Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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Carmaux' Mißgeschick

Die beiden Jäger hatten sich hinter dem Stamm einer großen Samaruba verborgen. Die Zweige knackten hier und da, als ob die Bestie sich noch nicht über den Weg schlüssig wäre. Plötzlich tat sich das Gestrüpp auseinander, und Carmaux sah ein etwa fünfzig Zentimeter langes Tier mit rötlich-schwarzem Fell, kurzen Beinen und reichbehaartem Schwanz hervorspringen.

Er kannte es nicht und wußte auch nicht, ob es eßbar wäre. Als er es aber dreißig Schritt vor sich stehen sah, legte er doch das Gewehr an und feuerte. Es fiel, erhob sich jedoch wieder mit einer Behendigkeit, die anzeigte, daß es nicht schwer verletzt war, und kroch ins Gehölz.

»Verflucht! Aber es soll mir nicht weit kommen!«

Er stürmte vorwärts, ohne die Waffe wieder zu laden, verfolgte die Spuren des Tiers und hörte nicht auf den warnenden Zuruf des Spaniers.

»Nimm deine Nase in acht!«

Das Tier floh weiter, wahrscheinlich seinem Unterschlupf zu. Doch der gewandte Carmaux war ihm auf den Fersen. Mit dem Entersäbel in der Hand, wollte er es in Stücke schneiden.

»Ah, Brigant, du!« schrie er.

Das arme Tier hielt im Fliehen inne, verlor aber allmählich die Kräfte. Blutspuren auf Gras und Blättern zeigten, daß die Kugel getroffen hatte. Schließlich blieb es, erschöpft vom Lauf und Blutverlust, an einem Baumstamm stehen. Carmaux, der nun seiner sicher war, stürzte sich darauf, prallte aber sofort zurück; denn ein unerträglicher Gestank erstickte ihn fast.

»Zum Teufel!« brüllte er.

Ein heftiges Niesen bemächtigte sich seiner und hinderte ihn am weiteren Fluchen.

Der Spanier wollte ihm zu Hilfe eilen, blieb aber zehn Schritt vor ihm stehen, sich die Nase mit beiden Händen zuhaltend.

»Caramba!« sagte er. »Ich habe Euch doch geraten, nicht weiterzugehen, Caballero! Jetzt seid Ihr für eine Woche parfümiert. Ich habe keinen Mut, an Euch heranzukommen.«

»Bin ich denn verpestet? Ich fühle mich so elend, als ob ich seekrank wäre.«

»Flieht, damit ihr andere Luft atmen könnt!«

»Ich glaube, ich krepiere! Was ist denn nur geschehen?«

»Lauft doch davon, sage ich Euch! Flieht aus diesem unerträglichen Geruch, der schon die ganze Umgebung erfüllt!«

Mühsam erhob sich Carmaux und machte einige Schritte auf den Spanier zu, der sich schleunigst entfernte.

»Hast du Angst vor mir? Dann habe ich wohl die Cholera?«

»Das nicht, Caballero, aber ich fürchte, Ihr parfümiert mich auch.«

»Aber wo soll ich denn nur bleiben? Ich jage alle in die Flucht, selbst den Kommandanten!«

»Erst müßt ihr ausgeräuchert werden«, sagte der Spanier, der sich das Lachen verbiß.

»Etwa wie ein Hering?«

»Ja, nicht mehr und nicht weniger, Caballero!«

»Stinkt das nicht nach verfaultem Knoblauch? Ich habe das Gefühl, als ob mir der Schädel zerspringt!«

»Das glaube ich Euch. Es war der Surriljo, ein Stinkmarder, wohl der schlimmste der Sorte! Nicht einmal die Hunde können den Geruch vertragen.«

»Und woher hat das Tier diesen verdammten Geruch?«

»Aus einigen Drüsen unter dem Schwanz. Habt Ihr auch Flüssigkeit abbekommen?«

»Nein, dazu war ich zu weit ab!«

»Dann hattet Ihr Glück! Denn hätten Eure Kleider auch nur einen einzigen Tropfen dieses öligen Saftes abbekommen, so würdet Ihr die Reise unweigerlich nackt wie Vater Adam fortsetzen müssen!«

»Ich rieche schlimmer als ein Dunghaufen.«

»Laßt nur gut sein, wir räuchern Euch schon aus!«

»Zum Teufel mit allen Surriljos der Erde! Konnte mir etwas Schlimmeres passieren? Wir werden schön angesehen werden bei unserer Rückkehr! Man erwartet uns mit Wild, und statt dessen bringe ich eine Wolke von Gestank mit!«

Der Spanier lachte jetzt bei dem Jammer des Flibustiers aus vollem Halse. Er hielt sich immer von ihm entfernt und wartete, bis die Luft den armen Jäger etwas reinigte.

Stiller kam ihnen entgegen, in der Hoffnung, beim Schleppen des Wildbrets helfen zu können.

Als er aber in Carmaux' Nähe kam, ergriff er schleunigst die Flucht.

»Alle fliehen mich wie die Pest«, sagte Carmaux melancholisch. »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als mir im Sumpf das Leben zu nehmen!«

»Ihr werdet nichts tun«, sagte der Katalonier energisch, »als eine Weile hierbleiben, bis ich zurückkehre!«

Carmaux nahm resigniert zu Füßen eines Baumes Platz und seufzte tief.

Nachdem der Spanier dem Kapitän das komische Abenteuer erzählt hatte, begab er sich mit dem Neger in den Wald und sammelte gewisse pfefferähnliche Kräuter. Diese legten sie dann zwanzig Schritt vor Carmaux entfernt nieder und zündeten sie an.

»Laßt Euch nur ordentlich ausräuchern!« sagte er lachend und entfloh wieder. »Wir erwarten Euch zum Frühstück!«

Ergeben setzte sich Carmaux dem dichten Rauch der Pflanzen aus.

Der Reisig strömte brennend einen so beißenden Geruch aus, als ob der Katalonier richtige Pfefferbeeren hineingestreut hätte. Obgleich die Augen des armen Flibustiers reichlich tränten, ergab er sich in sein Schicksal. Eine halbe Stunde später spürte er den Geruch nur noch wenig und entschloß sich, ins Lager zurückzukehren, wo die Gefährten soeben eine große Schildkröte zurechtmachten.

»Ist es erlaubt?« fragte er. »Ich hoffe doch, daß ich jetzt gereinigt bin!«

»Komm nur her!« rief der Korsar gutmütig. »Wir Seeleute sind ja an den scharfen Teergeruch gewöhnt, da werden wir auch dich ertragen können! Habt ihr im Walde geschossen?«

»Ich denke, daß man den Knall nicht weit gehört hat«, erwiderte der Spanier.

»Es wäre durchaus nicht von Vorteil, wenn die Flüchtlinge ahnten, daß sie verfolgt würden!«

»Ich glaube eher, daß sie davon überzeugt sind, Kapitän!«

»Woraus willst du das schließen?«

»Aus ihrem überstürzten Marsch!«

»Vielleicht drängt den Gouverneur noch ein anderer Grund zur Eile. Die Furcht, daß der Olonese Gibraltar überfällt!«

»Wollt Ihr denn Gibraltar angreifen?« fragte der Spanier unruhig.

»Vielleicht ... Wir wollen sehen!« erwiderte der Korsar ausweichend.

»Wenn das geschieht, kann ich nicht gegen meine Landsleute kämpfen«, sagte der Katalonier. »Ein Soldat darf die Waffen nicht gegen eine Stadt erheben, über deren Mauern die Fahne des Heimatlandes weht! Solange es sich um den Flamen handelt, helfe ich Euch. Aber mehr tue ich nicht. Ich lasse mich eher hängen!«

»Ich schätze deine Anhänglichkeit an das Vaterland«, erwiderte der Schwarze Korsar. »Sobald wir van Gould haben, bist du frei und kannst Gibraltar verteidigen, wenn du willst.«

»Ich danke Euch, Caballero, bis dahin stehe ich zu Eurer Verfügung.«

Sie setzten ihren Marsch am Ufer des Sumpfes fort. Die Hitze war entsetzlich, doch die Flibustier litten nicht sehr darunter, obgleich der Schweiß ihnen aus allen Poren drang. Außerdem blendete der Sumpf die Augen, so daß sie schmerzten, und gefährliche, das Sumpffieber erzeugende Miasmen stiegen auf.

Gegen vier Uhr nachmittags erreichten sie einen großen Wald. Da machte sie der Neger auf einen roten Fleck aufmerksam, der auf dem grünlichen Sumpfwasser schwamm.

»Ist das ein Vogel?« fragte Carmaux.

»Es scheint eher eine spanische Mütze zu sein!« rief der Katalonier.

»Vielleicht ein Mensch, der im Sumpf lebendig versunken ist!«

Bei näherer Untersuchung fanden sie in der Tat ein federgeschmücktes spanisches Seidenbarett und daneben eine bleiche Totenhand aus dem Schlamm ragen.

»Es ist ein Soldat von der Eskorte des Gouverneurs! Eine solche Mütze trug Juan Barrero! Also muß van Gould hier vorbeigekommen sein!«

»Wir sind nunmehr sicher auf den Spuren der Flüchtlinge!« sagte der Korsar und ging weiter.

Plötzlich hielten ihn seltsame Töne zurück, die aus dem Walde kamen.

»Sollten das Signale sein? Es klang jedesmal wie ein langer Pfiff!«

»Ich fürchte, daß es Indianer sind, die der Gouverneur auf uns gehetzt hat.«

»Also sehen wir uns die Leute dieses Landes einmal an«, meinte Carmaux ganz gemütlich. »Sie werden nicht besser und nicht schlechter als andere Indianer sein.«

»Hütet Euch, Caballero!« warnte der Spanier. »Die Rothäute Venezuelas sind Menschenfresser und werden sich freuen, Rostbraten aus Euch zu machen!«

»Na also, Freund Stiller, verteidigen wir unsere Rippen!«


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