Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Die Villa des Schwarzen Korsaren

Der Olonese bewohnte ein bescheidenes Holzhäuschen mit Blätterdach, wie man es gewöhnlich bei den Indianern der Großen Antillen fand. Es war aber behaglich und mit einem gewissen Luxus eingerichtet, den die rauhen Männer liebten. Eine halbe Meile von der Zitadelle entfernt, am Waldesrand, lag es schön und ruhig im Schatten großer Palmen, die eine köstliche Frische boten.

Der Olonese führte den Schwarzen Korsaren in ein Zimmer zu ebener Erde, dessen Fenster mit Strohmatten verhängt waren, und lud ihn ein, sich auf einem Bambussessel niederzulassen. Dann ließ er von einem seiner Diener einige Flaschen spanischen Weins bringen, die sicher von irgendeinem Raubzug stammten, und füllte zwei große Gläser damit.

»Auf dein Wohl, Cavaliere, und auf das deiner Dame!«

»Mir ist lieber, du trinkst auf das gute Gelingen unseres Unternehmens«, erwiderte der Korsar.

»Es wird gelingen, Freund, und ich verspreche, den Mörder deiner Brüder dir zu überliefern!«

»Man wird bald drei Brüder unter den Toten zählen«, sagte der Korsar düster.

»Der dritte ...?«

»Wird auch bald sterben!«

»Fort mit der Leichenbittermiene! Ich werde dir mit allen Kräften beistehen! Zunächst einmal: Kennst du van Gould?«

»Besser als die Spanier, denen er dient!«

»Was ist es für ein Mann?«

»Ein alter Soldat von hohem Adel, der lange in Flandern gekämpft hat. Einst Bandenführer, bis ihn das spanische Gold zum Verräter gemacht hatte.«

»Wie alt?«

»Vielleicht fünfzig Jahre.«

»Scheint noch recht zähe zu sein. Er soll zu den besten Gouverneuren gehören, die Spanien in den Kolonien hat.«

»Er ist listig wie ein Fuchs, energisch wie Montbars und tapfer.«

»Wir müssen also auf einen kräftigen Widerstand in Maracaibo gefaßt sein.«

»Sicher. Wer kann aber dem Angriff von sechshundert Piraten widerstehen? Du weißt, wie tüchtig unsere Leute sind!«

»Beim Sande von Olone!« rief der Pirat, der diesen Ausruf als Heimaterinnerung liebte. »Ich habe sie bei Los Cayos kämpfen sehen. Du kennst ja jetzt Maracaibo und weißt, welches die schwache Seite des Platzes ist.«

»Ich werde die Führung übernehmen, Pierre!«

»Hält dich hier nichts?«

»Nichts!«

»Nicht einmal deine schöne Flämin?«

»Sie wird mich erwarten«, sagte lächelnd der Korsar.

»Wo hast du sie untergebracht?«

»In meiner Villa.«

»Und wo bleibst du?«

»Bei dir.«

»Ein unverhofftes Glück! Dann können wir ja die Expedition mit dem Basken besprechen, der auch zum Essen zu mir kommt!«

»Wann soll es abgehen?«

»Morgen in aller Frühe! Ist deine Mannschaft vollzählig?«

»Mir fehlen sechzig Mann! Dreißig mußte ich auf dem erbeuteten Linienschiff lassen, und die andern dreißig verlor ich im Kampfe.«

»Nun, wir werden andere finden! Alle reißen sich ja darum, mit der ›Fólgore‹ zu fahren!«

»Obwohl ihr Kommandant im Rufe steht, ein Meergeist zu sein.«

»Weil du so finster bist wie ein Gespenst! Aber mit deiner Herzogin bist du wohl anders?«

»Wer weiß!« antwortete der Korsar.

Er hatte sich erhoben.

»Auf Wiedersehen, Pierre! Heute abend werde ich mich wieder hier einfinden, wenn auch etwas später.«

»Gib nur acht, daß die Augen der Flämin dich nicht behexen!« rief der Olonese ihm nach.

Der Korsar war aber schon weit fort. Er hatte einen andern Weg genommen und zwar durch den Wald, der sich, einen Hauptteil der Insel einnehmend, hinter der Zitadelle ausdehnte. Herrliche, Maximilianen genannte Palmen, riesenhafte Mauritien mit großen, fächerartigen Blättern schlangen ihr Laubwerk um palmenähnliche Baumkolosse, deren harte Blätter wie Zink aussahen. Darunter wuchsen kostbare Agaven in Fülle, die jenes süßliche Getränk hergeben, das an den Ufern des mexikanischen Golfs Wasserhonig und in gegorenem Zustand Mezcal genannt wird. Auch wilde Vanillenbüsche, langer Pfeffer und Gewürz wurden von den gezackten Blättern der Jupatien und Bosso beschattet. Der Schwarze Korsar kümmerte sich aber nicht um die wunderbare Vegetation.

Nach einer halben Stunde gelangte er an eine Zuckerrohrplantage. Das hohe, gelblich rote Rohr hatte bei den Strahlen der untergehenden Sonne eine purpurne Färbung angenommen. Die langen, bis zur Erde hängenden Blätter legten sich um einen schlanken Stiel, der in einem Federbusch endete und in bläulichen und gelblichen Farben schimmerte. Die Pflanzen waren schon zur Reife gediehen.

Der Kapitän verweilte einen Moment horchend, ehe er die Plantage durchschritt. Dann stand er vor einem reizenden Häuschen, das im Schatten einiger Palmengruppen lag.

Es war eine Villa mit drei Stockwerken, wie sie noch heute in Mexiko gebaut werden, mit rotbemalten Wänden, Porzellankacheln und einer großen, voll mit Blumentöpfen besetzten Dachterrasse.

Eine riesige Kürbispflanze mit breiten Blättern, dicken, blaßgrünen Früchten, kugelrund und groß wie Melonen, die, wenn sie leer sind, den Indianern als Gefäße dienen, bedeckte das Haus vollständig bis zur Terrasse hinauf.

Gemütlich vor der Tür saß Mokko, der Neger, und rauchte eine alte Pfeife, wohl ein Geschenk seines weißen Freundes. Er erhob sich mit einem Ruck, als er den Kommandanten auf sich zukommen sah.

»Wo sind Carmaux und Stiller?«

»Nach dem Hafen gegangen. Sie wollten fragen, ob Ihr Befehle für sie habt.«

»Was macht die Herzogin?«

»Sie ist im Garten.«

»Allein?«

»Mit ihren Dienerinnen und Pagen. Sie schmückt den Tisch für Euch zum Abendessen.«

»Für mich?« fragte der Korsar, und seine umwölkte Stirn erhellte sich plötzlich.

»Ja, sie erwartet Euch.«

Er öffnete die Tür, durchschritt den mit duftenden Blumenvasen bestellten Flur und trat auf der andern Seite des Hauses in den großen, von hohen, festen Mauern umgebenen Garten hinaus.

Ebenso entzückend wie das Haus, so malerisch war auch der Garten. Wunderschöne Alleen von Bananenbäumen, die mit ihren großen dunkelgrünen Blättern für Kühlung sorgten und schon leuchtende Früchte trugen, die riesigen Trauben glichen, dehnten sich nach allen Seiten hin aus und teilten den Boden in Beete, die mit tropischen Blumen bewachsen waren. Hier und da an den Ecken erhoben sich prächtige Perseen mit grünen, zitronengroßen Früchten, die, mit Sherry und Zucker gemischt, von ausgezeichnetem Wohlgeschmack sind. Ferner Passifloren mit köstlichen Früchten, groß wie Enteneier, die eine gallertartige, gut schmeckende Substanz enthalten. Auch zierliche Cumaru mit purpurroten, süß duftenden Blüten und Zwergpalmkraut, das schon stachelig aus kolossalen Mandeln hervorwächst und eine Länge von sechzig und sogar von achtzig cm erreicht.

Lautlos durchschritt der Korsar eine der Alleen und näherte sich einer aus einem Riesenkürbis gebildeten Laube, die von einer wunderbaren Palme beschattet wurde, deren Blätter über elf Meter lang waren.

Lichtstrahlen fielen durch die Blätter, und ein silbernes Lachen ertönte.

Der Korsar war stehengeblieben. Er blickte durch das dichte Laubwerk und sah einen Tisch mit schneeweißem flandrischem Linnen bedeckt. Herrliche Blumen waren mit künstlerischem Geschmack geordnet um Armleuchter und Obstpyramiden.

Ananas, Bananen, grüne Kokosnüsse und Pfirsiche schmückten die Tafel.

Die junge Herzogin ordnete selbst die Blumen und Früchte, unterstützt von ihren Dienerinnen.

Sie trug ein duftiges Spitzengewand, das ihre zarte Haut noch mehr hervorhob. Die blonden Haare waren wieder in Zöpfen um den Kopf geschlungen. Den weißen Hals umschloß eine Perlenkette.

Der Korsar verfolgte mit flammenden Augen jede ihrer Bewegungen. Diese nordische Schönheit hatte es ihm angetan. So blieb er eine Weile, um den Zauber nicht zu brechen.

Er mochte sich wohl durch Blätterrascheln verraten haben, denn die junge Flämin wandte sich um. Da trat er vor und begrüßte sie. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, als er ihr galant die Hand küßte.

»Ich erwartete Euch schon«, sagte sie freudig. »Seht, der Tisch ist gedeckt, und alles ist zum Abendessen vorbereitet! Ich habe selbst die Zubereitung der Speisen überwacht.«

»Ihr selbst, Herzogin?«

»Ja, die flämischen Frauen pflegen ihren Gästen und Gatten eigenhändig das Mahl zu bereiten!«

»Habe ich Euch denn gesagt, daß ich hier in mein Haus zum Abend zurückkommen werde?«

»Nein, aber bisweilen errät das Herz der Frauen die Absicht der Männer, und meines sagte mir, daß Ihr heute abend hierher kämet«, sprach sie lächelnd.

Der Korsar schloß für einen Moment die Augen, um die Glücksempfindung, die Honoratas Worte in ihm auslösten, nicht zu zeigen.

»Ich habe zwar meinem Freunde versprochen, mit ihm zu essen; aber ich ziehe Eure Gegenwart vor. Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal, daß wir zusammen sind!«

Sie fuhr erschrocken auf. »Wollt Ihr so schnell aufs Meer zurück? Eben erst heimgekehrt, wollt Ihr schon wieder auf neue Abenteuer ausgehen?«

»Es ist mein Schicksal, und ich muß ihm folgen.«

»Nichts hält Euch zurück?« fragte sie zitternd.

»Nichts!« erwiderte er seufzend.

»Weder Liebe noch Freundschaft?«

Er antwortete nicht.

Sie hatten sich an die Tafel gesetzt, und die Dienerinnen trugen auf silbernen Platten Seefische und am Spieß gebratene Vögel auf.

Während des Mahls zeigte sich der sonst so schweigsame Korsar nicht nur als vollendeter Kavalier, sondern auch als ausgezeichneter Gesellschafter. Er erzählte der Herzogin von den Sitten und Gebräuchen der Piraten und Ochsenjäger und von ihren verwegenen Taten, wie sie immer wieder aus Seeschlachten, Schiffbrüchen und gefährlichen Abenteuern, selbst bei menschenfressenden Rassen, siegreich hervorgegangen. Aber von dem bevorstehenden Unternehmen mit dem Olonesen und dem Basken erwähnte er nichts.

Die Flämin hörte ihm aufmerksam zu, ohne den Blick von seinem Antlitz zu wenden. Ein bestimmter Gedanke beherrschte sie.

Sie war wißbegierig, den Zweck der neuen Expedition zu erfahren, aber sie fühlte, daß er jenes Gespräch vermied.

Es war schon lange dunkel geworden. Der Mond war bereits seit zwei Stunden hinter den Bäumen aufgegangen, als der Korsar sich erhob. Erst jetzt erinnerte er sich, daß ihn der Olonese und der Baske erwarteten, um mit ihm über die Bemannung seines Schiffs zu sprechen.

»Die Zeit ist mir in Eurer Nähe entflohen, so daß ich fast meine Angelegenheiten vergessen hätte. Ihr übt eine geheimnisvolle Macht aus!«

»Der süße Genuß der Ruhe in Eurem Hause nach so vielen Meeresfahrten wird Euch gefesselt haben!«

»Oder – Eure Augen, Herzogin!«

»Auch mir hat Eure Gesellschaft schöne Stunden verschafft! Wer weiß, ob wir in dieser Idylle, fern von Meer und Menschen, noch ähnliche zusammen verleben werden«, fügte sie schmerzvoll hinzu.

»Zuweilen lächelt auch das Glück nach Krieg und Sturm.«

»Seid Ihr sicher, daß eure ›Fólgore‹ immer über Wind und Wogen siegen wird?«

»Wenn ich das Schiff lenke, ja. Morgen bei Tagesanbruch geht es wieder hinaus.«

»Eben gelandet, wollt ihr Euer Haus schon wieder verlassen?«

»Ich liebe das Meer. Außerdem muß ich meinen Todfeind treffen!«

»Ist das Euer einziger Gedanke?« »Immer! Und dieser Gedanke stirbt nur mit mir.«

»Was ist jetzt Euer Ziel?« fragte die Flämin so angstvoll, daß es dem Korsaren nicht entging.

»Ich darf die Geheimnisse der Freibeuterei nicht verletzen. Ihr weiltet noch vor wenigen Tagen als Gast der Spanier in Veracruz und habt auch in Maracaibo Bekannte!«

»Mißtraut Ihr mir?«

»Das nicht!«

Honorata atmete auf. »Es würde mich auch sehr gekränkt haben.«

Bevor er ihr die Hand zum Abschied reichte, blieb er zögernd stehen.

»Sprecht, Cavaliere! Ihr habt noch etwas auf dem Herzen!«

»Ich wollte fragen, ob Ihr die Insel während meiner Abwesenheit zu verlassen gedenkt?«

»Und wenn ich das täte ...«

»Es würde mich schmerzen, Euch bei meiner Rückkehr nicht mehr hier zu finden! Wie gerne möchte ich noch einmal einen Abend wie den heutigen mit Euch verleben! Es würde mich für alles Leid, das ich seit Jahren trage, entschädigen.«

»Ich bekenne, daß auch ich glücklich sein würde, den Schwarzen Korsaren wiederzusehen«, antwortete die Herzogin.

»Ihr wollt also hier meine Rückkehr erwarten?« fragte stürmisch der Kapitän.

»Lieber möchte ich Euch um nochmalige Gastfreundschaft an Bord der ›Fólgore‹ bitten.«

Der Korsar machte eine heftige Bewegung. Dann sagte er festen Tons: »Das ist unmöglich!«

»Störe ich Euch?«

»Nein, aber es ist den Piraten untersagt, eine Frau bei ihren Unternehmungen mitzuführen. Ich bin zwar Herr auf meinem Schiffe, aber ...«

»Was aber ...?«

»Ich fürchte mich, Euch noch einmal an Bord der ›Fólgore‹ zu nehmen. Ist es die Vorahnung eines Unglücks? Ich weiß es nicht. Als Ihr mich eben darum batet, zog sich mein Herz krampfhaft zusammen, statt daß es aufjubelte!«

»O Gott«, rief die Herzogin voller Schrecken, »wenn Euch auf dieser Fahrt etwas Schlimmes bevorstände ...!«

»Wer weiß ... wer kennt die Zukunft! ... Laßt mich fort! Ich leide in diesem Augenblick um Eurethalben! Wenn mich und mein Schiff der Golf verschlingen sollte, wenn mich eine Kugel oder ein Dolch etwa treffen sollte, so vergeßt den Schwarzen Korsaren nicht! Lebt wohl!«

Mit raschen Schritten entfernte er sich, ohne einmal zurückzuschauen, als fürchte er, trotz seines Widerstands doch festgehalten zu werden.


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