Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Ein Zweikampf zwischen vier Wänden

Obgleich Maracaibo nur zehntausend Einwohner zählte, war es in jener Zeit doch eine der wichtigsten Städte, die Spanien an der mexikanischen Goldküste besaß.

Durch die herrliche Lage am südlichen Ende der Bucht und nahe dem gleichnamigen See, der es mit dem Festland verband, hatte es schnell große Bedeutung erlangt, so daß es ein Stapelplatz aller Erzeugnisse Venezuelas wurde.

Die Spanier hatten es mit einer mächtigen Festung versehen und diese mit einer großen Zahl von Kanonen ausgestattet. Auch auf den beiden Inseln, die es von der Golfseite schützten, hatten sie starke Garnisonen angelegt, da man immer einen plötzlichen Einfall der gefürchteten Flibustier der Tortuga befürchtete.

Schon die ersten Abenteurer, die ihren Fuß auf jenes Ufer setzten, hatten dort schöne Häuser errichtet. Viele Paläste waren von spanischen Baumeistern erbaut worden, die in der Neuen Welt ihr Glück suchten. In den zahlreichen repräsentativen Gebäuden versammelten sich die reichen Bergwerksbesitzer, und hier tanzte man bei öffentlichen Festen den Fandango und Bolero.

Als die Flibustier und der Neger ohne Hindernisse in Maracaibo ankamen, waren die Straßen noch belebt und die Tavernen, wo man den spanischen Wein ausschenkte, noch voll, denn die Spanier verzichteten auch in ihren Kolonien nicht auf ihren heimatlichen Malaga und Jerez.

Der Schwarze Korsar hatte den Schritt verlangsamt. Den Filzhut tief über die Augen gezogen und fest in seinen Mantel gehüllt, obgleich der Abend noch warm war, beobachtete er aufmerksam die Straßen und Häuser, als ob er sie seinem Gedächtnis einprägen wollte.

Auf der Plaza de Granada, die den Mittelpunkt der Stadt bildete, blieb er, sich an eine Mauer lehnend, stehen, als ob ihn ein Schwächeanfall ergriffen hätte. Der Platz bot ein schreckliches Schauspiel: Fünfzehn Galgen waren im Halbkreis vor einem die spanische Flagge tragenden Palaste errichtet. Die Leichen, die daran hingen, waren alle barfuß, nur mit Fetzen bekleidet, mit Ausnahme einer einzigen, die hohe Wasserstiefel und einen feuerroten Anzug trug. Über die Galgen zogen kleine schwarzgefiederte Geier, die nur die Fäulnis jener Unglücklichen abzuwarten schienen, um sich auf die Leichname zu stürzen.

Carmaux hatte sich dem Korsaren genähert und sagte mit tiefer Bewegung: »Unsere Gefährten, Kapitän!«

»Ja, sie schreien nach Rache, und ich werde sie rächen!«

Schnell schüttelte der Kommandant die Rührung ab, die ihn übermannt hatte, und trat mit raschen Schritten in eine nahegelegene Posada ein. Es war ein Gasthaus, wo sich die Nachtkumpane zu versammeln pflegten, um noch einige Becher zu leeren. Dort setzte er sich an einen leeren Tisch. Da er stumm blieb, bestellte Carmaux Wein. »Gib aber von deinem besten Xeres!« rief er dem Wirt im reinsten Biskayer Dialekt zu. »Die Golfluft hat mir einen solchen Durst gemacht, daß ich deinen ganzen Keller austrinken könnte!«

Der Wirt eilte herbei und füllte drei Becher. Der Korsar rührte jedoch seinen nicht an. Er war in seine Gedanken vertieft.

Carmaux stieß den Neger an und sagte leise: »Er träumt von Sturmangriffen.«

Dann sah er sich neugierig um, und seine Blicke begegneten sechs mit gewaltig langen Navajas bewaffneten Individuen, die ihn aufmerksam betrachteten.

»Wer sind die denn?« fragte er den Neger.

»Basken im Dienste des Gouverneurs.«

»Also Landsleute unter anderer Fahne. Bah, die schrecken mich nicht!«

Die Basken, die sich die Kehle mit einige Bechern Malaga angefeuchtet hatten, fingen jetzt an zu schwatzen. Sie sprachen so laut, daß Carmaux sie verstehen konnte.

»Habt ihr die Gehenkten gesehen?« fragte der eine.

»Ich bin extra dazu hergekommen«, antwortete der andere. »Diese Kanaillen bieten immer einen besonderen Anblick. Dem einen hängt die Zunge halb aus dem Munde. Man muß wirklich lachen!«

»Und dem Roten Korsaren hat man eine Zigarette in den Mund gesteckt«, sagte ein dritter.

»Und morgen will ich ihm einen Schirm in die Hand geben, damit er sich vor der Sonne schützen kann«, spöttelte ein anderer.

Plötzlich schlug Carmaux, der sich nicht mehr beherrschen konnte, mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser aneinanderklirrten.

Er war aufgesprungen, noch ehe der Kapitän daran dachte, sich einzumischen.

»Rayos de Dios!« rief er. »Schämt euch! Das ist ja ein schöner Beweis von Mut, sich über Tote lustig zu machen! Verhöhnt doch lieber die Lebenden!«

Die Trinker waren, überrascht von dem plötzlichen Wutausbruch des Unbekannten, aufgestanden und hatten die Hand an die Waffe gelegt.

»Wer seid Ihr, Caballero?« fragte einer von ihnen mit scheelem Blick.

»Ein guter Biskayer, welcher die Toten achtet, der aber den Lebenden auch Löcher in den Bauch treiben kann!«

Die Basken, die seine Antwort für Prahlerei hielten, brachen in lautes Gelächter aus.

»Ah, nehmt Ihr es so auf?« fragte Carmaux, blaß vor Wut.

Er schaute zum Korsaren hin, der unbeweglich sitzen geblieben war, als ob jener Zank ihn nichts anginge. Dann langte er mit der Hand nach dem anderen Tisch hinüber und warf denjenigen, der ihn gefragt hatte, zu Boden. Der Angegriffene hatte sich schnell wieder erhoben und zog seine Navaja aus dem Gürtel. Er wollte sich soeben auf Carmaux stürzen, aber der Neger, der bis dahin nur Zuschauer geblieben, sprang, auf einen Wink des Kapitäns, dazwischen, indem er drohend einen der schweren Stühle schwang.

»Zurück, oder ich bringe dich um!« rief er dem Bewaffneten zu.

Als die sechs Basken den schwarzen Riesen sahen, wichen sie zurück.

Zwanzig andere Gäste, die im Nebenzimmer den Lärm gehört hatten, eilten herbei. Darunter ein roher Kerl, der ein großes Schwert trug. Seine Brust war von einem alten Panzer aus Kordobafellen bedeckt. Die lange Feder seines breiten Hutes hing ihm bis auf die Schulter. Er war der Typ eines Raufboldes.

»Was geht hier vor?« schrie er, sein Schwert aus der Scheide ziehend.

»Was Euch nichts angeht, mein lieber Caballero«, antwortete Carmaux.

»Bei allen Heiligen!« brüllte der andere. »Man sieht, daß Ihr mich nicht kennt! Ich bin Don Gamara y Miranda, Graf von Badayos, Edler von Camargua und Viscont von ...«

»Von der Teufelsmauer!« ergänzte der Schwarze Korsar, der sich erhoben hatte und den Prahlhans fixierte. »Was wollt Ihr, Caballero, Graf, Marquis, Herzog usw.?«

Der Herr von Gamara wurde rot wie eine Päonie.

»Bei allen Hexen der Hölle! Wofür haltet Ihr mich denn? Etwa für einen Schurken, wie jene da drüben auf dem Granadaplatz, wo der rote Korsarenhund hängt?«

Nun stieg dem Schwarzen Korsaren das Blut ins Gesicht. Er hielt Carmaux zurück, der sich auf den Abenteurer stürzen wollte, warf jetzt Mantel und Hut ab und zog rasch sein Schwert.

»Der Hund bist du, und deine verdammte Seele wird den Gehenkten dort Gesellschaft leisten!«

Dann winkte er den Zuschauern, Raum zu geben, und stellte sich fest und sicher dem Großsprecher gegenüber, um mit ihm einen Zweikampf auszufechten.

Der Prahlhans hatte sich ebenfalls in Positur gestellt. Plötzlich aber fuhr er auf.

»Einen Augenblick, Caballero! Wenn man die Waffen kreuzt, hat man das Recht, den Namen des Gegners zu erfahren!«

»Ich bin von Adel. Genügt es Euch?«

»Nein, den Namen will ich wissen!«

»Ihr wollt es. Um so schlimmer für Euch! Aber kein anderer darf ihn erfahren.«

Er näherte sich dem Gegner und flüsterte einige Worte in sein Ohr.

Der Abenteurer hatte einen Ruf der Überraschung ausgestoßen und war mehrere Schritte zurückgewichen. Fast schien es, als wolle er das Geheimnis den Zuschauern verraten. Da fing der Schwarze Korsar sofort an, ihn zu reizen, ihn so zur Verteidigung zwingend.

Die Gäste hatten einen weiten Kreis um die Duellanten gebildet.

Der Neger und Carmaux standen in erster Reihe und schienen durchaus nicht besorgt um den Ausgang des Gefechtes zu sein. Letzterer kannte die Geschicklichkeit und Kraft des stolzen Korsaren.

Der Prahlhans hatte schon bei den ersten Schlägen bemerkt, daß sein Gegner entschlossen war, ihn, falls er sich eine Blöße gäbe, zu töten. Er wandte daher alle Finessen der Fechtkunst an, um die wie Hagel fallenden Streiche abzuwehren. Er war kein zu verachtender Gegner. Hoch von Statur, dick und robust, mit festem Puls und kräftigem Arm, konnte er lange Widerstand leisten. Leicht war es nicht, ihn zu ermüden.

Der schlanke, gewandte Kapitän gab ihm nicht einen Augenblick Ruhe, da er befürchtete, daß er die geringste Pause zum Verrat seines Namens ausnutzen würde. So zwang er ihn unausgesetzt, zu parieren. Die Spitze seines Degens blitzte überall auf, schlug die Waffe des andern, daß die Funken stoben.

Nach einigen Minuten begann der Abenteurer nachzulassen. Er konnte seine Ruhe nicht mehr bewahren, da er die Gefahr fühlte, der er ausgesetzt war.

Der Korsar dagegen zeigte noch keine Spur von Ermüdung. Bei jedem Sprunge reizte er den anderen in immer stärkerem Maße. Äußerlich bewahrte er vollkommene Ruhe; nur seine in düsterm Feuer leuchtenden Augen verrieten die Erregung in seinem Innern. Diese Augen ließen nicht einen Moment die des Gegners los, als wollten sie einen Bann ausüben.

Der Zuschauerkreis hatte sich noch mehr geöffnet, um dem Abenteurer Raum zu verschaffen, der immer weiter zurückwich und sich schon der Wand näherte. Carmaux, der die Lösung des Kampfspiels voraussah, fing an zu lachen.

Plötzlich fühlte sich der Säbelheld an die Mauer gedrückt. Er war totenbleich. Kalte Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn.

»Genug!« stammelte er mit erlöschender Stimme.

»Nein«, erwiderte der Korsar kurz, »mein Geheimnis muß mit dir sterben!«

Der Gegner versuchte noch einen verzweifelten Schlag. Er kauerte sich nieder, stürzte dann vor und gab hintereinander drei bis vier Degenstöße. Der Korsar jedoch, fest wie ein Felsen, parierte mit derselben Geschwindigkeit.

»Nun werde ich dich an die Wand nageln!« sagte er.

Der Abenteurer, der voller Schrecken begriff, daß er verloren sei, wollte jetzt den Namen des Gegners hinausschreien.

»Zu Hilfe ...! Es ist der...«

Er kam nicht zu Ende. Das Schwert des Kapitäns war ihm in die Brust und dann weiter in die Mauer gedrungen.

Das Blut lief dem Besiegten aus dem Munde und rann über den Fellpanzer, der ihn nicht genügend geschützt hatte. Weit die Augen öffnend, fiel er zu Boden. Dabei zerbrach die Klinge, die ihn festgehalten hatte.

»Erledigt!« sagte Carmaux.

Hierauf beugte er sich über den Leichnam, nahm ihm das Schwert aus der Hand und reichte es dem Kommandanten, der mit finsterm Blick den Toten betrachtete.

»Da Eure Waffe zerbrochen ist, so nehmt nur diese! Wahrhaftig eine Toledoklinge!«

Der Korsar nahm wortlos den Degen und warf, nachdem er Hut und Mantel zusammengerafft, ein Doppelgeldstück auf den Tisch.

Dann ging er hinaus, gefolgt von Carmaux und dem Neger, ohne daß die andern in der Posada gewagt hätten, ihn zurückzuhalten.


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