Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Die Lage der Flibustier verschlimmert sich

Kaum waren zehn Minuten verstrichen, als Carmaux das Haus des Advokaten verließ, um sich auf die Suche nach dem Neger zu begeben. In dieser kurzen Zeit hatte sich der brave Flibustier vollkommen unkenntlich gemacht. Mit wenigen Scherenschnitten waren der Bart gestutzt und die langen Haare gekürzt worden. Er hatte ein spanisches Gewand angelegt, das der Notar nur bei besonderen Gelegenheiten trug. Es paßte ihm gut, da beide so ziemlich von der gleichen Statur waren. So konnte der gefürchtete Seeräuber entweder für einen ruhigen Bürger Gibraltars oder gar für den Notar selber gelten. Als vorsichtiger Mann hatte er indessen doch seine Pistolen in die Taschen gesteckt, da er sich allein auf das Gewand nicht verließ.

Wie ein friedlicher Spaziergänger, der etwas frische Luft schnappen wollte, sah er zum Himmel empor, ob die Morgenröte schon da wäre. Das Gäßchen war wie ausgestorben.

»Wenn der Kommandant unsern Gevatter Kohlensack erst vor kurzem gesehen hat, so kann er doch nimmer weit sein«, murmelte er. »Sicher wird er Grund gehabt haben, Maracaibo nicht zu verlassen ...«

»Ob der verdammte van Gould erfahren hat, wer den Streich verübte?« philosophierte er weiter. »Sollte es wirklich Bestimmung sein, daß die drei tapferen Brüder sämtlich in die Hände des Gouverneurs fallen? Aber wir würden uns rächen, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben!«

In diesem Selbstgespräch war er die Gasse hinuntergegangen und wollte eben um die Ecke biegen, als ein Soldat, der bisher unter einem Torbogen stand, ihm unversehens den Weg vertrat und ihm ein drohendes Halt zurief.

»Tod und Teufel!« brummte Carmaux, mit einer Hand in die Tasche fahrend und seine Pistole umklammernd. »Da sind wir ja schon!«

Dann nahm er die Miene eines ehrbaren Bürgers an und sagte laut: »Was wünscht Ihr, mein Herr?«

»Wissen, wer Ihr seid!«

»Wie! Ihr erkennt mich nicht? Ich bin doch der Notar dieses Stadtviertels!«

»Verzeiht, ich bin erst seit kurzem in Maracaibo! Aber darf man wissen, wohin Ihr spaziert?«

»Ein armer Teufel liegt im Sterben. Und Ihr wißt, wenn einer sich vorbereitet, in die andere Welt zu gehen, so muß er an seine Erben denken!«

»Es ist wahr, Herr Notar! Aber seid vorsichtig, daß Ihr nicht den Flibustiern begegnet!«

»Mein Gott!« rief Carmaux aus, sich erschreckt stellend. »Die Piraten sind hier? Wie konnten diese Kanaillen nur wagen, in Maracaibo zu landen? Die Stadt ist ja fast uneinnehmbar und wird von dem tapferen van Gould regiert!«

»Man weiß nicht, wie sie sich ausgeschifft haben; denn man hat weder eins ihrer Schiffe bei den Inseln noch im Corogolf gesehen.

Aber hier sind sie, da ist kein Zweifel! Denn sie haben schon drei oder vier Leute getötet und hatten die Kühnheit, den Leichnam des Roten Korsaren zu rauben, der mit seiner Schiffsmannschaft vor dem Gouverneurspalast hing!«

»Diese Schurken! Und wo sind sie jetzt?«

»Man glaubt, daß sie aufs Land geflohen sind. Man hat Truppen an verschiedenen Orten aufgestellt und hofft so, sie einzufangen und auch an den Galgen zu bringen.«

»Vielleicht halten sie sich noch in der Stadt verborgen?«

»Das ist nicht gut möglich. Man hat ja gesehen, daß sie ins freie Gelände flohen.«

Carmaux wußte genug. Er wollte den Neger suchen und durfte darum keine Zeit verlieren.

»Ich werde mich vorsehen«, sagte er. »Jetzt muß ich zu meinem sterbenden Klienten, sonst komme ich zu spät.«

»Viel Glück, Herr Advokat!«

Der schlaue Flibustier zog den Hut über die Augen und entfernte sich schleunigst.

»Man glaubt uns also außerhalb der Stadt«, murmelte er. »Ausgezeichnet! Da können wir ja ganz ruhig im Hause unseres guten Notars bleiben, bis die Truppen wieder abgezogen sind. Der Kapitän hatte wirklich eine herrliche Idee! Selbst der Olonese, der sich rühmt, der listigste Flibustier der Tortuga zu sein, konnte keine bessere haben!«

Er war schon um die Ecke gebogen, in eine breitere, von schönen Häusern mit eleganten Veranden flankierte Straße, als er einen schwarzen Schatten von gigantischer Größe bei einer Palme bemerkte, die neben einem hübschen, kleinen Palaste stand.

»Wenn ich mich nicht irre, ist das ja unser Mokko! Diesmal haben wir ja merkwürdiges Glück! Man weiß schon, daß der Teufel uns beschützt. Wenigstens sagen so die Spanier.«

Der Mann, der da halb verborgen hinter dem Baume stand, sah den angeblichen Advokaten kommen. Er flüchtete unter den Torweg des kleinen Palastes. Als er auch dort sich nicht sicher fühlte, lief er schnell um die Ecke.

Carmaux hatte sich nun überzeugt, daß es wirklich der Neger war. Er sprang ihm nach und rief halblaut: »He, Gevatter!«

Der Neger blieb stehen. Dann kehrte er langsam zurück. Als er Carmaux in der sonderbaren Verkleidung erkannte, rief er freudig: »Du bist es, weißer Gevatter!«

»Hast gute Augen!« lachte der Seemann.

»Wo ist der Kapitän?«

»Sei unbesorgt! Er ist in Sicherheit. Aber warum bist du zurückgekommen? Warum hast du nicht den Befehl des Kommandanten ausgeführt?«

»Ich konnte es nicht. Der Wald war von Truppen besetzt.«

»Da werden sie unsere Barke bemerkt haben!«

»Ich fürchte es auch.«

»Und wo hast du die Leiche des Roten Korsaren gelassen?«

»In meiner Hütte unter einem Haufen frischer Blätter.«

»Werden sie die Spanier nicht entdecken?«

»Ich habe vorsichtigerweise alle meine Schlangen freigelassen. Wenn die Soldaten kommen, werden sie ausreißen vor den Reptilien.«

»Du bist wirklich schlau! Und meinst du, daß augenblicklich an Flucht nicht zu denken sei?«

»Unmöglich!«

»Die Lage ist ernst. Wenn Morgan, der Vizekommandant der ›Fólgore‹, uns nicht zurückkommen sieht, kann er eine Unvorsichtigkeit begehen. Na, wir wollen sehen, wie dies Abenteuer ausläuft. Mokko, bist du in Maracaibo bekannt?«

»Man kennt mich überall, da ich oft in die Stadt komme, um heilsame Kräuter gegen Wunden zu verkaufen.«

»Und keiner mißtraut dir?«

»Nein.«

»Dann folge mir zum Kommandanten!«

»Noch einen Moment! Ich habe euern Gefährten mitgebracht.«

»Wen? Stiller?«

»Ja, er war dort in Gefahr und kann hier mehr helfen.«

»Und was habt ihr mit dem Gefangenen gemacht?«

»Den haben wir gut festgebunden. Wenn ihn seine Kameraden nicht inzwischen befreit haben, werden wir ihn so wieder vorfinden.«

Der Neger legte beide Hände auf die Lippen und pfiff. Man konnte es für den Laut eines Vampirs halten, einer der großen, in Südamerika zahlreichen Fledermäuse. Einen Augenblick später überstieg ein Mann die Gartenmauer und sprang gerade neben Carmaux herunter.

»Wie freue ich mich, dich lebendig wiederzusehen!« sagte Stiller.

»Ich desgleichen!« antwortete Carmaux.

»Wird mir der Kapitän auch keine Vorwürfe machen, daß ich die Hütte verlassen habe?«

»Er wird zufrieden sein. Ein Tapfrer mehr ist im gegenwärtigen Moment sehr vonnöten. Kommt, Freunde!«

Es fing nun an, hell zu werden.

Die Sterne erbleichen schnell in jenen Regionen. Der Nacht folgt plötzlich der Tag, denn die Sonne geht fast mit einem Male auf und verscheucht mit der Macht ihrer Strahlen die Dunkelheit.

Die Einwohner von Maracaibo waren Frühaufsteher. Fenster wurden geöffnet, und Köpfe wurden sichtbar. Hier und dort hörte man Stimmen und allerlei Geschwätz, lautes Niesen und Gähnen. Sicher besprach man die Ereignisse der Nacht, die alle in nicht geringen Schrecken versetzt hatten; denn die Flibustier waren überall in den spanischen Kolonien des Golfs von Mexiko gefürchtet.

Carmaux, der jede Begegnung vermeiden wollte, da er fürchtete, von einem der Tavernengäste erkannt zu werden, lief schnell zurück, gefolgt von Mokko und Stiller.

Bei dem Gäßchen fand er denselben Soldaten vor, der, die Hellebarde auf der Schulter, noch immer von einer Ecke zur andern auf und ab schritt.

»Schon zurück, Herr Advokat?« fragte er.

»Was wollt Ihr, Freundchen?« antwortete Carmaux. »Mein Klient hat Eile gehabt, dieses Jammertal zu verlassen.«

»Hat er Euch jenen Prachtneger vererbt? Caramba! Das ist ja ein Koloß, der Tausende von Piastern wert ist!«

»Erraten! Er hat ihn mir geschenkt. Auf Wiedersehn!«

Sie bogen geschwind um die Ecke und eilten die Gasse entlang bis zum Hause des Notars. Hier traten sie ein und verrammelten sofort die Tür.

Der Schwarze Korsar harrte schon voller Ungeduld.

»Nun?« fragte er erwartungsvoll. »Auch Stiller ist hier? Wo ist der Leichnam meines Bruder?«

Carmaux berichtete alles in kurzen Worten, auch was er erlebt hatte.

»Die Nachrichten sind ernst«, sagte der Kapitän. »Sobald die Spanier das Land außerhalb der Stadt und die Küste besetzt halten, weiß ich nicht, wie ich meine ›Fólgore‹ erreichen soll. Für mich fürchte ich nicht, aber für mein Schiff, das vom Geschwader des Admirals Toledo überrascht werden kann.«

»Donnerwetter«, rief Carmaux, »das fehlte noch!«

»Das Abenteuer wird schlecht ausgehen«, murmelte Stiller. »Bah, wir sollten schon seit zwei Tagen hängen! Da können wir ja froh sein, noch vierundzwanzig Stunden gelebt zu haben!«

Der Schwarze Korsar ging sinnend im Zimmer auf und nieder. Er war unruhig. Plötzlich blieb er vor dem im Bette festgebundenen Notar stehen und fragte ihn mit drohendem Blick: »Kennst du die Umgebung von Maracaibo?«

»Ja, Exzellenz«, antwortete der arme Mann mit zitternder Stimme.

»Kannst du uns, ohne daß wir von deinen Mitbürgern überrascht werden, aus der Stadt herauslassen und an einen sichern Ort führen?«

»Wie könnte ich das, Herr? Sobald wir aus meinem Hause heraus wären, würde man uns erkennen und uns festnehmen. Dann würde mich die Schuld treffen, daß ich versucht hätte, Euch zu retten, und der Gouverneur, der keinen Scherz versteht, würde mich erhängen.«

»Ah, man hat Furcht vor van Gould!«

Der Korsar knirschte mit den Zähnen, während seine Augen blitzten. »In der Tat, der Mann ist energisch, stolz und auch grausam. Er versteht es, sich so in Positur zu setzen, daß alle vor ihm zittern. Aber doch nicht alle. Eines Tages werde ich ihn erzittern lassen ... An jenem Tage soll er den Tod meiner Brüder mit dem Leben bezahlen!«

»Ihr wollt den Gouverneur töten?« fragte der Notar ungläubig.

»Schweig, Alter, wenn dir deine Haut lieb ist!« rief Carmaux.

Der Korsar schien weder die eine noch die andere Bemerkung gehört zu haben. Er war an das Fenster des anstoßenden Flurs getreten, von dem man die Gasse überblicken konnte.

»Wir sind da in eine schöne Bredouille geraten«, wandte sich Stiller an den Neger. »Hat unser schwarzer Gevatter in seinem Schädel nicht irgendeine gute Idee, die uns aus dieser durchaus nicht lustigen Lage heraushilft? Ich fühle mich nicht ganz sicher in diesem Hause!«

»Vielleicht habe ich eine«, sagte Mokko.

»Nur heraus damit!« rief Carmaux. »Ist deine Idee ausführbar, so kriegst du einen Bruderkuß von mir.«

»Dann müssen wir aber bis zum Abend warten.«

»Wir haben ja vorläufig keine Eile.«

»Zieht euch alle als Spanier an und geht ruhig aus der Stadt hinaus!«

»Ich habe ja schon die Kleider des Notars an. Genügt das nicht?«

»Wie soll ich mich denn verkleiden?«

»Nehmt ein schönes Musketier- oder Hellebardierkostüm! Wenn ihr als Bürger hinausgeht, werden euch die Truppen draußen auf dem Lande sofort anhalten.«

»Potzblitz, das ist ein Gedanke!« rief Carmaux. »Du hast recht, Gevatter Kohlensack! Als Soldaten verkleidet, wird uns niemand fragen nach Namen und Ziel, besonders nicht bei Nacht. Man wird uns für eine Runde halten. So können wir bequem das Weite suchen und uns einschiffen!«

»Aber wo die Kleider herbekommen?« fragte Stiller.

»Wo? Man überwältigt einfach einige Soldaten und zieht sie aus«, meinte Carmaux resolut. »Du weißt doch, daß wir eine leichte Hand haben!«

»Solcher Gefahr sich aussetzen ist gar nicht nötig«, sprach der Neger. »Ich bin bekannt in der Stadt; niemand wird mich für verdächtig halten, so kann ich Kleider und Waffen kaufen.«

»Gevatter, du bist ein prächtiger Mensch!«

In diesem Augenblick hörte man einen dumpfen Schlag, der auf der Treppe widerhallte.

»Donnerwetter, da klopft jemand!«

Der Korsar kam vom Flur herein: »Da scheint jemand nach dem Notar zu fragen!«

»Es wird einer meiner Klienten sein«, seufzte der Gefangene. »Vielleicht würde ich durch ihn ein gutes Stück Geld verdienen, während ich es ...«

»Was da! Kein Wort mehr, du Schwätzer!« sagte Carmaux.

Es folgte ein zweiter, stärkerer Schlag.

»Öffnet, Herr Notar! Schnell, schnell!«

»Carmaux!« sagte der Korsar, der einen raschen Entschluß gefaßt hatte: »Wenn wir uns widersetzen, kann der Mann draußen glauben, daß den Alten der Schlag gerührt habe! Dann wird er den Alkalden vom Stadtviertel benachrichtigen!«

»Ja, was soll ich machen, Kommandant?«

»Öffnen und dann den Unwillkommenen gut binden und hier hinlegen, damit er dem Notar Gesellschaft leiste!«

Ein dritter Schlag erfolgte, der beinahe die Tür zersprengt hätte. Carmaux öffnete.

»Oh, was für eine Wut habt Ihr, mein Herr!«

Ein elegant gekleideter junger Mann von etwa zwanzig Jahren trat rasch ein. Es hing ein kleiner, feiner Dolch am Gürtel.

»Ist das eine Art, Personen, die Eile haben, warten zu lassen?« schrie er. »Caramba!«

Als er Carmaux und den Neger sah, hielt er überrascht inne.

Dann wich er einen Schritt zurück, aber das Tor hatte sich schon hinter ihm geschlossen.

»Wer seid Ihr?« fragte er.

»Zwei Diener des Herrn Notars!« antwortete Carmaux mit einer tiefen Verbeugung.

»Ah«, rief der junge Mann aus. »Ist Don Turillo mit einem Male so reich geworden, daß er sich den Luxus erlaubt, zwei Diener zu halten?«

»Ja, er hat von seinem verstorbenen Oheim in Peru geerbt«, antwortete der Flibustier lachend.

»Führt mich sofort zu ihm! Es war ihm schon angekündigt worden, daß heute meine Hochzeit mit der Senorita Carmen de Vasconcellos stattfindet. Ich muß ihn bitten, daß er ...«

Das Wort war ihm plötzlich durch die Hand des Negers im Munde steckengeblieben. Der halberwürgte Jüngling fiel auf die Knie, während die Augen ihm aus den Höhlen traten und seine Haut sich fast braun färbte.

»Langsam, langsam, Gevatter«, mahnte Carmaux. »Man muß liebenswürdig mit den Klienten des Notars umgehen!«

»Keine Angst!« antwortete der Schlangenbeschwörer.

Der junge Mann, der vor Schrecken nicht den mindesten Widerstand leistete, wurde in das obere Zimmer befördert. Man nahm ihm seinen Dolch weg, band ihn und warf ihn ins Bett an die Seite des Advokaten.

»Fertig, Kapitän!« rief Carmaux.

Der Kommandant nickte mit dem Kopfe, näherte sich dem Jüngling, der ihn mit ängstlichen Augen ansah, und fragte: »Wer seid Ihr?«

»Einer meiner besten Klienten, Herr«, entgegnete der Notar statt seiner. »Durch diesen braven jungen Mann hätte ich heut viel verdient.«

»Schweigt!« sagte der Korsar trocken.

»Ja, wirklich, der Notar schwatzt wie ein Papagei! Wenn er so fortfährt, wird man ihm ein Stückchen Zunge abschneiden müssen!«

Der schöne Jüngling sprach: »Ich bin der Sohn des Richters von Maracaibo, Don Alonzo de Conxevio. Hoffentlich erklärt Ihr mir jetzt den Grund meiner Festnahme!«

»Den braucht Ihr nicht zu wissen! Wenn Ihr Euch aber ruhig verhaltet, so soll Euch nichts Böses geschehen. Morgen werdet Ihr frei sein, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse eintreten.«

»Morgen erst«, rief der Bräutigam schmerzbewegt. »Bedenkt, Herr, daß ich heute die Tochter des Kapitäns Vasconcellos heiraten soll!«

»Dann werdet Ihr sie eben morgen heiraten!«

»Hütet Euch. Mein Vater ist ein Freund des Gouverneurs, und Ihr könntet Euer geheimnisvolles Vorgehen teuer bezahlen müssen. In Maracaibo sind Soldaten und Kanonen!«

Ein verächtliches Lächeln umspielte die Lippen des Korsaren.

»Die fürchte ich nicht! Auch ich habe starke Mannschaften und Kanonen.«

»Wer seid Ihr denn?«

»Das braucht Ihr nicht zu wissen!«

Damit drehte sich der Korsar kurz um und ging hinaus. Während er sich wieder als Wache ans Fenster stellte, untersuchten Carmaux und der Neger das ganze Haus nach Lebensmitteln vom Keller bis zum Boden, da sie ein Frühstück bereiten wollten. Stiller hatte es sich indessen bei den beiden Gefangenen bequem gemacht, um einen Fluchtversuch zu verhindern.

Endlich war es dem schwarzen und weißen Gevatter gelungen, einen geräucherten Schinken und einen sehr feinen Käse zu entdecken, der so scharf und pikant war, daß er alle in gute Laune versetzen konnte. Auch sollte er, wie Carmaux meinte, Appetit für den ausgezeichneten Wein des Notars machen.

Schon hatten sie den Korsaren gerufen und einige Flaschen Portwein entkorkt, als von neuem an das Tor geklopft wurde.

»Wer mag das sein?« fragte Carmaux. »Wieder ein Klient, der dem Notar Gesellschaft leisten will?«

»Geh, sieh nach!« befahl der Korsar, der sich schon zu Tisch gesetzt hatte.

Der Seemann schaute durch die Fensterjalousien und sah dort unten einen alten Mann, der ein Diener oder ein kleiner Gerichtsbeamter zu sein schien.

»Teufel auch«, murmelte er. »Der wird den Bräutigam suchen. Sein mysteriöses Verschwinden wird die Eltern und die Eingeladenen, besonders aber die Braut beunruhigen ... Die Sache fängt an, etwas brenzlig zu werden.«

Als der Pocher draußen keine Antwort erhielt, klopfte er mit solcher Kraft, daß alle Bewohner der umliegenden Häuser von dem Lärm ans Fenster gelockt wurden.

»Wir müssen öffnen und diesen zweiten Störenfried einfangen, ehe die Nachbarn Verdacht schöpfen und womöglich die Tür einschlagen oder gar die Soldaten herbeirufen!«

Carmaux und der Neger beeilten sich, auch diesen Gast ins Haus zu ziehen, ihn zu binden und nach oben zu seinem unglücklichen jungen Herrn und dem nicht weniger unglücklichen Notar zu führen.

»Der Teufel hole sie alle!« rief Carmaux. »Fahren wir so fort, so werden wir bald die ganze Bevölkerung von Maracaibo zu Gefangenen machen!«


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