kampf wieder aufnehmen!«

»Aber Ihr könntet dem schimpflichen Tode entgehen, der Euch als Flibustier erwartet, wenn ...«

»Ich sagte Euch bereits, daß ich den Tod nicht fürchte!« entgegnete der Korsar stolz.

»Ja, ja, ich kenne den Mut der Ventimiglias«, murmelte der Gouverneur mit düsterer Miene.

Gesenkten Hauptes ging er einige Schritte auf und nieder. Dann wandte er sich wieder an den Korsaren: »Ich bin müde des grausamen Kampfes, den Ihr mir aufgezwungen habt, und ich möchte ihn endlich beigelegt sehen.«

»Und um ihn zu beendigen, hängt Ihr mich auf ...« spottete der Kapitän.

Der Herzog hob blitzschnell den Kopf und blickte dem Korsaren fest in die Augen.

»Und wenn ich Euch nun freiließe, was würdet Ihr tun?«

»Mit noch größerer Erbitterung den Kampf fortsetzen, um meine Brüder zu rächen!«

»Also so zwingt Ihr mich, Euch zu töten! Ich hätte Euch gern das Leben geschenkt, wenn Ihr auf Eure Rache verzichten und nach Europa zurückkehren würdet. Aber ich weiß, daß Ihr diese Bedingungen nicht annehmen werdet, und so muß ich dieselbe Strafe vollstrecken wie bei dem Roten und dem Grünen Korsaren.«

»Und wie habt Ihr in Flandern meinen ältesten Bruder ermordet?«

»Schweigt!« rief van Gould. »Weshalb an die Vergangenheit rühren? Laßt ihn schlafen!«

»Vollendet Euer trauriges Werk als Verräter und Mörder!« fuhr der Korsar fort. »Bringt nun auch mich, den letzten Ventimiglia, um! Doch ich sage Euch, daß damit der Kampf noch nicht beendet ist; denn ein anderer wird den Schwur des Schwarzen Korsaren erfüllen! Wehe Euch, wenn Ihr in seine Hände fallt!«

»Und wer wäre das?« fragte der Herzog.

»Der Olonese!«

»Gut, so werde ich auch den erhängen!«

»Paßt gut auf, daß er euch nicht zuvorkommt! Er ist auf dem Wege nach Gibraltar, und in wenigen Tagen werdet Ihr sein Gefangener sein.«

»Glaubt Ihr?« fragte der Gouverneur ironisch. »Gibraltar ist nicht wie Maracaibo, und der Flibustier wird an der Stärke Spaniens zugrunde gehen. Mag der Olonese nur kommen, wir werden schon Abrechnung halten!«

Sich an den Matrosen wendend, sagte er dann: »Führt die Gefangenen in den Laderaum, und bewacht sie scharf! Ihr habt den Preis verdient, den ich Euch versprach. Ihr werdet ihn in Gibraltar ausgezahlt erhalten!«

Nach diesen Worten kehrte er Ventimiglia den Rücken und wandte sich wieder dem Achterdeck zu. An der Treppe der Kajüte hielt ihn Graf Lerma an.

»Herr Herzog, seid Ihr wirklich entschlossen, den Schwarzen Korsaren zu hängen?«

»Ja«, antwortete der Alte festen Tons. »Er ist ein Flibustier, ein Feind Spaniens! Er hat in Gemeinschaft des Olonesen den Angriff auf Maracaibo geleitet und muß darum sterben.«

»Er ist ein tapferer Edelmann, Herr Herzog!«

»Was tut das zur Sache?«

»Mir tut es immer um tapfere Kämpfer leid.«

»Er ist unser Feind, Herr Graf!«

»Und dennoch würde ich ihn nicht töten lassen.«

»Aus welchem Grunde?«

»Wir Ihr wißt, gehen Gerüchte, daß Eure Tochter bei den Piraten der Tortuga gefangengehalten wird.«

»Es ist wahr«, seufzte der Greis, »aber wir haben doch keine Bestätigung, daß das Schiff wirklich geraubt worden ist.«

»Wenn aber das Gerücht auf Wahrheit beruht?«

Der Alte schaute den Grafen mit angsterfüllten Blicken an.

»Wißt Ihr Näheres darüber?« fragte er in unsagbarer Aufregung.

»Nein, Herr Herzog. Ich meine aber, falls Eure Tochter wirklich in den Händen der Flibustier wäre, könnten wir sie doch gegen den Korsaren austauschen!«

»Nein, nein!« warf kurz der Alte ein. »Meine Tochter kann ich mit einer großen Summe loskaufen, falls sie erkannt worden ist, was ich jedoch bezweifle, da ich das Schiff aus Vorsicht nicht unter Spaniens Flagge habe segeln lassen. Ließe ich indessen den Korsaren auf freiem Fuß, so wäre ich meines Lebens nicht mehr sicher. Der lange Kampf, den ich gegen ihn und seine Brüder haben führen müssen, hat mich erschöpft, jetzt muß er endlich ein Ende haben! Schifft Eure Besatzung ein, und segelt dann nach Gibraltar, Herr Graf!«

Graf Lerma verbeugte sich stumm und wandte sich dem Bug zu, wobei er vor sich hin murmelte: »Ein spanischer Edelmann hält sein Versprechen!«

Die Schaluppe nahm nunmehr die Männer an Bord, die an dem Angriff auf den Kegel teilgenommen hatten.

Als der letzte Matrose eingeschifft war, befahl der Graf, die Segel zu hissen; doch verzögerte er stundenlang das Lichten des Ankers. Dem Herzog gegenüber gab er an, daß die Karavelle auf eine Sandbank gelaufen wäre und mithin die Flut abwarten müsse, um die Fahrt fortsetzen zu können. Er selbst zeigte sich wegen der langen, nicht gewollten Verzögerung ungeduldig.

Erst in der vierten Nachmittagsstunde wurde der schwere Anker gelichtet.

Die Karavelle lavierte längs der Inselküste und steuerte dann der Mündung des Catatumbo zu, vor welchem sie beinahe back legte, etwa drei Meilen von der Küste entfernt.

Eine fast völlige Windstille herrschte an dieser Stelle des weiten Sees, wo das Ufer einen großen Bogen beschrieb.

Der Gouverneur war ungeduldig mehrmals auf Deck gestiegen. Er hatte befohlen, das Schiff vorwärts zu bringen, oder es doch wenigstens von einer Schaluppe ins Schlepptau nehmen zu lassen; jedoch konnte er nichts erreichen. Der Graf wandte ein, daß die Schiffsmannschaft zu sehr ermüdet sei und überdies der Untergrund und die Felsenriffe ein freies Manövrieren nicht zuließen.

Nachdem Graf Lerma in Gesellschaft des Herzogs das Abendessen eingenommen hatte, begab er sich an das Steuer, wo er mit dem Steuermann sprach.

Er schien ihm Instruktionen für die nächtliche Fahrt zu geben, die nicht ganz leicht war inmitten der zahlreichen Sandbänke, welche sich von der Catatumbomündung bis hin nach Santa Rosa, einem kleinen Ort vor Gibraltar, erstreckten.

Diese geheimnisvolle Unterhaltung dauerte bis in die zehnte Stunde hinein, bis zur Zeit, in der sich der Herzog in seine Kabine zur Ruhe begab. Dann verließ Lerma das Steuer. Er stieg, ohne in der Dunkelheit von der Besatzung bemerkt zu werden, in den Laderaum des Schiffs hinunter.

Hierauf zündete er eine Blendlaterne an, die er in seinem Stiefelschaft verborgen hatte, und richtete den Lichtschein auf die Schläfer selbst.

»Cavaliere!« weckte er leise den einen.

Der Schwarze Korsar erhob sich. Seine Hände waren schwer gefesselt.

»Warum stört Ihr mich? ... Ah, Ihr seid es, Graf! Was wollt Ihr von mir?«

»Meine Schulden bezahlen!«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Habt Ihr das Abenteuer im Hause des Notars vergessen?«

»Nein, Graf!«

»Nun denn, Ihr schenktet mir an jenem Tage das Leben, heut will ich das Eurige retten, was auch kommen mag!«

»Und der Herzog?« fragte der Korsar verwundert.

»Er schläft.«

»Wird aber wieder erwachen, euch gefangennehmen lassen und statt meiner erhängen. Habt Ihr das wohl bedacht, Graf? Ihr wißt, van Gould scherzt nicht.«

»Er ist zwar schlau, wird aber nicht wagen, mich zu beschuldigen. Die Karavelle ist mein, und die Bemannung ist mir ergeben. – Sollte er etwas gegen mich unternehmen, wird er es büßen! Glaubt mir, der Herzog ist wegen seiner Hoffart und Grausamkeit bei meinen Landsleuten nicht allzu beliebt! Vielleicht tue ich unrecht, Euch zu befreien, besonders jetzt, wo der Olonese über Gibraltar herfällt; aber zuallererst bin ich Edelmann und habe als solcher mein Wort zu halten. Nun sind wir quitt. Wenn uns das Schicksal in Gibraltar zusammenführt, so tut Eure Pflicht als Korsar, ich tue meine als Spanier: schlagen wir uns als zwei erbitterte Feinde!«

»Nicht so, Graf!«

»Gut, als Ritter, die unter verschiedenen Fahnen dienen«, sagte der Kastilianer.

»Es sei!«

»Brecht auf, Cavaliere! Hier ist ein Beil zum Zerhauen der Querbalken an den Schießscharten, und hier sind ein paar Dolche zur Verteidigung gegen die Raubtiere, wenn Ihr an Land kommt. Eine Schaluppe liegt im Schlepptau der Karavelle. Benutzt sie mit Euren Gefährten, und rudert eiligst der Küste zu! Ich und der Steuermann sehen nichts.«

Hierauf befreite er den Korsaren von den Fesseln, drückte ihm die Hand und entfernte sich eiligst.

Ventimiglia verblieb einige Augenblicke stumm und schwer atmend. Diese hochherzige Tat des Kastilianers hatte er nicht erwartet.

Dann weckte er leise Stiller und Carmaux.

»Wir brechen auf, Freunde!«

Carmaux rieb sich die Augen. »Wohin könnte die Reise gehen, Kapitän? ... Wir liegen mit Stricken umbunden!«

Der Korsar durchschnitt mit dem Dolch die Fesseln seiner Leute.

»Potzblitz!« rief Carmaux, noch immer ungläubig.

»Und Donnerkiel!« fügte der Hamburger hinzu. »Wir sind frei? Was ist geschehen, Herr? Sollte der Schurke von Gouverneur so großmütig gewesen sein?«

»Schweigt und folgt mir!«

Der Kapitän hatte das Beil ergriffen und schritt einer der längsten und breitesten Kanonenpforten zu, die mit starken Querhölzern vernagelt war. Den günstigsten Augenblick abwartend, wo die wachthabenden Matrosen beim Wenden lärmten, entfernte er durch vier wuchtige Schläge zwei dieser Hölzer, so daß eine Lücke entstand, durch die ein Mann ins Freie gelangen konnte.

»Gebt acht, daß man euch nicht entdeckt!« sagte er zu den beiden Flibustiern. »Wenn euch das Leben lieb ist, seid vorsichtig!«

Er zwängte sich durch, hielt sich am untersten Balken fest und ließ sich dann hinunter. Durch den Tiefgang der Karavelle kam er dabei bis in die Hüften ins Wasser. So verharrte er, bis eine Welle sich an der Flanke des Schiffes brach. Sich loslassend, schwamm er längst des Bordes, um sich nicht von den Matrosen sehen zu lassen. Darauf kamen ihm Carmaux und der Hamburger nach. Sie hielten zwischen den Zähnen die Dolche des Kastilianers.

Sich schwimmend über Wasser haltend, ließen sie den Segler vorüberziehen. Dann bemerkten sie die an einem sehr langen Schlepptau liegende Schaluppe. Mit vier kräftigen Armschlägen erreichten sie dieselbe und stiegen, einer dem andern helfend, ein.

Sie waren gerade im Begriff, die Ruder zu ergreifen, als das Seil, das die Schaluppe mit der Karavelle verband, von einer freundlichen Hand durchschnitten ins Wasser fiel.

Der Korsar schaute hinauf und glaubte, eine Gestalt am Heck zu erblicken, die ihm mit der Hand Lebewohl zuwinkte.

»Welch edler Mann!« murmelte er. »Gott schütze ihn vor dem Zorn van Goulds!«

Die Karavelle hatte mit vollen Segeln ihre Fahrt nach Gibraltar fortgesetzt. Kein Ruf der Wächter ertönte. Einige Augenblicke lang sah man sie noch durch die Wellen streichen; dann verschwand sie hinter einer Gruppe kleiner, bewaldeter Inseln.

Die drei in der Schaluppe schwiegen. Man hörte nur das Plätschern der Ruder. Endlich machte Carmaux seinen Gefühlen Luft.

»Potztausend, ich weiß noch immer nicht, ob ich wache oder träume! Erst liege ich schwer gefesselt am Boden mit der sicheren Aussicht, beim Sonnenaufgang erhängt zu werden, und jetzt bin ich frei! Das kann man nicht so leicht fassen! Was ist denn eigentlich geschehen, Kapitän? Wer hat uns die Möglichkeit gegeben, diesem alten Menschenfresser zu entfliehen?«

»Graf Lerma!« antwortete der Korsar.

»Ah, ein Ehrenmann! Das muß man sagen! Wenn wir ihm in Gibraltar begegnen, so wird er geschont, was, Stiller?«

»Wir werden ihn wie einen Küstenbruder behandeln«, erwiderte der Hamburger mit seinem langsamen Tonfall.

»Wohin geht unsere Fahrt, Kapitän?«

Letzterer gab keine Antwort. Er hatte sich plötzlich aufgerichtet und schaute aufmerksam am nördlichen Horizont entlang.

»Freunde!« rief er erregt. »Seht ihr dort nichts?«

Dort, wo der Himmel sich scheinbar mit dem Wasser des weiten Sees vereinigte, blinkten helle Punkte. Man hätte sie für Sternchen halten können, aber ein Seemann konnte sich nicht täuschen.

»Feuer lodern dort!« sagte Carmaux.

»Es sind brennende Holzstöße am See!« fügte der Hamburger hinzu.

»Könnte es nicht der Olonese sein auf dem Wege nach Gibraltar?«

Die Augen des Korsaren blitzten wild auf.

»Ja, Kapitän. Es sind ganz sicher Boots- und Schiffslaternen.«

»Schnell ans Land! Und ein Feuer anzünden, damit sie auf uns aufmerksam werden und uns holen!«

Carmaux und Stiller ruderten nun mit äußerster Kraftanstrengung der Küste zu, die nur noch drei bis vier Meilen entfernt lag.

Nach einer halben Stunde landeten die drei Flibustier.

Das Meer bildete hier eine Bucht, groß genug, um ein halbes Dutzend kleinerer Segler aufzunehmen. Diese Stelle befand sich etwa dreißig Meilen von Gibraltar.

Nun wurde viel trockenes Holz und Laub zusammengetragen und ein mächtiges Feuer angezündet, das seinen Lichtschein weithin warf.

Die leuchtenden Punkte waren inzwischen näher und näher gekommen.

»Freunde«, schrie der Korsar, der einen Felsen erklommen hatte, »es ist wirklich die Flottille des Olonesen!«


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