Emilio Salgari
Der schwarze Korsar
Emilio Salgari

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An Bord der »Fólgore«

Als die »Fólgore« des Schwarzen Korsaren die Insel verlassen und das lange, von den letzten Ausläufern der Sierra di Santa Marta gebildete Vorgebirge passiert hatte, war sie in das Karibische Meer eingelaufen. Sie schiffte so gen Norden, also den großen Antillen zu. Das Meer war ruhig. Kaum merkte man die Morgenbrise, die von Südosten wehte und hier und dort kurze Wellen warf, welche rauschend gegen die Flanken des Segelschiffs schlugen.

Viele von den Küsten kommende Wasservögel kreisten über dem Meere. Scharen von raubgierigen Raben, so groß wie Hühner, flatterten in Ufernähe und schossen auf die Beute zu, die sie stückweise zerrissen. Dicht über den Wellen flogen Vögel mit gespaltetem Schwanz, auf dem Rücken schwarz und weiß gefiedert. Mit ihren eigenartigen Schnäbeln waren sie zu langem Fasten verdammt, wenn ihnen die Fische nicht selbst in den Mund flogen. Auch die im mexikanischen Golf häufigen Tropinvögel sah man in langen Reihen mit ihren langen Schwanzfedern über die Wogen streifen. Grauenerregend waren ihre schwarzen Flügel. Sie spähten nach den fliegenden Fischen aus, die aus dem Wasser emporschossen und die Luft streckenweise durchfurchten, um dann wieder hinabzutauchen und sofort ihr Spiel von neuem zu beginnen. Nur die Schiffe fehlten. Die Wächter an Deck schauten sich die Augen aus, aber kein Segler war am Horizont sichtbar. Die Furcht, den kühnen Tortugakorsaren zu begegnen, hielt die einzelnen spanischen Fahrzeuge von der Einfahrt in die Häfen von Caracas, Yucatan, Venezuela und den großen Antillen ab, ehe sie nicht zusammen ein Geschwader bilden konnten. Nur gut bewaffnete und zahlreich bemannte Schiffe wagten es noch, das Karibische Meer und den Golf von Mexiko zu durchqueren. Man hatte die Unerschrockenheit jener Seefahrer, die das Banner der Tortuga führten, schon reichlich kennengelernt.

Während des ersten Tages nach dem Begräbnis des Roten Korsaren war nichts auf dem Flibustierschiff vorgefallen. Der Kommandant hatte sich weder an Bord noch auf der Schiffbrücke blicken lassen. Er überließ seinem Leutnant die Leitung des Fahrzeugs. Nicht einmal Carmaux und Stiller hatten ihn gesehen.

Jedoch wußte man, daß er den Neger mit in die Kajüte genommen hatte.

Als Carmaux den Vizekommandanten darüber befragen wollte, wurde er mit einer Geste zurückgewiesen, die besagen sollte: »Kümmere dich nicht darum. Was geht es dich an?«

Am Abend verwickelte sich ein Teil der Segel infolge der plötzlichen Windstöße, die in jenen Gegenden häufig vorkommen und fast immer Unglück bringen.

Endlich sahen die beiden Seeleute, die in der Nähe der Kajüte herumstrichen, aus der Luke am Heck den Wollkopf des Afrikaners auftauchen.

»Da ist ja unser Gevatter!« rief Carmaux. »Hoffentlich können wir jetzt erfahren, ob sich der Kommandant noch an Bord befindet, oder ob er mit seinen Brüdern auf dem Meeresgrunde Zwiesprache hält. Dem finsteren Manne ist das zuzutrauen!«

»Ja, ja«, antwortete Stiller, der sehr abergläubisch war. »Er kommt mir immer wie ein Meeresgott vor, aber nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir!«

»He, Freundchen!« rief Carmaux dem Neger zu: »Es ist endlich Zeit, daß du wieder zu deinen weißen Kameraden kommst!«

»Aber der Kapitän hat mich doch festgehalten«, antwortete Mokko.

»Große Neuigkeit das! Was macht denn der Kommandant?«

»Er ist trauriger denn je.«

»Na, ich habe ihn niemals lustig oder lachend gesehen, nicht einmal auf der Tortuga.«

»Es liegt ihm immer nur die Rache im Sinn.«

»Die er ausführen wird. Er ist der Mann, der seinen schrecklichen Schwur erfüllt. Ich möchte nicht in der Haut des Gouverneurs noch in der seiner Verwandten stecken!«

»Van Gould muß einen bittern Haß auf den Schwarzen Korsaren haben, aber dieser Haß wird ihm verhängnisvoll werden. Und kennst du den Grund, weißer Gevatter?«

»Man sagt, daß van Gould beschlossen habe, die drei Brüder zu vernichten, noch ehe er nach Amerika gekommen sei und Spanien seine Dienste angeboten habe.«

»Als er sich noch in Europa befand? Also müssen sie sich vorher gekannt haben!«

»Ja, so sagt man, weil nämlich gerade zu derselben Zeit, als van Gould sich zum Gouverneur von Maracaibo ernennen ließ, drei herrliche Schiffe vor der Tortuga erschienen, die von dem Schwarzen, dem Roten und dem Grünen Korsaren befehligt wurden. Es waren drei bildschöne Männer, mutig wie die Löwen, kühne, unerschrockene Seefahrer. Der Grüne war der jüngste und der Schwarze der älteste von ihnen, aber alle waren gleich an Kraft und Tüchtigkeit. Kein Flibustier auf der Tortuga kam ihnen in Handhabung der Waffen gleich. Diese drei sollen die Spanier im Golf von Mexiko in Schrecken versetzt haben. Kaum zu zählen waren die von ihnen geraubten Schiffe und vernichteten Städte. Niemand konnte ihren schnellen und gut bewaffneten Freibeuterfahrzeugen widerstehen.«

»Ich glaub' es schon«, erwiderte der Neger, »man braucht nur dieses Schiff hier zu sehen!«

»Es kamen jedoch auch traurige Tage für sie«, fuhr Carmaux in seiner Erzählung fort. »Als der Grüne Korsar einst mit seinem Schiff von der Tortuga absegelte, hatte er das Unglück, mitten in das spanische Geschwader zu geraten. Er wurde nach einem verzweifelten Kampfe besiegt, gefangengenommen, nach Maracaibo geführt und dort von van Gould gehenkt.«

»Ich erinnere mich«, sagte Mokko, »sein Leichnam wurde jedoch nicht den wilden Tieren vorgeworfen.«

»Nein, weil es dem Schwarzen Korsaren gelang, mit wenigen Getreuen heimlich nach Maracaibo zu kommen, ihn dort zu rauben und dann im Meer zu versenken.«

»Ich hörte davon. Man sagte, daß van Gould aus Wut darüber, daß er nicht auch den Bruder fassen konnte, die vier Wächter, die mit der Wache über die Gehenkten betreut waren, erschießen ließ.«

»Dann war die Reihe an den Roten Korsaren gekommen, der ja nun auch im Karibischen Meer begraben liegt. Aber der dritte Bruder ist der mächtigste. Er wird die ganze Familie der van Goulds ausrotten!«

»Ja, ja, Gevatter! Er wird bald nach Maracaibo gehen; denn er hat mich über alle Einzelheiten befragt. Er will mit einer Flotte die Stadt angreifen!«

»Pierre Nau, der gefürchtete Olonese, ein Freund des Schwarzen Korsaren, ist auch noch auf der Tortuga. Der wird ihm helfen.«

Er unterbrach sich, stieß den Neger und Stiller an, der nahe bei ihm stand, und flüsterte: »Da ist er! Kann er einem nicht Furcht einflößen? Er sieht wirklich wie ein Meereswesen aus!«

Beide hatten nach der Kommandobrücke geschaut. Dort stand der Korsar, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, mit seinem großen, über die Stirn gezogenen Hute, dessen lange Feder im Winde wehte.

Jetzt ging er mit gekreuzten Armen, das Haupt auf die Brust geneigt, langsam auf der Brücke auf und nieder, ohne daß man seine Tritte hörte.

Leutnant Morgan wachte auf der andern Seite der Brücke. Er wagte nicht, seinen Kapitän anzureden.

»Wie ein Gespenst!« murmelte Stiller.

»Und Morgan paßt zu ihm«, meinte Carmaux. »Der ist auch nie lustig. Alle beide haben sich gefunden.«

Plötzlich ertönte ein Ruf durch die Dunkelheit. Er kam aus der Höhe des Hauptmastes. Die Stimme rief zweimal: »Ein Schiff in Sicht – seewärts!«

Der Schwarze Korsar hatte seinen Gang jäh unterbrochen. Er stand einen Augenblick still und schaute über das Meer. Dann wandte er sich an Morgan: »Laßt die Lichter auslöschen!«

Nach Empfang des Kommandos beeilten sich die Seeleute des Vorderdecks, die beiden großen Lampen an Bord und Steuerbord zu bedecken.

Als Dunkelheit auf der »Fólgore« herrschte, fragte der Kapitän den Mastwächter nach der Fahrtrichtung des gesichteten Schiffs.

»Es fährt gen Süden, Kommandant!«

»Nach der Küste von Venezuela zu?«

»Ich glaube!«

»In welcher Entfernung?«

»In sechs oder sieben Meilen!«

»Täuschst du dich auch nicht?«

»Nein, ich kann die Laternen genau unterscheiden!«

Der Korsar rief kurz: »Alle Mann auf Deck!«

Kaum eine halbe Minute hatte es gedauert, bis die ganze aus einhundertundzwanzig Flibustiern bestehende Mannschaft auf Deck erschien: die Männer vom Takelwerk an den Segeln, die Mastwächter hoch oben, die besten Schützen in den Mastkörben und auf der Schiffsschanze und die andern Seeleute längs der Brüstung verteilt. Die Artilleristen standen hinter ihren Geschützen, die Lunte in der Hand.

Die auf den Flibustierschiffen herrschende Ordnung und Disziplin übertraf die auf den Kriegsschiffen der größten seefahrenden Nationen. Die meist aus dem Auswurf der französischen, italienischen, holländischen, deutschen und englischen Häfen zusammengesetzten Mannschaften, die sich hier im Golf von Mexiko zusammenfanden, hatten sich wohl oft allen Lastern ergeben, fürchteten sich aber nicht vor dem Tode. Sie waren unglaublich kühn und der größten Taten fähig. Sie gehorchten wie Lämmer, in der Erwartung, sich in den Kämpfen wie Tiger gebärden zu können. Diese Seefahrer wußten, daß ihre Anführer keine Fahrlässigkeit ungestraft lassen würden und daß ihnen bei der geringsten Disziplinlosigkeit ein Kopfschuß mit der Pistole oder zumindest die Aussetzung auf eine einsame Insel drohte.

Als der Schwarze Korsar sich überzeugt hatte, daß alle auf ihrem Posten waren, wandte er sich an Morgan, der seiner Befehle harrte.

»Glaubt Ihr, daß das Schiff ein Spanier ist?« fragte er.

»Ja, Kommandant!«

»Dann wird es eine verhängnisvolle Nacht für die Gegner werden, manch einer von ihnen wird morgen die Sonne nicht mehr sehen.«

»Sollen wir das Schiff noch heute nacht angreifen?«

»Ja, und laßt es nicht aus den Augen!«

Morgen sprang auf die Brüstung und blickte seewärts. Aus der das rauschende Meer bedeckenden Finsternis tauchten leuchtende Punkte auf.

»Jetzt sind sie vier Meilen entfernt!« rief der Leutnant.

»Und nehmen den Kurs nach Süden?« fragte der Korsar.

»Nach Maracaibo!«

»Also gebt Order, dem fremden Schiff den Weg abzuschneiden! Dann laßt hundert Handgranaten auf Deck schaffen und alles in Gängen und Kabinen sichern!«

»Wenn wir das Schiff in Brand setzen, verlieren wir aber die Gefangenen!«

»Was liegt an ihnen?«

»Aber das Schiff kann Reichtümer bergen. Ich spreche im Interesse unserer Leute.«

»Für sie habe ich Gold! Laßt das Schiff wenden!«

Beim ersten Kommando hörte man die Pfeife des Obermaats. Die Leute vom Takelwerk braßten mit blitzartiger Geschwindigkeit die Segel, während der Steuermann backbord wandte.

Die »Fólgore« machte sofort eine Wendung und stürzte sich, von einer frischen Südostbrise getrieben, auf das signalisierte Fahrzeug, indem sie eine lange weiße Schaumlinie hinter sich ließ. Sie schoß durch die Dunkelheit, leicht wie ein Vogel und fast lautlos, gleich dem märchenhaften Geisterschiff.

Längs der Brüstung standen unbeweglich und stumm die Füsiliere und lugten nach dem feindlichen Schiff aus. Sie hatten ihre großkalibrigen Flinten umklammert, die in ihren Händen eine entsetzliche Waffe waren, da sie nur selten einen Schuß verfehlten. Indessen zündeten die Artilleristen, über ihre Geschütze gebeugt, die Lunte an, bereit, einen Geschoßhagel auf ihre Gegner zu senden.

Der Schwarze Korsar und Morgan hatten die Kommandobrücke nicht verlassen. Sie ließen kein Auge von den beiden leuchtenden Punkten, welche durch die Dunkelheit in kaum drei Meilen Entfernung blitzten.

Carmaux, Stiller und der Neger standen alle drei am Bug und sprachen leise zusammen.

»Wird eine schlechte Nacht geben«, sagte Carmaux. »Ich fürchte, daß der Kommandant keinen einzigen Spanier am Leben lassen wird.«

»Mir scheint, daß der Segler drüben merkwürdig hoch gebaut ist«, meinte Stiller, der die Höhe der Laternen mit dem Wasserspiegel verglich. »Hoffentlich ist es kein Linienschiff, das sich mit dem Geschwader des Admirals Toledo vereinen will!«

»Und wenn schon! Das würde den Schwarzen Korsaren nicht schrecken. Bisher hat noch kein Schiff der ›Fólgore‹ widerstanden. Wir sollen feuern, hat der Kommandant gesagt.«

»Zum Teufel, wenn er so fortfährt, wird eines Tages auch die ›Fólgore‹ mal dran glauben müssen!«

»Die ist felsenfest.«

»Aber auch Felsen brechen manchmal.«

Die Stimme des Schwarzen Korsaren unterbrach das Gespräch. Auf seinen Befehl wurden die Beisegel an der äußersten Spitze dem Haupt- und Fockmast zugefügt.

»Die Jagd beginnt«, fuhr Carmaux fort. »Es scheint, daß das spanische Schiff gut fährt, da es die ›Fólgore‹ zwingt, die Beisegel zu hissen.«

»Ich sage dir, daß wir es mit einem Linienschiff zu tun haben. Sieh doch nur die hohen Masten an!«

»Um so besser! Dann wird es auf beiden Seiten heiß hergehen!«

In diesem Augenblick hallte eine kräftige Stimme von dem feindlichen Fahrzeug herüber. Der Wind hatte das Signal dem Flibustierschiff zugetragen.

Plötzlich blinkte ein heller Schein auf und erleuchtete die Brücke und einen Teil der Masten des spanischen Schiffs. Ein heftiges Dröhnen folgte. Es war ein Kanonenschuß, der mit langem Widerhall verebbte. Das Wasser spritzte am Heck des Korsarenschiffs hoch auf. Der Pfiff in der Luft war den Flibustiern wohlbekannt. Niemand von der Mannschaft sprach ein Wort.

Diese erste Kanonade des gegnerischen Schiffs sollte eine Warnung sein, ihm nicht weiter zu folgen. Es hatte von neuem beigedreht mit dem Bug nach Süden und schien damit anzudeuten, daß es in den Golf von Maracaibo einfahren wolle.

Als der Korsar die Schwenkung bemerkte, wandte er sich an seinen Oberleutnant: »An den Bug, Morgan!«

»Soll ich Befehl zum Schießen geben?«

»Noch nicht, es ist zu dunkel! Bereitet alles vor.«

Am Vorderteil des Schiffs lagen vierzig Mann ausgestreckt, die Gewehre in der Hand und die Eisenpiken neben sich.

»Auf!« kommandierte Morgan. »Macht die Quirlanker zurecht!«

Dann gab er den Leuten hinter der Brüstung weitere Anordnungen.

Fürchtete die Mannschaft schon den Schwarzen Korsaren, so hatte sie fast noch mehr Furcht vor Morgan. Er war fest, unbeugsam und ebenso mutig wie der Erste Kommandant. Von englischer Abstammung, war Morgan erst vor kurzem nach Amerika gekommen. Er hatte sich aber sofort durch seinen Unternehmungsgeist, seine seltene Energie und Kühnheit ausgezeichnet. Beweise davon hatte er unter dem Befehl von Mansfield, einem berühmten Korsaren, gegeben. Später übertraf er an Mut und Tapferkeit alle Flibustier der Tortuga bei dem bekannten Unternehmen gegen Panama, dessen Einnahme man für unmöglich gehalten hatte.

Neben einer ungewöhnlichen Kraft und einem schönen Äußeren besaß er Seelenadel. Gleich dem Schwarzen Korsaren übte auch er eine geheimnisvolle Macht auf die rohen Seeleute aus, die ihm gehorchten, sobald er nur winkte.

Als alles fertig war, stellte sich Morgan neben das Bugspriet auf den Beobachtungsposten, die eine Hand am Säbelgriff, die andere auf der Pistole in seinem Gürtel.

Das feindliche Schiff war jetzt kaum sechs- bis siebenhundert Meter entfernt. Die ihren Namen mit Recht tragende »Fólgore« hatte ihr Ziel erreicht und bereitete sich nun zum Angriff vor.

Obgleich die Nacht dunkel war, konnte man doch das spanische Schiff in allen Einzelheiten erkennen.

Wie Stiller vermutet hatte, war es ein Linienschiff. Mit seinen hohen Wänden, dem erhöhten Deck und den drei bis an die Spitze der Flaggenstöcke mit Segeln bedeckten Mastbäumen hatte es ein imponierendes Aussehen. Das Schlachtschiff war stark bewaffnet und mit einer zahlreichen, zum tapferen Widerstand bereiten Mannschaft gerüstet. Jeder andere Korsar hätte sich wohl gehütet, anzugreifen; denn auch nach einem Sieg wäre wenig Beute gefunden worden. Waren es doch sonst nur die mit reichen Schätzen aus den Minen Mexikos, Yukatans und Venezuelas beladenen Kauffahrteischiffe, die sich die Seeräuber aussuchten! Aber der Schwarze Korsar, der sich um Reichtümer nicht kümmerte, dachte anders.

Da er einen mächtigen Verbündeten van Goulds in diesem Schiffe sah, das später seine Pläne durchkreuzen konnte, griff er es an, noch ehe es das Geschwader des Admirals Toledo verstärken oder zur Verteidigung Maracaibos heranrücken konnte.

Als das spanische Schiff sich hartnäckig verfolgt sah, gab es sich wohl keinem Zweifel mehr über die Absichten des Korsaren hin. So feuerte es aus einer seiner größten Kanonen einen zweiten Schuß aus einer Entfernung von fünfhundert Metern ab.

Diesmal verirrte sich die Kugel nicht ins Wasser. Sie sauste durch das Vormarssegel und den Mastkorb und traf die äußerste Spitze des Girksegels, so daß das schwarze Banner des Piraten sank.

Die beiden Geschützmeister auf Deck wandten sich an den Schwarzen Korsaren, der noch immer am Steuer stand, das Sprachrohr in der Hand, und fragten: »Sollen wir anfangen, Kommandant?«

»Noch nicht!« erwiderte er.

Ein dritter, noch stärkerer Kanonenschuß erschütterte das Meer, und eine Kugel pfiff durch das Takelwerk des Piratenschiffs.

Ein verächtliches Lächeln umspielte die Lippen des kühnen Flibustiers, aber kein Befehl kam aus seinem Munde.

Die »Fólgore« beschleunigte ihren Kurs und zeigte dem feindlichen Schiff ihren hohen Sporn, der das Meer mit dumpfem Geräusch durchschnitt, voller Ungeduld, mit einem Riesenstoß in den Bauch des spanischen Schiffes vorzudringen. Sie flog dahin wie ein schwarzer Vogel mit einem ungeheurem Schnabel.

Der Anblick dieses Fahrzeugs, das so plötzlich aus dem Meere auftauchte und stumm dahinfuhr, ohne Antwort auf die Herausforderung und ohne ein Zeichen, daß Menschen darauf wären, mußte auf die abergläubischen Seelen der spanischen Seeleute eine eigenartige Wirkung ausüben.

Plötzlich hallte Lärm durch die Finsternis. Eine gebieterische Stimme, wohl die des Kommandanten, übertönte den Tumult: »Braßt an Backbord! ... Stützt den Balken! ... Geschützfeuer! ...«

Ein furchtbares Getöse brach an Bord des Linienschiffes aus, während Feuerblitze die Nacht erleuchteten. Die sieben Geschütze an Steuerbord und die beiden Kanonen auf Deck hatten auf das Korsarenschiff ihre Geschosse gespien. Die Kugeln pfiffen nur so um die Flibustier herum; sie drangen durch die Segel, zerrissen die Taue, vernichteten das Kiel, zertrümmerten die Wände, aber sie konnten dem Rasen der »Fólgore« nicht Einhalt gebieten.

Vom kräftigen Arm des Schwarzen Korsaren geleitet, fuhr sie mit Ungestüm auf das große Schiff los, das noch im letzten Augenblick von dem Steuermann vor einer entsetzlichen Katastrophe gerettet wurde. Aus seinem Kurs gerissen, das Backbord schräg geneigt, entrann es wunderbarerweise dem Stoß, der es mit gespaltener Flanke in die Tiefe schleudern sollte.

Die »Fólgore« fuhr dort vorüber, wo sich vor wenigen Minuten noch das Heck des feindlichen Schiffes befunden hatte. Sie stieß das Schiff mit ihrer Seitenwand, so daß es im Innern erschüttert wurde; sie vernichtete das Girksegel und einen Teil des Gebälks – aber sie konnte ihm sonst nichts weiter anhaben.

Als das Korsarenschiff sein Ziel verfehlt hatte, fuhr es rasch weiter und verschwand in der Finsternis, ohne gezeigt zu haben, ob Mannschaft oder Geschütze an Bord wären.

»Donnerwetter!« rief Stiller, der in Erwartung des furchtbaren Stoßes den Atem angehalten hatte. »Da können die Spanier von Glück sagen! ...«

»Ich hätte kein Gramm Tabak für die Rettung der Mannschaft drüben gewettet«, sagte Carmaux. »Schon sah ich alle untertauchen.«

»Glaubst du, daß der Kommandant den Angriff noch einmal versuchen wird?«

»Die Spanier werden jetzt aufpassen und uns die Zähne zeigen.«

»Sie werden uns gut bombardieren. Wäre es Tag gewesen, so hätte uns die Geschützsalve auch verhängnisvoll werden können!«

»Sie hat aber nur wenig Schaden angerichtet.«

»Still, Carmaux!«

»Was gibt's?«

Der Schwarze Korsar hatte das Sprachrohr erhoben und hineingerufen: »Das Schiff wenden!«

»Wir fangen also wieder an?« brummte Stiller.

»Wirklich! ... Er läßt das spanische Schiff nicht gehen«, bestätigte Carmaux.

»Es scheint auch gar nicht die Absicht zu haben, weiterzufahren.«

In der Tat. Anstatt seine Fahrt fortzusetzen, hielt das Kriegsschiff an und legte sich gegen den Wind, als ob es zur Wiederaufnahme des Kampfes bereit wäre. Es drehte sich jedoch nur langsam, den Schnabel nach vorn, um nicht gerammt zu werden.

Auch die »Fólgore« hatte in einer Entfernung von zwei Meilen gewendet. Statt aber zum Gegner zurückzukehren, beschrieb sie einen großen Kreis um ihn und hielt sich auch immer aus dem Bereich der Geschütze.

»Ich verstehe schon!« sagte Carmaux. »Unser Kapitän will den Morgen abwarten, ehe er sich einläßt und ans Erobern geht!«

»Sicher will er die Fahrt der Spanier nach Maracaibo verhindern!« fügte Stiller hinzu.

»Na, bereiten wir uns nur auf einen ordentlichen Kampf vor! Sollte ich von einer Kanonenkugel zerrissen oder auf Deck des feindlichen Schiffes getötet werden, so ernenne ich dich nach Piratenbrauch zum Erben meines bescheidenen Vermögens.«

»Auf wie hoch stellt es sich denn?« fragte Stiller lachend.

»Auf zwei Smaragde, von denen jeder mindestens fünfhundert Piaster wert ist. Sie sind in meinem Jackenfutter.«

»Das reicht gerade, um sich eine Woche lang auf der Tortuga zu amüsieren! Auch ich ernenne dich zu meinem Erben; aber ich bemerke, daß ich nur drei Dublonen besitze, die in meinem Gürtel eingenäht sind.«

»Sie genügen, um sechs Flaschen spanischen Weins auf dein Andenken zu leeren!«

»Danke, Carmaux. Jetzt bin ich beruhigt und kann den Tod heitern Gemüts erwarten.«

Inzwischen setzte die »Fólgore« ihre Fahrt um das Linienschiff fort, das still lag und nur den Bug zeigte. Rasch wie ein Vogel flog sie drohend herum, aber ohne ihre Geschütze donnern zu lassen.

Der Schwarze Korsar hatte das Steuer nicht verlassen. Seine Augen leuchteten wie die eines Raubtiers im Dunkeln. Sie hafteten unentwegt auf dem Kriegsschiff, als ob sie die Geschehnisse an Bord erspähen wollten. Vielleicht wartete er auf ein falsches Manöver, um ihm den Todesstoß zu versetzen.

Seine Mannschaft betrachtete ihn mit abergläubischer Furcht. Dieser Mann, der sein Schiff behandelte, als ob es mit seiner Seele verwachsen sei, der es um die Beute herumfahren ließ, fast ohne Segel zu ändern, dieser unbeweglich dastehende Mann mit dem finstern Aussehen flößte den kühnen Seefahrern beinahe Schrecken ein.

Die ganze Nacht hindurch fuhr der Pirat um das Linienschiff herum, ohne auf die von Zeit zu Zeit erfolglos abgefeuerten Kanonenschüsse zu antworten. Als jedoch die Sterne erblaßten und das Morgenlicht das Wasser des Golfs erhellte, ertönte die Stimme des Korsaren: »Alle Mann an den Kampfplatz! – Meine Flagge in die Höhe!«

Die »Fólgore« umsegelte jetzt nicht mehr das Schlachtschiff; sie steuerte auf dasselbe zu, zum Entern entschlossen.

Das große, schwarze Banner des Korsaren war hoch oben gehißt und angenagelt worden, damit es niemand streichen konnte ... das bedeutete: Siegen um jeden Preis oder sterben ohne Übergabe!

Die Artilleristen an Bord hatten die beiden Verfolgungskanonen gerichtet, während die übrige Mannschaft an der Brüstung ihre Gewehre durch die Hängematten steckte, um das feindliche Schiff zu beschießen.

Der Schwarze Korsar vergewisserte sich, ob alle auf ihrem Posten waren und ob die Mastwächter ihre Stellung auf den Körben, Tauen und Segelstangen eingenommen hatten. Dann ertönte sein Ruf: »Ich halte euch nicht mehr zurück! ... Es lebe die Freibeuterei!«

Drei mächtige Hurrarufe hallten an Bord des Flibustiers wider und wurden vom Gedröhn der beiden Kanonen unterstützt.

Das Linienschiff hatte sich wieder dem Wind überlassen und ging dem Piratenschiff entgegen. Es mußte mit tapferen, entschlossenen Matrosen bemannt sein. Gewöhnlich entzogen sich die spanischen Schiffe den Angriffen der Tortugakorsaren, weil sie in ihnen gefährliche Gegner fürchteten.

Auf tausend Schritt Entfernung begann es die Kanonade mit erneuter Heftigkeit. Bald entluden sich seine Geschütze von Steuerbord, bald von Backbord aus und verbreiteten Rauch und Flammen um sich.

Es war ein großes Fahrzeug mit drei Verdecken, vielen Masten, sehr hohem Bord und mit vierzehn Feuerschlünden ausgerüstet – ein echtes Schlachtschiff, das sich vielleicht aus irgendeinem Grunde vom Geschwader des Admirals Toledo abgesondert hatte.

Auf der Kommandobrücke stand der Kommandant in großer Uniform, den Säbel in der Hand, von den Leutnants umgeben. Viele Matrosen bemerkte man auf dem Oberdeck. Die Standarte Spaniens flatterte am Hauptmast. So bewegte sich das mächtige Schiff unter Kanonendonner kühn auf die »Fólgore« zu.

Obwohl viel kleiner, ließ sich das Korsarenfahrzeug durch den Kugelregen nicht einschüchtern. Es beschleunigte den Kurs, antwortete mit seinen Verfolgungskanonen und wartete wohl nur den günstigen Augenblick ab, um auch die zwölf andern Geschütze zu entladen.

Die Kugeln fielen dicht auf sein Deck, schlugen in die Wände, drangen ins Innere und in die Batterien ein, hinderten das Manövrieren und lichteten die Reihen der Flibustier am Bug. Das Piratenschiff wich jedoch keinen Schrittbreit, sondern ging mit derselben Kühnheit vor. Die Schützen bedienten sich nun der beiden Kanonen auf der Schanze und beschossen das Oberdeck des feindlichen Schiffes.

Dieses Feuer mußte den Spaniern bald verhängnisvoll werden, denn die Piraten verfehlten niemals ihr Ziel. Zu diesem Zweck waren sie durch eine gute Schule gegangen. Waren manche dieser karibischen Seeräuber doch früher »Bukanier«, Büffeljäger, gewesen und deshalb im zielsicheren Schuß geübt!

Die Kugeln der großen Arkebusen richteten größeren Schaden an als das Kanonenfeuer. Zu Dutzenden fielen die Leute am Bord des Linienschiffes, ebenso die Artilleristen auf der Schanze und die Offiziere auf der Kommandobrücke. Nach zehn Minuten war kaum einer mehr am Leben. Auch der Kommandant war inmitten seiner Leutnants gefallen, noch ehe die beiden Schiffe angelegt hatten. Es blieben jedoch noch die Männer aus den Batterien, die weit zahlreicher als die Deckmatrosen waren. Der Sieg schien also noch immer nicht entschieden.

Auf zwanzig Meter Entfernung voneinander wendeten die beiden Schiffe. Da übertönte die Stimme des Korsaren den Donner der Geschütze: »Verwickelt das Großtau und den Mastkorb, laßt das Focksegel gegenbrassen, zieht das Girksegel an!«

Nach einem heftigen Ruck des Steuers veränderte die »Fólgore« plötzlich ihre Stellung und brachte ihren Bugspriet zwischen die Hintermasttaue des Linienschiffs.

Der Korsar war mit dem Degen in der rechten und der Pistole in der linken Hand von der Schanze gesprungen.

»Alle Mann!« rief er. »Entert das Schiff!«


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