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Zweierlei Adel

Frankreich.

(Jüdische Aristokratie. – Wissenschaft, Kunst und Litteratur. – Schebuoth.)

Sie waren von Frankfurt nach Paris gekommen. Ihr Ahnherr hatte sich grosse Verdienste erworben und war Baron geworden, der erste Jude, der seinen Platz unter den Enkeln der Ritter und Minnesängern einnahm, ohne seinen Glauben zu wechseln.

Eigentlich hatten sie es gar nicht nöthig, geadelt zu werden, sie stammten aus einer edlen, vornehmen Familie Israel's, die älter war als die Habsburg und die Hohenzollern, und sie besassen seit Jahrhunderten jenen Seelenadel, dessen Wappen die Thräne des Mitleids ist.

Der Baron protegirte die Wissenschaften und die Künste und die Baronin übte die grossherzige jüdische Wohlthätigkeit in einem Massstab, welcher alle die schönen Feenmärchen unserer Kindheit wahr machte.

Die liebenswürdige, geistreiche Frau hatte aber auch noch eine Leidenschaft, welche sie mit der grossen Kaiserin Maria Theresia gemein hatte, sie liebte es, Ehen zu stiften.

Eines Tages entdeckte die gütige Fee, welche gleich dem Chalifen Harun al Raschid nicht selten verkleidet, unkenntlich die Viertel der Armen durchstreifte, um das Elend aufzusuchen, und wo sie nur konnte, Noth und Krankheit zu lindern, einen jungen, jüdischen Gelehrten, von dem die Nachbarschaft merkwürdige Dinge erzählte.

Oskar Stein war Naturforscher. Mit jenem heiligen Drang nach Wahrheit, jenem glühenden Eifer, welcher den Israeliten bei jeder geistigen Arbeit auszeichnet, forschte und studirte er seit Jahren. Niemand wusste, wovon er eigentlich lebte. Wahrscheinlich hatte er irgend eine Nebenbeschäftigung, wie Spinoza Gläser schliff, um sein grossartiges, philosophisches System ungestört ausspinnen zu können, wie Adolf Kaftan Schnupftabak fabrizierte, um Jahr für Jahr Hunderttausende von Rubeln für die Dürftigen sammeln zu können.

Sicherlich trug diese Nebenbeschäftigung nicht viel ein, denn Stein bewohnte in einer engen finsteren Gasse ein kleines Stübchen unter dem Dach, und es gab Tage, wo er sich nur von Brod und Früchten nährte.

Die Baronin schrieb einige Zeilen an den jungen Gelehrten und lud ihn zu sich, aber der Arme besass nicht einmal einen Rock, in dem er sich hätte vorstellen können und entschuldigte sich durch einen ebenso rührenden, als ungeschickten Brief.

Doch die Fee liess sich nicht so leicht abschrecken. Eines Tages stieg sie, von einer gleichgesinnten Freundin begleitet, die steile, finstere Treppe empor und klopfte an Stein's Thüre.

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Während sie zeichnete, sass der junge Mann in seine Arbeit vertieft da. (Von Gerardin.)

Der arme Stein wäre glücklich gewesen, wenn sich in diesem Augenblick, wie auf dem Theater, eine Versenkung geöffnet hätte, und er hätte verschwinden können. Er hüllte sich verzweifelt in seinen fadenscheinigen Schlafrock, wie Cäsar in seine Toga, als die Verschworenen sich mit gezücktem Dolch auf ihn stürzten, stolperte über seine eigenen Füsse, erröthete wie ein junges Mädchen und stammelte wie ein Schulknabe, der seine Lektion vergessen hat.

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Die Güte der Baronin half ihm aber endlich über alle diese Schwierigkeiten hinweg, man sprach sich gegenseitig aus und entschlossen, Stein zu helfen, ohne ihm ein Almosen anzubieten, das er nicht angenommen hätte, machte ihm die liebenswürdige Frau den Vorschlag, ihre Kinder in der Naturgeschichte zu unterrichten. Stein nahm an. Sofort fand sich ein Schneider, der ihm auf diese glänzende Aussicht hin einen Anzug machte, und der schüchterne Gelehrte war bald ein täglicher Gast in dem schönen Palais mit dem herrlichen Garten, dessen alte Bäume mitten in Paris an die Zedern des Libanon mahnen.

* * *

Fast zu gleicher Zeit hatte der Baron eine junge Malerin Lazarine Decamps, entdeckt.

Diese reich begabte Künstlerin war genau das Gegentheil des armen, unbeholfenen Gelehrten. Sie stammte aus einer wohlhabenden, jüdischen Familie in Lyon, verdiente ausserdem viel Geld, war hübsch und elegant «und voll Selbstvertrauen, ja sogar ein wenig emanzipirt, so dass man sie häufig für eine Studentin der Medizin oder eine Nihilistin hielt.

Eines Abends, im Theater Français, sagte der Baron zu seiner reizenden Frau: »Dein Gelehrter und meine Malerin sind wie geschaffen, sich gegenseitig zu ergänzen. Jedes für sich ist einseitig, zusammen werden sie das vollkommenste Wesen bilden. Wie wäre es, wenn wir sie verheirathen würden?«

»Warum nicht?« erwiderte die Baronin lächelnd. »Da die Ehen im Himmel geschlossen werden, brauchen wir ja nicht zu fürchten, dass wir irgend ein Unheil anrichten.«

Einige Tage darauf waren Fräulein Decamps und Stein bei der Baronin zum Thee geladen. Die Baronin bestellte bei der Malerin zwei kleine Genrebilder aus dem jüdischen Leben im Style der holländischen Cabinetsbilder. Das eine sollte ein jüdisches Mädchen darstellen, mit dem Winden der Kränze für Schebuoth (Pfingsten) beschäftigt, das Gegenstück einen jungen Talmudisten vor seinem Lederbande.

Für diesen Letzteren schlug der Baron Stein als Modell vor, und da sich der Naturforscher in den fernsten Winkel des Salons, zwischen einigen soliden Deputirten versteckt hatte, führte die Baronin Lazarine zu ihm.

Vergebens verschanzte sich Stein hinter seine Studien, vergebens hielt er das Werk, an dem er arbeitete, und auf das er alle seine Hoffnungen setzte, der Malerin als Schild entgegen, sein Kopf interessirte sie, und sie bestand darauf, ihn zu malen.

»Da Sie nicht in mein Atelier kommen wollen«, sagte sie, »so werde ich zu Ihnen kommen und Sie malen, während Sie vor ihren Büchern und Manuskripten sitzen.«

* * *

Schon am nächsten Morgen erschien der Diener der Malerin, ein Neger, stellte in Stein's Stube die Staffelei auf stapelte allerlei Malergeräth auf, und eine halbe Stunde später kam Lazarine selbst. Sie benahm sich, als wäre sie bei Stein zu Hause, sie hing ihren Hut an das Fenster, warf ihre Jacke über seinen Stuhl und machte sich sofort an die Arbeit.

Während sie zeichnete und malte, sass der junge Gelehrte vor seinem mit Büchern, Papieren, Instrumenten und Präparaten bedeckten Tisch und arbeitete, aber mehr und mehr begann er das hübsche, resolute Mädchen von der Seite anzusehen, ein paar Worte an sie zu richten, ihr kleine Aufmerksamkeiten zu erweisen und ehe eine Woche vergangen war, verkehrten Stein und Lazarine bereits als gute Kameraden.

Als das Bild fertig war, und Lazarine sich verabschiedet hatte, fühlte sich Stein namenlos unglücklich. Gewohnt, alles mit der Lupe zu untersuchen, prüfte er jetzt seine eigenen Gefühle mit wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit und gestand sich endlich, dass er Lazarine liebe.

Niemals hätte er jedoch den Muth gehabt, ihr ein Geständniss zu machen. So adressirte er denn seine Liebeserklärung an die Baronin, welche sie lächelnd anhörte und noch denselben Abend an die richtige Adresse beförderte.

Am folgenden Tage stürmte Lazarine in Stein's Studirzimmer.

»O! Sie unverbesserlicher Schlemihl!« rief sie lachend, warum haben Sie mir denn nicht gleich gesagt, dass Sie mich lieben? Hier ist meine Hand.«

Stein ergriff sie und küsste sie.

»Nun lassen Sie uns aber vernünftig reden,« fuhr Lazarine fort, nachdem sie sich ihm gegenüber gesetzt hatte, »Sie müssen vor allem Ihr Werk vollenden.«

»Ganz richtig.«

»Wenn dasselbe erschienen ist, wird es Ihnen leicht werden, sich eine Stellung zu machen und dann heirathen wir.«

»Ja, dann heirathen wir.«

* * *

Stein's Buch machte in den wissenschaftlichen Kreisen Aufsehen. Er fand mit einem Male Freunde und Beschützer und wurde einige Monate später zum Professor ernannt.

Lazarine kaufte ein kleines Haus mit einem Garten in dem Bois de Boulogne, wo sie vor allem ein Studirzimmer für Stein und ein Atelier für sich einrichtete.

Für Schebuoth waren sie Beide bei der Baronin geladen. Die Thore und Treppen des schönen Palais waren reich mit grünen Zweigen und Blumenguirlanden geschmückt und Nachmittags, wo man an diesem Tage seine Freunde zu besuchen pflegt, war in dem herrlichen Garten unter einem Zelt eine auserwählte Gesellschaft versammelt.

Die reichen und vielseitigen Gaben des jüdischen Geistes zeigten sich hier wie in einem Brennpunkt vereinigt, Gäste aus allen Ländern Europas waren gekommen, um dem hochsinnigen Paare, das hier waltete, zu huldigen. Man sah neben dem weisen und gelehrten Pariser Rabbiner, den berühmten deutschen Philologen und den ausgezeichneten Geologen aus Oesterreich, die neue Rachel bildete den Mittelpunkt einer glänzenden Gruppe, in der man vor allem den ungarischen Geigerkönig und den holländischen Meister der Palette bemerkte.

Der glänzende Wiener Operncomponist promenirte an der Seite des genialen russischen Pianisten und ein Kreis von jüdischen Schriftstellern, deren Werke alle gebildeten Idiome Europas repräsentirten, umgab die Baronin, welche wie immer durch ihr gesundes, treffendes Urtheil anzog und anregte.

Nach dem Gouter verkündete der Baron seinen Freunden die Verlobung der Malerin Decamps mit dem Professor Stein. Alle umringten das junge Paar und brachten demselben ihre Glückwünsche dar.

Der gelehrte Rabbiner stand seitwärts und blickte lächelnd und zufrieden in das fröhliche Getriebe.

»Was denken Sie in diesem Augenblick?« fragte der Baron.

»Ich denke«, erwiderte der Rabbiner, »dass wir doch ein auserwähltes Volk sind, trotz dem Geschrei unserer Feinde. Wir sind es, weil wir den Geist und das Talent ehren, wie kein zweites, und weil wir zu einer Zeit, wo die alte Aristokratie ihre Wappenschilder zerbröckeln sieht, eine neue erzeugt haben, welche den Adel des Geistes mit jenem der Geburt zu vereinen versteht. Ich denke auch an die Worte des Koheleth: Denn welchem Menschen Gott Reichthum und Güter gegeben und ihm die Macht verliehen hat, davon zu geniessen und sein Theil hinzunehmen und froh zu werden seiner Mühe, siehe, das ist eine Gabe Gottes.«

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