Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Die Vorgeschichte des Hasses

Kaum war die Sonne am nächsten Morgen aufgegangen, als unter Trommelwirbel und Pfeifentönen, unter den Gewehrschüssen der Bukanier auf der Tortuga und den lärmenden Hurrarufen der Flibustier die neue Expedition bei Flut den Hafen verließ. Sie stand unter dem Befehl des Schwarzen Korsaren, des Olonesen und Micheles, des Basken.

Das Geschwader setzte sich zusammen aus acht Schiffen, großen und kleinen, die mit sechsundachtzig Kanonen bewaffnet waren, von denen sich sechzehn auf dem Schiff des Olonesen und zwölf auf der »Fólgore« befanden. Die Mannschaft bestand aus sechshundertundfünfzig Leuten. Da die »Fólgore« der schnellste Segler war, fuhr sie dem Geschwader voran und diente zugleich als Kundschafter. Vom Großmast flatterte die schwarze Fahne mit den Goldfransen ihres Kommandanten und an der Spitze des Mastbaums das große rote Band der Schlachtschiffe. Ihr folgten die übrigen Fahrzeuge in zwei Reihen, aber so weit voneinander entfernt, daß sie frei manövrieren konnten, ohne Gefahr, aneinanderzustoßen oder sich gegenseitig den Weg zu verlegen.

Das Geschwader wandte sich draußen auf offener See nach Westen, um durch den Überwindkanal ins Karibische Meer einzulaufen. Das Wetter war herrlich, das Meer ruhig und der von Nordosten wehende Wind günstig, so daß alles auf eine ruhige, schnelle Fahrt nach Maracaibo schließen ließ. Um so mehr, als die Flibustier erfahren hatten, daß die Flotte des Admirals Toledo sich auf dem Wege nach den mexikanischen Häfen befände und gerade zu dieser Zeit an der Küste von Yukatan läge.

Nach zwei Tagen wollte das Piratengeschwader das Kap Engano umschiffen. Es war bisher noch keinem Fahrzeug begegnet. Da plötzlich signalisierte die »Fólgore« ein feindliches Schiff, das nach der Küste von San Domingo fuhr.

Der Olonese, der zum Höchstkommandierenden ernannt worden war, befahl sofort allen Schiffen, back zu legen. Er erreichte die »Fólgore«, die sich schon zur Verfolgung gerüstet hatte.

Jenseits des Kaps segelte ein Schiff an der Küste entlang, das an der Spitze das große Banner Spaniens und am Großmast das lange Band der Kriegsschiffe trug. Vielleicht hatte es die Seeräuberflotte bemerkt und suchte dort Schutz.

Der Olonese hatte es von seinen acht Schiffen umzingeln und zur Übergabe zwingen oder versenken können; aber diese stolzen Korsaren hatten eine so großmütige Gesinnung, daß sie es für unwürdig hielten, einen Feind mit stärkeren Waffen anzugreifen. Es widerstrebte ihnen, ihre Macht zu mißbrauchen.

Pierre gab darum dem Schwarzen Korsaren ein Zeichen. Er allein wollte zum Kampf vorgehn, indem er unbedingte Übergabe oder Krieg forderte. So ließ er vom Vorderdeck den Befehl verkünden, daß sich das Geschwader ruhig verhalten sollte, wie auch der Kampf ausginge.

Als die Aufforderung an die Spanier erging, ließ dessen Kapitän die Fahne festnageln, anstatt sie einzuziehen, und als Antwort seine acht Steuerbordkanonen auf das feindliche Schiff abfeuern als Zeichen, daß es sich nur nach hartnäckiger Gegenwehr ergeben würde.

Auf beiden Schiffen entbrannte nun eine heftige Schlacht. Das spanische Schiff besaß sechzehn Kanonen, aber nur sechzig Mann; der Olonese hatte ebensoviele Feuerschlünde, doch das Doppelte an Leuten, hauptsächlich Bukanier, also gute Schützen, die mit ihren unfehlbaren Schüssen bald das Schicksal entschieden.

Das Geschwader, das beigedreht hatte, griff nicht ein, gehorsam den Befehlen des Piraten. Seine Mannschaften, die in Reih und Glied auf Deck standen, sahen dem Schauspiel zu, in der Erwartung, daß sich das spanische Schiff bei dem ungleichen Kampf bald ergeben würde.

Obwohl die Spanier in der Minderzahl waren, verteidigten sie sich doch tapfer. Ihre Geschütze feuerten unverdrossen und versuchten, mit abwechselnden Ladungen das Piratenschiff seiner Masten zu berauben. Um nicht gerammt zu werden und so lange wie möglich die Berührung zu vermeiden, drehte der Spanier, indem er sein Vorderdeck dem Korsaren zuwandte. Er war sich der numerischen Überlegenheit des Gegners wohl bewußt.

Der Olonese war wütend und ungeduldig über den Widerstand, den er fand, und wollte schnell ein Ende machen. Er versuchte alle Mittel, um das Schiff zu entern, doch vergebens. Zeitweise mußte er sich sogar entfernen, um seine Leute vor dem Geschoßhagel zu schützen. Endlich wurde der Kampf zwischen den Geschützen beider Fahrzeuge entschieden. Er dauerte drei volle Stunden und fügte Segeln und Masten schweren Schaden zu, ohne daß die spanische Flagge niederging. Sechsmal waren die Piraten zum Angriff vorgegangen, und sechsmal von den sechzig tapferen Gegnern zurückgeschlagen worden. Erst beim siebten Male konnten sie auf dem feindlichen Schiff Fuß fassen und die Fahne herunterholen.

Dieser Sieg war ein gutes Zeichen für das bevorstehende Unternehmen. Er wurde von den Piraten des Geschwaders mit lärmenden Hurrarufen begrüßt.

Inzwischen war es der »Fólgore«, die in eine Bucht eingelaufen war, gelungen, ein anderes spanisches, mit acht Kanonen bewaffnetes Schiff aufzustöbern und nach kurzem Widerstand zu kapern.

Nach Besichtigung der beiden eroberten Schiffe stellte sich heraus, daß das größere eine kostbare Ladung, teils aus wertvollen Waren, teils aus Silberbarren, mit sich führte. Das zweite hatte Pulver und Gewehre an Bord, die für die spanische Garnison von San Domingo bestimmt waren.

Die beiden Mannschaften wurden an der Küste abgesetzt, da man keine Gefangenen an Bord haben wollte. Nachdem die Schäden an den Masten beseitigt waren, segelte das Geschwader gegen Abend in der Richtung nach Jamaika weiter.

Die »Fólgore« war als bester Segler wieder vorangeeilt und hielt Entfernung von vier bis fünf Meilen von den andern.

Der Schwarze Korsar befürchtete, daß irgend ein spanisches Schiff das Geschwader entdeckte und seine Nähe dem Gouverneur von Maracaibo oder dem Admiral Toledo verriete. Um das Meer immer überblicken zu können, verließ er fast nie die Kommandobrücke und schlief auch daselbst auf einem Bambusstuhl im Freien, in seinen Mantel gehüllt.

Drei Tage nach der Eroberung der beiden Schiffe sichtete die »Fólgore« beim Auftauchen der Küste Jamaikas das bei Maracaibo von ihr eroberte Linienschiff, das während des Sturms auf der Insel Schutz gesucht hatte. Es war noch ohne Großmast, aber die Mannschaft hatte den Hintermast und den Fockmast verstärkt und alle an Bord befindlichen Wechselsegel gespannt. Es eilte nach der Tortuga, um nicht von einem spanischen Schiff überrascht zu werden.

Der Kommandant ließ sich vom Zustand der Verwundeten berichten, die er in den Gängen des Schiffes untergebracht hatte. Dann setzte er seine Fahrt nach Süden fort, um so bald wie möglich in den Golf von Maracaibo einzulaufen.

Da das Meer unverändert ruhig lag, vollzog sich die Fahrt durch das Karibische Meer ohne Zwischenfälle. Vierzehn Tage, nachdem das Geschwader die Tortuga verlassen hatte, sichtete der Kapitän die Spitze von Paraguana, die ein kleiner Leuchtturm bezeichnete, der den Seefahrern den Weg in den Kleinen Golf zeigen sollte.

»Endlich!« rief Ventimiglia mit flammenden Augen. »Vielleicht wird morgen schon der Mörder meiner Brüder nicht mehr unter den Lebenden weilen!«

Er rief Morgan zu sich, der gerade auf Deck die Wache hatte: »Der Olonese hat befohlen, es solle kein Licht heute nacht an Bord angezündet werden. Die Spanier dürfen nichts von unserer Anwesenheit ahnen, sonst finden wir morgen keinen Piaster in der ganzen Stadt.«

»Sollen wir am Eingang des Golfs bleiben?«

»Nein, das ganze Geschwader soll bis in die Mündung des Sees vorrücken und morgen bei Tagesanbruch Maracaibo überfallen.«

»Sollen unsere Leute landen?«

»Ja, mit den Bukaniern des Olonesen! Während die Flotte die Forts vom Meer aus bombardiert, werden wir sie von der Landseite angreifen, damit der Gouverneur nicht nach Gibraltar entfliehen kann. Bis zum Morgengrauen müssen alle Landungsboote bereit und mit den einpfündigen kleinen Kanonen bewaffnet sein!«

»Gut, Kapitän!«

»Übrigens werde auch ich auf der Brücke sein«, fügte der Korsar hinzu.

Er verließ das Deck und stieg in den Wohnraum hinunter, um seine Kriegsrüstung anzulegen. Eben wollte er die Tür seiner Kabine öffnen, als ein feiner, wohlbekannter Geruch ihm entgegenströmte.

»Seltsam«, murmelte er und blieb verwundert stehen. »Wenn ich nicht die Flämin auf der Tortuga gelassen hätte, bei meiner Seele würde ich schwören, daß sie hier sei.«

Er blickte sich um. Aber alles war finster, da die Lichter ausgelöscht werden mußten. Nur in einer Ecke des Wohnraums hob sich eine weiße Gestalt ab, die an einem der breiten Kajütenfenster lehnte.

Der Korsar war tapfer, doch, wie alle seine Zeitgenossen, ziemlich abergläubisch. Als er die Gestalt unbeweglich in jener Ecke stehen sah, bedeckte sich seine Stirn mit Schweiß.

»Sollte es das Gespenst meines Bruders sein?« dachte er. »Will er mich an meinen Eid erinnern ... Ist seine Seele aus dem Meeresgrund emporgestiegen?«

Diese Gedanken gingen im Fluge durch ein Hirn. Doch sofort schämte er sich dieser abergläubischen Anwandlung und ging mit gezücktem Dolche vor.

»Wer bist du? Sprich, oder ich bringe dich um!«

»Kapitän! Erkennt Ihr mich nicht?« erwiderte eine sanfte Stimme, die das Herz des Korsaren erzittern ließ.

»Honorata!« rief er zwischen Staunen und Freude. »Träume ich denn?«

»Es ist kein Traum!« entgegnete die junge Flämin bebend.

Der Kommandant stürzte vor, ließ den Dolch fallen und streckte die Arme nach ihr aus.

»Ihr hier, auf meinem Schiffe?«

»Ja, ich ... folgte Euch. Es drängte mich, Euch zu folgen!«

»So liebt Ihr mich?« fragte er jubelnd.

»Ja«, flüsterte sie.

»Jetzt kann ich dem Tod furchtlos ins Auge schauen!« rief er.

Dann zündete er mit einem Feuerzeug den Armleuchter an und stellte ihn so, daß sein Licht nicht aufs Meer fallen konnte.

Die Flämin stand noch immer am Fenster. Sie war in ein weites, weißes, mit Spitzen besetztes Gewand gehüllt. Die Hände hatte sie aufs Herz gedrückt, als ob sie dessen Schläge bändigen wollte. Das anmutige Haupt hielt sie gesenkt, schaute aber mit ihren schönen, schimmernden Augen zum Korsaren auf, der mit glücklichem Lächeln vor ihr stand. Beide blickten sich schweigend an, noch überrascht von dem Bekenntnis ihrer Liebe. Dann umfing er sie selig und führte sie an der Hand zu den beiden Sesseln, in deren Mitte der Armleuchter stand.

»Zuerst erzählt mir, durch welches Wunder Ihr hier seid? Ich wage noch nicht, an das Glück zu glauben.«

»Erst dann, wenn Ihr mir Euer Wort gebt, meinen Mitschuldigen zu verzeihen.«

»Euren Mitschuldigen?«

»Allein konnte ich doch nicht auf die ›Fólgore‹ kommen und mich hier vierzehn Tage verborgen halten!«

»Gut, weil sie mir eine so herrliche Überraschung bereitet haben, sei ihnen verziehn! Wer waren Eure Helfershelfer?«

»Stiller, Carmaux und der Neger!«

»Ich hätte es ahnen können!« rief der Korsar. »Wie habt Ihr nur deren Hilfe erlangt? Die Piraten, die den Befehlen ihrer Führer zuwiderhandeln, werden erschossen, wißt Ihr das?«

»Sie waren überzeugt, daß es ihrem Kommandanten nicht mißfallen würde, denn sie hatten heimlich bemerkt, daß Ihr mich liebt.«

»Aber wie habt Ihr Euch eingeschifft?«

»Nachts, als Matrose verkleidet, bin ich mit ihnen zusammen aufs Schiff gekommen.«

»Sie haben Euch also hier versteckt gehalten?« fragte er lächelnd.

»In der Kabine, die neben der Euren liegt. Von Zeit zu Zeit kamen sie, um mir Nahrung zu bringen, die sie der Speisekammer des Kochs entnahmen. Sie trotzten dem Tod, um ihren Anführer glücklich zu sehen.«

Er küßte ihre Hände und seufzte: »Wer weiß, wie lange das Glück dauernd wird!«

»Sprecht nicht so!« bat sie ängstlich.

»In zwei Stunden bricht der neue Tag an, dann muß ich Euch verlassen.«

»Kaum haben wir uns gesehen und gefunden«, rief sie schmerzlich.

»Wenn die Sonne am Horizont aufsteigt, wird im Golf eine Schlacht stattfinden, wie sie wohl kaum je die Korsaren der Tortuga geschlagen haben. Achtzig Kanonen sollen die Festung beschießen, die mein Todfeind verteidigt. Sechshundert Mann, entschlossen zu siegen oder zu sterben, werden zum Angriff vorgehen. Ich ihnen voran!«

»Und den Tod herausfordern!« schrie die Herzogin.

»Bedenkt, daß ich seit zwei Jahren den Augenblick ersehne, jenen Schurken zu bestrafen!«

»Was hat Euch nur der Mann getan, den Ihr mit so unversöhnlichem Hasse verfolgt?«

»Er hat mir drei meiner Brüder gemordet, und er beging einen furchtbaren Verrat.«

»Welchen?«

Der Korsar antwortete nicht. Er hatte sich erhoben und schritt mit finsterm Blick und zusammengepreßten Lippen auf und nieder, als ob er ihre Gegenwart vergessen hätte. Dann setzte er sich neben die Herzogin, die ihn mit ängstlichen Augen verfolgt hatte, und begann: »Hört mich an, und urteilt selbst, ob mein Haß gerechtfertigt ist! – zehn Jahre sind verflossen seit dem Erlebnis, aber ich erinnere mich an alles, als ob es gestern gewesen.

Ich muß weit ausholen in meiner Erzählung. Ihr wißt, daß im Jahre 1686 der Krieg zwischen Frankreich und Spanien um den Besitz Flanderns entbrannt war. Ludwig XIV. stand damals auf der Höhe seiner Macht. Da er seinen mächtigen Gegner, der schon viele Siege über die französischen Truppen davongetragen, vernichten wollte, drang er kühn in jene Provinzen ein, die einst der furchtbare Herzog Alba erobert und mit Feuer und Schwert unterdrückt hatte.

Ludwig besaß zu jener Zeit einen großen Einfluß auf Piemont. Als er den Herzog Viktor Amadeus II. um Beistand bat, konnte dieser ihm seine besten Regimenter, das von Aosta, Nizza und das der Marine, nicht verweigern. Bei letzterem dienten meine drei Brüder und ich als Offiziere. Der älteste war damals zweiunddreißig Jahre und der jüngste, der später als ›Grüner Korsa‹ bekannt wurde, erst zwanzig Jahre alt.

In Flandern hatten unsere Regimenter schon mehrfach siegreich gekämpft, wie beim Übergang über die Scheide, bei Gent und Tournay. Die verbündeten Armeen drängten die Spanier bis Antwerpen zurück, als eines Tages ein Teil unserer Marine, welche bis zur Mündung der Scheide vorgedrungen war, um einen vom Feind verlassenen Platz zu besetzen, plötzlich von einer so großen Anzahl Spanier angegriffen wurde, daß er sich innerhalb der Mauern verbarrikadieren mußte. Nur mit Mühe rettete er seine Geschütze.

Zu diesen Verteidigern gehörten wir vier Brüder. Vom französischen Heer abgeschnitten, von allen Seiten von einem zehnfach überlegenen Feind umgeben, der entschlossen war, die für ihn wichtigste Feste wiederzuerobern, da sie der Schlüssel zu einem Hauptarm der Schelde war, hatten wir nur eine Wahl: uns zu ergeben oder zu sterben. Von Übergabe sprach keiner; im Gegenteil: Wir hatten geschworen, uns eher unter den Ruinen begraben zu lassen, als das glorreiche Banner der stolzen Herzöge von Savoyen zu senken.

Zum Befehlshaber des Regiments hatte Ludwig XIV., ich weiß nicht, aus welchem Grunde, einen älteren flämischen Herzog bestimmt, der ein tapferer, erfahrener Krieger sein sollte. Da er sich an dem Tage, an dem wir überrascht wurden, gerade bei unsern Kompanien befand, hatte er die Leitung der Verteidigung übernommen.

Der Kampf war auf beiden Seiten mit gleicher Wut entbrannt. Jeden Tag zerstörten die feindlichen Geschütze unsere Bastionen, aber am nächsten Morgen konnten wir jedesmal Widerstand leisten, da wir nachts die Schäden in aller Eile beseitigten. Vierzehn Tage und vierzehn Nächte lang folgte ein Angriff dem andern mit Verlusten auf beiden Seiten. Als Antwort auf die Aufforderung zur Übergabe ließen wir unsere Kanonen sprechen.

Mein ältester Bruder wurde die Seele der Verteidigung. Stolz, tapfer, in allen Waffen geschickt, leitete er die Infanterie und Artillerie, immer der erste bei den Stürmen. Die Tapferkeit des jungen Kriegers hatte sogar bei dem flamländischen Kommandanten Eifersucht entzündet, die uns allen später zum Unheil werden sollte.

Dieser Elende vergaß eines Tages seinen Treueschwur auf das herzogliche Banner und befleckte so seinen Adel, der seinem bürgerlichen Vorfahren einst verliehen wurde. Er verständigte sich nämlich heimlich mit den Spaniern, um sie durch Verrat wieder in den Besitz der Feste zu setzen. Die Stelle als Gouverneur in den amerikanischen Kolonien und eine große Summe Geldes sollte der Preis des schändlichen Paktes sein. Eines Nachts öffnete er mit einigen seiner Verwandten eins der Festungstore, um die Feinde, die sich insgeheim dem Fort genähert hatten, hineinzulassen.

Mein ältester Bruder, der nicht weit davon mit einigen Soldaten wachte, bemerkte die Ankunft der Spanier, stürzte sich ihnen entgegen und schlug Alarm. Jedoch erwartete ihn der Verräter mit Pistolen hinter der Ecke einer Bastion. Mein Bruder fiel, zu Tode verwundet, und die Feinde drangen in die Stadt ein. Wir kämpften in den Straßen, in den Häusern, aber vergeblich. Die Feste fiel. Kaum konnten wir uns mit wenigen Getreuen durch eiligen Rückzug bis Courtray retten.

Sagt selbst, würdet Ihr jenem Manne verzeihen?«

»Nein!« erwiderte Honorata.

»Auch wir verziehen nicht. Wir schworen, den Verräter zu töten und unsern Bruder zu rächen. Als der Krieg beendet war, suchten wir ihn lange, zuerst in Flandern, dann in Spanien. Als wir erfuhren, daß er zum Gouverneur einer der Festungsstädte in den amerikanischen Kolonien ernannt worden war, rüsteten wir, ich und meine jüngeren Brüder, drei Schiffe aus, segelten nach dem Großen Golf, von dem einzigen Wunsch beseelt, den Flamen früher oder später zu strafen.

Wir wurden Korsaren. Der viel heftigere, aber weniger erfahrene Grüne Korsar wollte das Schicksal versuchen, fiel aber leider in die Hände unseres Todfeindes und wurde wie ein gewöhnlicher Verbrecher an den Galgen gehängt. Dann versuchte es der Rote Korsar und hatte dasselbe Geschick. Es gelang mir, beide Brüder vom Galgen abzuschneiden und im Meer zu versenken, wo sie auf die Vollstreckung der Rache harren. So Gott mir hilft, wird der Verräter in wenigen Stunden in meiner Hand sein!«

»Und was werdet Ihr mit ihm machen?«

»Aufhängen!« erwiderte kalt der Korsar. »Sodann will ich alle diejenigen vernichten, die das Unglück haben, seinen Namen zu tragen. Er hat meine Angehörigen umgebracht; so werde ich auch seine Familie umbringen. Ich schwor es, und ich halte mein Wort.«

»Wo befinden wir uns? Wie heißt die Stadt, die jener Flame regiert?« fragte die Herzogin unvermittelt.

»Ihr werdet es bald erfahren.«

»Seinen Namen will ich wissen!« Angstvoll stieß sie es aus.

»Warum?«

Die junge Herzogin atmete kaum. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn.

»Ich weiß nicht«, sagte sie mit gebrochener Stimme. »In meiner Jugend erzählten mir einige Soldaten, die im Heere meines Vaters dienten, eine ganz ähnliche Geschichte. Nennt mir doch den Namen jenes Mannes!«

»Nun wohl: Es ist der Gouverneur van Gould!«

In demselben Augenblick erdröhnte ein Kanonenschuß. Der Schwarze Korsar stürzte aus der Kabine hinaus auf Deck.

»Der Morgen ist da!« rief er fast jubelnd.

Honorata hatte nichts getan, um ihn zurückzuhalten. Sie war lautlos, wie vom Blitz getroffen, zu Boden gesunken.


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